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Süßungsmittel: Wie gesund ist Zuckerersatz?

Stevia, Xylit und Co. sind beliebt, weil sie gesünder sein sollen als Haushaltszucker. Doch nun mehren sich Berichte, dass manche Süßungsmittel schädlich sind. Stimmt das?
Auf einem dunklen Tisch stehen vier Gläser, die mit bunten Flüssigkeiten und Eiswürfeln gefüllt sind.
Limonaden enthalten oft Zuckersatzstoffe. Das macht sie zwar kalorienarm und senkt das Risiko für Karies, doch die Mittel sind teils gesundheitlich bedenklich.

Mehr als 33 Kilogramm Zucker konsumiert jeder Mensch in Deutschland im Schnitt pro Jahr. Das sind über 90 Gramm am Tag und ist damit fast doppelt so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) als Obergrenze setzt. Dass Haushaltszucker nicht gesund ist, wissen die meisten – er macht dick, verursacht Karies, lässt das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ansteigen. Sogar für Depressionen, Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche soll er mitverantwortlich sein. »Wir belasten damit unseren gesamten Körper«, sagt etwa Birgit Tollkühn-Prott, Leitende Diätassistentin des Ernährungs- und Diabetesteams (PEDT) an der Uniklinik RWTH Aachen. »Bei hohem Konsum treten vermehrt Entzündungen auf, und unser Immunsystem wird geschwächt.«

Gründe, den Zuckerkonsum herunterzufahren oder ganz auf Haushaltszucker zu verzichten, gibt es also genug. Alternativen ebenfalls, und die wurden zuletzt immer beliebter: Schätzungsweise 5,3 Kilogramm Zuckerersatzstoffe verbrauchte jede Person in Deutschland im Jahr 2023, mehr als je zuvor. Bis 2029, so die Prognose, wird der Umsatz jährlich um mehr als fünf Prozent ansteigen. Doch wie gesund sind diese Süßungsmittel? Und sind »natürliche« Zuckeralternativen wie Agavendicksaft oder Ahornsirup tatsächlich besser als industriell hergestellte?

Wenn von Zuckerersatz die Rede ist, muss zwischen drei Gruppen unterschieden werden: naturbelassenen Süßmachern wie Honig, Agavendicksaft oder Ahornsirup, synthetisch hergestellten Süßstoffen wie Aspartam oder Cyclamat sowie Zuckeraustauschstoffen wie Xylit oder Erythrit, die aus natürlichen Rohstoffen gewonnen werden.

Verbrauch von Zuckerersatz steigt

Xylit, auch Birkenzucker genannt, machte vor Kurzem Schlagzeilen: Verbraucherschützer kritisieren diesen Namen, weil er suggeriert, dass es sich um ein gesundes pflanzliches Produkt handelt. Xylit wird zwar tatsächlich auf der Basis pflanzlicher Rohstoffe hergestellt, ist aber wie sein Verwandter Erythrit und alle anderen Zuckeralkohole ein hochverarbeitetes Lebensmittel. Vorteile hat so ein Zuckeraustauschstoff dennoch: Xylit verursacht weder Karies noch starke Blutzuckerschwankungen und enthält deutlich weniger Kalorien als Haushaltszucker. Ein Team um den Kardiologen Marco Witkowski von der DHZC-Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Charité-Campus Benjamin Franklin in Berlin hat nun jedoch herausgefunden, dass Xylit, häufig aufgeführt als E 967, das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko erhöht – eine Tatsache, die über den Zuckeralkohol Erythrit (»Xucker«, E 968) bereits bekannt war.

»Unsere Forschung weist auf mögliche Risiken von Xylit hin und zeigt, dass Süßstoffe nicht unbedingt die harmlose Zuckeralternative sind, für die sie oft gehalten werden«, erklärt Erstautor Witkowski. »Besonders bei Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Risiken könnte der Konsum von Xylit zusätzliche Gesundheitsgefahren bergen.« Es sei wichtig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sich dieser Risiken bewusst seien und ihren Konsum von Süßstoffen überdächten, heißt es in einer Pressemitteilung der Charité. 2023 hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) noch eine Stellungnahme veröffentlicht, laut der Süßungsmittel »keine Gesundheitsbeeinträchtigung« darstellten – jedoch sei die »Studienlage unzureichend«. Eine neue Stellungnahme steht derzeit noch aus.

Zugelassene Süßungsmittel

Künstlich hergestellte Süßungsmittel zählen zu den Zusatzstoffen. Sie müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen und in der Zutatenliste von Lebensmitteln aufgeführt sein, erkennbar an ihrer E-Nummer. Süßungsmittel sind nahezu kalorienfrei und verursachen keine Karies. Sie stecken beispielsweise in Light-Getränken, Süßwaren, Desserts, Brotaufstrichen, Marmeladen, Kaugummis, Konserven, Feinkostsalaten und Saucen. In der EU sind derzeit zwölf Mittel zugelassen: Acesulfam K (E 950), Aspartam (E 951), Cyclamat (E 952), Saccharin (E 954), Sucralose (E 955), Thaumatin (E 957), Neohesperidin DC (E 959), Steviolglycoside aus Stevia (E 960a), enzymatisch hergestellte Steviolglycoside (E 960c), Neotam (E 961), Aspartam-Acesulfam-Salz (E 962) und Advantam (E 969).

Quelle: Verbraucherzentrale

Keine harmlose Alternative

Der deutsche Kardiologe Witkowski hatte Xylit während eines Forschungsaufenthalts an der Cleveland Clinic in Ohio, USA, untersucht. Er und sein Team analysierten dazu Blutproben von mehr als 3300 Herz-Patienten über einen Zeitraum von drei Jahren. Bei hohen Xylit-Konzentrationen im Blut kam es messbar häufiger zu Schlaganfällen, Herzinfarkten oder gar zu Todesfällen. Xylit, das fand die Gruppe durch weitere Untersuchungen heraus, erhöht die Reaktivität von Blutplättchen, so genannten Thrombozyten. Das kann dazu führen, dass sie verklumpen und sich Blutgerinnsel bilden, die dann kleine Gefäße in Hirn oder Herz verstopfen können. Laut der Studie, die im Sommer 2024 im Fachmagazin »European Heart Journal« erschienen ist, steigt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall bei erhöhten Xylit-Werten im Blut deutlich an.

DGE empfiehlt Verzehr nur in Maßen

Silke Restemeyer rät generell dazu, Xylit sparsam zu verwenden, nicht nur wegen der jüngsten Veröffentlichung: »Allein auf Grund dieser Studie kann sicher keine konkrete Aussage getroffen werden«, so die Diplom-Ökotrophologin von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). »Wir empfehlen aber grundsätzlich, dass der Verzehr von Süßungsmitteln in Maßen erfolgen sollte – nicht zuletzt wegen einer möglichen Gewöhnung an den süßen Geschmack. Das gilt insbesondere für Kinder.« Zudem könnten Zuckeralkohole in größeren Mengen Blähungen und Durchfall verursachen. Produkte, die mehr als zehn Prozent Xylit, Sorbit oder Erythrit enthalten, müssen daher mit einem Warnhinweis versehen sein, der lautet: »Kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken.«

Weil sie keine Kalorien enthalten, kommen Zuckeralkohole wie Xylit, Sorbit und Erythrit häufig in Light-Getränken zum Einsatz. »Kinder sollten sich am besten erst gar nicht an den süßen Geschmack gewöhnen«, sagt Restemeyer. Die DGE rate daher von Light-Getränken ab: »Sie enthalten weitere Lebensmittelzusatzstoffe wie Süß-, häufig auch Farb- und Aromastoffe.« Wer regelmäßig »light« trinkt, das ergaben Studien, nimmt trotz der wenigen Kalorien stärker an Gewicht zu und hat ein höheres Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Menschen, die solche Getränke eher selten zu sich nehmen. Denn die Gewöhnung an Süßes steigert das Verlangen danach – und so ernährt man sich tendenziell eher ungesund und zuckerreich.

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Legende
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Raffinierte Zucker sind chemisch aufgereinigt. Sie enthalten in der Regel keine Farbstoffe und Mikronährstoffe mehr.

Manche Süßungsmittel kommen roh zum Einsatz. Honig ist beispielsweise direkt nach dem Schleudern verzehrfertig. Andere werden lediglich gemahlen oder klein gerieben.

Viele Süßungsmittel sind zwar nicht raffiniert, also vollständig aufgereinigt, aber trotzdem vorbehandelt. Sirupe entstehen zum Beispiel durch Einkochen von Pflanzensaft.

Zuckeralkohole nennt man auch Zuckeraustauschstoffe. Der Körper verstoffwechselt sie ohne Insulin, weshalb sie den Blutzuckerspiegel kaum ansteigen lassen. Sie kommen auch in der Natur vor, beispielsweise in Äpfeln und Birnen.

Diese Stoffe kommen in der Natur nicht vor. Sie werden in einem chemischen Verfahren hergestellt.

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Sättigende Süßspeise bei Lust auf Zucker

Restemeyer rät, die Lust auf Süßes mit einer sättigenden Süßspeise zu befriedigen, etwa einem süßen Auflauf, Milchreis, einer Quarkspeise mit Obst oder einem Obstsalat. Außerdem sollte man sich fragen, woher die Lust auf Zucker kommt. Vielleicht möchte man damit einfach nur Stress abbauen. Dann würde ein Spaziergang an der frischen Luft vielleicht besser helfen. Oder man ist müde, was sich mit einem Espresso beheben ließe.

Was viele nicht wissen: Zuckerersatz, der als »natürlich« beworben wird, ist nicht unbedingt gesünder als Haushaltszucker. Agavendicksaft beispielsweise besteht vor allem aus Fruchtzucker, Fruktose genannt. Das klingt nach Obst und Vitaminen, hat damit aber nicht viel zu tun: Fruktose ist nicht gesünder als die Saccharose, aus der Haushaltszucker besteht. Agavendicksaft beispielsweise enthält vergleichsweise viele Kalorien und kann genau wie Zucker Karies verursachen. Die enthaltene Menge an Spurenelementen und Vitaminen, die in der Werbung für pflanzlichen Sirup gern angeführt wird, ist bei den üblichen Verzehrmengen so gering, dass sie praktisch keine Rolle spielt.

Was bedeutet »Süßkraft«?

Die Süßkraft eines Stoffs gibt an, wie süß er im Vergleich zu Haushaltszucker (Süßkraft = 1) ist. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um eine objektiv messbare Größe; zudem unterliegt die Geschmackswahrnehmung verschiedenen Einflüssen. Deshalb dienen die Angaben lediglich zur Orientierung. Künstlich hergestellte Süßstoffe können um ein Vielfaches süßer sein als Haushaltszucker. So hat beispielsweise Stevia eine Süßkraft von 300. Die größte bekannte Süßkraft von mehr als 20 000 hat der Stoff Advantam (E 969), der seit 2014 zugelassen ist. Er ist also 20 000-mal süßer als dieselbe Menge Zucker, so dass in einem Lebensmittel nur sehr geringe Mengen nötig sind, um es vergleichbar süß zu machen.

Leidet das Darmmikrobiom?

Noch unklar ist, wie sich Zuckerersatz – egal welcher Art – auf das Darmmikrobiom auswirkt. Welch wichtige Rolle die Mikroorganismen im Verdauungstrakt für unsere Gesundheit spielen, kommt zunehmend ans Licht. Studien lieferten bereits vor Jahren Hinweise darauf, dass Zuckeralternativen die Darmflora negativ beeinflussen. Vor allem auf die Bakterienvielfalt wirken sich Süßstoffe wie Saccharin, Sucralose, Aspartam und Stevia aus – selbst dann, wenn die konsumierte Menge unter der als sicher geltenden täglichen Höchstmenge liegt. Sinkt die Diversität der Mikroorganismen im Darm, so viel ist schon jetzt klar, beeinträchtigt das die Gesundheit und das Immunsystem.

Neben den gesundheitlichen Effekten sollten Verbraucherinnen und Verbraucher auch an ihr Portemonee und den ökologischen Fußabdruck denken: Zuckeralternativen sind oft deutlich teurer als Haushaltszucker. Hinzu kommt, dass exotische Süßmacher wie Kokosblütenzucker, Luo Han Guo, Agavendicksaft oder Yacon dem Klima schaden, weil sie lange Transportwege hinter sich haben, wenn sie in den Regalen deutscher Supermärkte landen.

Was also tun? Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, maximal zehn Prozent des Energiebedarfs in Form von Zucker aufzunehmen. Dazu zählt sie nicht nur Haushaltszucker, sondern auch Süßmacher wie Honig oder Sirup. In Deutschland rät die Verbraucherzentrale dazu, sämtliche Zuckeralternativen ebenso in Maßen einzusetzen wie Haushaltszucker. Eine natürlichere oder gesündere Alternative seien die Ersatz-Süßmacher ohnehin nicht, »auch wenn Hersteller diesen Eindruck gerne vermitteln wollen«, wie es auf der Website heißt. Sinnvoller als jeder Einsatz von Zucker oder Zuckerersatz sei, »die eigene Süßschwelle nach und nach zu senken« und so das Verlangen nach Naschereien nachhaltig zu verringern.

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  • Quellen

Shil, A., Chichger, H.: Artificial sweeteners negatively regulate pathogenic characteristics of two model gut bacteria, E. coli and E. faecalis. International Journal of Molecular Sciences 22, 2021

Steffen, B. T. et al.: Long-term aspartame and saccharin intakes are related to greater volumes of visceral, intermuscular, and subcutaneous adipose tissue: The CARDIA study. International Journal of Obesity 47, 2023

Witkowski, M. et al.: Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk. European Heart Journal 45, 2024

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