Metzler Lexikon Philosophie: Platonismus
Bezeichnung für die von Platon ausgehende philosophische Tradition. Die Fortführung seiner Lehre erfolgte zunächst in der von ihm selbst um 385 v.Chr. gegründeten Akademie, die bis 529 n. Chr. bestand. Deren erste Leiter, Speusippos und Xenokrates, griffen in Verbindung mit dem Pythagoreismus besonders die Zahlenspekulationen des platonischen Spätwerkes auf und bemühten sich um die Bestimmung metaphysischer Grundprinzipien. Die mittlere Akademie (ab ca. 265/264 v.Chr.) nahm mit Arkesilaos eine Wendung zum Skeptizismus, wobei sich dieser auf den problematisierenden und aporetischen Charakter der frühen platonischen Dialoge berufen konnte. Karneades führte die skeptische Methode fort und erweiterte sie um eine Theorie der Wahrscheinlichkeit. Unter Philon (ab ca. 110/109 v.Chr.) wird der Skeptizismus wieder aufgegeben und mit seinem Nachfolger Antiochos wird die eklektische Verbindung verschiedener Denkrichtungen kennzeichnend für die Akademie. Die Zeit nach Antiochos bis zum Beginn des Neuplatonismus (ab ca 200 n.Chr.) wird auch unter dem Begriff mittlerer P. gefasst. Mit dem hauptsächlich von Plotin geprägten Neuplatonismus erlangt der P. in der Antike eine neue Blüte und beeinflusst die Entwicklung der frühen christlichen Theologie. Im MA. war von Platons Werken zunächst nur der Timaios bekannt. Wirksam war der P. durch Augustinus und in seiner neuplatonischen Gestalt. In der italienischen Renaissance wird das gesamte Werk Platons wieder zugänglich und ins Lateinische übersetzt. Die Gründung der Platonischen Akademie in Florenz (1459–1522) durch Cosimo de’ Medici versucht an die antike Tradition wiederanzuknüpfen. Bedeutendster Schulleiter war M. Ficino. In England wirkte der Renaissance-P. durch die Cambridger Schule bis ins 17. Jh. nach. Im Laufe der Rezeption der Gedanken Platons gab es zahlreiche Bemühungen, die Vereinbarkeit der platonischen und aristotelischen Lehren aufzuzeigen und die Gedanken der beiden bedeutendsten Vertreter der antiken Philosophie zu einem einheitlichen System zu verbinden. – In späterer Zeit ist der Einfluss platonischer Gedanken bis in die Gegenwart bei zahlreichen Philosophen lebendig, jedoch gibt es keine eigentliche Schultradition. Als epochemachender Schritt in der Platonforschung gilt die Übersetzung Schleiermachers, der damit zugleich Platons Dialoge als eine eigenständige Form des Philosophierens herausstellt, die eine ihr angemessene Weise der Interpretation erfordert. Die Bedeutung Platons für die Geistesgeschichte hat Whitehead besonders hervorgehoben und in die überspitzte Formel gebracht, dass die europäische Philosophie nichts anderes als eine Reihe von Fußnoten zu Platon sei. – Systematisch versteht man unter P. vor allem die Behauptung der ontologisch eigenständigen Realität von idealen oder abstrakten Entitäten, Begriffen oder mathematischen Größen. Weiterhin auch die Abhängigkeit der empirischen von der intelligiblen Welt und eines transzendenten Ursprungs der Welt aus dem Guten oder Einen.
Literatur:
- W. Beierwaltes (Hg.): Platonismus in der Philosophie des Mittelalters. 1969
- H. Dörrie/M. Baltes (Hg.): Der Platonismus in der Antike. 12 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987 ff
- E. Hoffmann: Platonismus und christliche Philosophie. Zürich 1960.
FPB
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