Metzler Lexikon Philosophie: Strukturalismus
wissenschaftliche Methode (1), die in den 1950er Jahren Eingang in die Sozial- und Geisteswissenschaften fand (2). – (1) Methodisch ist zwischen mathematischem und linguistischem S. zu unterscheiden. Beide gehen komparatistisch vor. Ein Vorläufer ist Carnap, der gefordert hatte, wissenschaftliche Aussagen in inhaltsfreie Strukturaussagen, also in reine Aussageformen zu überführen. Durch mathematische Modelle, die Isomorphien zwischen untersuchten Mengen freilegen, können übergreifende Strukturen bestimmt werden. Der berühmteste Vertreter dieses Ansatzes ist M. Serres, der versucht, synchrone Entsprechungen zwischen Wissenschaftssystemen und anderen Bereichen der gesellschaftlichen Lebenswelt aufzudecken. – In der Linguistik ist der S. an de Saussure (Genfer Schule) gebunden, der unabhängig von den realen Äußerungen der Subjekte (parole) ein übergreifendes System der Sprache annimmt (langue). Darin ist die Bedeutung eines Zeichens nicht inhaltlich bestimmt, sondern durch die Verschränkung des Begriffs (signifié) mit dem Wert einer Lautkette (signifiant), der durch sprachinterne Ausdifferenzierungen determiniert ist. Nicht die realen Äußerungen von Subjekten sind konstitutiv für das Funktionieren von Sprache, sondern ihr System legt unhintergehbar die Form individuellen Sprechens fest. Weitergeführt wurde dieser Ansatz vor allem im russischen Formalismus und der Prager Phonologischen Schule (Jakobson, Trubetzkoj) sowie im Kopenhagener Linguistenkreis (Hjelmslev).
(2) Saussure verstand die Sprache nur als Teilgebiet einer umfassenderen Wissenschaft von den Zeichen (Semiologie). In Frankreich wurde in Opposition zur subjektphilosophisch konzipierten Phänomenologie versucht, die Methode des S. auf andere Gegenstandsbereiche zu übertragen. Für die Ethnologie entwickelte Lévi-Strauss Modelle zur formalen Rekonstruktion der Funktionsweise von Mythen bzw. von Regeln verwandtschaftlicher Verhältnisse. Lévi-Strauss unterstellt eine überhistorisch existierende, unbewusste Struktur des menschlichen Geistes. Die empirisch protokollierbaren Objektivationen werden unabhängig vom Inhalt als funktionstragende Elemente aufgefasst. Historische Transformationen gelten als Variationen. – Für die Gesellschaftstheorie hat Althusser eine strukturale Marxlektüre vorgeschlagen. Die Abfolge von Produktionsweisen werden als variable Kombinationen der überdeterminierten Bereiche Ökonomie, Politik und Ideologie innerhalb einer »Struktur mit Dominante« aufgefasst. – Die Methode des S. fand starke Resonanz in der Literaturwissenschaft (Barth, Goldmann) und der Psychoanalyse (Lacan). Lacan und der späte Barthes gelten als Vorläufer des Poststrukturalismus.
Literatur:
- R. Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch 5 (1966). S. 190–196
- G. Deleuze: Woran erkennt man den Strukturalismus? In: F. Châtelet: Geschichte der Philosophie Bd. 8. Frankfurt 1974. S. 269–302
- V. Descombes: Die Semiologie. In: Ders.: Das Selbe und das Andere. Frankfurt 1981. S. 91–130
- F. Dosse: Geschichte des Strukturalismus. Hamburg 1997
- G. Schiwy: Der französische Strukturalismus. Reinbek 1984
- F. Wahl: Qu’est-ce que le structuralisme? Paris 1968.
MR
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.