Metzler Lexikon Philosophie: Vorstellung
gehört zu den bedeutungsreichsten und vieldeutigsten philosophischen Termini. Generell kann sich »V.« (a) auf einen mentalen Prozess oder Zustand sowie (b) auf deren (potentiellen) Gehalt beziehen. Im weitesten Sinne ist eine V. jede Art von Bewusstseinsinhalt bzw. psychischer Tätigkeit. Häufig wird der Terminus jedoch in engerer Bedeutung verwendet, wobei exemplarisch auf folgende begriffsgeschichtlich einschlägige Konzeptionen hingewiesen sei. – Aristoteles bestimmt die phantasia als eine auf sinnlicher Wahrnehmung (aisthesis) beruhende psychische Veränderung (kinesis), deren Produkt das phantasma ist (De anima, 427b, 428b). – Die Stoiker fassten die phantasia als einen Abdruck (typosis) der Dinge in der Seele auf (vgl. Diogenes Laertios, VII, 45 ff.). – Für Ockham, der sich damit gegen (mittelalterliche) Abstraktions- und Abbildtheorien wandte, sind intentiones animae mentale Zeichen der Dinge (vgl. Summa logicae, I, Cap. 3, 11). Auch hier kann in einem bestimmten Sinne mit »V.« übersetzt werden. – Descartes kontrastiert die imaginatio als bildliche V. mit der intellectio im Sinne eines unanschaulichen Verstehens und betont, dass es zum bildlichen Vorstellen einer besonderen Anstrengung der Seele (animi contentio) bedarf (vgl. Meditationes VI). – Eine ähnliche Gegenüberstellung findet sich bei Spinoza (vgl. Ethica, Pars I, Appendix). Dieser definiert die imaginatio als eine »Idee« (idea), durch die der Geist (mens) »ein Ding als gegenwärtig betrachtet«, wobei jedoch – und dies nicht deutlich, sondern verworren – mehr der gegenwärtige Zustand des menschlichen Körpers (des Körpers des Vorstellenden) als die Natur des äußeren (vorgestellten) Körpers angezeigt wird (Ethica, Pars V, Propositio XXXIV, Demonstratio; Pars IV, Propositio I, Scholium). – Bei Leibniz bestehen alle inneren Tätigkeiten (actions internes) der Monaden in Perzeptionen und ihren Veränderungen (perceptions et leurs changements). Der vorübergehende Zustand der Perzeption »repräsentiert« – stellt vor und vertritt – die Vielheit in der Einheit der Monade als dem Spiegel des Universums (vgl. Monadologie, 14–17). – Locke bezeichnet als idea »whatever is meant by phantasm, notion, species, or whatever it is, which the mind can be employ’d about in thinking« (An Essay concerning Human Understanding, Buch I, Kap. I, Abschn. 8; vgl. v.a. Buch II). Alle ideas (auch images) haben ihren Ursprung in der Erfahrung (experience), wobei die Wahrnehmung (perception) externer Gegenstände sensation heißt und die »perception of the operations of our own minds« reflection. Neben diesem Dualismus, der sich vielfach (in mehr oder weniger ähnlicher Form) in Unterscheidungen wie zwischen äußerer und innerer V. wiederfindet, vertritt Locke die Auffassung, dass der Verstand die durch sensation und reflection gelieferten einfachen Erfahrungsprodukte zu komplexen verarbeitet (simple vs. complex ideas). – Während bei Berkeley sowohl unmittelbare als auch mittelbare Bewusstseinsinhalte ideas heißen, teilt Hume die Klasse der perceptions of the mind einerseits in ursprüngliche impressions oder sensations (auch sentiments) und andererseits in deren mittels des Vermögens der imagination hervorgebrachten, blasseren Reproduktionen, die ideas oder thoughts (auch conceptions), ein. Sämtliche dieser Termini sind schon mit »V.« übersetzt worden (vgl. Enquiry Concerning Human Understanding, Abschn. II). – Bei Kant ist der Oberbegriff V. überhaupt (repraesentatio); die V. mit Bewusstsein (perceptio) ist entweder bloß subjektive Empfindung (sensatio), eine »Modifikation des Zustandes des Subjekts«, oder objektive Erkenntnis (cognitio), bei der wiederum die einzelne V. (repraesentatio singularis) als Anschauung (intuitus) von der allgemeinen oder reflektierten V. (repraesentatio per notas communes bzw. repraesentatio discursiva) als Begriff zu unterscheiden ist (vgl. KrV, B 376f., Logik, Akad.-Ausg. Bd. IX, 91). – Eine zentrale Rolle spielt der Begriff der V. in Bolzanos Wissenschaftslehre (s. v.a. 2. Teil, 1. Hauptstück). V.en werden hier als subsententiale Teile von Sätzen bestimmt, wobei die subjektive oder gedachte bzw. gehabte V. von ihrem »Stoff«, der objektiven V. oder V. an sich unterschieden wird. – Ausführlich setzt sich auch Husserl mit dem Terminus auseinander. Ausgehend von der von F. Brentano betonten Gegenüberstellung von bloßer Vorstellung und Urteil unterscheidet Husserl die V. v.a. als spezielle, grundlegende Aktqualität von der Bedeutung des Begriffs im Sinne einer Aktmaterie (5. Logische Untersuchung). – Wichtige Konsequenzen für die Verwendung des Begriffs hatte schließlich die sog. Psychologismuskritik insbesondere in der Form, wie sie von Frege vorgebracht wurde. Bei Frege sind V.en – im Gegensatz zu »Gedanken« als objektiven, interpersonal invarianten Inhalten propositionaler Einstellungen – rein subjektive, der »Innenwelt« einer Person angehörende Entitäten, zu denen Sinneseindrücke, Phantasiebilder, aber auch Gefühle, Wünsche, Neigungen etc. gezählt werden. Wahr oder falsch sind nur »Gedanken«, während V.en als Wahrheitswertvehikel ausscheiden und stets an einen und nur einen Träger gebunden sind: »Nicht zwei Menschen haben dieselbe Vorstellung« (Der Gedanke). – In jüngerer Zeit ist dagegen im Rahmen der Philosophy of Mind die Frage der mentalen Repräsentation wieder ins Zentrum epistemologischer Diskussionen gerückt (vgl. z.B. J. Fodor: Representations. Cambridge/Mass. 1981) – Ferner ist auf die (vorwiegend umgangssprachlichen) Verwendungen von V. im emphatischen Sinne von bloßer Fiktion oder Illusion, Überzeugung, utopischer Antizipation sowie die Bedeutung des Begriffs im Sinne (künstlerischer) Präsentation hinzuweisen.
CJ
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