Gedächtnis: Der Wort-Restaurator
Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, traf ich H. M. das erste Mal im Frühjahr 1967. Er war damals vielleicht 40 Jahre alt, 16 Jahre älter als ich. Mein Doktorvater, Hans-Lukas Teuber, hatte ihn in mein winziges Büro am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gebracht. Ich sehe noch vor mir, wie sich H. M. – dessen richtigen Namen Henry Molaison die Öffentlichkeit erst nach seinem Tod 2008 erfuhr – lächelnd mit Teuber durch die Tür quetscht. Teuber machte uns miteinander einfach als "Don" und "Henry" bekannt. Ich glaube aber, ich sprach Henry mit "Sir" an, schließlich war er am MIT schon eine kleine Berühmtheit. Teuber verabschiedete sich und versicherte Henry noch, meine Experimente würden ihm Spaß machen. Es ging um das Verstehen von Sätzen – und darin war Henry gut.
Als wir zum Versuchsraum hinaufgingen, ahnte ich noch nicht, dass dieser ruhige, gut aussehende Mann in den nächsten Jahrzehnten zu einem wichtigen Forschungsobjekt für mich werden würde. Ich öffnete die Tür und bat Henry an einem Schreibtisch mir gegenüber Platz zu nehmen. Helles Sonnenlicht schien durch die großen Fenster, auf meinem Tisch hatte ich zwei Stoppuhren und einen Stapel Karteikarten platziert. Ich schaltete ein Tonbandgerät an und begann mit dem Test, den ich für ein Routineexperiment hielt.
Der Ruhm der Initialen H. M. geht auf das Jahr 1953 zurück. Dem damals 27-jährigen Henry hatte ein Neurochirurg einen kleinen Teil des Gehirns entfernt: den Hippocampus. Henry wurde zwar dadurch von seiner lebensbedrohlichen Epilepsie geheilt, der Eingriff hatte jedoch eine fatale Nebenwirkung: Für den Rest seines Lebens war Henry nicht mehr in der Lage, neue Informationen zu speichern – ein Phänomen, das die Gedächtnis- und Hirnforschung revolutionierte (siehe GuG 7-8/2011, S. 76).
Die Erforschung von Henrys Gehirn hatte schon anderen Wissenschaftlern vor mir geholfen, die Bedeutung des Hippocampus für die Bildung komplexer Gedächtnisinhalte zu verstehen ...
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