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Verhaltensforschung: Neurobiologie der Liebe

Kleine Nager liefern uns überraschende Erkenntnisse darüber, wie soziale Bindungen entstehen.
Mann und Frau auf dem Sofa, sie kuschelt, er schläft

In den vergangenen zwei Millionen Jahren haben riesige Eisschilde die Landschaft im Mittleren Westen der USA flach wie einen Wetzstein geschliffen. Heute erstrecken sich dort bis zum Horizont Maisfelder, doch immer wieder finden sich auch Überreste der Prärie, die einst das Zentrum des US-Bundesstaats Illinois bedeckte. In einem Herbst vor knapp einem halben Jahrhundert kontrollierte der junge Ökologe Lowell Getz von der University of Illinois seine inmitten von Gras und Klee versteckten Fallen. Dabei fiel ihm auf, dass sich eine der von ihm gefangenen Nagetiere anders als die übrigen verhielt: Bei der Präriewühlmaus tauchten immer wieder bestimmte Paare zusammen in den Fallen auf. Laut Schätzungen der Zoologin Devra Kleiman (1942-2010) aus den 1970er Jahren leben nur etwa drei Prozent aller Säugetierarten monogam. Die von Getz und seinen Studenten gesammelten Daten deuteten darauf hin, dass Microtus ochrogaster dazugehört.

Getz war nicht der erste Wissenschaftler, der bei Präriewühlmäusen ein monogames Verhalten vermutete. Seine Arbeit weckte jedoch die Aufmerksamkeit der Biologin Sue Carter, und zusammen begannen die Teams der beiden, das gesamte Spektrum des Sozialverhaltens der Wühlmäuse und das seiner zu Grunde liegenden Hormone sowohl im Labor als auch in freier Wildbahn zu dokumentieren. In ihren Untersuchungen aus den 1980er und 1990er Jahren fanden sie heraus, dass Männchen und Weibchen ein Nest miteinander teilen, ihre Jungen partnerschaftlich aufziehen und ihr Territorium gemeinsam verteidigen. Als Maß für die »Partnerpräferenz« entwickelte Carters Arbeitsgruppe einen simplen Verhaltenstest: Das Versuchstier sollte sich zwischen seinem Gefährten und einem Fremdling entscheiden, die jeweils in zwei benachbarten Käfigen saßen. Präriewühlmäuse, die bereits eine Paarbindung eingegangen waren, kuschelten bevorzugt mit ihrem vertrauten Partner. Jene Bindung, die ein Mäuseleben lang anhalten kann, kommt nach einer geradezu hemmungslos ausgiebigen Paarung zu Stande.

Mit der Präriewühlmaus als Versuchstier lernen Forscher dank moderner neurobiologischer und genetischer Methoden, wie soziale Bindungen geknüpft werden, wie frühe Lebensphasen spätere Beziehungen prägen und warum es uns so weh tut, wenn diese zerbrechen …

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Faszination Gehirn: 38 Infografiken über unser Denken, Fühlen und Handeln

Weil Sprache allein nicht immer das beste Kommunikationsmittel ist, werden seit 2013 ausgewählte Inhalte auf eine andere Art präsentiert: in Infografiken. Denn manches lässt sich in Bildern so viel einfacher darstellen als mit Worten. In dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist« präsentieren wir ein »Best-of« unserer Infografiken zu Psychologie, Hirnforschung und Medizin. Wie funktioniert unser Orientierungssinn? Was haben Darmbakterien mit der Psyche zu tun? Was macht eine angenehme Unterhaltung aus? Wie wirkt Alkohol im Gehirn? Und warum lassen wir uns im Supermarkt so leicht zu Spontankäufen animieren? Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden Sie in dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist«. Jede der 38 Grafiken im Heft widmet sich einem eigenen Thema.

Gehirn&Geist – Die Macht der Hormone

Die Schwangerschaft ist nicht nur eine Zeit eines massiven hormonellen Wandels; Teile der Hirnrinde schrumpfen. Darunter leidet aber nicht etwa die geistige Leistungsfähigkeit – vielmehr stärkt es die Bindung zwischen Mutter und Kind. Auch die Wechseljahre mit ihren Änderungen im Hormonhaushalt bringen mehr als ein Ende der fruchtbaren Jahre. Das Gehirn verändert sich ebenfalls in dieser Lebensphase. Daneben berichten wir über das komplexe Wechselspiel zwischen Kopf und Bauch, das zum Reizdarmsyndrom führt. Untersuchungen der Kognitionsforschung zeigen, dass das Gehirn zum Codieren von Gedanken und Erinnerungen den Orientierungssinn nutzt. In unserem Artikel über Hunde geht es um deren Geruchssinn und dessen Wechselwirkung mit ihren Emotionen und der Kognition. Dieses Thema ist bisher wenig erforscht. Ein weiterer Artikel erklärt, was Orte auszeichnet, an denen wir uns zu Hause fühlen.

Gehirn&Geist – Beziehungen: Wie sie prägen, wann sie stärken

Das Dossier widmet sich sozialen Beziehungen in all ihren Facetten: zwischen Partnern, Eltern und Kindern, Freunden oder in Gemeinschaften. Die Beiträge liefern wichtige, aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung. Sie verdeutlichen, wie heilsam und wichtig die Verbundenheit mit anderen ist, aber auch, wann sie schaden kann. So zeigt der Beitrag zum Thema Bindungsfähigkeit, dass die Erfahrungen der ersten Lebensjahre prägend sind. Doch Bindungsstile lassen sich ändern. Mit vernetzten Hirnscannern ergründen Mannheimer Forscherinnen und Forscher die Geheimnisse sozialer Interaktionen, die einiges über die Beziehung verraten. Das Hormon Oxytozin gilt als soziales Bindemittel. Ein reines Kuschelhormon ist es dennoch nicht. Auch Umarmungen spielen im Alltag vieler Menschen eine wichtige Rolle, aber erst jetzt beginnen Psychologen, dieses Verhalten zu verstehen.

  • Quellen

Amadei, E. A. et al.:Dynamic corticostriatal activity biases social bonding in monogamous female prairie voles. Nature 546, 2017

Berendzen, K. M. et al.:Oxytocin receptor is not required for social attachment in prairie voles. Neuron 111, 2023

Getz, L. L. et al.:The mating system of the prairie vole, Microtus ochrogaster: Field and laboratory evidence for pair-bonding. Behavioral Ecology and Sociobiology 8, 1981

Insel, T. R., Shapiro, L. E.:Oxytocin receptor distribution reflects social organization in monogamous and polygamous voles. PNAS 89, 1992

Kleinman, D. G.:Monogamy in mammals. Quarterly Review of Biology 52, 1977

Scribner, J. L. et al.:A neuronal signature for monogamous reunion. PNAS 117, 2020

Young, L. J. et al.:Cellular mechanisms of social attachment. Hormones and Behavior 40, 2001

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