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Verhaltensforschung: Alles eine Frage der Fürsorge

Sprösslinge liebevoll umsorgender Rattenmütter sind bis ins hohe Alter deutlich stressresistenter als weniger behütete Artgenossen. Doch wie schlägt sich der mütterliche Einfluss im Nachwuchsorganismus nieder?
Rattenbaby
Es gab Zeiten, da galt zu enger und häufiger Körperkontakt zwischen Mutter und Kind als schädlich für dessen Entwicklung – heute kaum noch vorstellbar. Denn inzwischen weiß man um die wichtige Rolle von Berührungen auch und gerade für die Entwicklung von Nachwuchs, sei es nun Mensch, Maus oder Meerschweinchen. Bei Ratten beispielsweise lässt sich beobachten, dass intensiv gehegte Junge – die in der ersten Woche ihres Daseins eifrig geleckt und liebkost werden – als Erwachsene weniger ängstlich und stressanfällig sind und ihre Sprösslingen ähnlich aufmerksam behandeln. Offenbar also wirkt hier die berührungsintensive Säuglingszeit langfristig auf den Hormonhaushalt der Tiere – aber wie?

Ian Weaver vom Douglas Hospital Research Center in Montreal und seine Kollegen wagten sich für die Antwort auf diese Frage nun wirklich ans Eingemachte: Sie nahmen die Aktivität eines an der Stressantwort beteiligten Gens genauer unter die Lupe. Dabei verglichen sie sowohl gut behütete Rattenbabys mit eher nachlässig aufgezogenen Artgenossen. Und um sicherzugehen, dass es sich nicht um grundlegend vererbte Eigenschaften handelt, unterzogen sie ihre Laborbewohner auch noch verschiedenen Adoptionsexperimenten.

Bei liebkosten Tieren, das war schon bekannt, zeigt sich später eine erhöhte Aktivität des Gens für den so genannten Glucocorticoid-Rezeptor im Gehirn und eine feinere Steuerung der Hormonausschüttung in Stresssituationen. Wird die unterschiedliche Menge des Rezeptors durch Injektionen künstlich angepasst, verhalten sich auch erwachsene Ratten entgegen ihrer Säuglingserfahrungen, als hätten sie eine wohl behütete Kindheit gehabt – offenbar liegt in diesem Rezeptor also eine Stellschraube für das ganze System.

Die Wissenschaftler um Weaver stellten nun fest, dass im Bereich des Gen-Promotors – also jener Sequenz, die das Startsignal für das Abschreiben der Bauanleitung gibt – Unterschiede zu finden sind: Bei den eifrig geleckten Tieren hängt hier an einem Baustein des Erbguts deutlich seltener eine Methylgruppe als bei den weniger umsorgten Rattenkindern. Und da Methylierungen des Erbguts eine verbreitete Methode sind, um das Ablesen eines Gens zu steuern – denn die angehängte Gruppe bringt Gene in der Regel zum Schweigen –, ist damit zumindest klar, warum die liebkosten Nager einen reicheren Rezeptorschatz im Gehirn bergen.

Und wie sieht das bei Adoptivjungen aus? Ließen die Wissenschaftler die Sprösslinge einer sonst nicht sehr liebevollen Mutter von einer besorgten Amme aufziehen, kam das auch den Kleinen zugute: Sie zeigten ein ähnliches Methylierungsmuster, als stammten sie aus zärtlichem Hause. Die Veranlagung, die sich bis ins Erwachsenendasein durchprägt, ist also keineswegs genetisch festgelegt, sondern wird vom Verhalten der Mutter bestimmt, egal ob leiblich oder adoptiert.

Die entscheidende Prägung findet dabei in jener ersten Woche des Ratten-Erdendaseins statt, in der die Mütter unterschiedliches Verhalten zeigen. Vor der Geburt sieht das Erbgut bei allen Föten noch gleich aus, am ersten Lebenstag ist der entsprechende genetische Baustein dann plötzlich bei allen Neugeborenen mit einer Methylgruppe versehen – um dann in der liebevoll umsorgten Gruppe das Anhängsel in den folgenden paar Tagen wieder loszuwerden, während es den anderen erhalten bleibt. Und das, in welcher Form auch immer, tatsächlich bis ins Alter.

Eine solche Methylierung gilt als feststehende Eigenschaft in adulten Zellen, die bei jeder Teilung weitergegeben wird – doch Pustekuchen: Mit gezielten Injektionen konnten Weaver und seine Kollegen die mütterliche Prägung aus der Säuglingszeit aufheben und ihren stressanfälligen, weil zu wenig umsorgten Nagern im Nachhinein zu mehr Rezeptoren verhelfen und damit größerer Gelassenheit für die Gefahren des Alltags.

Allerdings ist der ganz entscheidende Schritt, der Anfang allen Musters, immer noch nicht klar: Wie löst denn nun eine eifrig leckende Mama den Abbau der Methylgruppen an der DNA ihres Nachwuchses aus? Die Antwort wäre nicht nur für Rattenjunge interessant, denn ähnliche Auswirkungen mütterlichen Verhaltens auf den Stoffwechsel ihrer Nachkommenschaft sind quer durch das Pflanzen- und Tierreich bekannt. Und sie könnte einmal mehr zeigen, mit welch raffinierten Prozessen die trockene, vierbuchstabige Bauanleitung des Erbguts im Nachhinein für den spannenden Roman des Lebens redigiert wird.

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