Kartografie: Als die Welt zum Apfel wurde
29. Juli 1507: Im Bartholomäushospital in Lissabon stirbt ein Mann. Der Tod des Endvierzigers erregt offenbar wenig Aufsehen, keine Chronik hält das Datum fest, keine Urkunde listet seinen Nachlass auf. Dass wir überhaupt etwas von dem Tod des Mannes erfahren, verdanken wir einem Nürnberger Handelsvertreter in Lissabon. Mehr als zehn Jahre später wird er in einem Brief in die Heimat berichten, dass der Mann »im spitall und in grosser armutt« gestorben sei. Den Namen des Toten, Martin Behaim, kennt man in Nürnberg gut, im Rathaus der Stadt verwahrt man ein Andenken an ihn: den »apffel der mappa mundi«, wie ihn eine zeitgenössische Quelle nennt.
Heute ist jener »Erdapfel«, den Martin Behaim Anfang der 1490er Jahre schuf, weltberühmt als ältester erhaltener Globus. Und sein Schöpfer genießt längst über die Grenzen Nürnbergs hinaus wissenschaftliche Anerkennung, mitunter sogar mehr. Denn Behaim ist durch die Jahrhunderte immer wieder zur Kultfigur geworden, sein Leben bot Stoff für allerlei Legenden bis hin zu der Behauptung, der Nürnberger Kaufmannssohn habe höchstpersönlich Amerika entdeckt – und damit einem gewissen Kolumbus den Rang abgelaufen.
Dabei muss man sich gar nicht zu solchen Unwahrscheinlichkeiten versteigen, wie sie im 17. Jahrhundert der schillernde »Polyhistor« Johann Christoph Wagenseil mit seiner – nebenbei bemerkt: völlig haltlosen – Amerikahypothese in die Welt brachte. Behaims belegbare Biografie enthält genügend Spannungsmomente, um den Schöpfer des »Erdapfels« zu einem der interessanteren Vertreter seiner an faszinierenden Umwälzungen reichen Epoche zu machen.
Die Welt wird entdeckt
Es ist die Zeit der großen geografischen Entdeckungen, in die Martin Behaim am 6. Oktober 1459 hineingeboren wird. Seit Anfang des Jahrhunderts tasteten sich portugiesische Schiffe entlang der Westküste Afrikas nach Süden vor. Denn wie keine andere Nation des alten Europa war Portugal prädestiniert für die Seefahrt: Am äußersten Rand des Kontinents gelegen, waren die Seewege in das »Goldland« Afrika kurz. Und die portugiesische Krone, allen voran der Infant Heinrich der Seefahrer, unterstützte ihre wagemutigen Kapitäne auch bei der Suche nach dem Seeweg zu den Schätzen Indiens tatkräftig. 1419 erreichen portugiesische Schiffe Madeira, 1429 die Azoren, 1444 entdeckt Dini Dias das Kap Vert, die Westspitze Afrikas, 1456 werden die Kapverden erreicht. Damit war Portugal endgültig zu einer der wichtigsten Seefahrernationen Europas aufgestiegen, vom Hafen der Hauptstadt Lissabon aus wurden die Grenzen der Welt neu definiert.
Mit dieser neuen Welt kommt der Kaufmannssohn aus angesehenem Nürnberger Geschlecht erstmals in den Niederlanden in engeren Kontakt, wohin ihn seine Familie 1475 in die Lehre als Tuchhändler schickt. Erst in Mecheln, dann in Antwerpen lernt Behaim die Feinheiten des Kaufmannsgewerbes – und sieht im Gewimmel des Antwerpener Hafens erstmals die hochseetüchtigen portugiesischen Karavellen. Jene Schiffe, mit denen er sich einige Jahre später selbst auf Erkundungsfahrt begeben sollte.
1484 ist es so weit: Behaim zieht »in ferne landt«, wie es in einem zeitgenössischen Schuldbrief heißt. Ist es pure Abenteuerlust, die den Tuchhändler ins ferne Lissabon locken – oder doch eher die Aussicht, als Kaufmann guten Profit machen zu können? Immerhin, als gebürtiger Nürnberger hätte sich Behaim nicht auf den Tuchhandel beschränken müssen. Die fränkische Metropole war zu jener Zeit für Präzisionsinstrumente wie Astrolabien oder Kompasse bekannt, der Handel mit ihnen oder die Vermittlung von Kenntnissen zu ihrem Bau versprachen in einer Stadt wie Lissabon gute Geschäfte.
In vornehmen Kreisen
Ob Behaim auf diesem Weg in der Fremde zu Ansehen kommt, ist angesichts der dürftigen Quellenlage ungewiss. Fest steht, dass er gesellschaftlich in höchste Kreise aufsteigt: 1485 schlägt ihn der portugiesische König Johann II. zum Ritter, wohl 1488 heiratet Behaim Johanna de Macedo, Tochter einer Hofdame der Königin. Und er reist: 1484 mit Afonso d'Aveiro an die Küste Guineas, wo Gold, Sklaven und kostbare Gewürze locken. Auch hinter jenem unbekannten »deutschen Ritter«, dem König Johann am 24. Juli 1486 die Teilnahme an einer Expedition zu der legendären »Insel der sieben Städte« erlaubt, dürfen wir Behaim vermuten.
Neue Kontinente entdeckt er auf beiden Fahrten zwar nicht, doch als Behaim 1490 nach Nürnberg zurückkehrt, um Erbschaftsfragen zu regeln, wird dem weit gereisten Kaufmann in den gelehrten Zirkeln der Stadt große Aufmerksamkeit zuteil. Und Behaim nutzt seine Popularität: Es gelingt ihm, den Rat der Stadt von der Idee seines »Erdapfels« zu überzeugen. Für Behaim, der beim Bau des Globus nicht selbst Hand anlegt, aber die Arbeiten überwacht und die entscheidende Weltkarte als Vorlage beisteuert, dürften handfeste wirtschaftliche Interessen im Vordergrund gestanden haben: Der Globus eignete sich bestens, um Nürnberger Kaufleute für die Idee eines Seewegs nach Asien zu begeistern. Und der geeignete Mann zur Leitung einer solchen Expedition stand mit dem geistigen Vater des Erdapfels gleich zur Verfügung.
Als Behaim schließlich 1493 zurück nach Lissabon reist, bleibt der Globus in Nürnberg – und dient schon bald nur noch als Repräsentationsobjekt zum Schmuck des Rathauses. Denn die Welt, deren Abbild der Erdapfel vorgibt zu sein, hat sich mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ein Jahr zuvor radikal verändert. Wo Behaims Globus den Wasserweg nach Asien aufzeigt, dehnt sich in Wahrheit ein neuer Kontinent, selbst wenn dessen Entdecker dies bis zu seinem Tode nicht glauben mochte. Und alle Pläne Behaims, eine eigene Expedition nach Westen anzuführen, sind mit einem Schlag zerstört: Trotz eines Empfehlungsschreibens, für das Nürnberger Freunde sogar den deutschen König Maximilian gewinnen konnten, schickt ihn König Johann nicht mehr auf große Fahrt.
Bitterer Abstieg
Mit dem Tode seines Gönners Johann im Jahr 1495 beginnt Behaims Stern zu sinken. Der Nachfolger Manuel I. scheint seine Dienste nicht zu benötigen, die Quellen aus jener Zeit erwähnen den Ritter aus Deutschland nicht. Als seine Frau auf der Azoreninsel Fayal eine Affäre mit einem Adeligen beginnt, erschüttert der Skandal zwar die örtliche Gesellschaft, als Ankläger tritt jedoch nicht Behaim selbst, sondern sein Schwager auf, der Statthalter der Insel. Ob Behaim selbst in jenen Tagen des Jahres 1500 überhaupt auf Fayal lebte, ist ungewiss – wie so vieles aus seiner Zeit in Portugal.
Fest steht nur, dass Behaim nach dem Scheitern seiner Ehe in Not geraten sein muss, aus der er sich wohl bis zum Ende nicht mehr befreien konnte. Wenige Monate vor Martin Behaims Tod schreibt sein Bruder Michael aus Nürnberg an einen anderen in Lissabon tätigen Bruder, Wolf mit Namen: »Die sachen mit mertein beheim kann ich für mein person nit pessern.« So stirbt der Schöpfer des Erdapfels schließlich, verarmt und von der eigenen Familie verlassen, den Tod eines Gescheiterten. Behaims Grab ist längst verschwunden, nur sein Globus hat überdauert – natürlich in Nürnberg. Zwar nicht mehr als Schmuckobjekt im Rathaus, doch dafür umso sorgfältiger behütet im Germanischen Nationalmuseum.
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