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Artenschutz: Warum auf Hawaii Millionen Mücken frei gelassen werden

Stechende Plagegeister freisetzen? Was wie eine verrückte Idee klingt, ist die vielleicht einzige Möglichkeit, bedrohte Arten zu retten.
Ein I'iwi  genannter Kleidervogel sitzt an einer roten Blüte im hawaiianischen Regenwald. Der Vogel ist ebenfalls rot, hat schwarze Schwingen und einen nach unten gebogenen Schnabel.
Ein I'iwi genannter Kleidervogel sitzt im hawaiianischen Regenwald - aber vielleicht nicht mehr lange.

Die Hawaii-Inseln sind eine der Aussterbezentralen der Erde: Seit Menschen das Archipel erreicht haben, starben allein rund 100 Vogelarten aus. Von den überlebenden 44 endemischen gelten 33 als vom Aussterben bedroht – und ein Drittel davon wurde seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen und dürften ebenfalls bereits verschwunden sein. Um einige der letzten verbliebenen Vogelarten zu retten, greifen US-Behörden 2024 zu einem besonderen Mittel. Sie wollen mehrere Millionen Mücken freisetzen, um damit die für die einheimischen Spezies tödliche Vogelmalaria zu bekämpfen.

Was paradox klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Mit europäischen und US-amerikanischen Schiffen gelangten im 19. Jahrhundert Moskitos auf die Inseln, die vorher dort nicht existierten. Im Gepäck hatten die Insekten die Vogelmalaria, gegen die einheimische Vögel keine Immunität besaßen und massenhaft daran starben. Lange beschränkte sich die Seuche auf die tieferen Lagen der Inselkette, wo viele endemische Arten verschwanden. Sie überdauerten in höheren und kühleren Lagen, wo sich die Mücken nicht fortpflanzen. Durch den Klimawandel und die steigenden Temperaturen, wandern die Moskitos jedoch höhenwärts und bringen die Malariaerreger mit. Besonders betroffen ist der Haleakalā National Park auf Maui, wo einige der seltensten Vögel der Erde leben.

Manchen Arten bleibt vielleicht noch ein Jahr, dann könnten sie dadurch ausgestorben sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein I'iwi (Vestiaria coccinea) – eine Kleidervogelart – nach einer Infektion stirbt, liegt bei 90 Prozent. Da sollen die freigesetzten Mücken verhindern: 2024 werden jede Woche 250 000 Mückenmännchen von Hubschraubern in die Natur entlassen; insgesamt zehn Millionen wurden seit November 2023 frei gelassen. Die Wissenschaftler hatten sie mit Wolbachia-Bakterien infiziert, die natürlich in Insekten vorkommen und die in der Fortpflanzung behindern. Paaren sich diese Männchen, übertragen sie die Bakterien auf die Eier der Weibchen, die sich dadurch nicht entwickeln können.

Weibliche Stechmücken paaren sich nur einmal und die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Aktion nach und nach die Gesamtpopulation der Moskitos verringert, weil der Nachwuchs ausbleibt. Die Technik wurde bereits in verschiedenen Ländern erfolgreich eingesetzt, etwa in China, Mexiko und Teilen der USA wie Florida. Im Lauf des Sommers wird sich zeigen, ob der Einsatz erfolgreich war: Dann vermehren sich die Mücken intensiv. Damit wollen die Ökologen auch vermeiden, dass sie Pestizide einsetzen müssen, die nicht nur die Mücken schädigen würden.

Auf der Hawaii-Insel Kaua'i käme der Einsatz dagegen wohl zu spät, um das Überleben des ʻakikiki (Oreomystis bairdi) oder Weißkehl-Kleidervogels zu sichern. 2024 ist nur noch ein einziger ʻakikiki in freier Wildbahn bekannt, so dass die Art in der Natur praktisch ausgestorben ist. Glücklicherweise wurde vor einigen Jahren eine kleine Population in Gefangenschaft gegründet. Der Bestand der Art schrumpfte von 450 Individuen im Jahr 2018 auf nur 5 im Jahr 2023, parallel dazu breiteten sich die Malariamücken auf der Insel aus. Nachzuchten können erst wieder frei gelassen werden, wenn es ein Gegenmittel gegen die Malaria gibt oder die Mücken zurückgedrängt werden.

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