Astrobiologie: Von erdähnlichen Planeten zum Ursprung des Lebens
Betritt man die Sixtinische Kapelle in Rom, dann fällt der Blick bald zum Deckenfresko und schließlich auf Michelangelos berühmtes Gemälde, welches die Erschaffung Adams zeigt. In allen großen Weltreligionen – außer dem Buddhismus – gibt es eine Schöpfungsgeschichte. Auch bei vielen Naturvölkern findet man Darstellungen zur Entstehung der Welt und der Lebewesen. Offensichtlich hat der Mensch sich schon immer damit beschäftigt, wie die Erde und das Leben entstanden sind.
Fremde Welten
Die Frage, wie sich das Leben auf der Erde und möglicherweise auf anderen Gesteinsplaneten gebildet hat, können wir heute durch eine Kombination von astrophysikalischer, geochemischer und biochemischer Forschung erschließen. So wurden in Harvard, Heidelberg, München, Zürich und Tokio Forschungszentren gegründet, die diesem Thema gezielt nachgehen. Durch die Entdeckung einer großen Zahl von Gesteinsplaneten außerhalb des Sonnensystems und das wichtige Resultat des NASA-Weltraumteleskops Kepler, dass Planeten geringer Masse besonders häufig vorkommen, hat diese Forschung einen neuen Auftrieb erhalten. Allein in unserer Galaxis könnte es Hunderte Milliarden von ihnen geben.
Wichtige Wissensbausteine, um den Ursprung des Lebens aufzuklären, sind die Analyse der Struktur von Gesteinsplaneten und ihrer Atmosphären sowie die Untersuchung der Bildung präbiotischer Moleküle – Moleküle, die bei der Bildung lebender Materie eine Schlüsselrolle spielen. Das große Ziel der Forschung ist die experimentelle Erzeugung einer minimalen Zelle, die aus den elementaren funktionalen Bausteinen des Lebens besteht.
Leben und Biomoleküle
Aber was ist Leben überhaupt? Dazu findet man in der Literatur sehr viele unterschiedliche Definitionen, was wohl am Ende daran liegt, dass wir den entscheidenden Qualitätsunterschied lebender Organismen gegenüber unbelebter Materie noch nicht vollständig erfasst haben. Die allgemein als NASA-Definition bekannte und auf den Nobelpreisträger Jack Szostak zurückgehende Definition aus dem Jahr 1994 fasst wichtige Eigenschaften zusammen und lautet wie folgt: »Leben ist ein sich selbst erhaltendes chemisches System, das zur darwinschen Evolution fähig ist.« Versteckt enthält diese Definition drei wichtige Merkmale von Lebewesen, nämlich dass sie sich selbst vermehren und der darwinschen Evolution unterliegen, einen Stoffwechsel sowie Energieproduktion betreiben und Informationen verarbeiten – aber auch die Tatsache, dass es sich um chemische Systeme handelt.
In jeder noch so primitiven Zelle werden diese Merkmale maßgeblich durch drei chemische Bestandteile gewährleistet: die Desoxyribonukleinsäure (englisch: deoxyribonucleic acid, DNA), die Ribonukleinsäure (englisch: ribonucleic acid, RNA) und die Proteine (siehe »Das zelluläre Erbgut« und »Goldenes Dreieck der Molekularbiologie«). Die Doppelhelix des Biomoleküls DNA ist der Informationsspeicher der Zelle und trägt die Erbinformation. Die RNA wirkt am Entschlüsseln dieser Information mit – sie transportiert die im Genom codierten Bauanweisungen an verschiedene Orte der Zelle und ist somit ein zentraler Akteur der zellulären Proteinsynthese. Proteine sind wiederum die »Arbeitstiere« in unseren Zellen; sie können chemische Reaktionen antreiben, Ionen zwischen verschiedenen Reaktionsräumen (Kompartimenten) hin- und herpumpen sowie Reize verarbeiten. Die Bestandteile der Zelle sind also wechselseitig von sich abhängig.
DNA und RNA bestehen aus je vier verschiedenen Typen von Bausteinen, so genannten Nukleotiden. Jedes Nukleotid setzt sich aus einer organischen Nukleobase, einem Zuckermolekül sowie aus mindestens einer Phosphatgruppe zusammen. Bei dem Zuckermolekül handelt es sich im Fall der RNA um Ribose, im Fall der DNA um Desoxyribose.
Die Proteine hingegen setzen sich aus Aminosäuren zusammen und bilden komplizierte dreidimensionale Strukturen. Es ist bemerkenswert, dass die wichtigsten Moleküle des Lebens allesamt Polymere oder besser Biopolymere sind; ihre Grundbausteine sind kettenförmig angeordnet. Auf diese Eigenschaft werden wir noch zurückkommen. Es ist sicherlich von großem Entwicklungsvorteil, wenn das »chemische System« aus DNA, RNA, Proteinen und weiteren wichtigen Bestandteilen von einer Schutzhülle umgeben ist. Bei allen Zellen ist dies die nur wenige milliardstel Meter (Nanometer) dicke Zellmembran, welche die Zelle einkapselt. In Verbindung mit den Proteinen dient sie auch dazu, selektiv bestimmte Stoffe durchzulassen oder diesen Transport nicht zu erlauben.
Das zelluläre Erbgut
Biologische Zellen speichern ihre Erbinformationen in einem Kettenmolekül, der so genannten Desoxyribonukleinsäure (DNS oder, aus dem Englischen abgekürzt, DNA). Die DNA setzt sich aus aneinandergereihten Nukleotiden zusammen, wobei jedes Nukleotid aus drei Teilen besteht: einer Nukleobase (auch Nukleinbase), einem Zuckermolekül und einem Phosphorsäurerest. Bei der Nukleobase handelt es sich entweder um Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) oder Thymin (T). Das Zuckermolekül ist eine Desoxyribose.
Die Erbinformation ist in der Abfolge (»Sequenz«) der Nukleotide codiert. Entscheidend ist dabei, welche Nukleobase an dem jeweiligen Nukleotid hängt. Die Aufeinanderfolge der Basen entlang des DNA-Strangs liefert eine Zeichenkette, beispielsweise ATACGACT. Diese Buchstabenfolge enthält die Bauanleitung für die zellulären Proteine. Sie ist in separate Abschnitte namens Gene untergliedert. Ein Gen enthält in der Regel die Bauvorschrift für eine bestimmte Proteinsorte. Spezielle Molekülkomplexe in der Zelle lesen die Sequenz des DNA-Strangs aus und stellen – gemäß der darin enthaltenen Bauanweisung – die Proteine her, welche die Zelle für ihr Überleben benötigt. Je drei aufeinanderfolgende Nukleobasen bilden dabei eine funktionelle Einheit: ein Basentriplett. Dessen Sequenz zeigt dem Zellapparat an, welche Aminosäure er jeweils in das entstehende Proteinmolekül einzubauen hat; das Triplett GGC beispielsweise steht für die Aminosäure Glycin.
Wenn der Zellapparat Proteine erzeugt, tut er das nicht direkt anhand der DNA-Sequenz. Er stellt zunächst eine Abschrift davon her, und zwar in Form eines (ebenfalls kettenförmigen) RNA-Moleküls. RNA steht für »Ribonukleinsäure«. Sie ist der DNA chemisch sehr ähnlich, ihre Nukleotide enthalten als Zuckeranteil aber eine Ribose statt einer Desoxyribose sowie die Nukleinbase Uracil statt Thymin. Die RNA-Abschrift einer DNA-Sequenz dient dem Zellapparat als vorübergehende Arbeitskopie der Erbinformation: Sie transportiert die Bauanweisung von der DNA zu den zellulären Proteinfabriken, wird dort als Blaupause für die Proteinherstellung genutzt und anschließend wieder abgebaut.
Wahrscheinlich hatte die RNA nicht immer diese dienende Funktion. Gemäß der RNA-Welt-Hypothese standen RNA-Moleküle am Anfang des Lebens: In den frühesten Lebewesen fungierten sie sowohl als Träger der Erbinformation als auch als Katalysatoren von Stoffwechselreaktionen. Erst später, so die Hypothese, seien diese beiden Funktionen auf separate Molekülsorten übertragen worden: auf die DNA als Informationsspeicher und auf die Proteine als Katalysatoren. Tatsächlich kennen Fachleute heute derart viele präbiotische (nicht auf Lebewesen angewiesene) Prozesse, die RNA-Bausteine hervorbringen, dass vieles für die RNA-Welt-Hypothese spricht.
Die heutige Organisation des zellulären Erbguts ist jedenfalls überaus komplex und sicherlich das Ergebnis sehr vieler Evolutionsschritte. Die menschliche DNA beispielsweise hat eine Gesamtlänge von etwa zwei Metern, passt aber trotzdem in den Zellkern, der nur wenige Mikrometer (millionstel Meter) Durchmesser besitzt. Übertragen auf Maßstäbe, die wir uns vorstellen können: Wäre die menschliche DNA so dick wie ein Spaghetto, wäre sie zirka 1800 Kilometer lang und dennoch so eng aufgespult, dass sie in ein Einfamilienhaus passt. Da sie ein Molekül ist, befindet sie sich in ständiger thermischer Bewegung. Das Innere eines Zellkerns ähnelt daher einem dichten, brodelnden Gewirr aus zahllosen Knäueln und Schleifen. Man könnte meinen, dass unser Erbgut sich permanent verheddern müsste. Verschiedene Mechanismen verhindern das – so ist die DNA um Histonproteine gewickelt, was für eine kontrollierte Strukturbildung sorgt. Dennoch mutet es erstaunlich an, dass der Zellapparat in dem wabernden molekularen Durcheinander jedes einzelne Gen zielsicher aufspüren und fehlerfrei auslesen kann.
FRANK SCHUBERT
Wir wollen im Folgenden drei Fragen beantworten: Wann entstand das Leben auf der Erde? Wo entstand es? Und dann die wohl schwierigste: Wie geschah der Übergang von unbelebter Materie zu biologischen Systemen? Dabei verwenden wir die Bedingungen der frühen Erde und das Leben, wie wir es kennen, als Modellsysteme, die sich auch auf andere erdähnliche Planeten übertragen lassen.
Wann entstand das Leben auf der Erde?
Die Bildung der ersten festen Körper im Sonnensystem geschah vor 4,567 Milliarden Jahren. Die Zeitskala für die Bildung der Erde sowie ihrer Nachbarplaneten Mars und Venus, aber auch der erdähnlichen extrasolaren Planeten um andere Sterne ist dagegen mit einigen Millionen Jahren relativ kurz. Während der Entstehung der Erde wurden flüchtiges Material (Wasser – H2O, Kohlendioxid – CO2, Ammoniak – NH3, verschiedene organische Moleküle) durch kleine zentimetergroße Steinchen – im Englischen oft als »pebbles« bezeichnet – und Asteroiden aus der Klasse der kohligen Chondrite angeliefert. Jedoch wurde in dieser frühen Phase jegliches komplexe chemische Material auf Grund der Wärmeeinwirkung während des Aufpralls der größeren Körper und des durch Wasser und CO2 verursachten Treibhauseffekts zerstört. Die Oberflächentemperatur war so hoch, dass es über einige Millionen Jahre hinweg einen Magmaozean und eine Dampfatmosphäre gab. Mit dem Zusammenstoß des etwa marsgroßen Protoplaneten Theia mit der Erde vor 4,50 bis 4,45 Milliarden Jahren, der zur Bildung des Mondes führte, wurde diese Phase beendet.
Die Erde kühlte sich ab, und die ersten Wasserozeane bildeten sich unter einer Atmosphäre, deren wesentliche Bestandteile CO2, H2O und molekularer Stickstoff (N2) waren. Es kam weiterhin zum Eintrag von Wasser und komplexem organischem Material durch einfallende Meteorite. Diese enthielten auch Phosphor und das in chemischen Reaktionen sehr effektiv katalytisch wirkende Eisen und Eisensulfide. Die Analyse der Häufigkeiten von Sauerstoffisotopen in 4,4 Milliarden alten Zirkonen – einem Silikatmineral – lässt den Schluss zu, dass tatsächlich bereits damals Wasserozeane auf der Erde existierten. Gesteinsmaterial ist aus jener Zeitepoche der Erde, die man auch als Hadaikum bezeichnet, allerdings nicht erhalten (siehe »Die Urerde«).
Stromatolithen sind die ältesten bekannten Fossilien, die wir kennen. Es handelt sich dabei um biogene (von Lebewesen hervorgebrachte) Sedimentgesteine, die man auch heute noch in ähnlicher Form vor der Küste Australiens findet (siehe »Fenster in die Frühgeschichte«). Sie entstanden bereits im Präkambrium vor etwa 3,5 Milliarden Jahren. Offensichtlich hat sich das Leben binnen kurzer Zeit gebildet, nachdem die »richtigen« Bedingungen auf der Oberfläche der Erde gegeben waren (Vulkanismus, feste Oberflächen mit thermalen Feldern vulkanischen Ursprungs, Ozeane).
Biologen haben noch eine andere Möglichkeit, auf die frühesten Lebensformen zurückzuschließen und diese zu datieren. Alle Lebewesen haben qualitativ den gleichen genetischen Code. Man kann im Stammbaum des Lebens zurückgehen und nach »Adam und Eva« suchen oder nach dem ältesten hypothetischen gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Lebewesen. Man nennt ihn LUCA, eine Abkürzung des englischen »Last Universal Common Ancestor« (deutsch: letzter universeller gemeinsamer Vorfahre). Vor Kurzem stellte ein Team um Edmund Moody von der University of Bristol in der Zeitschrift »Nature Ecology and Evolution« einen möglichen LUCA-ähnlichen Organismus mit einem Alter von 4,2 Milliarden Jahren vor. Falls es dieses Lebewesen je gegeben hat, war es bereits recht komplex, denn sein Genom umfasste dieser Studie zufolge bereits 2,75 Millionen Basenpaare. Man muss sich LUCA nicht unbedingt als eine einzelne Zelle vorstellen; möglicherweise setzte er sich aus mehreren zellähnlichen Gebilden zusammen, die in einem gemeinsamen Ökosystem kooperierten.
Interessant bei LUCA ist die Tatsache, dass dieser Organismus – soweit heute bekannt – zu den anaeroben Mikroorganismen gehörte, die ihren Stoffwechsel durch die Umsetzung von Kohlendioxid und Wasserstoff antreiben, ohne dass molekularer Sauerstoff daran mitwirkt. Aus vier Molekülen Wasserstoff und zwei Molekülen Kohlendioxid entstehen dabei dissoziierte Essigsäure und zwei Moleküle Wasser; der Kohlenstoff liegt nach der Reaktion in reduzierter Form vor. Dieser Prozess ist allerdings nicht besonders effizient bezüglich seiner Energieproduktion, und die Weiterentwicklung des Lebens war möglicherweise beschränkt durch den Mangel an der zur Verfügung stehenden Energie.
Erst als die Natur die Fotosynthese »entdeckte«, stand eine wesentlich effektivere Energiequelle zur Verfügung. Cyanobakterien – wir kennen diese Bakterien alle unter dem etwas irreführenden Namen »Blaualgen« – gehörten zu den ersten Lebewesen, die Fotosynthese betrieben und dabei Sauerstoff produzierten. Vor etwa 2,1 bis 2,5 Milliarden Jahren kam es dadurch zu einem steilen Anstieg der Sauerstoffkonzentration in der Erdatmosphäre, der fortan einen durch Oxidation angetriebenen Energiestoffwechsel erlaubte. Dieser brachte nach und nach immer komplexere Lebewesen hervor, bis vor 210 Millionen Jahren die ersten Säugetiere erschienen und vor einigen hunderttausend Jahren der moderne Mensch. Der lange Weg der Evolution führte vom primitiven Einzeller über immer größere Vielzeller bis hin zu den heutigen ausdifferenzierten Tieren einschließlich des Menschen, der aus etwa 20 bis 30 Billionen Zellen besteht.
Insgesamt können wir festhalten, dass das Leben auf der Erde vor etwa 4,2 Milliarden Jahren entstanden ist und sich in einer langen Kette der Evolution über Milliarden von Jahren weiterentwickelte. Die Erschließung neuer Energiequellen war ein wichtiger Teil der darwinschen Entwicklung und führte über viele Milliarden Jahren zur Entstehung sehr komplexer biologischer Systeme und zu einer hoch entwickelten zellulären Maschinerie (siehe »Historie der Erde und der Entwicklung des Lebens«).
Wo entstand das Leben auf der Erde?
Die seit fast 50 Jahren vorwiegend diskutierten Orte der Entstehung des Lebens sind warme Hydrothermalquellen am Boden der Ozeane. Die Initialzündung für diese Idee kam von der Expedition des Forschungstauchbootes Alvin, bei der im Jahr 1977 erstmals solche Hydrothermalquellen am Grund des Pazifiks entdeckt wurden. Diese Quellen werden je nach Temperatur, Druck und Zusammensetzung als Schwarze oder Weiße Raucher bezeichnet. Es sind interessante Systeme, weil dort viel chemische und thermische Energie zur Verfügung steht, weil sie vor Ereignissen an der Oberfläche und zerstörerischer UV-Strahlung geschützt sind und weil sie steile Temperatur- und Dichtegradienten aufweisen und somit ein breites Spektrum chemischer Reaktionen ermöglichen. In ihnen befinden sich auch zahlreiche katalytisch wirksame Metallverbindungen wie Eisensulfid sowie organische Ausgangsstoffe wie Methan. Heute haben sich rund um diese Hydrothermalquellen reiche Ökosysteme angesiedelt, deren Lebewesen in Abwesenheit von Sauerstoff und Sonnenstrahlung existieren. Auch unter den dicken Eisschichten des Jupitermonds Europa und des Saturnmonds Enceladus vermutet man Ozeane mit Hydrothermalquellen.
Doch nach 50 Jahren intensiver Forschung mehren sich die Zweifel, ob die Hydrothermalquellen am Boden der Ozeane tatsächlich die Entstehungsorte des Lebens auf der Erde waren. Zwei Probleme seien hier genannt: Es gibt dort einfach zu viel Wasser! Wie das – wird Wasser nicht als bestes zur Verfügung stehendes Lösungsmittel in Teilen der präbiotischen Chemie benötigt? Das ist schon richtig, aber bei der Bildung der Biopolymere – RNA, DNA und Proteine – ist Wasser ein Hindernis. Diese Reaktionen laufen nämlich unter Abspaltung von Wasser ab, was bei H2O-Überschuss erschwert ist; und entfernen lässt sich das Wasser nur mit Energieaufwand. Es gibt noch ein zweites Problem mit dem Wasser. Es kann zur Aufspaltung biogener Verbindungen führen – man spricht dann von Hydrolyse. Hier wird sich mancher fragen, warum wir eigentlich unter der Dusche nicht zerfallen. Im Körper gibt es jedoch ein Enzym, welches unter Energieaufwand ständig dafür sorgt, dass Wasser entfernt wird. Wir sind einfach eine tolle Wasserentfernungsmaschine, die es so aber beim Ursprung des Lebens nicht gab. Diese beiden Probleme werden oft auch als Wasserparadoxon bezeichnet.
Ein drittes Problem ist die stark basische Umgebung in den Hydrothermalquellen – in anderen Worten der hohe pH-Wert. Unter diesen Bedingungen ist die Synthese einer Zellmembran kaum vorstellbar, weil die dadurch gegebene Ladungsverteilung zu einer stark veränderten Struktur der Membranen und ihrer Durchlässigkeit führt.
Wenden wir uns jetzt einer ganz anderen, sehr viel versprechenden Umgebung zu, den heißen Hydrothermalquellen und Seen in vulkanischen Gebieten auf der Oberfläche der Erde, wie wir sie aus Island oder dem Yellowstone-Nationalpark kennen (siehe »Orte für Leben«). Bereits Charles Darwin hat mit seiner besonderen Intuition in einem Brief an seinen Freund T. J. Hooker im Jahr 1871 vorgeschlagen, dass in einigen »warm little ponds« Ammoniak, Phosphorsalze und Wärme sowie elektrische Energie vorhanden sind, um Proteine und daraus wiederum eine komplexe Proteinsuppe zu bilden. Er hatte dabei gleich mehrere Dinge im Auge: höhere Temperaturen, um die chemischen Prozesse anzutreiben, einen kleineren See, um die Konzentrationen zu erhalten, und schließlich eine komplexe Chemie.
Seit einigen wenigen Jahren ist tatsächlich anerkannt, dass heiße Quellen und Seen auf der Erdoberfläche außerordentlich interessante Kandidaten für die Entstehungsorte des Lebens sind. Die Trocken-Nass-Zyklen dieser Orte erlauben in den Trockenphasen die Bildung von Biopolymeren und in den nassen Phasen wichtige chemische Reaktionen des präbiotischen Materials. Tatsächlich haben Experimente im Labor gezeigt, dass man unter diesen Bedingungen Biopolymere bilden kann. Das führt uns dann aber gleich zur nächsten Frage.
Wie ist das Leben entstanden?
Im Jahr 1953 – dem Jahr, in dem auch die Doppelhelixstruktur der DNA aufgeklärt wurde – führten Stanley Miller und Harold Clayton Urey an der Universität von Chicago ein bahnbrechendes Experiment durch. Inspiriert von den frühen Ideen des russischen Biochemikers Aleksandr Oparin und des britischen Physiologen J. B. S. Haldane, die vorgeschlagen hatten, dass aus abiotischen Systemen für das Leben wichtige organische Moleküle synthetisiert werden können, wenn einer reduzierenden Atmosphäre Energie zugeführt wird, entstand ein aufregendes Experiment (siehe »Bestandteile des Miller-Urey-Experiments«). Miller und Urey gaben in ein geschlossenes System Gase wie Ammoniak, Methan, Wasserstoff und Wasser und führten Energie über einen elektrischen Lichtbogen zu. Tatsächlich konnten sie die Produktion einiger Aminosäuren, so beispielsweise der einfachsten Aminosäure Glycin, nachweisen. Dieses Experiment hat viele weitere ähnliche Arbeiten angeregt. Spätere empfindlichere Analysen des von Miller und Urey produzierten Materials zeigten, dass tatsächlich mehr als 20 Aminosäuren in ihrem Experiment synthetisiert wurden.
Heute wissen wir, dass die frühe Erdatmosphäre keinesfalls so stark reduzierend war wie im Experiment von Miller und Urey. Im Gegenteil, sie bestand im Wesentlichen aus CO2, H2O und N2. Diese Atmosphärenzusammensetzung stellt uns vor ein gewaltiges Problem. Wie können wir unter diesen Bedingungen überhaupt organisches präbiotisches Material erhalten? Hier sollten wir zunächst genauer klären, was wir unter präbiotischen Molekülen verstehen. Ein solches Molekül ist HCN – wir kennen es umgangssprachlich unter dem Namen »Blausäure«. Es ist hochgiftig, aber seine hohe Reaktivität unterstützt die Bildung komplexer Moleküle, die aus Kohlenstoff- und Stickstoffatomen bestehen. So kann mittels Kettenbildung (Polymerisierung) von HCN in wässriger Lösung Adenin gebildet werden – eine der vier Nukleobasen. Die Hydrolyse, also die Spaltung eines Moleküls durch eine Reaktion mit Wasser, von HCN-Polymeren kann zur Bildung von Aminosäuren führen.
Ein anderes interessantes Molekül ist Formaldehyd. Aldehyde können zusammen mit Ammoniak und HCN in der so genannten Strecker-Reaktion Aminosäuren – die Bestandteile der Proteine – bilden. Präbiotische Moleküle sind somit die organischen Ausgangsmoleküle für die Bildung wichtiger Bestandteile der DNA, RNA und der Proteine.
Wir haben zwei verschiedene Möglichkeiten, präbiotisches Material zu erzeugen. Bei der ersten Variante wird dieses Material über den Einfall der kohligen Chondrite aus dem Sonnensystem auf die Erde geliefert. Tatsächlich zeigt die Analyse von Meteoriten dieser Klasse die Anwesenheit einer Vielzahl von organischen Molekülen, darunter Aminosäuren, Aldehyde, Ribose, aber auch des wichtigen Phosphors. Sie könnten beim Einfall in die »warmen Teiche« komplexere Verbindungen gebildet haben. Die zweite Möglichkeit ist dadurch gegeben, dass es trotz der CO2-H2O-N2-Atmosphäre gelungen ist, wichtige präbiotische Moleküle zu synthetisieren. Dies könnte durch den Aufprall eisenreicher Asteroide oder ihrer Fragmente geschehen sein. Sowohl die Aufschlagenergie als auch die Anwesenheit von Eisen als Katalysator könnten zur Bildung von molekularem Wasserstoff und damit zur Bildung von Ammoniak und Methan geführt haben. Aus Methan lässt sich dann fotochemisch wiederum HCN bilden. Wir haben es geschafft! Besser gesagt, die Natur hat einen Syntheseweg für HCN-Moleküle gefunden.
Es ist durchaus aber auch möglich, dass sich der alles entscheidende Wasserstoff durch Serpentinisierung gebildet hat. Dies ist ein Prozess, bei welchem in Gesteinen unter Wasserzufuhr aus verschiedenen auf der Erde vorhandenen Silikaten wie Olivin und Pyroxen OH-haltige Serpentinminerale, Magnetit und schließlich Wasserstoff entstehen können. Dieser Prozess läuft am besten bei höheren Temperaturen zwischen 300 und 500 Grad Celsius und erhöhten Drücken auf dem Ozeanboden und in den Schwarzen Rauchern ab.
Welcher Weg der effektivste ist oder ob sie bei der Entstehung des Lebens zusammengewirkt haben, bleibt eine spannende Frage. Wir sehen aber, dass immer Katalysatoren wie Eisen oder Eisensulfid wie auch bei Reaktionen im Labor eine Rolle spielen. Mit Organokatalysatoren gibt es möglicherweise sogar noch eine effektiver wirkende Klasse von »Wirkstoffen«, um dem Leben auf die Beine zu helfen.
Nach dem Aufbau der präbiotischen Moleküle ist die Synthese von RNA, DNA und Peptiden der nächste wichtige Schritt. Peptide bestehen aus bis zu 100 Aminosäuren und sind gewissermaßen die Vorstufe der Proteine. Ein wichtiges Konzept bei diesem nächsten und entscheidenden Schritt ist das der RNA-Welt. Die RNA kann selbst als Informationsträger dienen, sie kann aber auch – so ähnlich wie die Proteine – gewisse katalytische Fähigkeiten übernehmen. Die Hypothese der RNA-Welt besagt, dass sich zunächst RNA gebildet hat und erst in einem späteren Schritt DNA. Tatsächlich ist es den Gruppen von John Sutherland in Manchester und Thomas Carell in München gelungen, die Grundbausteine der RNA in einem systemchemischen Ansatz zu synthetisieren. Die Gruppe um Sutherland startete mit einfachen Verbindungen wie Cyanamid, Cyanoacetylen, Glykoaldehyd und Phosphaten und erzeugte auf Pyrimdin basierende RNA-Bausteine. Pyrimdin ist das Grundgerüst für die in RNA und DNA vorkommenden Basen Cytosin, Uracil und Thymin. Der Carell-Gruppe gelang die Synthese mit kleinen Molekülen als Ausgangsstoff, dem Zucker Ribose und Phosphaten in Nass-Trocken-Zyklen, wie wir sie bereits diskutiert haben. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass die auf Purin basierenden RNA-Bestandteile unter ähnlichen Bedingungen gebildet werden können. Purin ist das Grundgerüst für die restlichen Basen der DNA und RNA – Adenin und Guanin.
Unter plausiblen Bedingungen der frühen Erde können sich also alle Bestandteile der RNA gebildet haben – die RNA-Welt kann sich möglicherweise in den frühen »warmen Teichen« etablieren. Der nächste große Schritt ist die kettenförmige Verknüpfung der Bauteile; schließlich ist die RNA ein Polymer und besteht aus vielen Basen-Zucker-Bestandteilen, die durch Phosphodiesterbindungen verknüpft sind. Zugegeben, das ist alles ziemlich viel Chemie, aber hochinteressante. Und dabei kann man auch fragen, ob es die vier Basen sein müssen und die Verknüpfung nicht auch anders geschehen kann.
Wir sind der Frage, wie das Leben auf der Erde und anderen ähnlichen Gesteinsplaneten entstanden ist, einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Mit der Tatsache, dass das Leben auf der Erde sich sehr früh, unter relativ widrigen Atmosphärenbedingungen bildete, der Identifikation der darwinschen warmen Teiche auf der Erdoberfläche als aussichtsreiche chemische Orte der Entstehung des Lebens und dem Nachweis von Synthesewegen der RNA und DNA haben wir wichtige Bausteine des Puzzles zusammengetragen. Die nächsten großen Schritte werden die gemeinsame Bildung von RNA/DNA-Peptidsystemen in einer Zellmembran sein und schließlich der Bau einer funktionierenden minimalen Zelle unter Bedingungen, wie sie auf der frühen Erde und anderen Gesteinsplaneten geherrscht haben können.
Die spannendste Frage für die Astronomie und die Planetenwissenschaft ist natürlich die nach der Suche von biologischer Aktivität auf anderen Gesteinsplaneten sowohl auf dem Mars als auch bei Exoplaneten. Die Beschreibung der Strategie für diese Suche muss aber einem anderen Artikel vorbehalten bleiben.
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