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Genetik: Auch Afrikaner haben Neandertaler-DNA

Weil die Neandertaler nie in Afrika lebten, sollte es dort auch kein Erbgut von ihnen geben. Doch das entpuppt sich jetzt als folgenreiche Fehlannahme.
Neandertaler

Die Neandertaler lebten nie in Afrika, und dennoch scheinen ihre Gene des gesamten Kontinent erobert zu haben: Heutige Menschen, deren genetische Wurzeln in Afrika liegen, tragen im Schnitt rund 0,3 Prozent Neandertaler-DNA. Das ist nicht viel, aber immer noch deutlich mehr als lange gedacht. Bislang waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass der Anteil bei nahezu null liegt.

Der Grund dafür liegt wohl darin, dass im Lauf der letzten 20 000 Jahre immer wieder moderne Menschen, deren Vorfahren sich einst mit Neandertalern vermischt hatten, nach Afrika einwanderten, wo ihr Erbgut weite Kreise zog. Ob sich die archaischen Gene in sämtlichen Populationen Afrikas finden lassen, ist noch unklar. Ausgeschlossen ist dies aber nicht: Selbst Angehörige der Khoisan im südlichen Afrika, die seit sehr langer Zeit vergleichsweise genetisch isoliert sind, haben rund ein Drittel ihres Genoms von Nachbarn übernommen.

Die neuen Schätzungen stammen aus einer Studie, für die ein Team um Joshua Akey von der Princeton University die Gene von 2504 heute lebenden Menschen ausgewertet hat. Sie nutzten dazu ein neues statistisches Verfahren, das eine Schwäche früherer Ansätze ausmerzt. Vereinfacht gesagt hatten diese nämlich immer das Genom afrikanischer Menschen als Vergleichsmaßstab herangezogen, um bei Europäern und Asiaten nach Genen unserer Schwesterart zu fahnden, denn dieses galt ja als frei von Neandertaler-DNA.

Akey und Kollegen nutzten nun hingegen eine Methode namens IBDMix, bei der die Gensequenz eines Neandertalers aus dem Altai-Gebirge als Basis dient. Moderner Mensch und Neandertaler ähneln sich in ihrer DNA sehr stark, so dass die Übernahmen aus dem jeweils anderen Genom nicht einfach ausgezählt werden können, sondern sich erst durch komplexe Wahrscheinlichkeitsberechnungen ergeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Neandertaler selbst einen Anteil von Homo-sapiens-DNA in ihren Genen hatten. Sie verdanken ihn einer frühen Auswanderungswelle moderner Menschen, die vor über 100 000 Jahren stattfand und der eigentlichen »Out-of-Africa«-Bewegung vorausging. Das hat die paradoxe Konsequenz, dass heutige Afrikaner und Neandertaler in manchen Genregionen übereinstimmen, aber nicht weil die Vorfahren jener Afrikaner Gene von den Neandertalern übernahmen, sondern umgekehrt ihrerseits den Neandertalern Gene spendierten.

Europäer und Asiaten haben gleich viel Neandertaler-DNA

Die neue Statistik räumt auch mit einem anderen Befund früherer Studien auf – dass Asiaten noch einmal deutlich mehr vom Neandertalererbe in ihren Zellen trügen als Europäer. Tatsächlich ist der Anteil laut den jüngsten Berechnungen bei beiden nahezu identisch. Er beträgt im Schnitt knapp ein Prozent. Frühere Studien hätten die Neandertaler-Beimischung bei Europäern systematisch unterschätzt, erläutern die Forscher in ihrer Fachpublikation im Magazin »Cell«. Denn diejenigen Genabschnitte, die die Europäer von unserer Schwesterart übernommen haben, ähneln tendenziell eher jenen, die nun auch bei den Afrikanern gefunden wurden. Darum seien sie früher nicht als solche erkannt, sondern von der Statistik als afrikanisch klassifiziert worden.

Akey und Kollegen simulierten außerdem, wie und wann sich das Genom der Neandertaler über die Welt ausbreitete. Demnach könnten sich frühe moderne Menschen mehrfach und an vielen Orten Eurasiens mit dem Neandertaler vermischt haben. Entscheidend ist aber, dass diese Kontakte aus heutiger Sicht folgenlos blieben – diese Gruppen haben keine lebenden Nachfahren mehr. Die Neandertaler-DNA in den Menschen, die aktuell rund um den Globus leben, scheint dagegen auf ein einziges Vermischungsereignis zurückzugehen, das mutmaßlich im Mittleren Osten stattfand.

Die Gene der Neandertaler wurden übrigens keineswegs wahllos weitervererbt. Wie auch Forschergruppen vor ihnen fanden Akey und Kollegen Hinweise darauf, dass manche übernommenen Erbgutabschnitte den modernen Menschen Vorteile brachten, etwa bei der Krankheitsabwehr oder der UV-Empfindlichkeit der Haut. Andere Chromosomenabschnitte sind dagegen wie leer gefegt von Genen unserer Schwesterart. Die fremden Genvarianten hatten an diesen Stellen offenbar gewichtige Nachteile. Das berühmte »Sprachgen« FOX-P2 ist ein Beispiel dafür. Dessen Neandertalerversion ist aus dem heutigen Genpool praktisch komplett verschwunden.

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