Mikrobiom: Bakterien-Toxin aktiviert ruhende Viren
Das von vielen Bakterien hergestellte Molekül Colibactin weckt ins Genom eingebaute Viren wieder auf. Das berichtet ein Team um Emily P. Balskus von der Harvard University nach Experimenten an mit Bakteriophagen befallenen Mikroorganismen, darunter auch solchen, die im menschlichen Darm vorkommen. Wie die Arbeitsgruppe in »Nature« berichtet, werden im Erbgut von Bakterien eingebaute, inaktive Viren – Prophagen genannt – nach Kontakt mit Colibactin produzierenden Bakterien wieder aktiv, produzieren Viruspartikel und vernichten ihre Wirtszelle. Zusätzlich können die so freigesetzten Bakteriophagen weitere Bakterien zerstören. Das Team um Balskus vermutet deswegen, dass Colibactin zur »Kriegsführung« dient und womöglich auch erhebliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung der menschlichen Darmflora hat.
Colibactin ist ein instabiles Molekül, das mit DNA reagiert und Erbgutschäden verursacht – unter anderem ist es dadurch wahrscheinlich an der Entstehung von Darmkrebs beteiligt. Bisher war allerdings unbekannt, welche Funktion der Stoff für die Bakterien erfüllt. Balskus und ihr Team vermuten nun, dass Bakterien ihn einsetzen, um unter konkurrierenden Mikroben Epidemien auszulösen. Für die Wirkung des Colibactins ist seine Fähigkeit, das Erbgut zu beschädigen, entscheidend. Erbgutschäden lösen in Bakterien die SOS-Antwort aus, ein Notfallprogramm, bei dem die Zelle ihr Wachstum einstellt, und sich darauf konzentriert, die Schäden an der DNA zu beheben – die SOS-Antwort ist allerdings auch das Signal für ins Erbgut eingebaute Prophagen, wieder aktiv zu werden.
Die Arbeitsgruppe vermutet, dass diese heimtückische Form der chemisch-biologischen Kriegsführung verbreitet ist. Denn nicht nur produzieren viele Bakterien das instabile Molekül, das Team fand auch Resistenzgene dagegen bei Bakterien, die selbst kein Colibactin herstellen. Zusätzlich wirkt das Toxin prinzipiell bei nahezu allen Typen von Bakterien, die keine spezifische Resistenz dagegen haben. Allerdings begrenzen umgekehrt einige Faktoren die Auswirkungen des Moleküls, so dass seine Freisetzung nicht zur allgemeinen Phagokalypse im gesamten Bakterien-Ökosystem führt. Zum einen nämlich ist Colibactin sehr instabil, so dass es schnell abgebaut wird. Zum anderen zeigte die Arbeitsgruppe um Balskus, dass das angreifende Bakterium sein Opfer berühren muss, damit das Molekül wirkt – und die freigesetzten Viren sind zu wenige, um größere Auswirkungen zu haben. Deswegen ist Colibactin, anders als es erst scheinen mag, wohl vor allem eine Nahkampfwaffe.
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