Direkt zum Inhalt

Covid-19: Die fünf großen Fragen über den Ursprung der Pandemie

Wo kam Sars-CoV-2 her? Wann begann die Pandemie? Erste Hinweise sind gefunden, doch vieles bleibt rätselhaft. Besonders im Fokus: Fledermäuse, andere Wildtiere und Märkte.
Ein Straßenverkäufer verkauft Lebensmittel in Wuhan, China.

Vor mehr als einem Jahr hat sich nach jetziger Kenntnis erstmals ein Mensch mit Sars-CoV-2 infiziert. Aber wer war es, wann geschah das und wo? Auch nach mehr als einem Jahr in der Pandemie sind zentrale Fragen offen. Daran hat auch eine einmonatige Erkundungsmission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach China nichts geändert, die den Ursprung der Pandemie klären sollte. Die WHO-Forscher kamen zwar zu dem Schluss, dass das Virus wahrscheinlich von Fledermäusen stammt und über ein Zwischentier auf den Menschen übertragen wurde. Alles weitere ist unklar.

Während die Welt auf die Veröffentlichung der detaillierten Ergebnisse des WHO-Teams wartet, erklären vier Forscher, was bislang rätselhaft ist, welche Spuren es gibt und welche fünf großen Fragen im Wesentlichen zu klären sind:

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

War das Virus in Wuhan schon vor den ersten bekannten Fällen im Umlauf?

Um den Ursprung des Virus zurückverfolgen zu können, ist es entscheidend, genau zu bestimmen, wann die ersten Fälle bei Menschen auftraten. Das WHO-Team stellte fest, dass die erste bekannte Person, die Covid-19 hatte, ein Büroangestellter in Wuhan war, der davor nicht gereist war und am 8. Dezember 2019 Symptome zeigte, sagt Peter Ben Embarek, ein Wissenschaftler für Lebensmittelsicherheit bei der WHO in Genf, der die Untersuchung leitete. Aber das Virus zirkulierte wahrscheinlich schon vorher in der Stadt, denn es war bereits Ende des Monats stark verbreitet, sagt er.

Allerdings waren Beweise für eine frühere Ausbreitung schwer zu finden. Forscher in China führten eine umfangreiche Untersuchung von Patientenberichten aus Krankenhäusern in Wuhan durch, die zwischen Oktober und Dezember 2019 erstellt worden waren, und identifizierten schließlich weniger als 100 Menschen, die Symptome von Covid-19 hatten. Sie testeten dann das Blut von 67 dieser Menschen auf Antikörper, fanden aber keine.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es vor Dezember weder eine große Häufung von Infektionen noch eine ungewöhnliche Häufung von Todesfällen in der umliegenden Provinz Hubei gegeben hat. Ben Embarek plädiert jedoch für eine weitere Analyse mit einem breiteren Kriterienkatalog an Symptomen. Schließlich müsse sichergestellt werden, dass die Forscher alle potenziellen Covid-19-Fälle entdecken.

Wissenschaftler in China sollten auch in den rund 200 000 archivierten Proben, die derzeit im Wuhan Blood Center und in anderen Regionen Chinas aufbewahrt werden, nach Beweisen für eine frühere Infektion suchen, sagt Teammitglied Dominic Dwyer, ein Virologe am New South Wales Health Pathology in Sydney. Dies würde zeigen, ob sich das Virus in der allgemeinen Bevölkerung in China – nicht nur unter Menschen, die Gesundheitseinrichtungen aufsuchten – vor Dezember 2019 verbreitet hat.

»Es gibt eine Menge Laborarbeit, die noch getan werden muss«
Ian Lipkin, Infektionsforscher

Einige Wissenschaftler, die nicht an der WHO-Untersuchung beteiligt sind, haben bereits Blutproben untersucht, die in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr vor Beginn der Pandemie in Guangzhou, Südchina, entnommen wurden. Nahe Verwandte von Sars-CoV-2 wurden nämlich in Fledermäusen und Schuppentieren in Südchina gefunden. Einige dieser Proben wurden positiv auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 getestet.

Allerdings sagt Ian Lipkin, ein Forscher für Infektionskrankheiten an der Columbia University, der an der Analyse mitgearbeitet hat, der Test sei nicht spezifisch genug: Man könne nicht mit Sicherheit sagen, dass die Antikörper nicht durch eine Infektion mit anderen Viren verursacht wurden. »Es gibt eine Menge Laborarbeit, die getan werden muss, die noch nicht getan wurde«, sagt Lipkin. So sei es auch wichtig zu wissen, ob es Autopsieproben von vor Dezember 2019 gibt, die auf Spuren von viralen genetischen Material untersucht werden könnten.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Hat sich das Virus vor Dezember 2019 in Menschen außerhalb Chinas ausgebreitet?

Die Beantwortung dieser Frage ist auch der Schlüssel zur Bestimmung des Zeitrahmens der ersten Covid-19-Fälle. Zuvor haben Forscher in Europa berichtet, dass sie Antikörper gegen Sars-CoV-2 in Proben gefunden haben, die ab November 2019 in Blutbanken entnommen wurden.

Das deute allerdings nicht unbedingt darauf hin, dass das Virus aus Europa stammt, sagt Ben Embarek, sondern passe durchaus zu der Hypothese, dass es sich in Wuhan bereits vor den ersten bekannten Fällen verbreitet hat. »Wuhan war eine sehr gut vernetzte internationale Stadt mit täglichen Direktflügen in die ganze Welt. Wenn das Virus also in Wuhan zirkulierte, könnte es leicht durch Reisende in andere Teile der Welt gebracht worden sein und sich dort unentdeckt in verschiedenen Regionen ausbreiten«, sagt er.

Dennoch empfiehlt er, die Blutproben aus Europa erneut zu testen, um zu bestätigen, dass sie Fälle von Covid-19 anzeigen. Einige von ihnen, aus Italien und Frankreich, werden bereits wieder analysiert, sagt er.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Welche Rolle spielte der Huanan-Markt?

Über welchen Zwischenwirt das Virus von Fledermäusen auf Menschen übertragen worden ist, ist noch unklar, aber die Forscher vermuten, dass es sich um eine wilde Spezies handelte, die als Lebensmittel auf Märkten verkauft wird, auf denen typischerweise lebende Tiere angeboten werden. Zu Beginn der Pandemie konzentrierten sich die Ermittler auf den Huanan Seafood Market in Wuhan, weil dort frische und gefrorene Tiere verkauft wurden und viele der ersten Infektionen bei Menschen auftraten, die diesen Markt besucht hatten. Aber die Spur verlor sich, als andere frühe Fälle gefunden wurden, die nicht mit dem Markt in Verbindung gebracht wurden. Virales Material wurde in Abflüssen und Abwässern auf dem Markt identifiziert, aber kein einziger infizierter Tierkadaver wurde gefunden.

Dennoch ist der Markt der einzige Ort, an dem eine große Anzahl der zu Beginn des Ausbruchs infizierten Personen mit Fleisch und Tieren in Berührung kam. Es sei wichtig herauszufinden, wie das Virus auf den Markt gelangt sei und ob es sich auf einem Tier befunden habe, sagt WHO-Teammitglied Hung Nguyen-Viet, Umwelt- und Lebensmittelsicherheitsforscher am International Livestock Research Institute in Nairobi.

Nguyen-Viet sagt, das Team habe zehn Stände identifiziert, an denen wilde oder gezüchtete Tiere verkauft wurden, die das Virus aus Farmen in Südchina auf den Markt gebracht haben könnten. Einige Wildtiere, die als Fleisch verkauft werden, wie Kaninchen und Frettchen, sind anfällig für Sars-CoV-2 oder das verwandte Virus, das das schwere akute respiratorische Syndrom (Sars) verursacht.

WHO-Teammitglied Peter Daszak, Präsident der gemeinnützigen Forschungsorganisation Ecohealth Alliance in New York City, fordert, dass Tiere und Arbeiter der jeweiligen Farmen auf Antikörper untersucht werden. Er möchte außerdem wissen, welche Tiere auf anderen Märkten in Wuhan verkauft wurden. Als das Team die erste Person befragte, von der bekannt war, dass sie Covid-19 hatte, erwähnte er, dass seine Eltern einen lokalen Markt besucht hatten, sagt Daszak.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Spielte gefrorenes Wildfleisch eine Rolle bei der frühen Ausbreitung des Virus?

Das WHO-Team kommt zu dem Schluss, dass das Virus höchstwahrscheinlich von lebenden Tieren auf Menschen übergesprungen ist, aber Ben Embarek sagt, es sei möglich, dass das Virus durch infizierte gefrorene Wildtiere von Farmen in Südchina auf den Markt in Huanan gelangte und dann einen Ausbruch auslöste.

Daszak fragt sich aber, ob gefrorene Frettchen, die auf dem Markt verkauft wurden, das Virus übertragen haben könnten. »Das waren Kadaver, die auf dem Markt gehäutet wurden, nicht nur Fleischwürfel in einer Plastikverpackung«, sagt er. Obwohl Forscher in China auch virale RNA aus der Verpackung von importiertem gefrorenem Fisch isoliert haben, seien diese Waren laut WHO-Team wahrscheinlich nicht der Weg, auf dem das Virus erstmals in Wuhan angekommen ist.

Lipkin sagt, dass es keine Evidenz dafür gibt, dass das Virus durch infizierte gefrorene Wildtiere auf den Markt kam. Es könnte genauso gut von infizierten Personen eingeschleppt worden sein, die mit Wildtieren hantierten.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

War das Virus vor der Pandemie bei Tieren in China im Umlauf?

Um festzustellen, welches Tier das Virus an den Menschen weitergegeben hat, müssen die Forscher Nachweise für das Virus bei dieser Tierart finden. Forscher in China testeten in den Jahren 2019 und 2020 etwa 30 000 Wild-, Zucht- und Haustiere, fanden aber keine Hinweise auf eine aktive oder frühere Sars-CoV-2-Infektion außer bei einigen Katzen in Wuhan im März 2020.

Ben Embarek sagt jedoch, dass diese Erhebungen nicht repräsentativ für die gesamte Tierpopulation Chinas waren und dass viel mehr Tiere auf Spuren einer Infektion getestet werden müssen, insbesondere auf Wildtierfarmen. »Die Menge an Tests, die durchgeführt wurde, reicht nicht aus, um in irgendeiner Weise zu sagen, dass das Virus nicht auf Wildtierfarmen ist«, sagt Daszak.

Die explosive Art und Weise, in der der Ausbruch in Wuhan im Dezember stattfand, legt nahe, dass das Virus wahrscheinlich durch den Handel mit Wildtieren eingeschleppt wurde, sagt Daszak. Aus seiner Sicht sollten sich zukünftige Tests auf gezüchtete Wildtiere konzentrieren.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.