News: Das Erblinden aufhalten
Seit vielen Jahren konzentriert sich die Suche nach einer besseren Glaukombehandlung auf dieses Abflusssystem und den Versuch, den Augendruck zu verringern. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass sich die fortschreitende Degeneration des Sehnervs und das damit verbundene Erblindungsrisiko durch eine Reduktion des Augendrucks nicht aufhalten lässt.
Vor ungefähr fünf Jahren schlug Michal Schwartz von der Neurobiologischen Abteilung des Weizmann Institute in Rehovot ein neues Konzept vor, das erklären konnte, warum eine Degeneration des Sehnervs auch nach einer Senkung des Augendrucks weiter voranschreitet. Nach dieser Erklärung wird die Degeneration nicht nur durch den Druck verursacht, sondern auch durch Sekundärfaktoren, die durch die den ersten Schaden ausgelöst wurden. Zu diesen schädlichen Faktoren gehören chemische Stoffe, die eine wichtige Rolle im Leben des gesunden Nervs spielen. Wenn der Nerv jedoch Abbauprozesse durchläuft, erhöhen sich die Werte zu einem Grad, dass sie toxisch wirken. Einer dieser Stoffe ist der Neurotransmitter Glutamat, der aus den verletzten Nervenzellen austritt und die benachbarten gesunden Zellen ungünstig beeinflusst.
Entsprechend dieser Vorstellung entwickelte Schwartz eine ungewöhnliche Strategie zum Umgang mit dem Problem. Sie rekrutierte das Immunsystem, dessen wohlbekannte Aufgabe die Verteidigung des Körpers gegen 'Invasoren' von außen ist, für den Schutz des Nervs gegen schädliche Wirkstoffe aus dem eigenen Körper. Ihr Konzept stieß zunächst auf Skepsis, vor allem deshalb, weil es nicht nur die körpereigenen Stoffe einschloss, sondern auch Zellen, die normalerweise eine Autoimmunkrankheit hervorrufen, wenn sie aktiviert werden.
Von Autoimmunität spricht man, wenn das Immunsystem körpereigenes Gewebe angreift. Bis vor kurzem besagte die allgemein anerkannte Theorie, dass ein normales Immunsystem ausschließlich fremde, krankheitsverursachende Stoffe identifiziert und angreift und nur im Fall eines Irrtums mit den körpereigenen Stoffen in Wechselwirkung tritt. Autoimmunkrankheiten wie Diabetes oder Multiple Sklerose sind das Ergebnis einer solchen Verwechslung.
Doch warum sollte Autoimmunität nicht auch einmal eine positive Rolle im Körper spielen können? Eine Reihe von Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Immunisierung mit Fragmenten des Proteins Myelin, der Schutzhülle der Nerven, den Abbau des geschädigten Sehnervs verhindern kann. Die Verwendung solcher Proteinfragmente oder Peptide zur Immunisierung von Menschen ist jedoch mit Risiken behaftet, weil einige dieser Peptide das Immunsystem dazu bringen, Nervenfasern anzugreifen, was zu Multipler Sklerose führt. Da Menschen große Unterschiede in ihrer genetischen Ausstattung aufweisen, ist die genaue Identität krankheitsverursachender Peptide beim Menschen schwer festzustellen.
Auf der Suche nach einer sicheren Alternative für diese Peptide probierte Schwartz in Zusammenarbeit mit Irun Cohen und Michael Sela von der Abteilung Immunologie des Weizmann Institute Copaxone aus, das zur Behandlung von Multipler Sklerose eingesetzt wird. Und die Wissenschaftler stellten tatsächlich fest, dass die Immunisierung mit Copaxone die geschädigten Sehnerven vor neuronaler Degeneration schützte.
Die schützende Wirkung beruht darauf, dass Immunisierung mit Copaxone den Nerv vor der toxischen Wirkung des Neurotransmitters Glutamat abschirmt. In einer anderen Experimentreihe wurde Ratten mit Glaukom-ähnlicher Krankheit Copaxone injiziert. Die Wissenschaftler überwachten den Tod von Nervenzellen in dem von Glaukom befallenen Auge und stellten fest, dass bei Ratten, die mit einer einzigen Injektion von Copaxone immunisiert wurden, nur vier Prozent der Nervenzellen abstarben, verglichen mit 28 Prozent bei Ratten, die nicht geimpft wurden. Die Immunisierung mit Copaxone schützte demnach den Nerv erheblich vor druckbedingtem Absterben.
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