News: David gegen Goliath
Wissenschaftler haben einen potenziellen wunden Punkt in der Krebsbekämpfung entdeckt. Mit Hilfe eines neu identifizierten Wirkstoffes rücken sie der vermeintlichen Achillesferse von Krebszellen zu Leibe: dem Mitochondrium.
Der Kampf des Menschen gegen den Krebs weckt oftmals den Vergleich mit dem Kräftemessen zwischen David und Goliath. Die Rollenverteilung ist dabei klar: Die Menschheit nimmt trotz ihrer medizinischen und technischen Errungenschaften und Fortschritte immer noch den Platz des verhältnismäßig schwachen Davids an und versucht einen Gegner auszuschalten, der Angriffe hartnäckig abwehrt und in brutaler Weise zurückschlägt. Der Krebs scheint in vielen Dingen wie Goliath wahrhaft übermächtig zu sein und durch nichts wirklich zu besiegen. Doch ähnlich wie in der biblischen Geschichte, bei der David durch einen gezielten Schuss mit seiner Steinschleuder als Sieger aus der ungleichen Begegnung hervorging, könnte nun ein neuer Wirkstoff den Kampf gegen den Krebs zu Gunsten der Menschheit entscheiden.
Krebszellen unterscheiden sich in vielen Dingen von normalen Zellen. Im Vergleich zu diesen sind sie wahre Workoholics und damit in letzter Konsequenz fast unkontrollierbar. Ihr Stoffwechsel läuft auf Hochtouren, und ihr Vermögen sich fast unbegrenzt zu teilen sowie Medikamenten gegenüber einfach eine Resistenz zu entwickeln, sind einige Merkmale der entarteten Zellen. Forscher auf der ganzen Welt versuchen daher, geeignete Ansätze für die Krebstherapie zu finden. Doch nicht selten verlaufen solche Angriffe aufgrund der erschreckenden Wandlungsfähigkeit der Krebszellen im Sande.
Valeria Fantin von der Harvard Medical School ist zusammen mit ihren Kollegen ebenfalls auf der Suche nach einer neuen Waffe im Krebskampf. Ihr Interesse richtete sich dabei auf ein bestimmtes Protein – beim Menschen HER-2 genannt –, welches in mutierter Form für 20 bis 30 Prozent der Brustkrebsfälle verantwortlich gemacht wird. Deshalb stellten die Forscher insgesamt 16 000 synthetische Verbindungen her und untersuchten in Tests an genetisch veränderten Mäusezellen ihre Eigenschaft, die Aktivität von mutiertem HER-2 zu unterbinden. Ein Kandidat erwies sich dabei als vielversprechend und konnte sowohl das Wachstum-, als auch die Zellteilung der Krebszellen hemmen. Wurden gesunde Mäuse mit Tumorzellen "infiziert", so verhinderte dieser Stoff die Bildung neuer, bösartiger Geschwulste. Für Fantin stellte sich nun die Frage, auf welchem Weg F16 – so der Name des chemischen Hoffnungsträgers – die Krebszellen in die Knie zwang. Bei der Betrachtung der mit F16 behandelten Zellen unter dem Fluoreszenz-Mikroskop ergab sich für die Wissenschaftler ein überraschender Anblick: Die Verbindung hatte sich hauptsächlich in den Mitochondrien eingelagert und brachte diese durch seine spezielle Struktur zum Leuchten. Doch was hatte F16 in den Mitochondrien zu suchen, und was bewirkte es dort? Die Antwort lieferte wiederum die Struktur des Moleküls: Aufgrund seines lipophilen Charakters passiert F16 ungehindert Membranen und gelangt folglich sowohl in die Zelle als auch später in deren Mitochondrien. Die innige Verbindung zwischen der mutmaßlichen Wunderwaffe F16 und den "Kraftwerken" der Zelle wird durch deren unterschiedliche Ladung hergestellt. Mitochondrien entarteter Zellen zeigen eine vielfach erhöhte negative Ladung auf und ziehen somit die positiv geladene Verbindung F16 magnetisch in ihr Inneres. Damit ist jedoch das Ende der Krebszelle besiegelt: Wie ein zu stark aufgeblasener Luftballon platzen die Mitochondrien und entlassen dadurch eine Welle an Stoffen, die das zelleigene Selbstmordprogramm starten. Begeistert von dieser Entdeckung und der Tatsache, dass F16 schon in geringen Mengen Krebszellen in den Selbstmord treibt, gesunde Zellen hingegen verschont, vermuten die Wissenschaftler, eine neue Waffe im Kampf gegen den Krebs in den Händen zu haben. Dennoch warnen kritische Stimmen vor zu viel Euphorie, da noch nicht feststeht, wie F16 beispielsweise im menschlichen Organsimus wirkt. Da es durchaus auch gesunde Zellen gibt, die eine ähnlich hohe Stoffwechselrate wie Krebszellen aufweisen, könnte F16 diese ebenfalls zerstören, befürchtet Andreas Strasser vom Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research in Melbourne. Dessen ungeachtet wollen die Forscher um Arbeitsgruppenleiter Philip Leder vom Howard Hughes Medical Institute die Hintergründe für den Unterschied der Ladungsverteilung zwischen Mitochondrien von Krebszellen und denen von normalen Zellen untersuchen, und hoffen damit weitere Achillesfersen zu finden. Bis dahin scheint es so, als wäre eine endgültige Entscheidung im Kampf zwischen David und Goliath noch nicht gefallen und die zum Sieg verhelfende Steinschleuder wartet noch unentdeckt auf ihren Einsatz.
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