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US-Wahlen 2016: Der Chauvi-Bonus

Wie konnte dieser Mann Präsident werden? Neue Analysen zeigen: Wahlentscheidend waren nicht etwa die Sehnsüchte der Amerikaner nach autoritären Werten oder wirtschaftlichem Aufschwung, sondern die rassistischen und sexistischen Einstellungen weißer Wähler.
Donald Trump auf einer Wahlveranstaltung in Georgia

Rassenfragen spalten die Wählerschaft in den USA seit eh und je. Im Schnitt setzen neun von zehn Afroamerikanern ihr Kreuz bei den Demokraten; Weiße hingegen votieren mehrheitlich für die Republikaner. Mit Barack Obama, so möchte man meinen, hätte eine neue Zeit anbrechen können. Doch die Uhren scheinen vielmehr rückwärtszulaufen. Der Politologe Michael Tesler von der University of California in Irvine konstatierte schon kurz nach der Wahl in der "Washington Post": "Rassistische Einstellungen spielten 2016 eine größere Rolle für das Wahlergebnis als 2008 und 2011."

Stimmt das – beeinflusst Rassismus zunehmend die Wahlentscheidung? Und waren im Duell Trump versus Clinton nicht doch andere Faktoren bedeutsamer? Geschlecht und Bildungsgrad spielten gewiss mit hinein: Insgesamt stimmten 58 Prozent der weißen Wähler für Trump, unter weißen Männern ohne Collegeabschluss waren es sogar 72 Prozent. Wahlanalysten sprechen vom "college gap", zu Deutsch etwa: Hochschul-Graben. Kommentatoren erklärten sich das so, dass Nichtakademiker auch wirtschaftlich schlecht dastanden und deshalb für Trumps Wahlversprechen besonders empfänglich waren.

Dem widersprach der Politologe Brian F. Schaffner von der University of Massachusetts in Amherst Anfang 2017 auf einer Konferenz: "Nur ein geringer Teil der Kluft lässt sich mit den ökonomischen Problemen der weniger gebildeten Weißen erklären. Vielmehr scheint der größte Teil das Ergebnis von Rassismus und Sexismus zu sein, besonders unter Weißen ohne Collegeabschluss." Und das liege nicht nur an deren grundsätzlicher Parteipräferenz, sondern an den beiden Kandidaten, Trump und Clinton.

Der Chauvi-Anteil lässt sich beziffern

Anhand von Umfragedaten zu den Vorwahlen zeigte Schaffners Team: Rechnet man rassistische und sexistische Einstellungen heraus, dann verringert sich der Vorsprung von Trump bei Weißen ohne Collegeabschluss um mehr als zwei Drittel – und damit lässt sich der Chauvinistenbonus exakt beziffern. Ohne diese Zulage hätten lediglich fünf bis sieben Prozent zwischen den Stimmanteilen von weißen Wählern mit und ohne Collegeabschluss gelegen, wie bei den vier vorigen Präsidentschaftswahlen. Anders ausgedrückt: Wären weiße US-Bürger ohne Collegeabschluss (im Schnitt) nicht so rassistisch und sexistisch, hätte Trump bei ihnen nicht mehr Stimmen geholt als die vier republikanischen Kandidaten vor ihm.

Die Serie zur Bundestagswahl 2017

Teil 1: Die Parteien wappnen sich gegen erneute Hackerangriffe

Teil 2: Wen wir wählen – und warum

Teil 3: Der Chauvi-Bonus: Wie Rassismus die US-Wahl entschied

Teil 4: Parteiprogramme im Fakten-Check

Teil 5: Amtsinhaber gegen Underdog: Wer hat die Nase vorn?

Teil 6: Das TV-Duell

Teil 7: Wie das Wetter den Willen der Wähler beeinflusst

Teil 8: Können die aktuellen Prognosen falsch liegen?

"Das kann Trumps Erfolg natürlich nicht allein erklären", räumt Schaffner ein. Doch bei einer Kampagne, die explizit auf Rassen und Geschlechter abhob, sei es wohl keine Überraschung, dass diese Einstellung für die Wahlentscheidung so wichtig war. Es habe Trump zwar ein paar Stimmen bei gebildeten Weißen gekostet, doch umso mehr bei jenen mit niedrigem Bildungsgrad eingebracht. Deshalb glauben die Politologen, dass auch künftige Kandidaten diese Strategie verfolgen werden. Umso mehr, als die Regeln des politischen Anstands offenkundig daniederlägen.

Wie konnte ein selbstherrlicher Milliardär das Weiße Haus einnehmen?

Denn der Verstoß gegen sie gilt als Teil des Erfolgsrezepts. "Wie konnte ein selbstherrlicher Milliardär und Reality-TV-Star das Weiße Haus einnehmen?", fragte Richard M. Perloff, Professor für Kommunikation und politische Forschung an der Cleveland State University in einer interdisziplinären Analyse der Wahl. Er glaubt, dass die von Trump verkörperte Law-and-Order-Mentalität, die Strenge und Stärke gegenüber Immigranten demonstriert, den Nerv der Zeit traf.

Verunsicherte weiße Männer suchten nach starken unabhängigen Vorbildern, mit denen sie sich identifizieren können, schrieben Forscher vom University College London in der Zeitschrift "Political Geography" schon vor Trumps Wahlsieg. "Es ist vor allem seine Art zu sein, nicht seine politische Linie, die seine Unterstützer anzieht."

Waren diese autoritären Werte – starke Führung, Regeln und Gesetze – womöglich bedeutsamer als rassistische Einstellungen? Im Gegenteil, rechnet Thomas Wood von der Ohio State University in der "Washington Post" im April 2017 vor. Der Politologe kontrollierte den Einfluss von Alter und Bildungsgrad, ethnischer Zugehörigkeit und liberalen versus konservativen Ansichten. Dann verglich er Menschen, die im Fragebogen eine durchschnittlich autoritäre Haltung kundtaten, mit jenen an der Grenze zum autoritärsten Viertel. Letztere wählten mit 3 Prozentpunkten häufiger Trump – ein schwacher Effekt. Dieselbe Rechnung mit rassistischen Einstellungen machte hingegen 20 Prozentpunkte aus.

Wahlanalysen sollten die Abstammung weißer Wähler berücksichtigen

Wer diese Fragen als Deutscher weit weg wähnt, braucht nur einen Blick auf die Stammbäume der weißen US-Amerikaner zu werfen: Die größte Gruppe unter ihnen hat nach eigenen Angaben deutsche Wurzeln. Dazu zählt ganz besonders die Bevölkerung im mittleren Westen, wo Trump überraschend die Mehrheit der Wahlmänner gewann. Die Germanisten David Huenlich und Per Urlaub von der University of Texas in Austin suchen in ihrem Kommentar zur US-Wahl nach einer Erklärung: "Warum sind deutschstämmige Amerikaner Trumps treueste Unterstützer?"

Trumps Großvater väterlicherseits wurde in Kallstadt geboren, das einst zum Königreich Bayern gehörte. Doch damit habe das Wählerverhalten nichts zu tun, glauben die Germanisten, sondern mit der Geschichte der Einwanderer. Die meisten deutschen Vorfahren wanderten zwischen 1850 und 1890 ein und besiedelten den mittleren Westen und die Großen Seen. Sie galten eigentlich als überwiegend progressiv, "kämpften gegen Sklaverei und für das Frauenwahlrecht, gründeten Zeitungen und Gewerkschaften", so Huenlich und Urlaub. Während der Weltkriege hätten sich die Deutschamerikaner von ihrem kulturellen Erbe losgesagt. Das habe, gemeinsam mit dem ökonomischen Niedergang nach einem Jahrhundert relativen Wohlstands, Trumps Botschaften den Weg bereitet.

Aus der Abstammung weißer Amerikaner erwachsen unterschiedliche Erfahrungen, argumentieren Huenlich und Urlaub. In Wahlanalysen wären sie trotzdem wie ein "monolithischer Block" behandelt worden. Würde man stärker zwischen ihnen differenzieren, wäre vielleicht die ein oder andere Überraschung ausgeblieben, glauben die Germanisten – "und eine weniger in der Wahlnacht".

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