Botanik: Der lange Weg zur Teekultur
Legenden besagen, der buddhistische Mönch Bodhidharma habe um das Jahr 500 n. Chr. ganze neun Jahre damit verbracht, die Wand einer Höhle anzustarren und dabei schweigend zu meditieren, um wach und konzentriert zu bleiben. Am Ende jedoch sei er eingedöst, und als er wieder aufwachte, sei er so wütend auf sich gewesen, dass er seine Augenlider abriss und angewidert auf den Boden schleuderte. Aus ihnen spross eine Pflanze empor, und diese verarbeiteten Bodhidharmas Schüler zu einem Getränk, das sowohl ihren Geist anregte als auch ihre Nerven beruhigte. Es sei die erste Teepflanze gewesen, und das Getränk daraus habe sich als ideal für meditierende Mönche erwiesen.
Soweit der Mythos. Das Genom der Teepflanze (Camellia sinensis), das 2017 vollständig sequenziert wurde, erzählt eine andere Geschichte. Auf seiner Grundlage können Wissenschaftler weitaus plausibler darlegen, wie C. sinensis von einem Gewächs, das in China wild wucherte, zu einer Nutzpflanze avancierte, die heute das weltweit zweitbeliebteste Getränk nach Wasser liefert. Tag für Tag nehmen Menschen rund zwei Milliarden Tassen Tee zu sich. Die Pflanze wird in mehr als 60 Ländern kommerziell angebaut; der jährliche Ernteertrag beläuft sich auf etwa fünf Millionen Tonnen Blätter – gepflückt oder abgeschnitten von den jeweils frischesten Trieben.
Der wissenschaftliche Name spiegelt die Herkunft der Teepflanze wider. »Camellia« weist darauf hin, dass es sich um ein immergrünes holziges Gewächs handelt – eng verwandt mit Blüten tragenden Zierbüschen, die in vielen Gärten zu finden sind. Der Zusatz »sinensis« hebt den chinesischen Ursprung hervor.
Wie sich Anbau, Verarbeitung und Nutzung des Tees von China aus über den Globus verbreitet haben, ist gut dokumentiert. Um das Jahr 1200 brachte ein buddhistischer Mönch die Kulturtechnik nach Japan. 1610 kam sie mit den Niederländern nach Europa; etwa 50 Jahre später entwickelten die Engländer eine Vorliebe für Tee. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts belieferte China die westlichen Länder damit, doch nach jahrzehntelangen Spannungen, die schließlich in den Opiumkriegen gipfelten, forcierten die Briten den Anbau in Indien. Von dort nahm das Erzeugnis seinen Weg ins gesamte britische Empire und darüber hinaus.
Schwieriger ist festzustellen, wann, wie und warum Tee erstmals domestiziert wurde. Denn das geschah, bevor es zuverlässige schriftliche Aufzeichnungen gab. Einige Forscher nehmen an, er sei in China schon vor 3500 bis 4000 Jahren genutzt worden – wegen seiner mild anregenden Eigenschaften wahrscheinlich zunächst als Arzneikraut. Erst später lernte man ihn als wohlschmeckendes Getränk zu schätzen. »Erstmals eindeutig schriftlich erwähnt wird er in einem rund 2000 Jahre alten Arbeitsvertrag«, sagt der Historiker Lawrence Zhang von der Hong Kong University of Science and Technology. »Laut diesem Dokument gehörte es zu den Aufgaben eines Dieners, den Markt aufzusuchen und dort Tee für den Dienstherrn zu erwerben.«
In eine ähnliche Zeit fallen die ältesten archäologischen Belege für Teekonsum. 2016 fand ein Team um Houyuan Lu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften charakteristische molekulare Bestandteile von C. sinensis in 2100 Jahre alten pflanzlichen Überresten aus der ehemaligen Stadt Chang'an, dem einstigen Anlaufpunkt der Seidenstraße. Um noch weiter in die Vergangenheit des Tees vorzudringen und die Zeit seiner frühen Domestikation auszuleuchten, analysieren Biologen das Erbgut heutiger Pflanzen.
Unter künstlicher Selektion
Die Vorstellung, wilde Gewächse würden zu bestimmten Zeitpunkten in Nutzpflanzen umgewandelt, ist zu simpel. »Gewöhnlich folgt auf eine frühe Domestikation eine lange Phase der Verbesserung«, bekräftigt Jonathan Wendel, Spezialist für Pflanzenevolution an der Iowa State University in Ames. »Auch bei vielen gegenwärtigen Kulturformen ist diese Optimierung noch nicht abgeschlossen.«
Alle heutigen Nutzpflanzen haben einst in der Wildform das Interesse von Menschen auf sich gezogen – etwa wegen ihrer Früchte oder Blätter. Unsere Vorfahren begannen die Gewächse dann zum eigenen Vorteil zu kultivieren. Ob bewusst oder unbewusst: Die Züchter vermehrten ab diesem Zeitpunkt bevorzugt jene Exemplare, die am stärksten die jeweils gewünschten Eigenschaften aufwiesen. So unterzogen sie die Spezies einer künstlichen Selektion. In aller Regel führte das dazu, dass die Arten sich im Lauf der Zeit deutlich veränderten. Die Teosinte zum Beispiel, die wilde Vorläuferin des kultivierten Maises, ist ein stark verzweigtes Süßgras mit zahlreichen winzigen Ähren. Sie unterscheidet sich markant vom Kulturmais mit seinen kräftigen einzelnen Stängeln, die nur wenige große Ähren hervorbringen. Es gibt freilich auch weniger drastische Beispiele: Kultivierte Paranüsse etwa sehen ihren wilden Vorfahren sehr ähnlich.
Die Ursprünge des Tees sind unter anderem deshalb schwer aufzuklären, weil es bis heute nicht gelungen ist, die Wildform von C. sinensis eindeutig zu identifizieren. Enge Verwandte der Spezies gedeihen in China und den Nachbarländern, gehören aber offensichtlich zu anderen Arten. Und von den bisher gefundenen wild wachsenden C. sinensis glauben die meisten Forscher, dass diese von der Kulturform abstammen.
Bei vielen anderen Nutzpflanzen ist die Situation ähnlich. »Zu den meisten unserer domestizierten Gewächse finden wir nicht die Wildform«, so Wendel. Dafür gebe es viele mögliche Gründe – der wilde Vorläufer könne beispielsweise schon immer selten gewesen und mittlerweile ausgestorben sein. Ob das beim Tee auch der Fall war, ist unklar. Jedenfalls wissen die Forscher nicht, von welchem Organismus seine Domestikation ausging. Daher können sie auch nicht sagen, welche Merkmale der Kulturpflanze angezüchtet wurden und welche bereits vorher da waren. Die Wissenschaftler müssen versuchen, das aus dem Genom und anderen biologischen Eigenschaften von C. sinensis herauszulesen.
Beim Züchten der Teepflanze haben unsere Vorfahren vermutlich auf Merkmale wie einen höheren Ertrag selektiert. Wahrscheinlich bevorzugten sie Exemplare, die über die Jahreszeiten hinweg ein gleich bleibendes Wachstum aufwiesen und gegenüber Hitze wie Kälte weitgehend unempfindlich waren. Mit Sicherheit spielte zudem eine Rolle, welche geschmacklich relevanten Substanzen die Gewächse produzierten. »Die Qualität von Tee hängt maßgeblich von seinen sekundären Pflanzenstoffen ab – und die sind wichtig für die Überlebensfähigkeit der Gewächse«, sagt der Ökologe Colin Orians von der Tufts University in Medford, Massachusetts. Sekundäre Pflanzenstoffe dienen beispielsweise als Abwehrmittel gegen Fressfeinde.
Nicht von jedem Inhaltsstoff des Tees lässt sich mit Gewissheit sagen, welchen evolutionären Vorteil er der Pflanze verschafft. Einige allgemeine Prinzipien gebe es aber schon, betont Orians. Das Koffein, das dem Getränk seine anregende Wirkung verleiht, ist für Insekten und andere Wirbellose ein Nervengift und wirkt zudem antimikrobiell. Die Catechine – sekundäre Pflanzenstoffe, die zum bitteren Geschmack des Tees beitragen und viele seiner gesundheitlich günstigen Wirkungen vermitteln – gehören zur Gruppe der Flavonoide und haben antioxidative Eigenschaften. Sie helfen den Gewächsen, mit oxidativem Stress (beispielsweise infolge von UV-Einstrahlung) zurechtzukommen. Manche bieten auch Schutz vor Pflanzenfressern. L-Theanin schließlich, eine Aminosäure, die Stressreaktionen im Zentralnervensystem dämpft und beruhigend wirkt, beteiligt sich in der Pflanze vermutlich an der biochemischen Umsetzung von Stickstoff und am Wachstum.
Als Tee noch kaum genießbar war
Irgendeine Kombination dieser Verbindungen machte den wilden Vorläufer der Teepflanze einst für Menschen interessant, aber seit damals dürften sich ihre Mengenverhältnisse infolge der Zucht stark verändert haben. »Für mich steht außer Zweifel, dass unsere Vorfahren das Gewächs anfangs vor allem wegen des Koffeingehalts mochten«, meint Orians. Dokumente aus dem 8. Jahrhundert belegen, dass Tee damals häufig mit geschmacksintensiven Zutaten wie Zwiebeln, Ingwer, Salz oder Orangen bereitet wurde, was darauf schließen lässt, dass er pur kaum genießbar war. Sein Geschmack verbesserte sich mittels innovativer Methoden, die Blätter zu verarbeiten; diese neuen Verfahren erlaubten es, aus ein und derselben Pflanze so unterschiedliche Getränke wie grünen, weißen, schwarzen oder Oolong-Tee herzustellen. Wahrscheinlich gelang es den Züchtern unabhängig davon, auf angenehmere Aromen hin zu selektieren. Noch heute experimentieren sie mit neuen Sorten. Wann der Geschmack aber zum maßgeblichen Zuchtkriterium wurde, ist nicht geklärt.
In den zurückliegenden 20 Jahren haben genetische Analysen uns viel darüber verraten, woher Nutzpflanzen wie Mais, Oliven und Reis stammen. Sie werfen ein neues Licht auf die Herkunft des Tees. Mit fortschreitender Domestikation unterscheiden sich Pflanzen genetisch immer stärker von ihren wilden Vorfahren. In ihnen sammeln sich Gensequenzen an, die jene phänotypischen Merkmale hervorbringen, welche der Züchter bevorzugt. Damit werden auch Chromosomenabschnitte häufiger, die in der Nähe dieser Sequenzen liegen und gemeinsam mit ihnen verbreitet werden. Außerdem häufen sich nach und nach zufällig eingetretene Mutationen. All dies führt dazu, dass jede Pflanzensorte, die der Züchter von anderen getrennt hält, mit der Zeit ihr eigenes genetisches Profil entwickelt. Ist kein wilder Vorfahre verfügbar, mit dem man sie vergleichen kann, lassen sich diese Unterschiede nicht direkt beobachten. Genetiker können dennoch gewisse Rückschlüsse auf die Vergangenheit ziehen, indem sie das Erbgut heutiger Sorten untersuchen und die Ergebnisse einander gegenüberstellen.
Ein solcher Vergleich zeigt zuverlässig an, wie eng zwei Sorten miteinander verwandt sind. Denn je mehr sie sich genetisch ähneln, desto weniger Zeit ist vergangen, seit ihr letzter gemeinsamer Vorfahre gelebt hat. Erbgutanalysen liefern somit wissenschaftlich fundierte Stammbäume heutiger Kulturpflanzen. Erschwert wird das Ganze zwar dadurch, dass Züchter verschiedene Sorten oft kreuzen und deren Chromosomen dabei durcheinanderwürfeln. Die hierbei entstehenden Hybriden haben aber in der Regel ein Erbgut, das eindeutig als Mischung zweier verschiedener elterlicher Genome erkennbar ist.
Erbgutanalysen liefern aufschlussreiche Stammbäume der heutigen Teepflanzen
Genetiker können feststellen, welche Abschnitte des Teepflanzengenoms durch die Zucht begünstigt wurden. Wenn bestimmte Erbanlagen sich in einer Population verbreiten, weil sie ihren Trägerpflanzen vorteilhafte Eigenschaften verleihen und die Bauern deshalb gezielt entsprechende Gewächse zur Weiterzucht auswählen, dann nehmen diese Erbanlagen benachbarte Regionen auf ihren Chromosomen quasi im Schlepptau mit. Infolgedessen verbreiten sich auch diese Abschnitte in der Population; die verschiedenen Individuen werden sich in jenen Chromosomenbereichen somit ähnlicher. Für Genetiker ist die geringe Variabilität eines Chromosomenabschnitts deshalb ein sicheres Zeichen dafür, dass darin ein oder mehrere Gene liegen, die ihren Trägern günstige Merkmale vermitteln.
Bereits seit 20 Jahren versuchen Wissenschaftler mit genetischen Methoden, die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen verschiedenen Sorten, so genannten Kultivaren, der Teepflanze aufzuklären. Heute gibt es ungefähr 1500 Kultivare, die man auf diverse Weisen in Gruppen einteilt. Die offensichtlichste Trennlinie verläuft zwischen Chinasaatpflanze (C. sinensis var. sinensis) und Assamsaatpflanze (C. sinensis var. assamica), Letztere benannt nach der indischen Region, in der sie erstmals angebaut wurde. Chinesischer Tee hat kleinere Blätter und verträgt Kälte besser. Assamtee wird in China wenig kultiviert, dafür umso mehr in Indien und anderen warmen Ländern. Welche Verwandtschaftsbeziehungen zwischen diesen beiden Gruppen bestehen, war lange unklar. Rätselhaft erschien auch, inwiefern andere Varianten wie der Khmer-Tee mit ihnen verwandt sind.
Antworten hierauf haben Arbeiten unter Leitung des Pflanzengenetikers Lianming Gao von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2016 geliefert. Demnach gibt es unter den Teepflanzen drei verschiedene genetische Abstammungslinien. Gaos Team postuliert daher, die Gewächse seien dreimal unabhängig voneinander domestiziert worden. Die erste Linie sei der chinesische Tee, der vermutlich aus Südchina stamme. Die beiden anderen Linien seien dem Assamtee zuzurechnen: eine chinesische aus der südwestlichen Provinz Yunnan und eine indische aus der Region Assam. Zudem zeigten die Daten, dass Khmer-Tee kein eigenständiger Zweig sei, sondern eine Hybride aus Assamica- und Sinensis-Kultivaren.
Gaos erste Befunde basierten auf Untersuchungen an Genomfragmenten, die von 300 Teeproben aus China und 92 Proben aus Indien stammten. Sein Team erhärtete die Ergebnisse später in zwei weiteren Studien anhand von Chloroplasten-DNA und weiterentwickelten Sequenzierungstechniken. Die Vermutung, chinesischer Tee und Assamtee seien unterschiedlichen Ursprungs, gibt es schon lange. Dass dem letzten aber zwei verschiedene, getrennt domestizierte Abstammungslinien angehören, ist eine umstrittene These.
Gestützt auf die Sequenzdaten schätzten die Forscher um Gao, wann sich die drei von ihnen identifizierten Linien auseinanderentwickelt haben. Setzt man die genetischen Unterschiede zwischen den Kultivaren in Beziehung zur Geschwindigkeit, mit der sich Mutationen natürlicherweise in den Pflanzen ansammeln, kann man ausrechnen, wann ihr letzter gemeinsamer Vorfahre ungefähr gelebt hat. Demnach trennte sich die Sinensis- von der Assamica-Linie vor rund 22 000 Jahren, also lange vor dem mutmaßlichen Zeitpunkt der ersten Domestikation. Das stützt die Annahme, zwei verschiedene Populationen von Wildpflanzen seien unabhängig voneinander domestiziert worden.
Drei verschiedene Genpools
Die chinesische und die indische Assamica-Linie spalteten sich den Daten zufolge viel später voneinander ab, nämlich vor rund 2800 Jahren. Das wirft auch für sie die Frage auf, ob sie den Veränderungsprozess hin zu Nutzpflanzen separat durchliefen. Alternativ ist denkbar, dass die Assamica-Variante nur einmal domestiziert wurde, sich aber später überregional verbreitete, so dass sie sich in verschiedenen Gegenden jeweils eigenständig weiterentwickelte. »Die Daten belegen die Existenz dreier verschiedener Genpools«, sagt Jonathan Wendel, »aber das spricht keineswegs für drei getrennte Domestikationsprozesse.«
Der Biochemiker Xiaochun Wan von der Anhui Agricultural University in Hefei (China) teilt diese Skepsis. Wans Team veröffentlichte 2016 eine Studie über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Teekultivaren. Die Forscher stützten sich hierbei ebenfalls auf die Analyse von Genomfragmenten und konnten eindeutig eine Abspaltung der Sinensis-Linie von wilden Pflanzenspezies nachweisen. Außerdem zeigten sie, dass der Sinensis- und der Assamica-Zweig zwei genetisch unterscheidbare Gruppen darstellen. Die chinesische und die indische Assamica-Linie verglich das Team freilich nicht.
Die Forscher um Wan suchten nach genetischen Spuren des Zuchtprozesses, dem die domestizierten Teepflanzen unterworfen waren. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge sind die Gewächse unter anderem auf Enzyme hin selektiert worden, die an der Produktion sekundärer Pflanzenstoffe mitwirken, darunter des Koffeins. Wegen der ständigen Weiterentwicklung der Analysemethoden seien hierzu aber künftig belastbarere Aussagen zu erwarten, kündigt Wendel an.
Eine vollständige Genomsequenz von C. sinensis var. assamica ist 2017 veröffentlicht worden; im Jahr darauf publizierte Wans Team vorläufige Sequenzdaten von C. sinensis var. sinensis. Diese Informationen erlauben unter anderem neue Einblicke in die Evolution der Koffeinbiosynthese. Forscher erhoffen sich von ihnen detailliertere Aussagen darüber, was die diversen Kultivare unterscheidet beziehungsweise verbindet. Zunächst einmal hat der Vergleich der vollständigen Genomsequenzen überraschend ergeben, dass die Assamica- und die Sinensis-Linie sich schon viel früher auseinanderentwickelt haben als von Gaos Team vermutet: Eine erste Schätzung verlegt die Trennung in die Zeit vor 380 000 bis vor 1 500 000 Jahren.
Das Volk der Singpho könnte die Teepflanze zum zweiten Mal domestiziert haben
Vor dem Hintergrund solcher Untersuchungen sind geschichtliche Rückblicke sehr interessant – beispielsweise ins 19. Jahrhundert, als die Briten erstmals Tee in Indien anbauten. Entscheidende Fortschritte hierbei erzielten sie in den 1840er Jahren, als der schottische Botaniker Robert Fortune Teepflanzen aus China stahl und auf indischen Plantagen kultivierte, wobei er sich von chinesischen Teebauern unterstützen ließ.
Zur Zeit dieses Pflanzenraubs betrieben die Briten in Indien bereits einen begrenzten Teeanbau, allerdings mit der Assamica-Variante. Robert Bruce, auch er ein Schotte, war 1823 durch das Tal von Assam gereist und hatte dort von einer weithin unbekannten wilden Teesorte erfahren, die vom indigenen Volk der Singpho angebaut und konsumiert wurde – manchmal als Gemüse, manchmal als fermentiertes Getränk. Da diese Gewächse größere Blätter hatten als jene aus China, die Bruce kannte, war sich der Schotte nicht sicher, ob es sich um echten Tee handelte. Nach seinem Tod im Jahr 1824 begann sein Bruder Charles Bruce damit, jene Sorte, den so genannten Assamtee, in Indien anzubauen – mehr als zehn Jahre vor Fortunes Diebstahl.
Das Volk der Singpho könnte die Teepflanze somit zum zweiten Mal domestiziert haben, nachdem dies lange zuvor bei der Sinensis-Linie geschehen war. Möglich ist freilich auch, dass einwandernde Stämme wie die Shan das kultivierte Gewächs von woandersher nach Assam brachten. Es lässt sich nicht einmal ausschließen, dass Assamtee ursprünglich in China zur Nutzpflanze gemacht wurde. Da die chinesische Provinz Yunnan, in der Bauern entsprechende Kultivare noch heute anbauen, weniger als 1000 Kilometer von Assam entfernt liegt, erscheint ein früher landwirtschaftlicher Austausch zwischen diesen beiden Regionen durchaus möglich. Genetische Analysen werden die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Assamica-Kultivaren in Zukunft hoffentlich aufklären. Sie sollten aber immer zusammen mit geschichtlichen und archäologischen Untersuchungen erfolgen.
Köstlicher Abwehrstoff gegen Insekten
Nach wie vor arbeiten Teezüchter daran, bestehende Sorten zu veredeln und neue zu kreieren. Eric Scott, der an der Tufts University zusammen mit Colin Orians die Abwehrmechanismen von Pflanzen erforscht, verbrachte den Sommer 2017 bei der Teefirma Shanfu im chinesischen Shaixan. Dort erfuhr er, welche teils ungewöhnlichen Methoden die Züchter hierbei anwenden.
Die grüne Teezikade (Empoasca onukii) beispielsweise ist ein Insekt, das die Gewächse befällt und frisst. Die betroffenen Pflanzenteile haben die Bauern lange Zeit weggeworfen. In den 1930er Jahren fanden Farmer in Taiwan jedoch heraus: Die überlebenden Blätter liefern einen ausgezeichneten Tee. Denn wenn die Pflanzen von den Zikaden attackiert werden, geben sie Signalsubstanzen ab, die Springspinnen anlocken – natürliche Feinde der Zikaden. »Diese Substanzen vermitteln eine köstliche Geschmacksempfindung«, beschreibt Scott. »Sie haben ein wirklich schönes, honigähnliches und fruchtiges Aroma, das die Qualität des Tees erheblich steigert.« Die entsprechende Sorte mit der Bezeichnung Eastern Beauty ist derzeit schwer in Mode. Daher versuchen die Züchter herauszufinden, welche Kultivare sich auf Grund ihrer spezifischen Insektenabwehrmechanismen am besten für die Herstellung eignen.
Scott betont, dies sei nur ein Beispiel dafür, wie Bauern neue, veredelte Erzeugnisse schaffen. Andere Züchter arbeiten hierfür mit theaninreichen, catechinarmen Albino-Mutanten oder Kultivaren mit violetten Blättern. »Das Feld ist ständig in Bewegung«, resümiert er. Die Domestikation des Tees ist noch lange nicht zu Ende.
Ein ausführliches Video zur Wirkung von Tee finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.