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Mikroskopie: Die verborgene Welt

Sie sind ein preisgekröntes Team: Der Fotograf Oliver Meckes und die Biologin Nicole Ottawa machen das Unsichtbare sichtbar - mit kolorierten Fotografien durch das Raster-Elektronenmikroskop. Eine kleine Galerie in Nürtingen zeigt nun ihre schönsten Bilder.
Blütenblatt der Kamille
Ausstellung Mikroscapes in Nürtingen | Einer Ahnengalerie gleich blicken hier Zecke, Raupe, Fliegenlarve und Falter von der Wand. Die Fotos wurden aufgenommen von Oliver Meckes und Nicole Ottawa.
Mit großen Stielaugen starrt sie aus dem Bild. Einer Halskrause gleich stülpt sich ihre braune Haut am Rande des Kopfes, zwei spitze Zacken ragen wie Vampirzähne aus dem Maul. Die Schmeißfliegenlarve Protophormia terraenovae ist beileibe keine Schönheit. Auf dem Foto von Oliver Meckes und Nicole Ottawa jedoch wirkt sie beinahe niedlich.

350-fach vergrößert haben die beiden die Larve abgebildet und dann mit den Portraits anderer bekannter Insekten gruppiert – zu einer Ahnengalerie der besonderen Art. In vergoldeten Bilderrahmen und mit schlichtem vergoldeten Namensschild bilden sie das Begrüßungskomitee für die Besucher der Ausstellung "Microscapes" in der Ruoff-Stiftung in Nürtingen.

Flechte, 300-fach vergrößert | Flechten sind symbiotische Lebewesen aus Pilz und Alge, die überwiegend auf Steinen und Rinden siedeln. Zur Vermehrung bildet der Pilz Fruchtkörper aus, die bei der hier gezeigten Art orange eingefärbt sind. Die Angabe der Vergrößerung bezieht sich auf das Bild in der Ausstellung.
Wer erst einmal den Weg in das gelb gestrichene Privathaus in einem Wohngebiet der schwäbischen Kleinstadt gefunden hat, kann dort eintauchen in eine Welt des Kleinen und Kleinsten. Die Fotos von Meckes und Ottawa zeigen Details aus der Tier- und Pflanzenwelt oder dem Mikrokosmos der Kristalle – vergrößert durch die Linsen eines Mikroskops.

So sind die dicklichen weißen Fäden auf einem Boden mit hellroter Kugelstruktur Stäbchenzellen auf einem Schnitt durch die menschliche Netzhaut, 9600-fach vergrößert. Bei der Landschaft aus Miniaturbäumchen, die an die Kunstwälder von Modellbauern erinnern, handelt es sich um reife Fruchtkörper des Schleimpilzes Trichia decipiens var. olivacea, 350 Mal so groß wie in Wirklichkeit.

Drüsenhaar des Lavendel, 5900-fach vergrößert | Der Lavendel Lavendula angustifolia ist im Mittelmeerraum verbreitet. Er bildet zum Schutz vor Wasserverlust einen feinen Filz aus verzweigten Haaren. Darin sitzen kugelige Drüsenhaare, die ätherische Öle speichern. Die Angabe der Vergrößerung bezieht sich auf das Bild in der Ausstellung.
Aufgenommen wurden die Fotos überwiegend mit dem hochpräzisen Raster-Elektronenmikroskop. Da dieses die Proben mit einem Elektronenstrahl abtastet, erscheinen die Aufnahmen zunächst in schlichten Grauabstufungen. Erst die mühevolle Kolorierung am Computer gibt den Pflanzenblättern, Zellquerschnitten oder Insektenköpfen ihre natürliche Farbe zurück.

Damit Tagfalterrüssel oder Schleimpilze ihre surreale Schönheit überhaupt offenbaren können, müssen sie erst aufwändig präpariert werden. Zunächst werden die oft nur wenige Millimeter großen Objekte chemisch fixiert, dann in Alkohol eingelegt, damit sie nicht schrumpfen oder sich verformen. In einer Druckkammer wird dann der Alkohol durch flüssiges Kohlendioxid ersetzt, das Ganze anschließend erhitzt. Nach Ablassen des CO2 ist das Präparat wasserfrei. Dann wird die Probe unter Vakuum mit Gold bedampft. Die Goldschicht macht die Probe elektrisch leitend, um eine Aufladung durch den Elektronenstrahl zu verhindern. Bis eine Probe fertig fürs Foto ist, können so mehrere Tage vergehen.

Escherichia coli, 250 000-fach vergrößert | Die Darmbakterien Escherichia coli sind häufig Auslöser von Diarrhoe. In der Gentechnologie ist das Bakterium ein beliebter Modellorganismus. Die Angabe der Vergrößerung bezieht sich auf das Bild in der Ausstellung.
Das Ergebnis jedoch kann sich sehen lassen. Die 25 Aufnahmen aus dem Mikrokosmos wirken mitunter so fremd, als seien sie nicht der Natur, sondern einer wilden Fantasie entsprungen – und offenbaren so die Schönheit einer Welt, die wir meist gar nicht wahrnehmen. Für ihre Arbeit haben Meckes und Ottawa schon zahlreiche Preise abgeräumt. So belegten sie etwa im vergangenen Jahr den zweiten und dritten Platz beim Wettbewerb "Faszination Forschung", 2005 gewannen sie den Bionale-Fotowettbewerb.

"Uns fasziniert an dieser Ausstellung die Nähe des wissenschaftlichen Fotos zur Kunst", sagt Michael Maile, der Kurator der Ruoff-Stiftung. Die Schuppen der Haihaut, 580-fach vergrößert, erinnert ihn an abstrakte Gemälde, die Suche nach einem geeigneten Bildausschnitt an die subjektive Kreativität des Künstlers.

Blatt der Aloe | Die Aloe gehört zu den Liliengewächsen und hat wasserspeichernde Blätter. Hier ist in der Bildmitte eine Spaltöffnung zu sehen, die den Gas- und Wasserstoffwechsel der Pflanze mitreguliert. Das kolorierte Bild entstand mit Hilfe eines Raster-Elektronenmikroskopes, es ist 4300-fach vergrößert (bezogen auf das Bild in der Ausstellung).
In mehreren Diskussionsabenden sollen darum Kunstexperten und Naturwissenschaftler der Frage nachgehen, wo sich beide Disziplinen treffen – und wo sie möglicherweise unvereinbar sind. Den Abschluss bildet ein Dialog der Fotografen mit dem Tübinger Mikrobiologen Jochen-Volker Höltje.

Die Ausstellung "Microscapes" ist noch bis zum 23. Oktober zu sehen. Geöffnet ist donnerstags von 15 bis 18 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr.

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