News: Drei Wege führen ... zum freien Wissen?
Die Max-Planck-Gesellschaft will es. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Hochschulrektorenkonferenz wollen es. Eigentlich wollen es ja alle - das frei zugängliche Wissenschaftswissen. Geht das überhaupt?
Stevan Harnad hat einen Traum. Wissenschaftler, so sieht er es vor sich, können 24 Stunden online auf alle Fachartikel im Volltext zugreifen, die angegebenen Quellen und Zitate sind vollständig verlinkt, bequeme Suchfunktionen ermöglichen das Aufspüren und Wiederfinden der neuesten und wichtigsten Veröffentlichungen aus einem Themengebiet ...
Was der kanadische Kognitionsforscher skizziert sind die optimalen Rahmenbedingungen für Wissenschaftler – und zwar für alle, nicht nur für einige privilegierte. Technisch ist der Wunschtraum vom frei fließenden Wissen längst machbar. Allerdings ist das Verwalten der Kommunikation der weltweiten Forschergemeinde ein lukratives Geschäft und daher mit Barrieren versehen.
Freiheit für alle!
Seit die meisten Verlage ihre Zeitschriften nicht mehr nur in gedruckter, sondern auch in elektronischer Form im Internet anbieten, ist das akdemische Publikationswesen in Bewegung geraten. "Als anfangs Elsevier und andere die PDF-Dokumente versuchsweise frei ins Netz stellten, war das schon eine große Zeit – man kam einfach an alles problemlos heran", erinnert sich der Düsseldorfer Hirnforscher Rolf Kötter.
Inzwischen hat sich das geändert. Reed-Elsevier etwa, der weltweit größte Anbieter wissenschaftlicher Fachmagazine, hütet sein Online-Portal Sciencedirect streng zugangsbeschränkt. Die Verlagsgruppe verfolgt damit natürlich ihre berechtigten Eigeninteressen – schließlich entstehen etwa für Qualitätskontrolle, Layout und den Aufbau der elektronischen Infrastruktur editorische Kosten. Für Wissenschaftler ist die Situation jedoch unerfreulich, da ihre Literaturrecherche oft vor verschlossenen Türen endet.
Dreißig Euro kostet für den Informationssucher ein einzelner Artikel aus Cell oder Neuron, wenn seine Forschungseinrichtung die betreffenden Magazine nicht abonniert hat. Und das ist immer häufiger der Fall, weil die Verlage die Abopreise in die Höhe treiben – 10 000 Euro pro Jahr und Journal sind keine Seltenheit. Da müssen auch renommierte Hochschulen ihr Angebot einschränken. So sah sich etwa die Bibliothek der Universität Basel Ende vergangenen Jahres aus finanziellen Gründen gezwungen, ihren Vertrag mit Elsevier und damit den Online-Zugriff auf 1800 Magazine zu kündigen.
Dieses traditionelle Subskriptionsmodell – eine Institution bestellt für einen Festpreis die Zeitschriften, deren Lektüre für seine Mitarbeiter unerläßlich ist – erregte im angloamerikanischen Raum schon früh Unmut. Hauptkritikpunkt: Institute müssen für die Einsicht in die Ergebnisse von zumeist mit Steuergeldern finanzierter Forschung nochmals öffentliche Mittel entrichten. Gezahlt wird also doppelt. Als Reaktion formierte sich eine Bewegung, die den kostenfreien Zugang zu wissenschaftlichen Information fordert – Open Access.
Wer zahlt für Wissen?
Den Protagonisten des Open Access ist es unterdessen gelungen, eine Alternative zum Subskriptionsmodell auf dem Markt zu etablieren – das Autor-zahlt-Modell. Hier trägt der Autor, nicht der Leser die Kosten einer Veröffentlichung. Wissenschaftler zahlen dann, um ihre Arbeit in einem Journal mit freiem Zugang zu platzieren, eine Publikationsgebühr, welche die editorischen Kosten abdecken soll. Bei dem 2003 vom Medizin-Nobelpreisträger Harold Varmus in San Francisco gegründeten Magazin Public Library of Science – kurz PLoS – beträgt die Pauschale derzeit 1500 Dollar pro Artikel.
Die Summe wäre nach dem Open-Access-Modell – neben den Auslagen für Gehälter und Material – als Teil der Gesamtentwicklungskosten eines Forschungsprojekts einzuplanen. In dieser Logik ist eine wissenschaftliche Arbeit dann abgeschlossen, wenn sie angemessen, nämlich an öffentlich sichtbarer Stelle, publiziert ist.
Die Vorschläge riefen umgehend Einwände hervor. So hieß es, an forschungsstarken Universitäten mit hunderten Publikationen pro Jahr würden sich rasch untragbare Gebühren anhäufen. Außerdem liefe das Verfahren auf eine Diskriminierung von Forschern aus Entwicklungsländern hinaus, da diese die zusätzlichen Kosten nicht aufbringen könnten. Inzwischen haben die Open-Access-Herausgeber aber reagiert. Biomed Central (BMC) etwa, das britische Pendant zu PLoS, bietet Institutionen vergünstigte Jahrespauschalen und führt auf seiner Webseite eine lange Liste ärmerer Nationen auf, für deren Publikationen es keine Gebühren erhebt.
Nicht nur Geld in der Bilanz
Was bringt Open-Access aber nun den Wissenschaftlern selbst? Geht es ums Veröffentlichen, ist ihr Hauptmotiv, ihre Reputation auszubauen. "Dazu müssen sie viel veröffentlichen und das möglichst hochrangig", erläutert Rolf Kötter. Denn bei Anträgen auf Forschungsmittel imponiere es, wenn man auf Journale mit einem guten Namen – mit einem hohen "Impactfaktor" – verweisen kann.
Den Impactfaktor ermittelt das Thomson-Institut für wissenschaftliches Indizieren (ISI) alljährlich für Tausende von Fachmagazinen. Als wichtigster Parameter geht in ihn ein, wie oft ein Fachartikel an anderer Stelle im wissenschaftlichen Blätterwald zitiert wird. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Bedeutung eines veröffentlichten Werkes anhand seiner Resonanz in der Scientific Community messen lässt. Besonders häufig zitiert werden Paper, die in Nature und Science erscheinen. Entsprechend weisen diese vor über hundert Jahren gegründeten Platzhirsche der Szene auch den höchsten Impactfaktor auf. Daher ist es für Wissenschaftler natürlich am reizvollsten, in diesen Magazinen zu publizieren.
Verschenkt also jemand, der eine hervorragende Arbeit – vielleicht gar einen Durchbruch – in den jungen und noch kaum bekannten Open-Access-Journalen unterbringt, die Gelegenheit, seinen Ruf aufzupolieren? Gerade verkündeten PLoS und BMC stolz ihre Impactfaktoren für 2003. So erhielt das Flaggschiff PLoS Biology von ISI einen Wert von 13,9 und lässt damit schon ein traditionsreiches Blatt wie die Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) hinter sich. Bis zu Nature und Science, deren Werte meist zwischen 25 und 30 schwanken, ist noch ein wenig Platz, aber unter den allgemeinen Biologiejournalen ist PLoS Biology schon jetzt die Nummer Eins. Auch BMC meldet Erfolge für seine breite Zeitschriftenpalette. BMC Bioinformatics etwa erreicht, nur knapp geschlagen, einen respektablen zweiten Platz unter den Bioinformatik-Fachblättern.
Zudem zeigte eine amerikanische Studie, dass frei zugängliche Arbeiten erheblich schneller zitiert werden als traditionell publizierte Paper. Das sind Argumente, die auch Wissenschaftler überzeugen. "Allerdings muss sich das erst von Kollege zu Kollege weiter kommunizieren", mahnt Kötter, der selbst als Mitherausgeber der im Juli aus der Taufe gehobenen PLoS Computational Biology fungiert. "Besonders wichtig ist, renommierte Wissenschaftler als Autoren und Editoren zu gewinnen."
Beginn einer offenen Bewegung
Mittlerweile reagieren die Verlage. So berichtet Erdmuthe Raufelder, Zeitschriftenkoordinatorin bei der Springer-Verlagsgruppe, die über 1000 Fachjournale herausgibt: "Mit der Option 'Open Choice' lassen wir den Autoren die Wahl, welche Veröffentlichungsform sie wollen. Ob, wie gehabt, kostenfrei und damit zugangsbeschränkt oder für 3000 Euro offen zugänglich." Die Variante werde bislang aber noch wenig genutzt. Die Springer-Pressesprecherin Sabine Schaub prognostiziert, dass sich das herkömmliche Subskriptionsmodell parallel zu den Alternativen behaupten wird, "weil es, gerade was die Qualitätskontrolle der eingereichten Arbeiten angeht, einfach gut funktioniert."
Auch Peer Bork vom Europäischen Labor für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg räumt ein, dass Open Access zu Lasten der Qualität gehen könnte. Was sich bewähre, sei aber von Fach zu Fach verschieden, erwartet der ebenfalls bei PLoS Computational Biology aktive Bork. So sei es in der Physik und Mathematik schon seit 1999 üblich, eine noch nicht überprüfte Version auf dem Preprint-Server arXiv ins Netz zu stellen.
Jedoch auch in anderen Disziplinen zeichnet sich ein dritter Weg ab. Dieser sieht vor, dass Wissenschaftler ihre an anderer Stelle – also auch bei Pay-per-View-Magazinen von Elsevier oder Nature – erschienen Arbeiten auf der Homepage ihres Instituts zweitveröffentlichen. Selbstarchivierung heißt diese Möglichkeit. Für Elmar Mittler, Direktor der Universitätsbibliothek Göttingen, liegt darin die Zukunft: "Das ist jetzt die Stunde der Bibliotheken."
Viele Universitäten bauen gerade Datenbanken auf, unter anderem um Doktorarbeiten in elektronischer Form zu verwalten. Dort könnten auch Kopien der Forschungsartikel abgelegt werden. Unproblematisch ist das Verfahren aber nicht. Denn anders als bei PLoS und BMC treten Wissenschaftler mit einer Nature- oder Science-Veröffentlichung das Copyright an ihren Arbeiten an die Verlage ab – sie dürfen sie also nicht mehr eigenmächtig verbreiten.
Viele Verlage scheinen indes ein Stück weit einlenken zu wollen. So gab Reed-Elsevier im vergangenen Jahr bekannt, dass es eine Zweitveröffentlichung erlaubt – unter bestimmten Bedingungen. So dürfe lediglich eine abgespeckte Nur-Text-Version angeboten werden, nicht aber die Originalfassung – auf diese müsse außerdem ein Link verweisen. Insgesamt ist die rechtliche Situation jedoch – auch wegen der Unterschiede in der internationalen Gesetzgebung – unübersichtlich.
Rechtliches Wirrwarr
"Heute weiß kaum ein Wissenschaftler, welche Rechte er genau hat," beanstandet Gerd Hansen vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München. Um Klarheit zu schaffen, schlägt er daher die Ergänzung des in Deutschland zuständigen Urheberrechts um einen unmißverständlichen Passus vor. So könne man durch eine Reform des Paragrafen 38 dem Wissenschaftler garantieren, seinen Zeitschriftenbeitrag, nach Ablauf einer Frist – er empfiehlt sechs Monate – auf seiner Webseite publik machen zu dürfen.
Trotz der im Moment etwas verschwommenen Sachlage glaubt Elmar Mittler, dass sich das Selbstarchivieren durchsetzt und es für die Verlage bald kein zurück mehr gibt: "Durch die frei zugänglichen Versionen steigt nachweislich die Zitierhäufigkeit des Originalpapers. Wenn ein Verlag wieder aussteigt, beschädigt er die Impactfaktoren seiner Journale."
Wie die dann auf diverse Bibliotheksserver verstreuten Dokumente bequem gefunden werden sollen, ist eine weitere Baustelle. Die von der Selbstarchivierungs-Initiative OAI ins Leben gerufene Plattform OAIster verwaltet gegenwärtig 5,7 Millionen Arbeiten. Gerd Hansen glaubt allerdings eher an eine Weiterentwicklung von Google Scholar als taugliche Lösung für den schnelllebigen Forschungsalltag. Dieses Suchwerkzeug würde dann auch Kriterien wie Zitierhäufigkeit und Aktualität beim Fahnden berücksichtigen.
Womöglich führt die Eigendynamik des Internets sogar dazu, dass es immer unerheblicher wird, wie hochrangig ein Wissenschaftler seine Resultate ursprünglich platziert hat. Das Ende der Ära der großen Fachmagazine ist dennoch nicht in Sicht. "Gerade in der Kommunikation mit Kollegen gibt man lieber die offizielle Quelle an – die gibt es eben in zehn Jahren noch", sagt Rolf Kötter. So entstehe auch keine Verwirrung beim Zitieren von Seiten- und Zeilenzahlen. Zudem betont er, der Mehrwert eines guten Publikationsorgans bestehe gerade darin, Wissen zu kanalisieren, Schwerpunkte zu setzen und zu kommentieren.
Geht die Rechnung auf?
Und dann ist da auch noch ein unsichtbarer Dritter im System, auf den Peer Bork hinweist. "Heute bezahlt die Pharmaindustrie, um die Resultate der öffentlich getragenen Forschung nachzulesen. Bei Open Access bekäme sie alles umsonst, während sie ihre eigenen Ergebnisse kaum publik macht. Das hat man nicht mit einkalkuliert." Und auch die Kostenfreiheit könne eine Täuschung sein. Wenn nun x Prozent der Wissenschaftsförderung fürs Publizieren anfielen und gleichzeitig die Auslagen für die Standardzeitschriften fortbestünden, mache die öffentliche Hand unter dem Strich sogar ein finanzielles Minus. "Open Access ist sicher kein Allheilmittel", kommentiert Gerd Hansen.
So erscheint der Weg zum freien Wissen für alle Wissenschaftler noch steinig. Laut Elmar Mittler schwanken die Schätzungen über den gegenwärtigen Anteil von Open Access zwischen 5 und 25 Prozent, und nach einer – übrigens vorab auf dem Preprint-Server eprints publizierten – DFG-Studie ist drei von vier deutschen Naturwissenschaftlern Open Access als Publikationsweg unbekannt. "Wir müssen alles tun, damit die Autoren ein Bewusstsein entwickeln, was sie da eigentlich tun", drängt Mittler. Denn mit einer fertigen Arbeit auf dem Rechner, haben die Wissenschaftler die große Auswahl, wo sie das Werk unterbringen. Von ihrer Entscheidung hängt ab, wie nah oder fern Stevan Harnads Traum vom frei fließenden Wissen ist.
Was der kanadische Kognitionsforscher skizziert sind die optimalen Rahmenbedingungen für Wissenschaftler – und zwar für alle, nicht nur für einige privilegierte. Technisch ist der Wunschtraum vom frei fließenden Wissen längst machbar. Allerdings ist das Verwalten der Kommunikation der weltweiten Forschergemeinde ein lukratives Geschäft und daher mit Barrieren versehen.
Freiheit für alle!
Seit die meisten Verlage ihre Zeitschriften nicht mehr nur in gedruckter, sondern auch in elektronischer Form im Internet anbieten, ist das akdemische Publikationswesen in Bewegung geraten. "Als anfangs Elsevier und andere die PDF-Dokumente versuchsweise frei ins Netz stellten, war das schon eine große Zeit – man kam einfach an alles problemlos heran", erinnert sich der Düsseldorfer Hirnforscher Rolf Kötter.
Inzwischen hat sich das geändert. Reed-Elsevier etwa, der weltweit größte Anbieter wissenschaftlicher Fachmagazine, hütet sein Online-Portal Sciencedirect streng zugangsbeschränkt. Die Verlagsgruppe verfolgt damit natürlich ihre berechtigten Eigeninteressen – schließlich entstehen etwa für Qualitätskontrolle, Layout und den Aufbau der elektronischen Infrastruktur editorische Kosten. Für Wissenschaftler ist die Situation jedoch unerfreulich, da ihre Literaturrecherche oft vor verschlossenen Türen endet.
Dreißig Euro kostet für den Informationssucher ein einzelner Artikel aus Cell oder Neuron, wenn seine Forschungseinrichtung die betreffenden Magazine nicht abonniert hat. Und das ist immer häufiger der Fall, weil die Verlage die Abopreise in die Höhe treiben – 10 000 Euro pro Jahr und Journal sind keine Seltenheit. Da müssen auch renommierte Hochschulen ihr Angebot einschränken. So sah sich etwa die Bibliothek der Universität Basel Ende vergangenen Jahres aus finanziellen Gründen gezwungen, ihren Vertrag mit Elsevier und damit den Online-Zugriff auf 1800 Magazine zu kündigen.
Dieses traditionelle Subskriptionsmodell – eine Institution bestellt für einen Festpreis die Zeitschriften, deren Lektüre für seine Mitarbeiter unerläßlich ist – erregte im angloamerikanischen Raum schon früh Unmut. Hauptkritikpunkt: Institute müssen für die Einsicht in die Ergebnisse von zumeist mit Steuergeldern finanzierter Forschung nochmals öffentliche Mittel entrichten. Gezahlt wird also doppelt. Als Reaktion formierte sich eine Bewegung, die den kostenfreien Zugang zu wissenschaftlichen Information fordert – Open Access.
Wer zahlt für Wissen?
Den Protagonisten des Open Access ist es unterdessen gelungen, eine Alternative zum Subskriptionsmodell auf dem Markt zu etablieren – das Autor-zahlt-Modell. Hier trägt der Autor, nicht der Leser die Kosten einer Veröffentlichung. Wissenschaftler zahlen dann, um ihre Arbeit in einem Journal mit freiem Zugang zu platzieren, eine Publikationsgebühr, welche die editorischen Kosten abdecken soll. Bei dem 2003 vom Medizin-Nobelpreisträger Harold Varmus in San Francisco gegründeten Magazin Public Library of Science – kurz PLoS – beträgt die Pauschale derzeit 1500 Dollar pro Artikel.
Die Summe wäre nach dem Open-Access-Modell – neben den Auslagen für Gehälter und Material – als Teil der Gesamtentwicklungskosten eines Forschungsprojekts einzuplanen. In dieser Logik ist eine wissenschaftliche Arbeit dann abgeschlossen, wenn sie angemessen, nämlich an öffentlich sichtbarer Stelle, publiziert ist.
Die Vorschläge riefen umgehend Einwände hervor. So hieß es, an forschungsstarken Universitäten mit hunderten Publikationen pro Jahr würden sich rasch untragbare Gebühren anhäufen. Außerdem liefe das Verfahren auf eine Diskriminierung von Forschern aus Entwicklungsländern hinaus, da diese die zusätzlichen Kosten nicht aufbringen könnten. Inzwischen haben die Open-Access-Herausgeber aber reagiert. Biomed Central (BMC) etwa, das britische Pendant zu PLoS, bietet Institutionen vergünstigte Jahrespauschalen und führt auf seiner Webseite eine lange Liste ärmerer Nationen auf, für deren Publikationen es keine Gebühren erhebt.
Nicht nur Geld in der Bilanz
Was bringt Open-Access aber nun den Wissenschaftlern selbst? Geht es ums Veröffentlichen, ist ihr Hauptmotiv, ihre Reputation auszubauen. "Dazu müssen sie viel veröffentlichen und das möglichst hochrangig", erläutert Rolf Kötter. Denn bei Anträgen auf Forschungsmittel imponiere es, wenn man auf Journale mit einem guten Namen – mit einem hohen "Impactfaktor" – verweisen kann.
Den Impactfaktor ermittelt das Thomson-Institut für wissenschaftliches Indizieren (ISI) alljährlich für Tausende von Fachmagazinen. Als wichtigster Parameter geht in ihn ein, wie oft ein Fachartikel an anderer Stelle im wissenschaftlichen Blätterwald zitiert wird. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Bedeutung eines veröffentlichten Werkes anhand seiner Resonanz in der Scientific Community messen lässt. Besonders häufig zitiert werden Paper, die in Nature und Science erscheinen. Entsprechend weisen diese vor über hundert Jahren gegründeten Platzhirsche der Szene auch den höchsten Impactfaktor auf. Daher ist es für Wissenschaftler natürlich am reizvollsten, in diesen Magazinen zu publizieren.
Verschenkt also jemand, der eine hervorragende Arbeit – vielleicht gar einen Durchbruch – in den jungen und noch kaum bekannten Open-Access-Journalen unterbringt, die Gelegenheit, seinen Ruf aufzupolieren? Gerade verkündeten PLoS und BMC stolz ihre Impactfaktoren für 2003. So erhielt das Flaggschiff PLoS Biology von ISI einen Wert von 13,9 und lässt damit schon ein traditionsreiches Blatt wie die Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) hinter sich. Bis zu Nature und Science, deren Werte meist zwischen 25 und 30 schwanken, ist noch ein wenig Platz, aber unter den allgemeinen Biologiejournalen ist PLoS Biology schon jetzt die Nummer Eins. Auch BMC meldet Erfolge für seine breite Zeitschriftenpalette. BMC Bioinformatics etwa erreicht, nur knapp geschlagen, einen respektablen zweiten Platz unter den Bioinformatik-Fachblättern.
Zudem zeigte eine amerikanische Studie, dass frei zugängliche Arbeiten erheblich schneller zitiert werden als traditionell publizierte Paper. Das sind Argumente, die auch Wissenschaftler überzeugen. "Allerdings muss sich das erst von Kollege zu Kollege weiter kommunizieren", mahnt Kötter, der selbst als Mitherausgeber der im Juli aus der Taufe gehobenen PLoS Computational Biology fungiert. "Besonders wichtig ist, renommierte Wissenschaftler als Autoren und Editoren zu gewinnen."
Beginn einer offenen Bewegung
Mittlerweile reagieren die Verlage. So berichtet Erdmuthe Raufelder, Zeitschriftenkoordinatorin bei der Springer-Verlagsgruppe, die über 1000 Fachjournale herausgibt: "Mit der Option 'Open Choice' lassen wir den Autoren die Wahl, welche Veröffentlichungsform sie wollen. Ob, wie gehabt, kostenfrei und damit zugangsbeschränkt oder für 3000 Euro offen zugänglich." Die Variante werde bislang aber noch wenig genutzt. Die Springer-Pressesprecherin Sabine Schaub prognostiziert, dass sich das herkömmliche Subskriptionsmodell parallel zu den Alternativen behaupten wird, "weil es, gerade was die Qualitätskontrolle der eingereichten Arbeiten angeht, einfach gut funktioniert."
Auch Peer Bork vom Europäischen Labor für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg räumt ein, dass Open Access zu Lasten der Qualität gehen könnte. Was sich bewähre, sei aber von Fach zu Fach verschieden, erwartet der ebenfalls bei PLoS Computational Biology aktive Bork. So sei es in der Physik und Mathematik schon seit 1999 üblich, eine noch nicht überprüfte Version auf dem Preprint-Server arXiv ins Netz zu stellen.
Jedoch auch in anderen Disziplinen zeichnet sich ein dritter Weg ab. Dieser sieht vor, dass Wissenschaftler ihre an anderer Stelle – also auch bei Pay-per-View-Magazinen von Elsevier oder Nature – erschienen Arbeiten auf der Homepage ihres Instituts zweitveröffentlichen. Selbstarchivierung heißt diese Möglichkeit. Für Elmar Mittler, Direktor der Universitätsbibliothek Göttingen, liegt darin die Zukunft: "Das ist jetzt die Stunde der Bibliotheken."
Viele Universitäten bauen gerade Datenbanken auf, unter anderem um Doktorarbeiten in elektronischer Form zu verwalten. Dort könnten auch Kopien der Forschungsartikel abgelegt werden. Unproblematisch ist das Verfahren aber nicht. Denn anders als bei PLoS und BMC treten Wissenschaftler mit einer Nature- oder Science-Veröffentlichung das Copyright an ihren Arbeiten an die Verlage ab – sie dürfen sie also nicht mehr eigenmächtig verbreiten.
Viele Verlage scheinen indes ein Stück weit einlenken zu wollen. So gab Reed-Elsevier im vergangenen Jahr bekannt, dass es eine Zweitveröffentlichung erlaubt – unter bestimmten Bedingungen. So dürfe lediglich eine abgespeckte Nur-Text-Version angeboten werden, nicht aber die Originalfassung – auf diese müsse außerdem ein Link verweisen. Insgesamt ist die rechtliche Situation jedoch – auch wegen der Unterschiede in der internationalen Gesetzgebung – unübersichtlich.
Rechtliches Wirrwarr
"Heute weiß kaum ein Wissenschaftler, welche Rechte er genau hat," beanstandet Gerd Hansen vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München. Um Klarheit zu schaffen, schlägt er daher die Ergänzung des in Deutschland zuständigen Urheberrechts um einen unmißverständlichen Passus vor. So könne man durch eine Reform des Paragrafen 38 dem Wissenschaftler garantieren, seinen Zeitschriftenbeitrag, nach Ablauf einer Frist – er empfiehlt sechs Monate – auf seiner Webseite publik machen zu dürfen.
Trotz der im Moment etwas verschwommenen Sachlage glaubt Elmar Mittler, dass sich das Selbstarchivieren durchsetzt und es für die Verlage bald kein zurück mehr gibt: "Durch die frei zugänglichen Versionen steigt nachweislich die Zitierhäufigkeit des Originalpapers. Wenn ein Verlag wieder aussteigt, beschädigt er die Impactfaktoren seiner Journale."
Wie die dann auf diverse Bibliotheksserver verstreuten Dokumente bequem gefunden werden sollen, ist eine weitere Baustelle. Die von der Selbstarchivierungs-Initiative OAI ins Leben gerufene Plattform OAIster verwaltet gegenwärtig 5,7 Millionen Arbeiten. Gerd Hansen glaubt allerdings eher an eine Weiterentwicklung von Google Scholar als taugliche Lösung für den schnelllebigen Forschungsalltag. Dieses Suchwerkzeug würde dann auch Kriterien wie Zitierhäufigkeit und Aktualität beim Fahnden berücksichtigen.
Womöglich führt die Eigendynamik des Internets sogar dazu, dass es immer unerheblicher wird, wie hochrangig ein Wissenschaftler seine Resultate ursprünglich platziert hat. Das Ende der Ära der großen Fachmagazine ist dennoch nicht in Sicht. "Gerade in der Kommunikation mit Kollegen gibt man lieber die offizielle Quelle an – die gibt es eben in zehn Jahren noch", sagt Rolf Kötter. So entstehe auch keine Verwirrung beim Zitieren von Seiten- und Zeilenzahlen. Zudem betont er, der Mehrwert eines guten Publikationsorgans bestehe gerade darin, Wissen zu kanalisieren, Schwerpunkte zu setzen und zu kommentieren.
Geht die Rechnung auf?
Und dann ist da auch noch ein unsichtbarer Dritter im System, auf den Peer Bork hinweist. "Heute bezahlt die Pharmaindustrie, um die Resultate der öffentlich getragenen Forschung nachzulesen. Bei Open Access bekäme sie alles umsonst, während sie ihre eigenen Ergebnisse kaum publik macht. Das hat man nicht mit einkalkuliert." Und auch die Kostenfreiheit könne eine Täuschung sein. Wenn nun x Prozent der Wissenschaftsförderung fürs Publizieren anfielen und gleichzeitig die Auslagen für die Standardzeitschriften fortbestünden, mache die öffentliche Hand unter dem Strich sogar ein finanzielles Minus. "Open Access ist sicher kein Allheilmittel", kommentiert Gerd Hansen.
So erscheint der Weg zum freien Wissen für alle Wissenschaftler noch steinig. Laut Elmar Mittler schwanken die Schätzungen über den gegenwärtigen Anteil von Open Access zwischen 5 und 25 Prozent, und nach einer – übrigens vorab auf dem Preprint-Server eprints publizierten – DFG-Studie ist drei von vier deutschen Naturwissenschaftlern Open Access als Publikationsweg unbekannt. "Wir müssen alles tun, damit die Autoren ein Bewusstsein entwickeln, was sie da eigentlich tun", drängt Mittler. Denn mit einer fertigen Arbeit auf dem Rechner, haben die Wissenschaftler die große Auswahl, wo sie das Werk unterbringen. Von ihrer Entscheidung hängt ab, wie nah oder fern Stevan Harnads Traum vom frei fließenden Wissen ist.
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