Direkt zum Inhalt

News: Durch Blaulicht ins Zwielicht

Vielleicht verwunderlich, aber einige Forscher halten es durchaus für möglich, dass die Tag-Nacht-Rhythmik unseres Körpers durch Beleuchten unserer Kniekehlen mit Blaulicht beeinflusst wird. Andere Forscher wollen genau das wiederum nicht glauben - irgendwie weniger verwunderlich.
Der menschliche Tag-Nacht- oder circadiane Rhythmus macht sich uns meist erst dann bemerkbar, wenn er außer Kontrolle gerät. Zu spüren bekommen die Folgen nicht nur Krankenschwestern und Schichtarbeiter im Nachtdienst, sondern auch Flugpassagiere nach Reisen in andere Zeitzonen: Bei ihnen wiegt sich der Körper noch in der gewohnten nächtlichen Schlaf-Erwartungshaltung, während um ihn herum bereits hektische mittägliche Betriebsamkeit herrscht – und der so genannte Jet-lag führt zu Unwohlsein.

Wissenschaftlich greifbar wird die körperliche Schlaf-Erwartungshaltung durch das Hormon Melatonin. Dieses wird von der Zirbeldrüse des Gehirns produziert und normalerweise stets nachts in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Tagsüber sind die Melatoninspiegel im Blut dagegen vergleichsweise niedrig. Rhythmus-Umstellungen des Körpers, beispielsweise auf neue Zeitzonen, lassen sich daher gut am Melatoninspiegel ablesen: Die Hormonausschüttung verschiebt sich zeitlich, bis die Konzentrationen wieder mit Tag und Nacht in Einklang sind.

Der Melatoninspiegel wurde daher oft als Messgröße für Tag-Nacht-Rhythmus-Umstellungen genutzt – auch von Wissenschaftlern des Cornell University Medical Colleges im Jahr 1998. Sie waren dem äußeren Signalreiz auf der Spur, der dem Körper eine solche Umstellung überhaupt erst nahe legt. Erster Kandidat war natürlich ein Lichtreiz – denn dass Licht biologische Rhythmusprozesse vieler Tiere beeinflusst, war altbekannt. Ungeklärt war allerdings, wo ein die Tagesrhythmik beeinflussender Lichtreiz vom Menschen wahrgenommen wird.

In der Kniekehle, fanden die Forscher damals, und sorgten für hochgezogene Augenbrauen bei vielen Kollegen. Ihre Daten waren allerdings eindeutig: In ihren Experimenten hatten sie menschliche Probanden nachts aus dem Schlaf geholt und deren Kniekehlen mit hellem Blaulicht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt. Offenbar hatte dies ausgereicht, um dem Organismus vorzugaukeln, es wäre nun Tag: Die Melatoninspiegel der beleuchteten Versuchsteilnehmer hatten sich daraufhin eindeutig und reproduzierbar verschoben.

Ein wissenschaftlicher Glaubenskrieg brach aus: Während die Forscher erfolgreich Patente auf Lichtbehandlung von Schlafstörungen anmeldeten und eine Theorie vorstellten, nach welcher die durch Lichtsinnesorgane der Haut aufgenommenen Reize mithilfe des Blutkreislaufsystems im Körper weitergeleitet würden, wiederholten andere Laboratorien die Experimente – teilweise mit Erfolg. Wieder andere Kollegen kritisierten allerdings methodische Schlampereien bei der Versuchsdurchführung.

Kenneth Wright und Charles Czeisler von der Harvard Medical School machten sich nun auf, dem Streit um die zwielichtig anmutende Blaulichtgeschichte endgültig ein Ende zu setzen. Sie wiederholten die Experimente von 1998 mit identischen Methoden – bis auf ein paar feine, kleine Unterschiede, die alle möglichen Störquellen ausschalten sollten. Beispielsweise achteten sie darauf, dass die aus dem Schlaf geweckten Versuchsteilnehmer, deren Kniekehlen bestrahlt wurden, absolut keine Lichtreize über die Augen wahrnehmen konnten. Einer Kontrollgruppe wurden dagegen gar keine Knie-, sondern nur Augen-Lichtreize verabreicht.

Die Ergebnisse aus 21 Versuchen über jeweils zehn Tage lassen an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig: Während die kniebeleuchteten Versuchsteilnehmer keinerlei Phasenverschiebung ihres Melatoninspiegels zeigten, war dieser bei den über die Augen stimulierten Probanden nicht zu übersehen. Nicht über die Haut also, sondern nur über die Augen, so schließen die Forscher, würden circadiane Rhythmen beeinflusst.

Fast ebenso deutlich wie ihr Ergebnis fällt zwischen den Zeilen auch die Kritik der Forscher an den vorangegangenen Untersuchungen aus. Nicht nur wäre dort auf Kontrollgruppen verzichtet, sondern auch der Einfluss von schwachem Umgebungslicht auf die geweckten Versuchsteilnehmer vernachlässigt worden. Dies hätte von den Probanden durchaus über die Augen wahrgenommen werden können – und schon solche schwachen wahrgenommenen Lichtreize könnten den Melatoninspiegel entscheidend beeinflusst haben.

Irgendwie schade andererseits: auf den vermutlich skurrilen Anblick von medizinisch ernsthaften Jet-lag-Präventivmaßnahmen durch Kniekehlenbeleuchtung werden wir wohl verzichten müssen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.