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News: Ein weiterer Sargnagel

Immer mehr verdichten sich die Hinweise, dass der Neandertaler nicht zu unseren unmittelbaren Urahnen zählt. Auch der genetische Vergleich mit seinem Zeitgenossen, dem frühmodernen Cro-Magnon-Menschen, weist ihn eher als entfernten Vetter auf.
Nach einer über 100 000-jährigen, durchaus erfolgreichen Geschichte, während der sie mehrere Eiszeiten trotzten, mussten sie plötzlich das Feld räumen. Vor 30 000 Jahren verschwanden in Europa die letzten Neandertaler. Was war geschehen?

10 000 Jahre zuvor betrat ein neuer Menschenschlag die europäische Bühne. Benannt nach einem Höhlensystem im französischem Département Dordogne, in dem 1868 zum ersten Mal seine Überreste auftauchten, unterscheidet sich der Cro-Magnon-Menschen anatomisch deutlich vom Neandertaler: So fehlen ihm die für Neandertaler typischen starken Überaugenwülste, die fliehende Stirn oder das vorspringende Mittelgesicht. Der Cro-Magnon-Mensch, der sich mit seinen berühmten Höhlenmalereien auch ein künstlerisches Denkmal setzte, gehört eindeutig zum modernen Menschen Homo sapiens sapiens.

Beim Neandertaler bleibt die systematische Zuordnung dagegen strittig. Handelt es sich um eine eigene Art namens Homo neanderthalensis, oder sollte man ihn als mit uns nah verwandte Unterart auffassen, die dann Homo sapiens neanderthalensis hieße? Schließlich teilten sich Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch 10 000 Jahre den gleichen Lebensraum, sodass eine genetische Vermischung durchaus vorstellbar wäre.

Doch nicht nur die anatomischen Unterschiede, auch genetische Analysen lassen an der nahen Verwandtschaft zweifeln: 1997 gelang es Svante Pääbo von der Universität München winzige Spuren mitochondrialer DNA (mtDNA) von Neandertalerknochen zu isolieren. Die Erbsubstanz aus den energieliefernden "Kraftwerken" der Zellen, den Mitochondrien, hat sich schon mehrfach für Verwandtschaftsanalysen bewährt. Und der Vergleich mit mtDNA heutiger Menschen zeigte wenig Ähnlichkeiten.

Doch ein Jahr später, 1998, entdeckten Anthropologen in Portugal ein fast 25 000 Jahre altes Kinderskelett mit interessanten anatomischen Merkmalen: Der Körperbau des Kindes entsprach im Großen und Ganzen dem des frühmodernen Menschen, bestimmte Merkmale, wie die kurzen Beine oder das fliehende Kinn, erinnerten dagegen eher an einen Neandertaler. Ein Mischlingskind?

Dann hätten sich Cro-Magnon-Menschen und Neandertaler doch gekreuzt und gemeinsame Nachkommen erzeugt, sodass beide zu unseren Vorfahren gehören, auch wenn sich die genetischen Spuren der Neandertaler wieder verwischt haben mögen. David Camarelli von der Università di Firenze überprüfte diese Hypothese. Zusammen mit seinen Kollegen analysierte er die mtDNA zweier Cro-Magnon-Menschen, die vor 23 000 und 25 000 Jahren auf der Erde wandelten, und verglich sie sowohl mit dem genetischen Material heutiger Menschen als auch mit den bisher bekannten mtDNA-Proben von Neandertalern.

Und der Vergleich war eindeutig: Während die beiden Cro-Magnon-Menschen sich genetisch nahtlos in das Gefüge heutiger Europäer einfügen, unterscheidet sich ihre mtDNA deutlich von der ihrer Zeitgenossen, den Neandertalern.

Richard Klein von der Stanford University sieht in diesem Ergebnis einen "weiteren Sargnagel" für die multiregionale Hypothese, nach welcher der moderne Mensch aus Populationen verschiedener Regionen der Erde entstand, die sich untereinander immer wieder vermischten. Dagegen stammen wir nach der Out-of-Africa-Hypothese nur von Menschen ab, die sich vor mehr als 100 000 Jahren in Afrika entwickelten und von hier aus nach und nach die ganze Welt eroberten. Wie dem auch sei, letztlich werden wir wohl nie erfahren, was genau geschah, als die Neuankömmlinge aus Afrika auf die alteingesessenen Neandertaler stießen.

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