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Verringerte Emissionen: Bessere Luft erwärmt vorübergehend Atmosphäre

Die Emissionen von Schwefeldioxid im Schiffsverkehr sind deutlich gesunken. Doch laut einer Studie trägt ausgerechnet die bessere Luft maßgeblich dazu bei, dass sich die Atmosphäre über manchen Ozeanregionen erwärmt. Unbeteiligte Experten sind allerdings skeptisch.
Großer Öltanker auf dem Meer
Laut Prognosen aus 2018 wird die globale Schiffsflotte auch 2030 noch zu 80 Prozent Schweröl und Marinediesel verbrennen, der Rest ist Flüssiggas (Symbolfoto).

Im Jahr 2020 wurde eine neue Verordnung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO2020) eingeführt, mit der der maximal zulässige Schwefelgehalt in Schiffskraftstoffen von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt werden sollte. Damit kam es zu einem starken Rückgang der Schwefeldioxidemissionen aus dem Schiffsverkehr. Doch laut eines Forschungsteam der University of Maryland führte genau diese Maßnahme zu einer erheblichen Erwärmung der Atmosphäre über bestimmten Ozeanregionen. Nach der Modellierungsstudie könnten rund 80 Prozent des ab 2020 beobachteten Anstiegs der auf der Erde gespeicherten Wärmeenergie auf die verringerten Emissionen zurückgehen.

Doch wie ist dieser Zusammenhang zu erklären? Bei der Verbrennung der herkömmlichen Schiffskraftstoffe entsteht Schwefeldioxid, das mit Wasserdampf in der Atmosphäre reagiert und Sulfataerosole erzeugt. Diese kühlen die Erdoberfläche auf zweierlei Weise: Zum einen werfen sie das Sonnenlicht direkt wieder in den Weltraum. Zum anderen erhöht sich mit steigender Menge an Aerosolen die Zahl an Wassertröpfchen. In der Folge nimmt die Wolkenbedeckung zu und hellere Wolken entstehen, die ebenfalls Sonnenlicht ins All zurückwerfen, wie die Forschenden erläutern.

Der nun aber verringerte Gehalt an atmosphärischen Sulfataerosolen habe dafür gesorgt, dass die Wolkentröpfchendichte erheblich zurückging. Das wiederum führte zu einer Verdunklung der Meereswolken, die dadurch weniger Sonnenstrahlung ins All zurückreflektierten. Die stärkste Verringerung der Aerosolkonzentration errechnete das Team für den Nordatlantik, das Karibische Meer und das Südchinesische Meer – Regionen mit den am stärksten befahrenen Schifffahrtsrouten. Demnach stelle die neue Verordnung einen starken temporären Schock für die Nettowärmeaufnahme des Planeten dar. »Der Effekt stimmt mit der kürzlich beobachteten starken Erwärmung im Jahr 2023 überein und dürfte die 2020er Jahre anomal warm werden lassen«, so die Forscherinnen und Forscher.

Demnach könnte IMO2020 der globalen Erwärmung in den nächsten Jahren noch einen erheblichen Schub geben. Der Modellierung zufolge könnte für das Jahrzehnt eine Erwärmungsrate von 0,24 Grad zu erwarten sein – mehr als doppelt so viel wie durchschnittlich seit 1880. Die Studie untersuchte die Folgen der Verordnung im Zeitraum von Oktober 2019 bis Dezember 2020 und nutzte dafür computergestützte Simulationen und reale Daten von Satelliten und Wetteraufzeichnungen und berücksichtigte dabei auch die Auswirkungen der Pandemie.

Skepsis bei Experten

Unabhängige Forscher sehen die Studie allerdings kritisch, da der Betrachtungszeitraum zu kurz sei. Zudem spiele die Zunahme der menschengemachten Treibhausgase nach wie vor die entscheidende Rolle für den Klimawandel. »Da ist Vorsicht geboten«, sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegenüber der dpa. Wenn man einen Effekt für einen so kurzen Zeitraum betrachte, sei das generell fehleranfälliger als bei längeren Zeiträumen. Der Anteil an der seit 2020 gespeicherten Wärmeenergie könne auch weit unter 80 Prozent liegen. »Der Wert könnte in der Modellierung überschätzt sein.« Für die beobachteten Rekordwerte im vergangenen Jahr könnten auch andere Faktoren entscheidend sein. Seit März 2023 befinden sich die Durchschnittstemperaturen der Weltmeere auf Rekordkurs. Auch atmosphärisch war 2023 das heißeste jemals aufgezeichnete Jahr – mit großem Vorsprung. Dass der Klimawandel die Erde nach und nach erwärmt, ist bekannt, doch der drastische Hitzeschub binnen kurzer Zeit übersteigt alle Erwartungen.

»In der Tat rätselt die Wissenschaft, wieso die letzten zwölf Monate im globalen Mittel so außerordentlich warm waren, weit außerhalb des üblichen«, sagte Niklas Höhne von der Universität Wageningen und dem Newclimate Institute in Berlin der dpa. Hauptverantwortlich sei klar der immer noch steigende Ausstoß von Treibhausgasen. »Aber ein zusätzlicher Effekt war bisher unerklärt.« Neben Vulkanaktivitäten sei bereits die Reduktion von Schwefel in den Schiffsabgasen als eine Ursache vermutet worden. Dass die aktuelle Studie nun einen recht großen Zusammenhang zwischen Schwefelreduktion und Erwärmung zeige, sei vom Prinzip her nicht überraschend. Sulfataerosole wirkten stark – aber nur kurzfristig.

Aufhellung von Meereswolken als sinnvolle Maßnahme?

Das Team um Tianle Yuan schließt aus der Modellierung auch, dass die gezeigten, erheblichen Auswirkungen der Verordnung auch eine andere Annahme stützten: Dass Aerosole Meereswolken aufhellen und so zur Abkühlung des Klimas beitragen könnten. Sie betonen aber auch: »Sie (Geoengineering-Programme) sind keine Lösung für die durch Treibhausgase verursachte globale Erwärmung und haben neben der beabsichtigten kurzfristigen Abkühlung ungewisse und komplexe zusätzliche Folgen.«

Auch Levermann warnt: »Diese Art des Geoengineerings ist gefährlich.« Sulfataerosole in die Stratosphäre ab etwa zwölf Kilometer Höhe einzubringen, sei zwar kühlend und zudem vergleichsweise billig, die Stratosphäre müsse damit aber ständig aufgefüllt werden. »Wenn sie damit die menschengemachte Erwärmung auf null dämpfen, dann sitzen Sie auf einem Pulverfass. Sie müssen dann nämlich für hunderte Jahre die Aeorosole in die Luft schießen. Sobald Sie damit aufhören, schießt ihnen die Temperatur binnen weniger Jahre in die Höhe.« Die Folgen für das Leben auf der Erde seien gar nicht abschätzbar.

Die Maßnahme hätte nach Ansicht Levermanns auch direkte geopolitische Auswirkungen. »Das Land, das damit anfängt, würde für jedes Wetterextrem verantwortlich gemacht, das dann irgendwo auf der Welt passiert«, befürchtet der Klimawissenschaftler. Das Problem sei sogar noch komplizierter, wenn die Sulfate oder Salze in die unteren Atmosphärenschichten, also dort, wo die Wolken sind, eingebracht werden. »Damit wird dann direkt das Wetter verändert. Eine unabschätzbare Gefahr.«

Weil menschengemachte Luftschadstoffe die Gesundheit beeinträchtigen, haben viele Regierungen Maßnahmen zur Eindämmung in Kraft gesetzt. Eine wichtige offene Frage sei die Abwägung zwischen den Vorteilen einer besseren Luftqualität und den potenziellen Kosten einer zusätzlichen Erwärmung, schreibt das Team um Tianle Yuan. Levermann hält von derlei Aussagen gar nichts. »Es kann nicht die Entscheidung sein: Machen wir Klimaschutz oder weniger Umweltverschmutzung«, sagt er. »Dass der Klimawandel durch sauberere Luft zeitweise noch sichtbarer wird, darf nicht zu dem Schluss führen, dass die Luft wieder dreckiger werden muss.« (doe/dpa)

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  • Quellen
Communications Earth & Environment 10.1038/s43247–024–01442–3, 2024

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