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Marine Ökologie: Endstation Ozean?

Aus den Augen, aus dem Sinn: Die Meere dienen dem Menschen schon lange als beliebte Müllkippe. Schließlich sieht man den Schmutz dort erst einmal nicht mehr. Nun soll das Treibhausgas Kohlendioxid darin versenkt werden.
Planktonproduktion
Von radioaktiven Abwässern über Dünnsäure bis hin zu Weltkriegsmunition: Nord- und Ostsee verbargen alles, was Hersteller oder Behörden an Land nicht mehr wollten oder wiederverwenden konnten. Heute sind die meisten dieser einst euphemistisch Verklappungen genannten Entsorgungsfahrten überwiegend verboten. Doch setzen Teile der Menschheit – etwa Energieerzeuger und ihnen nahe stehende Politiker – noch immer auf die unendlich scheinenden Kapazitäten von Atlantik, Pazifik und Konsorten als willige und erst einmal nicht nachtragende Müllschlucker. Die Ozeane sollen große Mengen des Treibhausgases CO2 aufnehmen und damit den anstehenden Klimawandel zumindest dämpfen.

Planktonproduktion | Hohe Chlorophyllkonzentrationen – und damit entsprechend hohe Phytoplanktonmengen – finden sich vor allem in nährstoffreichen kühlen Gewässern (grüne Töne). Weite Teile des offenen Meeres in den Tropen sind dagegen ausgesprochen algenarm (blau).
Auf ganz natürliche Weise entziehen sie bereits jetzt der Atmosphäre mit fünfzig Milliarden Tonnen ein geschätztes Drittel des bei der Verbrennung von fossilien Brennstoffen frei gesetzten zusätzlichen Kohlendioxids, das Algen bei der Fotosysnthese verarbeiten oder sich schlicht physikalisch löst. Wie viel CO2 das Plankton tatsächlich bindet, ließ sich bis heute jedoch nur grob schätzen, da diese Prozesse entweder aus dem All per Satellit oder allenfalls anhand kleiner Stichproben von Schiffen aus verfolgt wurden. Michael Behrenfeld von der Oregon State University in Corvallis und seine Kollegen steuern nun einen deutlich ausführlicheren Datensatz bei, für den sie in den letzten zwölf Jahren knapp 60 000 Kilometer durch den Pazifischen Ozean kreuzten [1].

Die Forscher ermittelten auf diesen Fahrten die Phytoplanktondichte des Ozeans mit Fluoreszenz-Messungen, die nicht nur über die Menge der Algen, sondern zusätzlich noch über deren Gesundheitszusstand informierte. Denn leiden die kleinen schwimmenden Fotosynthese-Einheiten unter Nährstoff- oder Eisenmangel, bauen sie zusätzlich erzeugtes, fluoreszierendes Chlorophyll in ihre Zellen ein, das jedoch vorerst nicht ihrer Nährstofferzeugung dient. Vielmehr lagern sie es ein und greifen darauf zurück, sobald eine Eisendüngung von außen erfolgt – etwa durch einen über das Meer verwehten Staubsturm aus der Wüste. Auf diese Weise können sie unverzögert bei Gunstzeiten schnell ihren Umsatz hochfahren.

Staubsturm | Staubstürme – hier einer über Korea und Japan – liefern Nährstoffe ins Meer und können dort Algenblüten auslösen.
Dieses inaktive grüne Pigment leuchtet nur unter bestimmten Messgeräten auf und wird von Satelliten nicht von seinem produktionsfreudigen Zwilling unterschieden, was letztlich deren Phytoplankton-Mengenangaben verfälscht: Das von den Spähern im All aufgenommene deutliche Grün war keineswegs ein Signal gesteigerter Produktivität, es zeigte schlicht eine Stresssituation für die Meeresflora an. Damit stimmt aber die auf den Aufnahmen basierende Kalkulation zum entnommenen Kohlendioxid ebenso wenig, schlussfolgern die Biologen. Rechnet man den Zusatzpigment-Effekt aus den Bildern heraus, fällt der CO2-Umsatz um mindestens ein bis zwei Milliarden Tonnen geringer aus – immerhin zwei bis vier Prozent des den Ozeanen zugedachten Gesamtvolumens.

Vom Nährelementmangel besonders betroffen sind vor allem die Gewässer rund um die Antarktis, der Pazifik südlich von Alaska und ein riesiges Gebiet beiderseits des Äquators, wo kaum Eisen aus der Luft oder durch aufsteigendes Tiefenwasser das Algenwachstum fördert. Behrenfeld sowie weitere Forscher kamen daher in der Vergangenheit schon mehrfach auf die Idee, diese Regionen zu düngen. Das Ziel: Mehr Phytoplankton soll der Luft mehr Kohlendioxid entziehen und dieses nach seinem Ableben in der Tiefsee für sehr lange Zeit zwischenlagern. Theoretisch ließe sich damit womöglich die Erderwärmung verzögern oder vielleicht auch mindern.

Im Experiment auf kleinen Flächen zeigten sich diese Gaben auch sehr effektiv, und die Algen blühten auf – kurzzeitig. Weitere Eisenzufuhr führte nur mehr zu geringfügigen Wachstumsraten, bis schließlich das Zooplankton nachgezogen hatte und sich über seine pflanzlichen Lebensraumpartner hermachte. Die marine Nahrungskette wäre daraus also gestärkt hervorgegangen, dem industriell verstärkten Treibhauseffekt käme die Welt so aber wahrscheinlich nicht unbedingt bei.

Da das Beackern der Meere zeit- und geldaufwändig bei ungesichertem Erfolg erscheint, kamen Wirtschaft und Teile der Wissenschaft auf die Idee, das CO2 direkt in der Tiefsee zu versenken. Hoher Druck und die kühlen vier Grad Celsius Wassertemperatur dort unten wandeln das Gas in eine Flüssigkeit um, die sich wie ein Teppich über den Meeresboden legt und nicht mehr ohne weiteres aufsteigt. Ob und welche Folgen das für die mobilen und weniger mobilen Lebewesen im Abyssal hat, konnte mangels Beobachtungen oder Experimenten lange nicht überprüft werden. Ersticken die Tiere? Werden sie durch Kohlensäure verätzt?

Entstehung von Gas-Seen | Im Umfeld einer hydrothermalen Quelle entstand in der Tiefsee vor Taiwan ein See aus flüssigem Kohlendioxid, der nur von einer dünnen Sedimentschicht bedeckt war – eine äußerst lebensfeindliche Umgebung.
Das Team um Fumio Inagaki von der japanischen Behörde für Meeresforschung und -technologie in Yokosuka und und jetzt Gastforscher am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen entdeckte nun einen natürlichen Kohlendioxid-See vor der Küste Taiwans in rund 1400 Meter Tiefe, der von einer wenigen Zentimeter mächtigen Sedimentschicht bedeckt wird und als Nebeneffekt vulkanischer Aktivität in dem Gebiet entstand [2]. Und das Gas-Gewässer dürfte die schlimmsten Befürchtungen von Naturschützern bestätigen: Im und rund um den See rührt sich kein höherer Organismus, während nur fünfzig Meter entfernt davon das Leben tobt. Dort siedeln an so genannten Schwarzen Rauchern – hydrothermalen Quellen – unter anderem Krabben dicht an dicht, die sich von dicken Mikrobenrasen ernähren.

Im Bereich des flüssigen Kohlendioxids dagegen herrscht eine graue Einöde, in der allenfalls wenige zähe Archaea- und Bakterienarten ausharren. Im oberen Bereich der zwanzig Zentimeter dicken Sedimentschicht zählten die Wissenschaftler immerhin noch zehn Milliarden Mikrobenzellen pro Kubikzentimeter Boden, direkt an der Grenze zum CO2 dagegen gerade noch zehn Millionen. Nur die härtesten Spezies überleben in diesem Bereich überhaupt, denn flüssiges Kohlendioxid löst viele organische Stoffe einfach auf – und wird deshalb in Reinigungen als Fleckentferner verwendet. Zudem greift der niedrige pH-Wert das Kalkgerüst oder Skelett der Lebewesen an, sodass diese den See auch aus diesem Grund meiden.

Den Kohlendioxid-Abfall der Menschheit einfach in die Tiefsee zu pumpen, hätte also wieder einmal fatale Folgen für Lebensgemeinschaften des Meeres; zumal das Gas mobil bleibt und doch eines Tages wieder an die Oberfläche kommen könnte. Es noch tiefer im Sediment dort unten oder in ausgepumpten Öl- und Gasfeldern zu versenken, wäre eine Alternative, Energiesparen vielleicht eine billigere.

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