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News: Fenster zur Welt

Wie eine Kamera bildet das Auge die Realität ab. Stimmt das? Nicht ganz, sagen amerikanische Forscher. Das Auge entwirft nur ein sehr grobes Abbild der äußeren Welt, verschlüsselt in nicht mehr als zwölf verschiedene Charakteristika. Erst das Gehirn interpretiert die wenigen Informationen und verarbeitet sie zu dem optischen Eindruck, den wir empfinden.
Der Mensch ist ein Augentier. Das Auge ist unser wichtigstes Sinnesorgan, doch leider erreichen seine optischen Qualitäten längst nicht die einer modernen Spiegelreflexkamera. Erst durch viele Zwischenschritte entsteht ein realitätsnahes Abbild der äußeren Welt: Zunächst wird das einfallende Licht über die Augenlinse gebrochen und als umgekehrtes, verkleinertes Bild auf die Netzhaut projiziert. Hier verwandeln die Sehsinneszellen die Lichtreize in Aktionspotentiale, die an die Ganglienzellen des Sehnervs weitergeleitet werden. Dieser auch vertikale Bahn genannte Weg verläuft jedoch nicht direkt, sondern über dazwischen geschaltete Bipolarzellen. Daneben gibt es auch noch laterale Bahnen über Horizontal- und Amakrinzellen, welche die Seh- und die Ganglienzellen untereinander verbinden. Mit dieser Verschaltung, die als laterale Inhibition bekannt ist, hemmen sich die Sinneszellen untereinander, sodass sich die Kontraste verschärfen.

Findet in der Netzhaut noch eine weitere Informationsverarbeitung statt, und wenn ja, wie sieht diese aus? Um diese Fragen zu klären, untersuchten Botond Roska und Frank Werblin von der University of California in Berkeley die Netzhaut von Kaninchen. Sie maßen sowohl die Signale, welche die Ganglienzellen bei verschiedenen Lichtreizen aussenden, als auch die anregenden und hemmenden Signale der mit den Ganglienzellen verschalteten Bipolar- und Amakrinzellen.

Die Wissenschaftler konnten dabei etwa ein Dutzend unterschiedliche Populationen von Ganglienzellen unterscheiden. Jede dieser Populationen scheint für eine verschiedene Sinneseindrücke zuständig zu sein und repräsentiert damit unterschiedliche Charakteristika der wahrgenommenen Welt: Manche reagieren auf Bewegung, andere auf geometrische Formen, wieder andere auf den Hintergrund neben einem Gegenstand. "Jede Repräsentation legt das Gewicht auf eine andere Eigenschaft der visuellen Welt – eine Kante, einen Fleck, eine Bewegung – und sendet die Information über unterschiedliche Wege zum Gehirn", erklärt Werblin. Aus diesen, nur wenigen Charakteristika setzt dann das Gehirn das Abbild der Außenwelt zusammen. Dabei sind die Ganglienzellen der einzelnen Populationen nicht nur direkt mit den Bipolarzellen, sondern auch indirekt über die Amakrinzellen verschaltet und werden von diesen gehemmt. Roska und Werblin bezeichnen diesen Vorgang als "vertikale Inhibition", um ihn so von der lateralen Inhibition abzugrenzen.

Die Wissenschaftler hoffen, ihre Erkenntnisse auch praktisch umsetzen zu können. Sie planen einen Computerchip als "bionisches Auge" zu bauen, der Lichtreize wie die Netzhaut verarbeiten soll. "Das Wissen aus der Biologie wird den Chip verbessern, sodass er sich immer mehr einer Säuger-Retina ähnelt", hofft Roska. "Nichtsdestotrotz ist das bionische Auge noch eine weit hergeholte Idee, solange nicht jemand herausfindet, wie es an den neuronalen Schaltkreis des Gehirns verbunden werden kann."

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