Abstammung: Forscher bestimmen unseren europäischen Genmix
Europa ist seit vielen Jahrtausenden ein Schmelztiegel der Gene, das stellt jetzt auch eine umfassende Studie eindrücklich unter Beweis: Mindestens drei Abstammungslinien führen zum heutigen Europäer; in fast allen Bewohnern des Kontinents findet sich Erbgut dieser drei Populationen – wenn auch in wechselnden Anteilen.
Zu diesem Ergebnis kommt ein vielköpfiges Forscherteam unter der Leitung von Johannes Krause vom neuen Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften in Jena und David Reich von der Harvard University. Die Wissenschaftler haben dazu Gendaten von insgesamt 2345 heute lebenden Menschen statistisch ausgewertet.
Zudem sequenzierten sie die DNA von acht Individuen aus Schweden und Luxemburg, die vor 8000 Jahren lebten und Jäger-und-Sammler-Kulturen angehörten, sowie einer frühen Bäuerin, die vor 7000 Jahren in der Nähe des heutigen Stuttgarts siedelte. Diese Daten flossen zusammen mit bereits erfassten alten Gendaten, darunter auch die des Gletschermanns Ötzi, in die Analyse ein.
Bereits bekannt war, dass sich zu Beginn der Jungsteinzeit – zeitgleich mit dem Einsetzen des Ackerbaus – Einwanderergruppen aus dem Nahen Osten nach Europa bewegten und sich dort mit den westeuropäischen Jägern und Sammlern mischten. Das genetische Erbe dieser frühen europäischen Bauern, die in der Studie durch Ötzi und den Stuttgarter Fund repräsentiert sind, findet sich heute besonders deutlich in Südeuropa, während im Norden der Anteil der ursprünglichen Jäger-und-Sammler-Population ausgeprägter ist.
"Alte Nordeurasier" hinterließen überall ihr genetisches Erbe
Gleichzeitig spürten die Forscher jedoch auch genetischen Zufluss aus einer dritten Quelle auf, die sie als "alte Nordeurasier" bezeichnen und die sich – mit bis zu 20 Prozent Anteil – fast durchgängig im gesamteuropäischen Erbgut finden lässt. Auf diese Population hatte es bereits früher Hinweise gegeben, nun konnte sie dank eines Funds im sibirischen Mal'ta eindeutig bestimmt werden. Die Träger dieser Gene besiedelten offenbar große Teile Eurasiens und gelangten erst längere Zeit nach dem Beginn der Jungsteinzeit ins zentrale Europa.
Diese alten Nordeurasier sind zudem für eine merkwürdige Verwandtschaft verantwortlich: Das Genom heutiger Europäer ähnelt in gewissem Ausmaß dem der amerikanischen Ureinwohner. Das Bindeglied ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Population der Nordeurasier. Aus ihr hatten sich jene Auswanderergruppen gespeist, die über die Beringstraße nach Amerika vordrangen. Später machten alte Nordeurasier dann eine Westbewegung, die sie bis nach Europa brachte.
Mit welchen Sprachen, Kulturen und archäologisch fassbaren Wanderbewegungen diese zunächst rein genetisch identifizierten Populationen in Verbindung zu bringen sind, lässt sich allerdings (noch) nicht eindeutig sagen.
In den Daten scheint eine weitere mysteriöse Population durch
Neben den drei dominierenden Einflussgrößen – westeuropäische Jäger und Sammler, frühe europäische Bauern und alte Nordeurasier – entdeckten die Forscher einen weiteren genetischen Einfluss, der sich auf heutige Finnen, Saami und nördliche Russen beschränkt. Er geht offenbar auf eine noch weiter im Norden Asiens verbreitete Gruppe zurück.
Und zuletzt machten die Wissenschaftler in ihren Modellrechnungen noch eine unerwartete Entdeckung: Die beste Übereinstimmung mit den Daten erreichten sie, wenn sie eine weitere Population einbezogen, die sich bislang in keiner alten DNA-Probe direkt widerspiegelt: die der "basalen Eurasier". Sie bildete sich offenbar bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt vor deutlich über 40 000 Jahren und geht womöglich auf eine erste Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika in den arabischen Raum zurück. Ihre Spuren finden sich bislang ausschließlich in den frühen europäischen Bauern, deren Erbgut sich ansonsten aus demselben westeurasischen Genpool speist, auf den auch die westeuropäischen Jäger und Sammler zurückgehen.
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