News: Fremdgehen für die Fitness
Singvögel, die meist in trauter Zweisamkeit ihre Jungen aufziehen, galten lange Zeit als vorbildliche "Eheleute". Doch so mancher molekulare Vaterschaftstest brachte es an den Tag, dass gerade bei sozial monogamen Singvögeln das 'Fremdgehen' eher die Regel als die Ausnahme ist. Eine Langzeitstudie an Blaumeisen zeigt nun, welche evolutionären Vorteile dieses Verhalten bringt.
Treue wird im Tierreich selten groß geschrieben, und auch Arten, die soziale Paare von nur einem Männchen und einem Weibchen bilden, sind meist nicht monogam im engen Sinne. Im Laufe einer Fortpflanzungsperiode kommt es zu zahlreichen Seitensprüngen von beiden Seiten. Die Folge ist, dass gemeinsam aufgezogene Jungtiere oft von verschiedenen Vätern stammen.
Bei Männchen ist der evolutionäre Vorteil des Fremdgehens offensichtlich: Die Zahl möglicher Nachkommen ist durch die Wurf- oder Gelegegröße der Partnerin limitiert. Nur durch Techtelmechtel mit anderen Weibchen können zusätzliche Junge gezeugt werden. Hingegen ist die Bedeutung der Promiskuität bei Weibchen schwerer zu erkennen: Käme es in der Evolution allein auf die Anzahl der Nachkommen an, dann hätten Weibchen keinen Anreiz, bestimmte Männchen als genetische Väter ihrer Jungen zu bevorzugen. Evolutionsbiologen haben jedoch vielfach nachgewiesen, dass die genetische Qualität der Nachkommen einen entscheidenden Einfluss auf deren Überleben und Fortpflanzungserfolg hat. Somit bestimmt nicht nur die Anzahl der Nachkommen, sondern auch deren genetische Qualität, wie erfolgreich ein Individuum seine Gene verbreiten kann.
Sucht ein Weibchen nach dem passenden Vater für seine Jungen, so sollte es, nach Meinung der Evolutionsbiologen, zwei Dinge berücksichtigen: Erstens gilt es, Männchen mit bestimmten "guten Genen" zu finden, die ihre Träger gesünder oder attraktiver machen als andere. Diese Gene werden dann durch den Partner an die Nachkommen des Weibchens vererbt und codieren dort ähnlich erfolgreiche Eigenschaften. "Gute Gene" könnten Erbanlagen sein, die einen stärkeren Körperbau, bessere Konkurrenzfähigkeit, erhöhte Vitalität, eine bessere Abwehr von Parasiten und Krankheitserregern oder eine höhere Attraktivität als Paarungspartner ermöglichen.
Andererseits hat sich gezeigt, dass nicht nur einzelne Gene von Vater und Mutter wichtig sind, sondern dass auch die Kombination des genetischen Materials beider Eltern die Fitness der Nachkommen bestimmt. Offensichtlich wird dies durch die nachteiligen Auswirkungen von Inzucht, also die Paarung von verwandten und daher genetisch ähnlichen Partnern: Nachkommen von Paaren, die einander genetisch sehr ähnlich sind, also an vielen Genen die gleichen Allele besitzen, haben aufgrund ihrer geringen Heterozygosität – also dem Vorkommen von zwei verschiedenen Allelen an einem Gen – oft eine geringere Überlebens- und Fortpflanzungschance. Weibchen sollten daher nicht nur nach "guten Genen" suchen, sondern auch nach ihnen nicht ähnlichen Partnern.
Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen haben vier Jahre lang in einer österreichischen Blaumeisenpopulation das soziale Paarungsmuster und die genetische Vaterschaft in den Gelegen genauer unter die Lupe genommen. Zudem bestimmten die Forscher durch eine Mikrosatelliten-Analyse die individuelle genetische Vielfalt der Jungvögel. Es stellte sich heraus, dass außerpaarlich gezeugte Jungvögel stärker heterozygot waren – also mehr verschiedene Allele besaßen – als ihre vom sozialen Vater gezeugten Halbgeschwister.
Dahinter steckt, dass etwa die Hälfte der außerehelichen Jungen von Vätern stammten, die nicht in der direkten Nachbarschaft der Mutter brüteten. Denn wie die Max-Planck-Forscher herausfanden, sind entfernt brütende Männchen mit einem Weibchen immer weniger verwandt als dessen sozialer Partner und die nächsten Nachbarn. Aufgrund dieser genetischen Populationsstruktur können Blaumeisenweibchen sicher sein, dass Seitensprünge mit fremden Männchen zu Nachkommen führen, die von höherer genetischer Vielfalt sind als die Jungen des sozialen Partners.
Dass Heterozygosität die Fitness einer Blaumeise mitbestimmt, ist das zweite wichtige Ergebnis dieser Studie. Durch die genaue Beobachtung der Blaumeisenpopulation über mehrere Jahre konnten die Forscher feststellen, dass Jungvögel, die den ersten Winter überlebten und im gleichen Gebiet zu brüten begannen, stärker heterozygot waren als ihre nicht überlebenden Nestgefährten. Sie verfügten damit über einen entscheidenden Vorteil, wenn man bedenkt, dass von einer im Durchschnitt elfköpfigen Blaumeisenbrut meist nur ein oder zwei Jungvögel den nächsten Frühling erleben.
Individuelle genetische Vielfalt wirkte sich aber auch auf erwachsene Blaumeisen aus: Die Weibchen legten größere Gelege und lebten länger, wenn sie stärker heterozygot waren. Heterozygote Männchen wiederum waren erfolgreicher bei der Jungenaufzucht und produzierten mehr überlebende Nachkommen. Außerdem signalisierten die Männchen ihre genetische Vielfalt durch ein sekundäres sexuelles Merkmal. Wann immer ein Blaumeisenmännchen gefangen wurde, um Körpermaße zu messen, individuelle Farbringe an den Beinen zu befestigen oder um kleine Blutproben zur DNS-Extraktion zu nehmen, ermittelten die Max-Planck-Forscher mit einem Spektrometer auch das Reflexionsspektrum des Gefieders an verschiedenen Stellen. In Verbindung mit den genetischen Daten zeigte sich, dass das Scheitelgefieder von mehr heterozygoten Blaumeisenmännchen stärker im UV-Wellenlängenbereich reflektiert als das ihrer genetisch weniger vielfältigen Artgenossen.
Vor wenigen Jahren erst wurde festgestellt, dass die Blaumeise eigentlich "UV-Meise" heißen sollte: Ihr für das menschliche Auge blau erscheinender Scheitel reflektiert im UV-Bereich maximal und ist daher für UV-tüchtige Meisen nicht wirklich blau. Man nahm an, dass die auch in anderen Blaumeisenpopulationen beobachtete Variation in diesem Farbbereich zwischen einzelnen Männchen von den Blaumeisenweibchen bei der Wahl eines sozialen Partners als Qualitätsmerkmal gewertet wird. Die nun gefundene Korrelation zwischen UV-Reflektion und Heterozygosität unterstützt diese Annahme.
"Die Studie an der österreichischen Blaumeisenpopulation hat deutlich gezeigt, dass Weibchen außerpaarliche Kopulationen mit entfernt brütenden Männchen eingehen und dadurch die Heterozygosität ihrer Nachkommen erhöhen. Sie erhöhen dadurch den Fortpflanzungswert ihrer Jungen, da heterozygote Blaumeisen bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen haben", meint Bart Kempenaers, Leiter der Nachwuchsgruppe. Bleibt nur die Frage offen, welchen Vorteil die andere Hälfte der außerpaarlich gezeugten Jungen bringen, jene, die von Nachbarn gezeugt wurden?
Hier konnte das Max-Planck-Team einen Befund bestätigen, der bereits aus einer belgischen Studie vorlag: Weibchen wählten für ihre Seitensprünge jene Nachbarn, die älter und größer waren als ihr sozialer Partner. Denn größere Männchen haben meist einen Konkurrenzvorteil, und höheres Alter ist ein Zeichen für gute Überlebensfähigkeit; beides sind Eigenschaften, die das Männchen wahrscheinlich an seine Nachkommen weitergeben wird. Dieser Hinweis auf eine Wahl für "gute Gene" fand sich allerdings nur bei Nachbarn und nicht bei entfernt lebenden außerpaarlichen Vätern. Damit zeigt diese Studie erstmals, dass zwei Mechanismen unabhängig voneinander zur Evolution von weiblicher Promiskuität im selben sozial monogamen System führen können – der Vorteil von "guten Genen" und der Vorteil individueller genetischer Vielfalt.
Bei Männchen ist der evolutionäre Vorteil des Fremdgehens offensichtlich: Die Zahl möglicher Nachkommen ist durch die Wurf- oder Gelegegröße der Partnerin limitiert. Nur durch Techtelmechtel mit anderen Weibchen können zusätzliche Junge gezeugt werden. Hingegen ist die Bedeutung der Promiskuität bei Weibchen schwerer zu erkennen: Käme es in der Evolution allein auf die Anzahl der Nachkommen an, dann hätten Weibchen keinen Anreiz, bestimmte Männchen als genetische Väter ihrer Jungen zu bevorzugen. Evolutionsbiologen haben jedoch vielfach nachgewiesen, dass die genetische Qualität der Nachkommen einen entscheidenden Einfluss auf deren Überleben und Fortpflanzungserfolg hat. Somit bestimmt nicht nur die Anzahl der Nachkommen, sondern auch deren genetische Qualität, wie erfolgreich ein Individuum seine Gene verbreiten kann.
Sucht ein Weibchen nach dem passenden Vater für seine Jungen, so sollte es, nach Meinung der Evolutionsbiologen, zwei Dinge berücksichtigen: Erstens gilt es, Männchen mit bestimmten "guten Genen" zu finden, die ihre Träger gesünder oder attraktiver machen als andere. Diese Gene werden dann durch den Partner an die Nachkommen des Weibchens vererbt und codieren dort ähnlich erfolgreiche Eigenschaften. "Gute Gene" könnten Erbanlagen sein, die einen stärkeren Körperbau, bessere Konkurrenzfähigkeit, erhöhte Vitalität, eine bessere Abwehr von Parasiten und Krankheitserregern oder eine höhere Attraktivität als Paarungspartner ermöglichen.
Andererseits hat sich gezeigt, dass nicht nur einzelne Gene von Vater und Mutter wichtig sind, sondern dass auch die Kombination des genetischen Materials beider Eltern die Fitness der Nachkommen bestimmt. Offensichtlich wird dies durch die nachteiligen Auswirkungen von Inzucht, also die Paarung von verwandten und daher genetisch ähnlichen Partnern: Nachkommen von Paaren, die einander genetisch sehr ähnlich sind, also an vielen Genen die gleichen Allele besitzen, haben aufgrund ihrer geringen Heterozygosität – also dem Vorkommen von zwei verschiedenen Allelen an einem Gen – oft eine geringere Überlebens- und Fortpflanzungschance. Weibchen sollten daher nicht nur nach "guten Genen" suchen, sondern auch nach ihnen nicht ähnlichen Partnern.
Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen haben vier Jahre lang in einer österreichischen Blaumeisenpopulation das soziale Paarungsmuster und die genetische Vaterschaft in den Gelegen genauer unter die Lupe genommen. Zudem bestimmten die Forscher durch eine Mikrosatelliten-Analyse die individuelle genetische Vielfalt der Jungvögel. Es stellte sich heraus, dass außerpaarlich gezeugte Jungvögel stärker heterozygot waren – also mehr verschiedene Allele besaßen – als ihre vom sozialen Vater gezeugten Halbgeschwister.
Dahinter steckt, dass etwa die Hälfte der außerehelichen Jungen von Vätern stammten, die nicht in der direkten Nachbarschaft der Mutter brüteten. Denn wie die Max-Planck-Forscher herausfanden, sind entfernt brütende Männchen mit einem Weibchen immer weniger verwandt als dessen sozialer Partner und die nächsten Nachbarn. Aufgrund dieser genetischen Populationsstruktur können Blaumeisenweibchen sicher sein, dass Seitensprünge mit fremden Männchen zu Nachkommen führen, die von höherer genetischer Vielfalt sind als die Jungen des sozialen Partners.
Dass Heterozygosität die Fitness einer Blaumeise mitbestimmt, ist das zweite wichtige Ergebnis dieser Studie. Durch die genaue Beobachtung der Blaumeisenpopulation über mehrere Jahre konnten die Forscher feststellen, dass Jungvögel, die den ersten Winter überlebten und im gleichen Gebiet zu brüten begannen, stärker heterozygot waren als ihre nicht überlebenden Nestgefährten. Sie verfügten damit über einen entscheidenden Vorteil, wenn man bedenkt, dass von einer im Durchschnitt elfköpfigen Blaumeisenbrut meist nur ein oder zwei Jungvögel den nächsten Frühling erleben.
Individuelle genetische Vielfalt wirkte sich aber auch auf erwachsene Blaumeisen aus: Die Weibchen legten größere Gelege und lebten länger, wenn sie stärker heterozygot waren. Heterozygote Männchen wiederum waren erfolgreicher bei der Jungenaufzucht und produzierten mehr überlebende Nachkommen. Außerdem signalisierten die Männchen ihre genetische Vielfalt durch ein sekundäres sexuelles Merkmal. Wann immer ein Blaumeisenmännchen gefangen wurde, um Körpermaße zu messen, individuelle Farbringe an den Beinen zu befestigen oder um kleine Blutproben zur DNS-Extraktion zu nehmen, ermittelten die Max-Planck-Forscher mit einem Spektrometer auch das Reflexionsspektrum des Gefieders an verschiedenen Stellen. In Verbindung mit den genetischen Daten zeigte sich, dass das Scheitelgefieder von mehr heterozygoten Blaumeisenmännchen stärker im UV-Wellenlängenbereich reflektiert als das ihrer genetisch weniger vielfältigen Artgenossen.
Vor wenigen Jahren erst wurde festgestellt, dass die Blaumeise eigentlich "UV-Meise" heißen sollte: Ihr für das menschliche Auge blau erscheinender Scheitel reflektiert im UV-Bereich maximal und ist daher für UV-tüchtige Meisen nicht wirklich blau. Man nahm an, dass die auch in anderen Blaumeisenpopulationen beobachtete Variation in diesem Farbbereich zwischen einzelnen Männchen von den Blaumeisenweibchen bei der Wahl eines sozialen Partners als Qualitätsmerkmal gewertet wird. Die nun gefundene Korrelation zwischen UV-Reflektion und Heterozygosität unterstützt diese Annahme.
"Die Studie an der österreichischen Blaumeisenpopulation hat deutlich gezeigt, dass Weibchen außerpaarliche Kopulationen mit entfernt brütenden Männchen eingehen und dadurch die Heterozygosität ihrer Nachkommen erhöhen. Sie erhöhen dadurch den Fortpflanzungswert ihrer Jungen, da heterozygote Blaumeisen bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen haben", meint Bart Kempenaers, Leiter der Nachwuchsgruppe. Bleibt nur die Frage offen, welchen Vorteil die andere Hälfte der außerpaarlich gezeugten Jungen bringen, jene, die von Nachbarn gezeugt wurden?
Hier konnte das Max-Planck-Team einen Befund bestätigen, der bereits aus einer belgischen Studie vorlag: Weibchen wählten für ihre Seitensprünge jene Nachbarn, die älter und größer waren als ihr sozialer Partner. Denn größere Männchen haben meist einen Konkurrenzvorteil, und höheres Alter ist ein Zeichen für gute Überlebensfähigkeit; beides sind Eigenschaften, die das Männchen wahrscheinlich an seine Nachkommen weitergeben wird. Dieser Hinweis auf eine Wahl für "gute Gene" fand sich allerdings nur bei Nachbarn und nicht bei entfernt lebenden außerpaarlichen Vätern. Damit zeigt diese Studie erstmals, dass zwei Mechanismen unabhängig voneinander zur Evolution von weiblicher Promiskuität im selben sozial monogamen System führen können – der Vorteil von "guten Genen" und der Vorteil individueller genetischer Vielfalt.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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