Seismologie: Gefahrenzonen
Einige der stärksten Erdbeben gehen von Verwerfungen am Meeresboden aus. Geophysiker installieren jetzt Sensornetze, um diese versteckten Killer zu überwachen.
Seit Jahren machen sich japanische Seismologen Sorgen um eine Verwerfung am Meeresboden. Der Nankai-Graben vor der südöstlichen Küste hat einige der verheerendsten Erdbeben der japanischen Geschichte ausgelöst – und wird als reif für ein weiteres angesehen. Deshalb sind Wissenschaftler mit dem Schiff hinausgefahren, um unter Wasser seismische Messstationen zu installieren. Sie sollen Informationen über die Verwerfungen liefern – und eine Warnung Sekunden vor dem nächsten großen Beben. Als das Schiff im März gerade eine Ladung Sensoren deponierte, kam es 800 Kilometer nordöstlich an einer vollständig anderen Verwerfung zum starken Tohoku-Oki-Erdbeben, das den Tsunami auslöste, der viele Küstenstädte verwüstete.
Die Seismologen hatten nicht erwartet, dass der japanische Graben vor der Tohoku-Küste ein solch gewaltiges Erdbeben produzieren könnte – zum Teil, weil sie nicht genügend Geräte auf dem Meeresboden hatten, um die sich aufbauende Spannung zu bemerken. Einen ähnlichen Mangel an Daten gibt es überall dort, wo eine tektonische Platte auf eine andere stößt und sich darunterschiebt. Solche Subduktionszonen erzeugen die schwersten Erdbeben auf unserem Planeten, darunter auch das schwerste, das jemals aufgezeichnet wurde, ein Monstrum mit einer Stärke von 9,5 vor der Küste von Chile im Jahr 1960. 2004 führte ein Erdbeben in der Subduktionszone vor der indonesischen Insel Sumatra zu einem Tsunami, der 230 000 Menschen das Leben kostete. Und Wissenschaftler sagen voraus, dass eine Subduktionszone an der Nordwestküste der USA Spannungen aufbaut, die innerhalb der nächsten 100 Jahre zu einem Erdbeben der Stärke 9 führen können.
Das Problem für die Forscher ist, dass diese großen Verwerfungen Hunderte von Kilometern von der Küste entfernt Tausende von Metern unter dem Meeresspiegel liegen. Es ist schwierig, dort Messstationen zu installieren und zu warten, die mit Seismometern, GPS-Einheiten und anderen Instrumenten ausgestattet sind, mit denen sich die Struktur der Verwerfungen und etwaige Veränderungen – wie beispielsweise Verspannungen der Kruste – entdecken lassen.
Japan besitzt lediglich 50 Messstationen vor der Küste, um die Verwerfungen am Meeresboden zu beobachten, aber 8700 auf dem Land. Andere Länder sind sogar noch weniger vorbereitet, sie haben nur wenige oder gar keine Sensoren in den Regionen des Meeresbodens, in denen sich die gefährlichen Teile der Subduktionszonen befinden. Stattdessen verlassen sie sich auf Messungen von Stationen auf dem Land – die nur verschwommen Signale aus der Ferne empfangen. Das ist, als würde ein Kardiologe sein Stethoskop auf den Schuh eines Patienten setzen, um dort dessen Herzschlag zu überwachen.
"Ohne Messungen am Meeresboden können wir nur raten", sagt Emma Hill vom Earth Observatory in Singapur, die das Erdbebenrisiko in der Umgebung von Indonesien untersucht.
Falsches Verständnis
In der Theorie der Plattentektonik – sie beschreibt die Bewegung der großen ozeanischen und kontinentalen Platten, aus denen die zerbrechliche Kruste der Erde besteht – sind Subduktionszonen die Recyclingzentren. Stoßen zwei Platten zusammen, sinkt die kalte, dichte Ozeankruste ab, und die Platte, die aus Gestein mit einem größeren Auftrieb besteht, schiebt sich darüber. Aber dieses skizzenhafte Modell – ein Förderband mit Schollen aus Ozeanboden, die unter Kontinentalschichten tauchen – ist ein zu sehr vereinfachtes Bild. "Wir brauchen ein komplexeres Bild", sagt Hill, "aber wir verwenden immer noch schöne glatte Flächen in unseren Modellen."
Die Geophysiker wollen in allen Einzelheiten wissen, was vor sich geht, wenn zwei Platten aneinanderreiben. Sie haben den Verdacht, dass die Platten sich ineinander verhaken, vielleicht wenn unterseeische Berge oder andere raue Formen an der Unterseite der oberen Platte gewissermaßen einrasten. Nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten befreien sich die Platten, und es kommt zu einem Mammut-Erdbeben. Auch im Fall des März-Erdbebens in Japan hatten die Forscher den Verdacht, dass die Grenze zwischen den beiden Platten ineinander verhakt war – doch sie nahmen das damit verbundene Risiko nicht wahr, da ihnen das Wissen über die Struktur der Subduktionszone und darüber, wie sich dort Spannung aufbaut, fehlte.
Sie machten sich mehr Sorgen über das Gebiet um den Nankai-Graben, für den Japans offizielle Gefahrenvorhersage eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent für ein Erdbeben der Stärke 8 in den nächsten 30 Jahren angibt. Im Rahmen des Dense Oceanfloor Network System for Earthquake and Tsunamis (DONET) sollen 20 Unterwasser-Messstationen in der Region des Grabens installiert werden, von dem nach Ansicht der Wissenschaftler Erdbeben ausgehen. Das 2006 gestartete DONET-Projekt soll noch dieses Jahr fertig gestellt werden und kostet insgesamt 82 Millionen US-Dollar – ohne die Kosten für die Schiffe.
Die Messstationen enthalten Seismometer, die Erschütterungen aufzeichnen, die von Erdbeben in der Subduktionszone ausgehen, aber auch von Beben überall sonst auf der Welt. Die Messungen sollen den Forschern Informationen über die Übergangszone zwischen der oberen und der unteren Platte liefern. Drucksensoren registrieren außerdem jede Verbiegung der Kruste, indem sie Änderungen des Gewichts der darüberliegenden Wassersäule messen. Telekommunikationskabel verbinden die Messstationen mit Stationen an Land, damit haben die Forscher in Echtzeit Zugriff auf die Daten.
Wenn es zu einem großen Beben kommt, sollten die DONET-Stationen nahe genug sein, um eine Frühwarnung für Osaka, Tokio und andere Städte zu ermöglichen, die dann schnell von verheerenden seismischen Wellen getroffen werden könnten. Die Drucksensoren könnten außerdem eine Frühwarnung vor Tsunamis erlauben, die auf die Küste zurasen.
Westliche Befürchtungen
Die Befürchtungen der amerikanischen Forscher konzentrieren sich auf die Cascadia-Region. Starke Erdbeben und Tsunamis hat es in dieser Region schon früher gegeben, zuletzt vor über 300 Jahren. "Die seismische Bedrohung durch die Cascadia-Subduktionszone ist beachtlich", sagt Maya Tolstoy vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York.
Tolstoy ist einer der Chefwissenschaftler der Cascadia-Initiative, eines über vier Jahre laufenden Projekts, in dessen Rahmen vorübergehend Messstationen installiert werden, um etwas über das Verhalten der gewaltigen Verwerfung vor der Küste zu lernen. Im Juli dieses Jahres begann das Team damit, die ersten von 60 Stationen auf dem Meeresboden zu installieren. Sie ergänzen ein bereits auf dem Land bestehendes Netz. Das Projekt wird mit fünf Millionen Dollar vom American Recovery and Reinvestment Act von 2009 unterstützt, der wiederum von der US National Science Foundation gefördert wird.
Jede der 60 000 bis 80 000 Dollar teuren Stationen enthält einen Druckmesser und ein Seismometer von der Größe einer Konservendose, die sich in einem Druckbehälter mit Niveauregelanlage befindet und mit einer Stahlkappe gegen Strömungen und Bodenschleppnetze geschützt ist. Die Messstationen sind nicht per Kabel mit dem Festland verbunden. Stattdessen bergen die Forscher die Geräte einmal im Jahr, lesen die Daten aus und platzieren die Stationen an einem neuen Standort. Die Cascadia-Initiative kann genau feststellen, wo in der Subduktionszone Erdbeben entstehen, und so dabei helfen, Position und Struktur der Grenzschicht zwischen den Platten zu analysieren. Damit lassen sich dann auch die Fragen beantworten, wie rau die Platten sind und wo sie ineinander verhakt sind, hofft Richard Allen von der University of California in Berkeley.
Die Messungen am Meeresboden sollen außerdem dabei helfen, ungewöhnliche seismische Signale zu entziffern, die landgestützte Seismometer in der Cascadia-Region aufgezeichnet haben. Die Landsensoren haben Schwärme von Minierdbeben registriert, die etwa alle 12 bis 14 Monate auftreten, sowie seismische Ereignisse, die so langsam ablaufen, dass niemand eine Erschütterung spürt, obwohl sie beachtliche Mengen an Energie freisetzen. Die Forscher haben den Verdacht, dass die Signale Aktivitäten in der Subduktionszone widerspiegeln, vielleicht Schichten innerhalb einer Platte, die sich separat bewegen, oder Ströme von Flüssigkeiten tief unter der Oberfläche. Die Messungen von den Stationen am Meeresboden sollen dabei helfen, eine Erklärung für das Phänomen zu finden. Die Sensoren könnten zudem in der Lage sein, Veränderungen in den verhakten Teilen der Subduktionszone zu entdecken.
Die USA und Kanada installieren außerdem im Rahmen des Projekts Neptune Langzeitmessstationen in der Cascadia-Region. Das Projekt dient der Sammlung einer Vielzahl von biologischen, ozeanografischen und seismologischen Daten sowohl für die Grundlagenforschung als auch für ein Frühwarnsystem für Bedrohungen wie Algenblüten oder Erdbeben. Kanada trägt 143 Millionen kanadische Dollar (145 Millionen US-Dollar) zu dem Projekt bei und vollendete bereits im vergangenen Jahr die Installation eines Systems aus drei seismologischen Stationen, fünf Druckmessgeräten am Meeresgrund und anderen Instrumenten, die über ein insgesamt 800 Kilometer langes Kabel Daten an eine Landstation übermitteln. Etatprobleme haben den US-Anteil an Neptune verzögert, aber in diesem Sommer begann die Verlegung von Kabeln für Messstationen, die dann in den nächsten Jahren aufgebaut werden sollen.
Da die Verlegung von Hunderten von Kilometern Glasfaserkabel teuer ist, arbeiten die Wissenschaftler an der Entwicklung seetüchtiger Roboter, die in der Lage sein sollen, die Daten von den Stationen einzusammeln. Eines der vorgeschlagenen Projekte würde mit Wellenenergie angetriebene Roboter der Firma Liquid Robotics in Sunnyvale, Kalifornien, mit autarken Sensoren am Meeresboden kombinieren.
Wenn die Daten von den verschiedenen Netzen von Messstationen hereinströmen, hoffen die Forscher ein besseres Verständnis der Subduktionszonen und ihrer Gefahren zu gewinnen. Messungen am Meeresboden "sind das große Ding der nächsten paar Jahre", ist sich Hill sicher. Obwohl einige Projekte bereits vor dem März-Erdbeben in Arbeit waren, hat die Katastrophe die Dringlichkeit dieser Forschungen verstärkt. "Japan hat", so Hill, "den Blick der Leute auf dieses Thema gerichtet."
Die Seismologen hatten nicht erwartet, dass der japanische Graben vor der Tohoku-Küste ein solch gewaltiges Erdbeben produzieren könnte – zum Teil, weil sie nicht genügend Geräte auf dem Meeresboden hatten, um die sich aufbauende Spannung zu bemerken. Einen ähnlichen Mangel an Daten gibt es überall dort, wo eine tektonische Platte auf eine andere stößt und sich darunterschiebt. Solche Subduktionszonen erzeugen die schwersten Erdbeben auf unserem Planeten, darunter auch das schwerste, das jemals aufgezeichnet wurde, ein Monstrum mit einer Stärke von 9,5 vor der Küste von Chile im Jahr 1960. 2004 führte ein Erdbeben in der Subduktionszone vor der indonesischen Insel Sumatra zu einem Tsunami, der 230 000 Menschen das Leben kostete. Und Wissenschaftler sagen voraus, dass eine Subduktionszone an der Nordwestküste der USA Spannungen aufbaut, die innerhalb der nächsten 100 Jahre zu einem Erdbeben der Stärke 9 führen können.
Das Problem für die Forscher ist, dass diese großen Verwerfungen Hunderte von Kilometern von der Küste entfernt Tausende von Metern unter dem Meeresspiegel liegen. Es ist schwierig, dort Messstationen zu installieren und zu warten, die mit Seismometern, GPS-Einheiten und anderen Instrumenten ausgestattet sind, mit denen sich die Struktur der Verwerfungen und etwaige Veränderungen – wie beispielsweise Verspannungen der Kruste – entdecken lassen.
Japan besitzt lediglich 50 Messstationen vor der Küste, um die Verwerfungen am Meeresboden zu beobachten, aber 8700 auf dem Land. Andere Länder sind sogar noch weniger vorbereitet, sie haben nur wenige oder gar keine Sensoren in den Regionen des Meeresbodens, in denen sich die gefährlichen Teile der Subduktionszonen befinden. Stattdessen verlassen sie sich auf Messungen von Stationen auf dem Land – die nur verschwommen Signale aus der Ferne empfangen. Das ist, als würde ein Kardiologe sein Stethoskop auf den Schuh eines Patienten setzen, um dort dessen Herzschlag zu überwachen.
Jetzt versuchen die Forscher, näher an das Geschehen heranzukommen. Das japanische Projekt, den Nankai-Graben zu verkabeln, ist bislang das ambitionierteste Vorhaben. Aber die USA und Kanada wollen die Cascadia-Subduktionszone überwachen, die vom nördlichen Kalifornien bis nach British Columbia reicht. Die Geophysiker hoffen, mit besseren Daten auch besser zu verstehen, wie Subduktionszonen funktionieren, und Vorwarnzeichen heraufziehender Katastrophen zu identifizieren.
"Ohne Messungen am Meeresboden können wir nur raten", sagt Emma Hill vom Earth Observatory in Singapur, die das Erdbebenrisiko in der Umgebung von Indonesien untersucht.
Falsches Verständnis
In der Theorie der Plattentektonik – sie beschreibt die Bewegung der großen ozeanischen und kontinentalen Platten, aus denen die zerbrechliche Kruste der Erde besteht – sind Subduktionszonen die Recyclingzentren. Stoßen zwei Platten zusammen, sinkt die kalte, dichte Ozeankruste ab, und die Platte, die aus Gestein mit einem größeren Auftrieb besteht, schiebt sich darüber. Aber dieses skizzenhafte Modell – ein Förderband mit Schollen aus Ozeanboden, die unter Kontinentalschichten tauchen – ist ein zu sehr vereinfachtes Bild. "Wir brauchen ein komplexeres Bild", sagt Hill, "aber wir verwenden immer noch schöne glatte Flächen in unseren Modellen."
Die Geophysiker wollen in allen Einzelheiten wissen, was vor sich geht, wenn zwei Platten aneinanderreiben. Sie haben den Verdacht, dass die Platten sich ineinander verhaken, vielleicht wenn unterseeische Berge oder andere raue Formen an der Unterseite der oberen Platte gewissermaßen einrasten. Nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten befreien sich die Platten, und es kommt zu einem Mammut-Erdbeben. Auch im Fall des März-Erdbebens in Japan hatten die Forscher den Verdacht, dass die Grenze zwischen den beiden Platten ineinander verhakt war – doch sie nahmen das damit verbundene Risiko nicht wahr, da ihnen das Wissen über die Struktur der Subduktionszone und darüber, wie sich dort Spannung aufbaut, fehlte.
Sie machten sich mehr Sorgen über das Gebiet um den Nankai-Graben, für den Japans offizielle Gefahrenvorhersage eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent für ein Erdbeben der Stärke 8 in den nächsten 30 Jahren angibt. Im Rahmen des Dense Oceanfloor Network System for Earthquake and Tsunamis (DONET) sollen 20 Unterwasser-Messstationen in der Region des Grabens installiert werden, von dem nach Ansicht der Wissenschaftler Erdbeben ausgehen. Das 2006 gestartete DONET-Projekt soll noch dieses Jahr fertig gestellt werden und kostet insgesamt 82 Millionen US-Dollar – ohne die Kosten für die Schiffe.
Die Messstationen enthalten Seismometer, die Erschütterungen aufzeichnen, die von Erdbeben in der Subduktionszone ausgehen, aber auch von Beben überall sonst auf der Welt. Die Messungen sollen den Forschern Informationen über die Übergangszone zwischen der oberen und der unteren Platte liefern. Drucksensoren registrieren außerdem jede Verbiegung der Kruste, indem sie Änderungen des Gewichts der darüberliegenden Wassersäule messen. Telekommunikationskabel verbinden die Messstationen mit Stationen an Land, damit haben die Forscher in Echtzeit Zugriff auf die Daten.
"Ohne Messungen am Meeresboden können wir nur raten"
(Emma Hill)
Yoshiyuki Kaneda, der das DONET-Projekt für die Japanische Behörde für Meeres- und Geowissenschaften und -technik leitet, hofft, dass die Messstationen einen kompletten Erdbebenzyklus einfangen – vom Aufbau der Spannung bis zur Freisetzung der aufgestauten Energie in einem großen Erdbeben, gefolgt vom langsamen Wiederaufbau der Spannung. Die Wissenschaftler wollen daraus beispielsweise lernen, wie große Erdbeben anfangen und welche Aktivitäten ihnen vorausgehen. (Emma Hill)
Wenn es zu einem großen Beben kommt, sollten die DONET-Stationen nahe genug sein, um eine Frühwarnung für Osaka, Tokio und andere Städte zu ermöglichen, die dann schnell von verheerenden seismischen Wellen getroffen werden könnten. Die Drucksensoren könnten außerdem eine Frühwarnung vor Tsunamis erlauben, die auf die Küste zurasen.
Westliche Befürchtungen
Die Befürchtungen der amerikanischen Forscher konzentrieren sich auf die Cascadia-Region. Starke Erdbeben und Tsunamis hat es in dieser Region schon früher gegeben, zuletzt vor über 300 Jahren. "Die seismische Bedrohung durch die Cascadia-Subduktionszone ist beachtlich", sagt Maya Tolstoy vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York.
Tolstoy ist einer der Chefwissenschaftler der Cascadia-Initiative, eines über vier Jahre laufenden Projekts, in dessen Rahmen vorübergehend Messstationen installiert werden, um etwas über das Verhalten der gewaltigen Verwerfung vor der Küste zu lernen. Im Juli dieses Jahres begann das Team damit, die ersten von 60 Stationen auf dem Meeresboden zu installieren. Sie ergänzen ein bereits auf dem Land bestehendes Netz. Das Projekt wird mit fünf Millionen Dollar vom American Recovery and Reinvestment Act von 2009 unterstützt, der wiederum von der US National Science Foundation gefördert wird.
Jede der 60 000 bis 80 000 Dollar teuren Stationen enthält einen Druckmesser und ein Seismometer von der Größe einer Konservendose, die sich in einem Druckbehälter mit Niveauregelanlage befindet und mit einer Stahlkappe gegen Strömungen und Bodenschleppnetze geschützt ist. Die Messstationen sind nicht per Kabel mit dem Festland verbunden. Stattdessen bergen die Forscher die Geräte einmal im Jahr, lesen die Daten aus und platzieren die Stationen an einem neuen Standort. Die Cascadia-Initiative kann genau feststellen, wo in der Subduktionszone Erdbeben entstehen, und so dabei helfen, Position und Struktur der Grenzschicht zwischen den Platten zu analysieren. Damit lassen sich dann auch die Fragen beantworten, wie rau die Platten sind und wo sie ineinander verhakt sind, hofft Richard Allen von der University of California in Berkeley.
Die Messungen am Meeresboden sollen außerdem dabei helfen, ungewöhnliche seismische Signale zu entziffern, die landgestützte Seismometer in der Cascadia-Region aufgezeichnet haben. Die Landsensoren haben Schwärme von Minierdbeben registriert, die etwa alle 12 bis 14 Monate auftreten, sowie seismische Ereignisse, die so langsam ablaufen, dass niemand eine Erschütterung spürt, obwohl sie beachtliche Mengen an Energie freisetzen. Die Forscher haben den Verdacht, dass die Signale Aktivitäten in der Subduktionszone widerspiegeln, vielleicht Schichten innerhalb einer Platte, die sich separat bewegen, oder Ströme von Flüssigkeiten tief unter der Oberfläche. Die Messungen von den Stationen am Meeresboden sollen dabei helfen, eine Erklärung für das Phänomen zu finden. Die Sensoren könnten zudem in der Lage sein, Veränderungen in den verhakten Teilen der Subduktionszone zu entdecken.
Die USA und Kanada installieren außerdem im Rahmen des Projekts Neptune Langzeitmessstationen in der Cascadia-Region. Das Projekt dient der Sammlung einer Vielzahl von biologischen, ozeanografischen und seismologischen Daten sowohl für die Grundlagenforschung als auch für ein Frühwarnsystem für Bedrohungen wie Algenblüten oder Erdbeben. Kanada trägt 143 Millionen kanadische Dollar (145 Millionen US-Dollar) zu dem Projekt bei und vollendete bereits im vergangenen Jahr die Installation eines Systems aus drei seismologischen Stationen, fünf Druckmessgeräten am Meeresgrund und anderen Instrumenten, die über ein insgesamt 800 Kilometer langes Kabel Daten an eine Landstation übermitteln. Etatprobleme haben den US-Anteil an Neptune verzögert, aber in diesem Sommer begann die Verlegung von Kabeln für Messstationen, die dann in den nächsten Jahren aufgebaut werden sollen.
Da die Verlegung von Hunderten von Kilometern Glasfaserkabel teuer ist, arbeiten die Wissenschaftler an der Entwicklung seetüchtiger Roboter, die in der Lage sein sollen, die Daten von den Stationen einzusammeln. Eines der vorgeschlagenen Projekte würde mit Wellenenergie angetriebene Roboter der Firma Liquid Robotics in Sunnyvale, Kalifornien, mit autarken Sensoren am Meeresboden kombinieren.
Wenn die Daten von den verschiedenen Netzen von Messstationen hereinströmen, hoffen die Forscher ein besseres Verständnis der Subduktionszonen und ihrer Gefahren zu gewinnen. Messungen am Meeresboden "sind das große Ding der nächsten paar Jahre", ist sich Hill sicher. Obwohl einige Projekte bereits vor dem März-Erdbeben in Arbeit waren, hat die Katastrophe die Dringlichkeit dieser Forschungen verstärkt. "Japan hat", so Hill, "den Blick der Leute auf dieses Thema gerichtet."
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