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Gefühle bei Kindern: Mehr Tablet, mehr Wutausbrüche

Kinder, die als Dreijährige viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, haben später größere Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren.
Ein kleines Mädchen sitzt auf dem Sofa und schaut in eine Art Tablet
Bereits Kleinkinder sind fasziniert von Videos. Doch während sie am Bildschirm sitzen, verpassen sie womöglich, wichtige Fähigkeiten in der echten Welt zu lernen.

Schon kleine Kinder verbringen viel Zeit am Bildschirm. Laut der 2024 veröffentlichten repräsentativen miniKIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest schauen Zwei- bis Fünfjährige in Deutschland inzwischen täglich im Schnitt 67 Minuten bewegte Bilder. Sie sind also zum Beispiel auf Youtube unterwegs oder sehen fern. Wie wirkt sich das auf ihre Entwicklung aus?

Klar ist: Die digital verbrachte Zeit fehlt den Kindern unter anderem, um ganz analog zu spielen, zu toben oder mit Gleichaltrigen, Geschwistern oder Eltern zu interagieren. Gerade kleine Kinder lernen im Umgang mit anderen täglich viel Neues, etwa wie sie starke und unangenehme Gefühle lenken können.

Verbringen Kinder in diesem Alter zu viel Zeit am Tablet und vor der Mattscheibe, könnte das ihren Erwerb von Fähigkeiten beeinträchtigen, Ärger und Frust zu bewältigen – und zu mehr Wutanfällen führen. Darauf deutet eine neue, im Fachjournal »JAMA Pediatrics« veröffentlichte Studie hin.

Ein Team um Caroline Fitzpatrick von der Université de Sherbrooke in Kanada befragte dafür mehr als 300 Eltern über drei Jahre hinweg. Wie viel Zeit verbrachte ihr Kind mit dreieinhalb, viereinhalb und fünfeinhalb Jahren am Tablet oder iPad? Die Zeit am Smartphone wurde nicht abgefragt. Außerdem interessierte die Forscher, wie gut es dem Nachwuchs gelang, mit Ärger und Frust umzugehen. Wurden die Kinder zum Beispiel wütend, wenn sie ins Bett gehen sollten?

Als Dreieinhalbjährige nutzten die in der Studie erfassten Mädchen und Jungen im Schnitt 55 Minuten täglich ein Tablet oder iPad; zwei Jahre später, als Fünfeinhalbjährige, rund eine Stunde. Das ist fast doppelt so viel an Nutzungsdauer, wie die 2023 von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) herausgegebene Leitlinie für den Mediengebrauch für dieses Alter höchstens empfiehlt. Unter dreijährige Kinder sollten den Expertinnen und Experten zufolge möglichst gar keine Zeit vor Bildschirmen verbringen. Außerdem sollten Eltern sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein: »Je weniger die Kleinen anderen bei der Nutzung von Bildschirmmedien zuschauen, desto besser«, heißt es in der Leitlinie.

Tablet, Frust, Tablet: Ein Teufelskreis

Die kanadische Studie ergab: Kinder, die mit dreieinhalb Jahren besonders lange vor dem Bildschirm saßen, neigten ein Jahr später zu häufigeren und heftigeren Wutausbrüchen. Und weitere zwölf Monate später, im Alter von fünfeinhalb Jahren, verbrachten sie dann noch mehr Zeit als Gleichaltrige am Tablet.

Woran könnte das liegen? Andere Untersuchungen weisen etwa darauf hin, dass Kinder umso häufiger am Smartphone, iPad und Computer hängen, je mehr ihre Eltern gestresst sind. Und das sind Eltern zunehmend. Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) fühlen sich 62 Prozent der Eltern in Deutschland häufig oder sehr häufig unter großem Druck.

Die Nutzung von Tablets könnte bei Vorschulkindern dazu führen, dass sie weniger gut lernen, mit starken Gefühlen umzugehen

Eltern bauen insbesondere dann auf die digitale Ablenkung für ihren Nachwuchs, wenn sie selbst wichtige Aufgaben oder den Haushalt erledigen müssen – oder um die Kids bei Wutanfällen zu besänftigen. Vor allem Letzteres könnte den aktuellen Ergebnissen aus Kanada zufolge jedoch eine ungünstige Strategie sein, weil Kinder so nicht gut lernen, aus eigener Kraft starke Emotionen zu bewältigen. Gerade bei Kindern, die leicht von ihren Gefühlen überrollt werden, sollte man Bildschirme möglichst nicht zur Beruhigung einsetzen, rät das Team um Caroline Fitzpatrick daher.

Stattdessen empfehlen die Wissenschaftler, dass Vorschulkinder viel Zeit mit Vorlesen, Fantasiespielen und Herumtoben verbringen sollten. Das alles fördere die Fähigkeit, eigene Gefühle zu bewältigen – eine wichtige Kompetenz, die möglichen psychischen Erkrankungen im späteren Leben vorbeugt. Auch hier können Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, schließlich sind kleine Kinder hervorragende Beobachter: Wie reagieren Mama oder Papa selbst, wenn sie aufgebracht oder traurig sind? Darüber hinaus hilft es Kindern, wenn ihre Eltern ihnen bei starken Gefühlen zur Seite stehen, sie trösten, Ärger, Angst und Traurigkeit erklären und Wege vorschlagen, damit umzugehen. Die Emotionsregulation dagegen dem Tablet zu überlassen, scheint langfristig wenig hilfreich.

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  • Quellen
JAMAPediatrics 10.1001/jamapediatrics.2024.2511, 2024

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