Direkt zum Inhalt

Genomforschung: Afrika im Aufbruch

Seit der Covid-19-Pandemie sind die Kapazitäten der Genomforschung in Afrika stark erweitert worden. Die Länder des Kontinents möchten gemeinsam Epidemien wirksamer bekämpfen und maßgeschneiderte Therapien entwickeln.
Genomforschungslabor in Südafrika
In einem Genomik-Labor in Kapstadt bereitet die Biologin Thobeka Mhlongwe bakterielles Erbgut für eine Sequenzierung vor. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen helfen dabei, Infektionskrankheiten zu bekämpfen.

Mit einer Mikropipette überträgt die Biologin Thobeka Mhlongwe winzige Tröpfchen von einem größeren Plastikröhrchen in ein kleineres. In der Flüssigkeit befindet sich Erbgut des Tuberkulosebakteriums, das Mhlongwe für die Genomsequenzierung vorbereitet. Tuberkulose ist in ihrer Heimat Südafrika weit verbreitet, allein im Jahr 2022 sind daran 54 200 Menschen gestorben und 280 000 erkrankt, heißt es im aktuellen Bericht der Weltgesundheitsorganisation. Die Genomik hilft zunehmend bei der Bekämpfung und Behandlung dieser und anderer Infektionskrankheiten.

Seit zwei Jahren arbeitet Mhlongwe im Genomik-Labor von Südafrikas medizinischem Forschungsrat in Kapstadt, dem South African Medical Research Council. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind hier mit vielen unterschiedlichen Projekten befasst, aber dieses sei das größte, sagt Mhlongwe. »Wir wollen herausfinden, wie sich die Genexpression der Tuberkuloseerreger durch das Einnehmen oder Absetzen von Medikamenten verändert.« In einem anderen Forschungsvorhaben, an dem sie beteiligt ist, geht es um die Anfälligkeit von Tuberkulosepatienten für Schlaganfälle oder Herzinfarkte.

Genomanalysen erfassen und analysieren sämtliche DNA-Sequenzen des jeweils interessierenden Organismus. Sie erlauben weit reichende Rückschlüsse auf die »Bauanleitungen« und Funktionen von lebenden Organismen – einschließlich Krankheitserregern – sowie Viren. Genomanalysen helfen dabei, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln und die Merkmale ihrer Erreger zu entschlüsseln. Somit spielen sie eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Infektionskrankheiten einzudämmen. Außerdem erlauben sie individuell maßgeschneiderte Therapien, die Krankheitsursachen präzise bekämpfen. Das Fachgebiet der Genomik hat es der 31-jährigen Mhlongwe deshalb besonders angetan. »Es ist für das Verständnis von Krankheit und Behandlung zentral. Es hilft beispielsweise zu begreifen, warum Medikamente bei den einen wirken und bei anderen nicht oder sogar kontraproduktiv sind – abhängig von den individuellen Eigenschaften des Erbguts.«

Jeden Monat 500 Proben

Hinter den dicken Fenstern der aquarienähnlichen Hygieneschleusen (sterilen Durchreichen zwischen benachbarten Labors) sind die meist jungen Forscher und Forscherinnen damit beschäftigt, RNA-Moleküle aus Menschen, Tieren und Pflanzen, Bakterien und Viren zu extrahieren. Mit Hilfe molekularbiologischer Verfahren lassen sie die RNA in DNA umschreiben und legen damit Genbibliotheken an. Craig Kinnear ist stolz auf sein Team. Er ist der Direktor der 2019 gegründeten staatlichen Genomik-Plattform. »Unser erster großer Erfolg war die Sequenzierung von sechs menschlichen Genomen«, erzählt er. Seitdem sei es gelungen, die Kosten zu senken, die Methoden weiterzuentwickeln und die Abläufe zu verbessern. »Heute sequenzieren wir hier jeden Monat etwa 500 Proben«, so Kinnear.

Die Finanzierung sei bislang das größte Hemmnis. Nicht nur Maschinen und Instrumente zur Genomsequenzierung sind teuer, auch die Reagenzien. Also Chemikalien, die beispielsweise dazu dienen, DNA-Fragmente zu markieren. Bislang müssen sie importiert werden, teils auf Trockeneis gelagert. Das kostet Zeit und Geld. »Wir müssen Möglichkeiten finden, die Kosten zu reduzieren«, fordert Kinnear. Und zwar auf eine Weise, die für Afrika »sinnvoll ist und die Qualität unserer Daten nicht beeinträchtigt«. Ideal wäre eine Herstellung von Reagenzien auf dem Kontinent.

Das Ziel: Mehr Eigenständigkeit in der Biomedizin

Die enorme Bedeutung einer lokalen Produktion war Afrika während der Corona-Pandemie schmerzlich vor Augen geführt worden. Angesichts der großen globalen Nachfrage wurden Impfstoffe erst spät geliefert, auch Reagenzien waren knapp. Das bremste Fachleute in afrikanischen Ländern bei ihren Sequenzierungsbemühungen teilweise aus. Unabhängigkeit ist daher eines der Hauptziele der Africa Centres for Disease Control and Prevention (Africa CDC). Die Gesundheitsbehörde der Afrikanischen Union koordiniert die Verteilung von Impfstoffen und Reagenzien, fördert die lokale Herstellung und den Ausbau von Forschungsstätten.

»Covid-19 hat den Fokus darauf gelenkt, wie nützlich die Genomik ist«Cheryl Baxter, Centre for Epidemic Response and Innovation, Stellenbosch University

Die Kapazitäten für Genomforschung auf dem Kontinent seien mit Hilfe von Investitionen staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure enorm ausgeweitet worden, sagt Cheryl Baxter. Sie arbeitet am südafrikanischen Centre for Epidemic Response and Innovation (CERI) an der Stellenbosch University, einem der wohl bestausgestatteten Genomik-Institute Afrikas. Weltweit machte die Institution mit der Entdeckung der Omikron-Variante von Sars-Cov-2 Schlagzeilen. Baxter kommt eigentlich aus der HIV-Forschung, so wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die Genomik unter anderem für die Untersuchung von Medikamentenresistenzen nutzen. »Ich glaube, dass die Genomforschung auch auf Grund der starken Förderung während der Covid-19-Pandemie so erfolgreich war«, sagt sie. Außerhalb der Wissenschaft habe man erkannt, wie nützlich die Fachrichtung zum Beispiel für das Enttarnen neuer Virusvarianten und -mutanten sei. »Covid-19 hat den Fokus darauf gelenkt, wie nützlich die Genomik ist.«

Das bedeutet, dass nun mehr Investitionen und Fördergelder in dieses Forschungsgebiet und neue Institute wie CERI fließen. »Zu Beginn der Pandemie mussten viele Länder ihre Erbgutproben noch an Labore im Ausland schicken. Heute ist es zunehmend möglich, sie vor Ort zu sequenzieren«, sagt die Forscherin. Dadurch liegen unter anderem die Ergebnisse schneller vor. CERI bietet afrikanischen Ländern Unterstützung bei Sequenzaufklärung und Analyse an. Nun gehe es darum, die neuen Möglichkeiten konsequent zu nutzen, betont Baxter. »Die Technologie ist vorhanden; es kommt jetzt darauf an, Genomanalysen auch auf andere Erreger oder Krankheiten anzuwenden.«

Drohende Infektionen

In der Mittagspause nach einem Seminar tauscht sich das Team des Instituts aus. Das Hauptthema: Infektionskrankheiten – beispielsweise Masern in der Demokratischen Republik Kongo, Cholera in Kamerun, Denguefieber in Burkina Faso. Anders als in Europa gehören Infektionskrankheiten in Afrika weiterhin zu den häufigsten Todesursachen. 52 neue Ausbrüche und 113 aktive Epidemien haben die Africa CDC bereits in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 registriert. Entsprechend groß ist der Bedarf an Laborkapazitäten und spezialisierten Fachkräften. Teil des CERI-Teams sind deshalb auch Mitarbeitende aus anderen afrikanischen Staaten. Mehr als 400 Fellows aus 46 Ländern hat das Institut nach eigenen Angaben binnen dreier Jahre aufgenommen.

Lucious Chabuka ist einer von ihnen. Er arbeitet am Institut für öffentliche Gesundheit im südostafrikanischen Malawi, gehört zu den Pionieren der HIV-Sequenzierung und wurde während der Corona-Pandemie zur Weiterbildung nach Südafrika entsandt. Die Africa CDC organisierten sein Training dort. Kurz danach sei in Malawi die Cholera ausgebrochen, erinnert sich Chabuka. »Ein Gerät zur Sequenzierung war zwar eingetroffen, aber es war noch eingepackt, weil niemand außer mir wusste, wie man es bedient. Und es gab auch keine Reagenzien. Wir haben hier alles Nötige besorgt, und ich war innerhalb einer Woche in Malawi.« Chabuka konnte nachweisen, dass die Cholera-Variante neu in dem Land war und zuvor in Pakistan aufgetreten war. Durch Klimakrise und Flugverkehr verbreiten sich neue Erregermutanten rasch um den Globus. Die Genomik hilft dabei, frühzeitig Präventions- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Erst 2024 wurde die erste und bislang einzige Sequenziermaschine in die sudanesische Hauptstadt Khartum geliefert

Chabuka ist begeistert, dass diese Forschung nun auch in Afrika möglich ist und er seinen Teil dazu beitragen kann. Der Kollege neben ihm nickt zustimmend. Abdualmoniem Omer Abdalla stammt aus dem Sudan, lehrt an der medizinischen Fakultät von Kassala Virologie und arbeitet dort zudem im staatlichen Labor. Seit April ist er als Fellow bei CERI, um sich in der Sequenzierung und Analyse der Genomdaten weiterzubilden. Nach Workshops in China und Italien war er überrascht, als er die sogar im internationalen Vergleich »bestens ausgestatteten Labore mit ihren exzellenten Fachkräften« in Kapstadt sah. Ein solches Institut hatte er in Afrika nicht erwartet.

Denn die Forschung in seiner Heimat Sudan sieht anders aus: Erst 2024 wurde die erste und bislang einzige Sequenziermaschine in die Hauptstadt Khartum geliefert. Aber es mangelt an Reagenzien und Knowhow. Omer hofft, bald in seine Heimat zurückkehren zu können, um sein neues Wissen dort zu teilen und wenigstens die Mindeststandards umsetzen. »Vor der Corona-Pandemie haben wir bis zu ein Jahr für die komplette Genomanalyse eines Krankheitserregers gebraucht. Jetzt geht das innerhalb eines Monats«, erklärt er. Und schließlich gebe es zahlreiche Infektionskrankheiten im Sudan, zum Beispiel Chikungunyafieber. Sein Erreger gehört zu den vielen, deren Erbmaterial noch besser erforscht werden muss, um effektivere Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Außerdem ist es wichtig, dass die betroffenen Länder ihre Daten dazu teilen.

Länderübergreifende Initiative

Ein solcher panafrikanischer Austausch wird von der Afrikanischen Union vorangetrieben. Die internationale Organisation plant den Aus- und Aufbau mehrerer Exzellenzzentren für Genomik auf dem Kontinent. Bei einem Webinar Mitte August 2023 erklärte Sofonias Tessema, Programmleiter für Pathogen-Genomik bei den Africa CDC, das Konzept. Er betonte, dass die Initiative von Afrika entwickelt und geführt werde und auf existierenden Programmen aufbaue. »In den vergangenen Jahren haben wir eine beispiellose Ausweitung der Genomik-Kapazitäten in Afrika erlebt. Doch wir haben noch einen langen Weg vor uns, um das ganze Potenzial zu nutzen«, sagte Tessema bei der Veranstaltung. Besonders wichtig sei es, dass die durch Genomik gewonnenen Erkenntnisse und Daten in Entscheidungen über öffentliche Gesundheit und medizinische Entwicklung einflössen.

Diesen Aspekt betont auch Christian Happi, einer der international bekanntesten Genomik-Forscher des Kontinents. Happi ist Direktor des African Centre of Excellence for Genomics and Infectious Diseases an der Redeemer’s University in Nigeria. Er und sein Team hatten dort 2014 den ersten Ebola-Fall bestätigt und die Übertragung des Virus von Tieren auf Menschen mittels Sequenzierung nachgewiesen. Er ist überzeugt, dass an den neuen Exzellenzzentren eine »kritische Masse junger afrikanischer Wissenschaftler« ausgebildet werden kann. Sie sollten Genomik als Werkzeug nutzen, um dann auch mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. Mit dem Ziel, dass eine eigenständige lokale Industrie entstehe, die Diagnostik, Impfverfahren und Medikamente entwickle. Daten der Genomik-Forschung könnten beispielsweise dafür genutzt werden, im Kampf gegen HIV voranzukommen, betont Happi. »Damit ginge ein Traum der Menschheit in Erfüllung. Wir können HIV bereits schnell diagnostizieren und behandeln – warum also keine Impfung dagegen?«

Einzeln betrachtet selten, in der Summe aber häufig

Die Ziele sind somit ehrgeizig, vor allem mit Blick auf Infektionskrankheiten. In diese Forschung fließt derzeit der größte Anteil der Investitionen. Dabei spielt Genomik auch im Umgang mit anderen Krankheiten eine zentrale Rolle: Krebs und Parkinson beispielsweise, Diabetes und so genannte seltene Erkrankungen.

Humangenetikerin Shahida Moosa | An der Stellenbosch University in Südafrika leitet Shahida Moosa eine Forschungsgruppe, die sich mit seltenen Erkrankungen befasst. Das betrifft sehr viele Menschen: Einzeln betrachtet sind diese Erkrankungen tatsächlich selten, zusammengenommen aber wirken sie sich auf 90 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner aus.

Auf dem medizinischen Campus der Stellenbosch University, zwei Etagen unter dem CERI-Institut, sitzt Shahida Moosa an ihrem Schreibtisch. Sie leitet die Abteilung für Molekularbiologie und Humangenetik und arbeitet im benachbarten Tygerberg Hospital, dem zweitgrößten Krankenhaus Südafrikas. Zudem leitet sie eine Forschungsgruppe, die sich mit seltenen Erkrankungen befasst, von denen etwa 80 Prozent als genetisch bedingt gelten. Einzeln betrachtet seien diese Leiden zwar tatsächlich selten – sie beträfen oft nur eine einstellige Zahl von Personen pro eine Million Menschen, sagt die Humangenetikerin. Aber das bedeute nicht, dass sie unbedeutend seien. »Zusammengenommen wirken sie sich auf rund sechs Prozent der Bevölkerung aus, das sind 90 Millionen Afrikaner. 99 Prozent davon haben noch keine Diagnose erhalten. Weltweit leiden sogar 300 bis 400 Millionen Menschen an einer seltenen Krankheit, das sind mehr, als es HIV-Infizierte gibt«.

Für viele seltene Erkrankungen gibt es noch keine wirksamen Medikamente oder nur sehr teure. Dennoch sei allein die Diagnose von großem Wert für die Patienten und ihre Familien, berichtet Moosa. »Sie kommen häufig aus benachteiligten sozioökonomischen Verhältnissen; durch eine Diagnose erhalten sie Zugang zu Förderschulen, Sozialhilfen oder Selbsthilfegruppen.« Manchmal gibt es auch preiswerte Behandlungsmöglichkeiten, etwa beim Mabry-Syndrom. Bei diesem führt die Mutation eines Gens zu Krampfanfällen, die mit Epilepsie-Medikamenten nicht kontrolliert werden können, sich aber durch simple Folsäure-Einnahme lindern lassen, wie Moosa erläutert. »Weil wir die genetische Ursache und ihre Wirkung verstehen, können wir nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten suchen, die relativ preiswert sind.«

Nötig ist dafür ein Gentest, der das Krankenhaus mittlerweile nur noch umgerechnet knapp 300 Euro koste, sagt Shahida Moosa. Und natürlich braucht es ausgebildete Fachkräfte. Sie selbst hat einen Teil ihres Studiums an der Universität zu Köln absolviert. Denn Studiengänge für Humangenetiker gibt es bis heute nur in wenigen afrikanischen Ländern: in Südafrika sowie einigen Staaten Nordafrikas.

Dringend benötigtes Fachpersonal

Ähnlich knapp sind Ausbildungsstätten für genetische Beraterinnen und Berater – also Fachpersonal, das Erkrankte und ihre Angehörigen aufklärt, berät, begleitet. Malebo Malope ist eine von ihnen. Die 31-Jährige hat in Kapstadt studiert und arbeitet im Team von Shahida Moosa. Jeder schwangeren Frau, deren Scan eine Auffälligkeit aufweise, werde eine genetische Beratung angeboten, berichtet Malope. Ebenso verhalte es sich bei Risikoschwangerschaften, Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen oder dem Verdacht auf eine Erbkrankheit. »Wir sprechen mit ihnen über die Möglichkeit eines Gentests und erklären auch, was die Diagnose bedeutet. Wir wollen, dass sie gut informierte Entscheidungen treffen und auf die möglichen Ergebnisse vorbereitet sind.«

Malebo Malope | Die 31-jährige arbeitet an einem Krankenhaus in Kapstadt. Sie berät Menschen mit Risikoschwangerschaften, Tumorleiden oder Erbkrankheiten in Fragen rund um die Genetik.

Der Zugang zu solchen Angeboten ist begrenzt und vom Wohnort abhängig. In Südafrika arbeiten nur an wenigen staatlichen Krankenhäusern genetische Berater. In den meisten anderen afrikanischen Ländern gibt es überhaupt keine. »In Südafrika war ich die erste Schwarze, die diesen Beruf ausübt«, erzählt Malope. Und das wirke sich auf die Beziehung zu den Patientinnen und Patienten aus: »Zum Beispiel verlaufen die Gespräche ganz anders, wenn sie in ihrer Muttersprache mit mir reden können. Sie fühlen sich einfach wohler. Sie können mir gegenüber auch über kulturelle Aspekte sprechen, ohne allzu viel erklären zu müssen.«

»Wir sprechen davon, in der Generation Genom zu leben. Doch gleichzeitig klafft diese riesige Leerstelle inmitten der Landkarte – und das ist Afrika«Shahida Moosa, Abteilung für Molekularbiologie und Humangenetik, Stellenbosch University

Diversität ist in der Genomforschung allgemein ein großes Thema. Vor etwa 20 Jahren entschlüsselten die Fachleute des Human-Genom-Projekts erstmals mehr als 90 Prozent des menschlichen Genoms. Heute ist unsere DNA-Sequenz vollständig bekannt. Die Sammlung menschlicher Genomdaten wächst, aber Afrika als »Wiege der Menschheit« sei dabei unterrepräsentiert, kritisiert Humangenetikerin Shahida Moosa. Ausgerechnet der Kontinent mit dem ältesten Genpool, der größten Diversität und höchsten Krankheitslast. »Wir müssen die Genome von Millionen Afrikanern sequenzieren, um die genetische Vielfalt auf dem Kontinent wirklich zu begreifen. Bislang haben sich nur drei bis sechs Prozent aller Studien mit Afrikanern beschäftigt«, kritisiert die Wissenschaftlerin. Dabei gehe es hier um anderthalb Milliarden Menschen mit der weltweit höchsten genetischen Vielfalt. »Wir sprechen davon, in der Generation Genom zu leben. Doch gleichzeitig klafft diese riesige Leerstelle inmitten der Landkarte – und das ist Afrika.«

Die Lücke soll nun auch durch internationale Kooperationen gefüllt werden. Gemeinsam mit dem Direktor des CERI-Instituts leitet Moosa das afrikanisch-europäische Forschungsvorhaben Genomics for Health in Africa. Die Partner an den Universitäten in Deutschland und der Schweiz seien handverlesen, sagt sie. »Das ist nicht das herkömmliche Modell, bei dem die Europäer uns etwas beibringen und etwas aufbauen, während Afrika nur passiv empfängt.« Es sei keine Einbahnstraße. Afrikanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen könnten viel beitragen, betont Moosa, »durch unsere Art zu denken und durch unsere kooperative Forschungskultur, die auch in einer europäischen Klinik oder Forschungsstätte Wirkung entfalten können«.

Die Begeisterung über das neue Phänomen einer gleichberechtigten Kooperation ist der Forscherin anzusehen. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat sich die Genomik weltweit rasant weiterentwickelt, seit einigen Jahren holt der afrikanische Kontinent auf diesem Gebiet auf. Moosa hofft, dass sich die Entwicklung fortsetzt: »Es wäre wunderbar, wenn jeder Zugang zu klinischer Genomik, Genom- und Präzisionsmedizin hätte – egal, ob in Kapstadt, Kigali, Kinshasa oder irgendwo in Sierra Leone.«

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen

Caelers, D.: Plan for network of Genomics Centres of Excellence across Africa. Nature Africa 10.1038/d44148–023–00052-z, 2023

Choudhury, A. et al.: High-depth African genomes inform human migration and health. Nature 586, 2020

Glanzmann, B. et al.: Human whole genome sequencing in South Africa. Scientific Reports 11, 2021

Kamara J., Essien U.: Covid-19 in Africa: Supply chain disruptions and the role of the Africa Continental Free Trade Agreement. Journal of Global Health 12, 2022

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.