Naturschutz: Gerettetes britisches Blau
Im Ökosystem hängt fast alles von fast allem anderen ab - und kleine Änderungen haben oft dramatische Folgen. Nur Naturschützer mit Überblick können erfolgreich gegensteuern.
Wenn man schon eine aussterbende Art sein muss, dann sollte man wenigstens wie Maculinea arion aussehen – ein hübsch großer und sehr dekorativ blau gemusterter Fotomodell-Schmetterling. Arten wie der "Schwarzgefleckte Bläuling" verschwinden seltener spurlos und ohne den lauten öffentlichen Protest, der einer intensiven Schutzkampagne für bedrohte Arten oft vorausgehen muss.
Jeremy Thomas von der University of Oxford weiß, warum, und sagt es nun – nach einigen Jahrzehnten der Datensammlung, Auswertung und Modellierung sowie einer seit Mitte der 1980er Jahre laufenden, sehr erfolgreichen Wiederansiedlungskampagne, die den Britischen Inseln heute wieder viele gesunde Schwarzgefleckte Bläulinge beschert.
Schuld am zwischenzeitlichen Aussterben war nicht Raubbau durch Schmetterlingssammler, so der Forscher, sondern subtile Veränderungen des Grasland-Ökosystems, in dem die Schmetterlinge zusammen mit Menschen, Zäunen, Hasen, Krankheitserregern, Ameisen und Kräutern zusammenleben. Alle Beteiligten spielen im komplizierten Lebenszyklus des Bläulings und dem Drama seines Verschwindens eine ganz bestimmte Rolle, so Thomas.
Lange bekannt war, dass erwachsene Bläulingsweibchen ihre Eier im Sommer auf Thymianblüten ablegen, wo bald recht kleine Raupen schlüpfen und schließlich massenhaft zu Boden fallen. Dort angekommen, beginnen sie mit einer chemischen Tarnmantel-List: Sie produzieren Duftstoffe, die Ameisen der Spezies Myrmica sabuleti anlocken und diese dazu bewegen, die Raupen als ihresgleichen zu adoptieren und in den Ameisenbau zu transportieren. Hier dauert die Täuschung monatelang an: Während die Ameisen die wachsenden Raupen loyal beschützen, vernaschen die Schmetterlingslarven ihrerseits ungestraft die im Bau lagernde Ameisenbrut. Schließlich verpuppen sich die Raupen im Juni nahe dem Bauausgang und schlüpfen als neuer Bläuling.
Mit den längeren Halmen gingen aber subtile Änderungen des Ökosystems einher, erkannte Thomas. Wegen der insgesamt längeren Schatten sank die Belichtungsdauer des Erdbodens und somit die Durchschnittstemperatur dort, errechnete der Forscher. Dies machte schließlich einem Wärme liebenden Bewohner am Boden schwer zu schaffen: der Ameise Myrmica sabuleti, also dem unfreiwilligen Quartiermeister der Bläulingsraupen. Die Ameisen wurden nach und nach von Konkurrenten wie M. scabrinoides verdrängt, deren Brut sich bei etwas niedrigeren Temperaturen besser entwickelt. Dieser Austausch der Ameisenbevölkerung unter dem höher wachsenden Gras blieb schließlich nicht folgenlos für die Bläulinge: Ihr chemischer Tarnmantel simuliert nur den Duft von M. sabuleti, wird von anderen Ameisen aber durchschaut; die Raupen werden zur Beute der Ameisen und nicht umgekehrt.
In anderen Gegenden Europas hatte der Bläuling es ohnehin nie ganz so schwer gehabt wie auf der Insel – aber auch dort sollte die Botschaft der gerade noch einmal gut gegangenen Geschichte des Briten-Bläulings ankommen, findet Thomas: Das Wohlergehen einer einzigen Art hängt fast immer vom Wohlergehen des gesamten Ökosystems ab. Oder anders gesagt: Wenn eine große, schöne Art verschwindet, könnte es mit dem Verschwinden einer kleineren, weniger dekorativen wie der Ameise M. sabuleti zusammenhängen. Und deren Untergang kann, so zeigt das Zaunexperiment aus den 1930er Jahren, schon mit einem simplen Zaun beginnen, der Schmetterlingssammler und Weidetiere aussperrt.
Dabei hatte man vor 80 Jahren noch gedacht, dass gutes Aussehen und verstärkte öffentliche Anteilnahme dem Bläuling zum Verhängnis werden: Schmetterlingsfreunde würden die Tiere so häufig in ihrer Insektensammlung aufspießen, dass die Deko-Objekte in freier Wildbahn immer seltener werden. Schon Anfang der 1930er Jahre brachten deswegen Ökologiepioniere Zäune um einige wenige gut frequentierte Schmetterlingswiesen Englands an, um die Insekten vor ihren rücksichtslosen Fans zu schützen. Erfolgreich war das nicht, eher im Gegenteil: Gerade in umzäunten Arealen verschwanden die Schmetterlinge noch schneller. Warum, blieb unklar. Und ein paar Jahrzehnte später war es dann ganz vorbei mit dem Bläuling auf den britischen Inseln: Nachdem die Populationen inselweit unaufhaltsam gesunken waren, starb der letzte M. arion Britanniens 1979.
Jeremy Thomas von der University of Oxford weiß, warum, und sagt es nun – nach einigen Jahrzehnten der Datensammlung, Auswertung und Modellierung sowie einer seit Mitte der 1980er Jahre laufenden, sehr erfolgreichen Wiederansiedlungskampagne, die den Britischen Inseln heute wieder viele gesunde Schwarzgefleckte Bläulinge beschert.
Schuld am zwischenzeitlichen Aussterben war nicht Raubbau durch Schmetterlingssammler, so der Forscher, sondern subtile Veränderungen des Grasland-Ökosystems, in dem die Schmetterlinge zusammen mit Menschen, Zäunen, Hasen, Krankheitserregern, Ameisen und Kräutern zusammenleben. Alle Beteiligten spielen im komplizierten Lebenszyklus des Bläulings und dem Drama seines Verschwindens eine ganz bestimmte Rolle, so Thomas.
Lange bekannt war, dass erwachsene Bläulingsweibchen ihre Eier im Sommer auf Thymianblüten ablegen, wo bald recht kleine Raupen schlüpfen und schließlich massenhaft zu Boden fallen. Dort angekommen, beginnen sie mit einer chemischen Tarnmantel-List: Sie produzieren Duftstoffe, die Ameisen der Spezies Myrmica sabuleti anlocken und diese dazu bewegen, die Raupen als ihresgleichen zu adoptieren und in den Ameisenbau zu transportieren. Hier dauert die Täuschung monatelang an: Während die Ameisen die wachsenden Raupen loyal beschützen, vernaschen die Schmetterlingslarven ihrerseits ungestraft die im Bau lagernde Ameisenbrut. Schließlich verpuppen sich die Raupen im Juni nahe dem Bauausgang und schlüpfen als neuer Bläuling.
Thomas hatte in den 1970ern bis zum Aussterben des britischen Bläulings alle Faktoren des Lebenszyklus detailliert untersucht und diese Daten vor Jahren in ein Computermodell gespeist. Dabei war ein übersehener Faktor aufgefallen: Bläulinge starben besonders dort schnell, wo die Graspflanzen etwas höher wuchsen als andernorts. Ursache war dabei der Mensch – er hatte im letzten Jahrhundert immer seltener Vieh auf den Grasflächen weiden lassen. Noch Anfang der 1950er Jahre hatten sich daran Wildkaninchen gefreut, die statt der Herden die längeren Halme gerupft hatten – bis die Langohren selbst dann aber durch die Kaninchenpest hart getroffen wurden. Fortan wuchs das Gras.
Mit den längeren Halmen gingen aber subtile Änderungen des Ökosystems einher, erkannte Thomas. Wegen der insgesamt längeren Schatten sank die Belichtungsdauer des Erdbodens und somit die Durchschnittstemperatur dort, errechnete der Forscher. Dies machte schließlich einem Wärme liebenden Bewohner am Boden schwer zu schaffen: der Ameise Myrmica sabuleti, also dem unfreiwilligen Quartiermeister der Bläulingsraupen. Die Ameisen wurden nach und nach von Konkurrenten wie M. scabrinoides verdrängt, deren Brut sich bei etwas niedrigeren Temperaturen besser entwickelt. Dieser Austausch der Ameisenbevölkerung unter dem höher wachsenden Gras blieb schließlich nicht folgenlos für die Bläulinge: Ihr chemischer Tarnmantel simuliert nur den Duft von M. sabuleti, wird von anderen Ameisen aber durchschaut; die Raupen werden zur Beute der Ameisen und nicht umgekehrt.
So weit die Theorie, die Thomas schon Ende der 1970er Jahre nach seiner Datenauswertung formuliert hatte. Als Gegenmaßnahme zum Bläulingstod empfahl er Naturschützern demzufolge vor allem eines: Haltet die Grasflächen der Bläulingshabitate schön kurz. Für Großbritannien kam dies zu spät – vorerst. Dann, 1983, begannen Ökologen mit groß angelegten Wiederansiedlungsexperimenten auf gestutzten Schmetterlingswiesen, auf denen sich M.-sabuleti-Ameisen und aus Schweden importierte Schwarzflecken-Bläulinge wohl fühlten. Am Ende haben sie nun eine der größten Erfolgsgeschichten des Naturschutzes geschrieben: Der Bläuling lebt und gedeiht heute in England prächtiger als zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
In anderen Gegenden Europas hatte der Bläuling es ohnehin nie ganz so schwer gehabt wie auf der Insel – aber auch dort sollte die Botschaft der gerade noch einmal gut gegangenen Geschichte des Briten-Bläulings ankommen, findet Thomas: Das Wohlergehen einer einzigen Art hängt fast immer vom Wohlergehen des gesamten Ökosystems ab. Oder anders gesagt: Wenn eine große, schöne Art verschwindet, könnte es mit dem Verschwinden einer kleineren, weniger dekorativen wie der Ameise M. sabuleti zusammenhängen. Und deren Untergang kann, so zeigt das Zaunexperiment aus den 1930er Jahren, schon mit einem simplen Zaun beginnen, der Schmetterlingssammler und Weidetiere aussperrt.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben