Artenvielfalt: Navigationssystem für Artenschützer
Die einen kämpfen auf verlorenem Posten, denn sie sind die Letzten ihrer Art. Andere sind die Vorhut, sie erobern ständig neues Terrain für ihre wachsende Sippschaft. All das lässt sich aus Verbreitungskarten von Arten herauslesen: Ein Ansatz, den Naturschützer nun häufiger in Betracht ziehen sollten.
Der Dunkle Dickkopffalter (Erynnis tages) ficht nur noch Rückzugsgefechte aus, eines – wahrscheinlich gar nicht mehr so fernen – Tages wird sein letztes Stündlein auf den Britischen Inseln geschlagen haben. Dem Schachbrettfalter (Melanargia galathea) dagegen geht es gut; seine Reihen stehen geschlossen, und er dehnt seinen Einfluss aus. Beide haben große Verbreitungsgebiete und sind relativ häufig. Woher kommen also die überzeugten Aussagen?
Aussterben verläuft nicht immer linear und tritt auch nur in seltenen Fällen als Folge eines einzelnen extremen Ereignisses auf. Viel häufiger ist es ein schleichender Prozess: Die Art verschwindet mal hier, mal da, und die Lücken in ihrem Areal werden auf Dauer immer größer und häufiger. Am Schluss lebt die Spezies allenfalls noch in den wenigen – meist kleinen –, verbliebenen und fragmentierten Bereichen, die noch optimale Bedingungen bieten. Und dort schlagen dann häufig stochastische Unwägbarkeiten gnadenlos zu: Ein Sturm zerschmettert die letzten Exemplare eines Schmetterlings, die Inzucht lässt die wenigen verbliebenen Männchen eines Nagetiers zeugungsunfähig werden, oder eine Katze erlegt die restlichen Überlebenden einer Vogelart.
Unwahrscheinlich? Alles schon einmal vorgekommen: "Tibbles", die Katze eines Leuchtturmwärters auf Stephens Island, Neuseeland, jagte den Stephens-Island-Schlüpfer (Xenicus lyalli) bis zur Ausrottung, die letzten Schwarzfuss-Iltisse (Mustela nigripes) wären fast durch die Staupe umgekommen. Erst menschliche Intervention rettete den Iltis vor dem Aussterben.
Auch Ausbreitungstendenzen sind nicht immer geradlinig: Spezies werden mit dem Wind verdriftet und siedeln sich dann an ihrem neuen Zielort an, der mitunter viele Kilometer vom Ausgangspunkt entfernt liegen kann. So etwas lässt sich beispielsweise auf Inseln beobachten, mit viel Glück können daraus auch neue Arten wie die Darwinfinken entstehen. Meistens ziehen aber einzelne Vertreter einer Spezies los, um neue Reviere zu erobern. Ihre Artgenossen vermehren sich eifrig und zwingen den Nachwuchs, in geeignete Gebiete abzuwandern, die häufig in unmittelbarer oder zumindest naher Nachbarschaft zur bisherigen Heimat liegen. Dies gilt etwa für die vormals seltenen Biber (Castor fiber) in Deutschland.
Aber wie erkennt man jetzt aus den Verbreitungskarten, ob eine Art Gefahr läuft auszusterben oder im Gegenteil expandiert? Forscher um Robert Wilson von der Universität Leeds haben dazu aktuelle Arealkarten verschiedener britischer Schmetterlingsarten betrachtet und sie mit Materialien von 1970 bis 1982 verglichen. Dabei zeigte sich, dass Spezies, deren Verbreitung zunehmend bruchstückhaft wurde, auch die stärksten Bestandseinbußen hinnehmen mussten. Auf der anderen Seite wiesen stärker werdende Arten ein sehr kompaktes, geschlossenes Kerngebiet auf, von dem sie aus Neuland erobern. Diese Außenposten bilden allerdings meist einen lockeren Ring oder Einzelstandorte um das Herkunftsgebiet, das daher monolithisch, aber an den Rändern leicht zerfasert erscheint.
Dieses Schema übertrugen die Wissenschaftler auf belgische Schmetterlinge und britische Pflanzen, wo es jeweils bestätigt wurde. Allerdings gilt es dabei, den Maßstab der Untersuchungen zu beachten, denn gerade bei wenig mobilen Taxa muss genauer hingesehen werden, ob sich ihr Status verändert. Bei ortsfesten Pflanzen etwa spielen sich Aussterbe- oder Expansionsprozesse auf kürzeren Distanzen ab als bei Vögeln, so Wilson und seine Kollegen. Anhand der beobachteten Muster lassen sich zukünftige Veränderungen erkennen und gefährdete Arten eher herausfiltern.
In diesem Sinne geht es dem Dunklen Dickkopffalter wie dem Menschen mit einem löchrigen Hemd: Erst ist es nur eine kleine Schwachstelle, dann werden die Lücken immer größer und schließlich fällt das ganze System auseinander. Für den Schmetterling gibt es allerdings keinen Ersatz mehr.
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