Artenschutz: Tiefrote Bilanzen
Wäre die Natur ein klassisches Wirtschaftsunternehmen und Arten der Gewinn, die Sorge wäre groß angesichts des derzeitig rapiden Kapitalverlustes. Droht der Konkurs?
Rotwolf, Mauritiussittich, Waldrapp, Harlekinfrosch, Goldkugelkaktus, Tasmanischer Beuteltiger, Dodo – die Zahlen der bedrohten oder ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten wachsen in bislang nicht gekanntem Tempo, wobei bestimmte Gruppen – beispielsweise Amphibien, Schildkröten oder Palmfarne – davon überdurchschnittlich stark betroffen sind. Bei anderen artenreichen Einheiten wie Insekten oder Fischen fehlen dagegen mangels genauerer Kenntnisse der Bestände exakte Daten. Die so genannten Roten Listen geben daher wahrscheinlich nur einen kleinen Einblick in viel dramatischere Bedrohungsszenarien.
Nach Angaben der IUCN wuchs die Rote Liste im Vergleich zum Vorjahr um 3330 Spezies. Diese erschreckende Tatsache relativiert sich zwar ein klein wenig bei genauerer Betrachtung. So resultiert das starke Wachstum auch aus Neueinteilungen von Arten und erstmalig erfassten Tier- und Pflanzengruppen. Aber gerade deshalb leuchten die Warnlampen auf. Erst diese genaueren Untersuchungen zeigen etwa das ganze Ausmaß des Amphibiensterbens, von dem jede dritte Frosch- oder Salamanderart betroffen ist. Bedroht sind weiterhin fast die Hälfte aller Schildkröten, jeder achte Vogel und jedes vierte Säugetier. In absoluten Zahlen stellt dies die Gefährdung von mehr als 1200 Vogel- und 1000 Säugetierarten dar!
Doch diese erfreulichen Ereignisse dürfen nicht über das wahre Ausmaß des Artensterbens hinweg täuschen. Die Natur schreibt rote Zahlen, und der Mensch ist der Hauptverantwortliche, wenn sie daran Bankrott geht.
Nach den neuesten Zahlen der IUCN gelten insgesamt mindestens 15 589 Spezies als bedroht: 7266 Tier- und 8323 Pflanzenarten. Mindestens 15 Arten sind in den letzten zwanzig Jahren ausgestorben, und zwölf weitere überleben nur noch in menschlicher Obhut. Vom Antlitz des Planeten verschwanden Mitglieder aus unterschiedlichen Taxa: Der Guam-Fliegenschnäpper (Myiagra freycineti) wurde in seiner Heimat gänzlich von einer eingeschleppten Schlange verzehrt. Den letzten Spanischen Steinbock (Capra pyrenaica ssp. pyrenaica) raffte ein umstürzender Baum hinweg, nachdem seine Artgenossen über die Jahrhunderte bejagt wurden. Die Goldkröte (Bufo periglenes) aus Costa Rica fiel einer Kombination aus Klimawandel und Krankheiten zum Opfer; und der kleine Farn Anogramma ascensionis von der Atlantikinsel St. Helena wurde von eingeführten Pflanzen verdrängt.
Sie alle bilden aber sehr wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. So kennt man bei den Amphibien beispielsweise nur neun Arten, die definitiv seit 1980 ausgestorben sind. Allerdings gibt es von 113 weiteren Lurchen in der jüngeren Vergangenheit keinen gesicherten Nachweis mehr; ihre Existenz steht folglich höchst in Frage. Von den 281 bekannten Süßwassermuschelarten der Vereinigten Staaten gelten mindestens 19 als ausgestorben.
Manche Arten existieren noch, wandeln aber am schmalen Grat des Abgrundes und überleben nur auf Grund menschlicher Fürsorge: Den brasilianischen Spix-Ara (Cyanopsitta spixii) trennen gerade einmal sechzig Exemplare bei wenigen Züchtern auf verschiedenen Kontinenten von der totalen Auslöschung, Schnecken der Gattung Partula kriechen zwar durch Glaskästen in den Zoos von London und des Jersey Wildlife Trusts, aber nicht mehr durch ihre ursprüngliche Heimat Moorea in Französisch-Polynesien. Es steht zu befürchten, dass in naher Zukunft viele weitere Arten ein ähnliches Schicksal teilen werden.
Nach Angaben der IUCN wuchs die Rote Liste im Vergleich zum Vorjahr um 3330 Spezies. Diese erschreckende Tatsache relativiert sich zwar ein klein wenig bei genauerer Betrachtung. So resultiert das starke Wachstum auch aus Neueinteilungen von Arten und erstmalig erfassten Tier- und Pflanzengruppen. Aber gerade deshalb leuchten die Warnlampen auf. Erst diese genaueren Untersuchungen zeigen etwa das ganze Ausmaß des Amphibiensterbens, von dem jede dritte Frosch- oder Salamanderart betroffen ist. Bedroht sind weiterhin fast die Hälfte aller Schildkröten, jeder achte Vogel und jedes vierte Säugetier. In absoluten Zahlen stellt dies die Gefährdung von mehr als 1200 Vogel- und 1000 Säugetierarten dar!
Und es gibt noch weitere Gründe, warum knapp 16 000 bedrohte Tier- und Pflanzenspezies allenfalls die Untergrenze der Vielfaltskrise andeuten: Das Myriadenheer der Wirbellosen oder Pilze ist nur in kleinsten Ansätzen erfasst. Selbst bei der Flora ergeben sich große Lücken, denn hier kennt man gerade einmal die genauen Zahlen der Nadelbäume und der Palmfarne, von denen 25 bis 50 Prozent in irgendeiner Form gefährdet sind. Süßwasser- und marine Lebensräume sind ebenfalls mangelhaft untersucht, wenngleich sich die Hinweise auf dortiges Artensterben mehren. Seefische – im Speziellen Haie, Tun- und andere Speisefische – werden bis zum Erlöschen der Bestände gejagt, Süßwasserorganismen leiden unter Gewässerverschmutzung, Flussverbauungen und eingeführten Arten.
Die sechste globale Aussterbewelle scheint immer mehr taxonomische Gruppen zu erfassen und betrifft kontinentale Arten mittlerweile ebenso häufig wie Inselbewohner. Vor diesem Hintergrund schätzt die IUCN die Aussterberate mindestens 100 bis 1000fach höher ein als ohne menschliches Zutun. Menschliche Eingriffe in das natürliche Gleichgewicht sind jedoch mannigfaltig: Sie reichen von Lebensraumzerstörung über eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten bis hin zur Übernutzung einzelner Populationen. Der Mensch ist folglich die treibende Kraft hinter dem Niedergang der Biodiversität.
Allerdings ist noch nicht alles verloren, denn es gibt immer wieder Lichtblicke. Das Aussterben des Goldgelben Löwenäffchens (Leontopithecus rosalia) aus dem brasilianischen Küstenregenwald wurde durch konzertierte Naturschutz- und Zuchtbemühungen ebenso erfolgreich vermieden wie das des Kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus). Auch entdeckt man immer wieder verschollen geglaubte oder vermeintlich ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten wie den Langbein-Buschsänger (Trichocichla rufa) auf Fiji oder die Bayerische Kleinwühlmaus (Microtus bavaricus). Von ihr glaubte man, sie wäre komplett einem Krankenhausbau in Garmisch-Partenkirchen zum Opfer gefallen, bevor man sie 2000 im angrenzenden Tirol wieder fand.
Doch diese erfreulichen Ereignisse dürfen nicht über das wahre Ausmaß des Artensterbens hinweg täuschen. Die Natur schreibt rote Zahlen, und der Mensch ist der Hauptverantwortliche, wenn sie daran Bankrott geht.
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