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Navigation: Zwei Mathematiker lösen erstmals das GPS-Problem

Wie viele Satelliten braucht man, um eine exakte Navigation zu gewährleisten? Lange gab es nur Spekulationen – doch nun haben Fachleute eine überraschende Antwort gefunden.
Ausschnitt der Erdkugel, bedeckt mit einem Netzwerk aus Punkten
Satellitennavigationssysteme erlauben es uns, theoretisch überall auf der Welt unseren Standort zu bestimmen.

31 GPS-Satelliten umkreisen dauerhaft unseren Planeten. Sie stellen sicher, dass sich Personen auch in fremden Städten ohne Stadtplan zurechtfinden; dass man die kürzeste Route in den Urlaub findet und vor Staus gewarnt wird. Satellitennavigationssysteme sind aus dem alltäglichen Leben vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. In der Regel sind von jeder Position auf der Erde aus stets vier GPS-Satelliten sichtbar, was eine bis auf wenige Meter genaue Ortung ermöglicht.

Die Satellitennavigation scheint in der Praxis gut verstanden – doch aus mathematischer Sicht stellt das so genannte GPS-Problem eine Herausforderung dar: Wie viele Satelliten sind nötig, um eine genaue Ortung zu gewährleisten? Nun haben die Mathematikerin Mireille Boutin von der Technischen Universität Eindhoven und ihr Kollege Gregor Kemper von der TU München erstmals eine eindeutige Lösung des GPS-Problems geliefert. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im September 2024 im Fachjournal »Advances in Applied Mathematics«.

GPS-Satelliten sind im Prinzip nichts anderes als fliegende, funkende Atomuhren. Um eine Position auf der Erde zu bestimmen, misst ein Empfangsgerät die Signale der Satelliten zusammen mit deren Laufzeit. Aus der Zeitspanne lässt sich die Distanz zwischen Satellit und Person ermitteln: Die Signale bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, also entspricht die Entfernung dem Produkt aus Lichtgeschwindigkeit und benötigter Zeit. Möchte man auf diese Weise die Position einer Person im dreidimensionalen Raum berechnen (das heißt Längengrad, Breitengrad und Höhe), sind die Signale von drei verschiedenen Satelliten nötig.

In der Praxis reichen drei Satelliten aber nicht aus. Denn während GPS-Satelliten mit ultrapräzisen Atomuhren arbeiten, sind die Zeitmesser in Smartphones oder anderen Navigationsgeräten recht ungenau. Gehen diese nur eine millionstel Sekunde falsch, entsteht bei der Positionsbestimmung eine Ungenauigkeit von mindestens 300 Metern. Neben den drei Raumpositionen gibt es daher noch eine vierte Unbekannte, die gerätespezifische Ungenauigkeit, die bei der Ortsbestimmung eine Rolle spielt. Deshalb sind mindestens vier Satelliten für eine verlässliche Navigation nötig. »GPS kombiniert extreme genaue und ungenaue Informationen, um herauszufinden, wo sich ein Gerät befindet«, sagt Boutin. »GPS ist zwar weit verbreitet, doch wir konnten keine theoretische Grundlage finden, die garantiert, dass die aus den Satellitensignalen gewonnene Position eindeutig und präzise ist.«

Eine geometrische Perspektive

Aus mathematischer Sicht ist das GPS-Problem damit aber nicht gelöst. Die Satelliten senden in alle Raumrichtungen Signale aus, die sich kugelförmig ausbreiten. Wenn ein Navigationsgerät die Zeit exakt erfassen würde, ließe sich die Entfernung zwischen Person und Satellit präzise bestimmen – die mögliche Position entspricht einer Kugeloberfläche um den Satelliten. Mit drei Satelliten, die jeweils ihre Entfernung zur Person preisgeben, ergeben sich drei Kugeloberflächen, die sich in mehreren Punkten schneiden. In der Regel gibt es jedoch nur einen Schnittpunkt aller drei Kugeln, der mit der Lage der Erde vereinbar ist. Damit ist der Ort der Person gefunden.

Wenn das Navigationsgerät allerdings bloß eine ungenaue Uhr besitzt, ist die Situation komplizierter. Die tatsächlichen Zeitspannen, die ein Funksignal für den Weg von jedem Satelliten zur Person benötigt, sind nicht bekannt. Dafür lassen sich aber die Zeitunterschiede angeben, mit denen die Satelliten die Signale senden. So können relative Entfernungen zur Person berechnet werden. Das geometrische Problem nimmt dadurch eine neue Form an: Gesucht sind nicht mehr die Schnittpunkte von Kugeln, sondern von so genannten Hyperboloiden.

Auch hierbei erhält man in der Regel mehrere Lösungen – wobei meist nur eine mit dem Ort auf der Erde vereinbar ist. Im Alltag macht man jedoch oft die Erfahrung, dass die Qualität des GPS-Signals schwankt. Grund dafür kann unter anderem die Positionierung der Satelliten sein. Sind beispielsweise zwei Satelliten zu nah beieinander, ist die Standortbestimmung schlechter.

»Tatsächlich haben wir über ein Jahr an dem Problem gearbeitet, bis wir so weit waren«Gregor Kemper, Mathematiker

Von einer ähnlichen Schwierigkeit handelt das GPS-Problem in der Mathematik. Es dreht sich um die Frage, wie viele Satelliten nötig sind, um einen Punkt im Raum eindeutig lokalisieren zu können – und zwar möglichst unabhängig von der Positionierung der Satelliten (natürlich sollten sie nicht alle auf einer Geraden aufgereiht sein). Boutin und Kemper haben diese Frage nun gelöst – und zwar nicht nur für den dreidimensionalen Fall, sondern generell für die Positionsbestimmung in einem d-dimensionalen Raum. Demnach sind mindestens d + 2 Satelliten nötig, um einen Punkt orten zu können. »Auch wenn das schon lange vermutet wurde, hat es bisher niemand geschafft, einen Beweis zu finden«, sagt Kemper. »Das war auch nicht ganz einfach: Tatsächlich haben wir über ein Jahr an dem Problem gearbeitet, bis wir so weit waren.«

Für den konkreten Fall der Satellitennavigation sind demnach mindestens fünf Satelliten nötig. Unsere Systeme funktionieren mit vier Satelliten trotzdem ganz gut. Grund dafür ist, dass die Mathematikerin und der Mathematiker nach eindeutigen Lösungen des GPS-Problems gesucht haben – also Fälle, bei denen die Hyperboloide nur einen einzigen Schnittpunkt haben. Für praktische Anwendungen auf der Erde sind eindeutige Lösungen in der Regel aber nicht nötig, da die Geräte mit der zusätzlichen Bedingung arbeiten können, dass wir uns auf einer Kugeloberfläche befinden. Ein zweiter Schnittpunkt, der irgendwo im Weltall liegt, kann demnach verworfen werden.

»Es spielt keine Rolle, wie viele Satelliten ein Signal senden – wenn sie alle auf einem Hyperboloid liegen, kann es sein, dass die vom GPS gewählte Lösung falsch ist«Mireille Boutin, Mathematikerin

Die Arbeit der Fachleute enthält zudem Überraschungen, mit denen sie ältere Vermutungen widerlegen. »Wir haben in wissenschaftlichen Arbeiten Hypothesen gefunden, die weithin akzeptiert zu sein scheinen, doch wir konnten nirgendwo ein stichhaltiges Argument finden, um sie zu stützen«, berichtet Boutin. Sie und Kemper konnten zum Beispiel beweisen, dass, selbst wenn sich die Satelliten nicht auf einer Geraden befinden, mehrdeutige Lösungen möglich sind. Wenn etwa die Positionen der Person und der Satelliten auf einem Hyperboloid angeordnet sind, gibt es keine eindeutige Lösung zu dem Problem. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass Situationen, in denen die Lösung nicht eindeutig ist, allgegenwärtig sind«, schreiben die Autoren. »Es spielt keine Rolle, wie viele Satelliten ein Signal senden – wenn sie alle auf einem dieser Hyperboloide liegen, kann es sein, dass die Gleichungen zwei Lösungen haben, so dass die vom GPS gewählte Lösung falsch sein könnte«, sagt Boutin. Das ist auch der Fall, wenn man d + 2 Satelliten zur Verfügung hat. Prinzipiell gelte aber: Je mehr Satelliten, desto seltener trete so ein Fall ein und umso besser sei das Ergebnis.

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  • Quellen
Boutin, M., Kemper, G.: Global positioning: The uniqueness question and a new solution method. Advances in Applied Mathematics 160, 2024

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