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Namensstatistik: Gruppendynamik im Standesamt

Wie wählen Eltern einen Namen, wo doch eigentlich jeder beliebige seinen Zweck erfüllen würde? Forscher sehen darin einen Modellfall für ähnliche Entscheidungsprozesse.
Babykette mit Namen
Lieber Paul, Lukas oder Jonas? Oder darf es ein bisschen ausgefallener sein? Lou Sulola und Wilson Gonzalez zum Beispiel? Die Namensfindung ist die erste große Herausforderung des Elternwerdens. Gut klingen muss es natürlich. Vor allem soll der Sprössling weder in der Masse untergehen noch soll ihm mit der Taufe der Weg in die Chefetage verbaut werden. Da gilt es sorgfältig abzuwägen.

Aber zwischen was eigentlich? "Alle Namen haben vergleichbare intrinsische Werte", sagen Todd Gureckis von der New York University und sein Kollege Robert Goldstone von der Indiana University in Bloomington. Will heißen: Nichts an dem Namen "Leon" selbst ist so besonders, was seine Position auf Platz 1 der Hitliste der beliebtesten Namen in Deutschland rechtfertigen und "Arved" dagegen auf Rang 500 verbannen würde. Für Psychologen und Soziologen sind die gestressten Eltern daher ein ideales Betätigungsfeld.

Denn wie man einen Namen einschätzt, gründet auf dem Verhalten anderer Eltern, die wiederum ihre eigene Entscheidung von den Entscheidungen anderer abhängig gemacht haben und so weiter. Die Dynamik eines solchen hochgradig vernetzten Systems zu verstehen, könnte letzten Endes dabei helfen, ähnliche Prozesse, beispielsweise an der Börse, besser zu analysieren. Hier wie dort gäbe es Phasen der Hochkonjunktur und des Niedergangs, die einfach nur aus der wechselseitigen Beeinflussung einer Vielzahl Handelnder entstehen.

Auch wenn sich die werdende Mutter und der werdende Vater für ihre individuelle Entscheidung nächtelang den Kopf zerbrechen – um die statistischen Eigenschaften der Prozesse im Großmaßstab zu erklären, bringen Forscher erstaunlich simple Systeme in Anschlag. Beispielsweise genügt für eine gute Näherung ein Modell, in dem Namen von einer Generation auf die nächste übertragen werden – kleinere "Kopierfehler" inklusive. Die sorgen dann dafür, dass nicht ein Name am Ende alles übernehmen wird. Stattdessen liefert das Random-Drift-Modell nach ein paar Durchgängen eine Verteilung, die der tatsächlichen erstaunlich nahekommt: Eine große Masse an nur sporadisch vertretenen Namen steht dann einigen wenigen dominanten gegenüber. Gesellschaften, in denen die Neigung zu ausgefallenen Namen wächst, lassen sich zudem durch eine höhere Wichtung der zufallsgesteuerten Kopierfehlerkomponente nachbilden.

Eine Masse an Daten

Sofern man sich auf kurze Zeiträume beschränkt, funktioniere dieses Modell recht gut, so Gureckis und Goldstone. Aber die beiden Forscher wollten es genauer wissen und nahmen sich jetzt die Namenslisten der US-amerikanischen Sozialbehörde seit dem Jahr 1880 vor – auch das ein weiterer Pluspunkt der Forschung an der Namensvergabe: Daten liegen in großer Masse und praktisch lückenlos vor.

Welche Muster würden sich in den Aufzeichnungen erkennen lassen? Tatsächlich verhielten sich die meisten Namen in einer Hinsicht relativ gleich: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprach des Auf und Ab von Namen auf der Beliebtheitsskala eher jährlichen Zufallsschwankungen.

In der zweiten Hälfte ließen sich dagegen für jeden Namen meist klare Tendenzen ausmachen. Manche Namen sind seit dieser Zeit klar auf dem absteigenden Ast, andere gewannen aus dem Nichts an Popularität, die sie seit ihrem Höhepunkt wieder einbüßten – oder ihre Erfolgsgeschichte setzt sich sogar noch fort. In jedem Fall vollzogen sich die Veränderungen von Jahr zu Jahr nur schleichend.

Der Trend entscheidet

Um diesen Befund in ein statistisches Modell einzubetten, erweiterten die Forscher die Mechanik des simplen Random-Drift-Modells um eine weitere Komponente, die die früheren Änderungen in der Beliebtheit eines Namens einberechnete. Tatsächlich erwies sich diese Logik als zutreffend. Namen wurden häufiger vergeben, wenn sie im Vorjahr einen Popularitätszuwachs erfahren hatten, und umgekehrt. "Leon" oder "Lukas" bekamen demnach irgendwann regelrecht Schwung und konnten so beliebter und beliebter werden.

In der ersten Hälfte des Jahrhunderts versagte hingegen die Formel der Forscher. Der Grund, so spekulieren sie, liege darin, dass Eltern damals viel festgelegter waren als heutzutage. Wenn für den Sohnemann nur der Name von Papa, Opa oder Onkel in Frage kommt, drücke sich das aus statistischer Sicht als eine Schwankung um einen Mittelwert aus. Statt Schwung zu verleihen, bremst dieser Effekt die Entwicklung: Ein beliebter Name aus dem vergangenen Jahr wird im nächsten an Popularität verlieren und umgekehrt.

Wenn beliebte beliebter werden und unbeliebte noch unbeliebter, müssten sich eigentlich über kurz oder lang wenige Namen auf Kosten der anderen ungehemmt ausgebreitet haben. Da dies nicht der Fall zu sein scheint, gehorcht das System "Vorname" den Gesetzmäßigkeiten wohl nicht zu 100 Prozent, bemerken auch Gureckis und Goldstone. Irgendetwas muss den Namen Einhalt gebieten und ihnen ihre Popularität rauben. Da ist es wie in der Mode: Was alle haben wollen, will man auch haben. Was alle aber bereits haben, verliert ganz schnell an Reiz.
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