Fledermaussterben: Hoffnungsschimmer in der Höhle
Versteckt in den Wäldern nahe der Kleinstadt Lake George im nördlichen Hinterland der Weltmetropole New York liegt eine Höhle. Der Eingang des ehemaligen Graphitstollens ist nahezu kreisrund, und aus seinem Inneren fließt ein kleines Rinnsal. An einem Werktag Ende Februar 2018 versammeln sich Wissenschaftler unter der Leitung des Wildtierbiologen Carl Herzog vom New York State Department of Environmental Conservation, der Umweltschutzbehörde des Bundesstaats New York, frühmorgens am Höhlenzugang und tauschen ihre Wanderschuhe gegen Watstiefel. Danach machen sie sich einer nach dem anderen auf den Weg in die Dunkelheit.
Kate Ritzko, eine Technikerin aus der für Fischbestände und Wildtiere zuständigen Abteilung der Umweltschutzbehörde, erinnert uns an die Verhaltensregeln, die es in der Höhle zu beachten gilt: Wir sollen überprüfen, ob die Geotagging-Funktion an unseren Handys ausgeschaltet ist, damit niemand versehentlich die Position dieses sensiblen Orts preisgibt, und bitte leise reden, um die Fledermäuse nicht zu stören, die das Forscherteam an diesem Tag zahlenmäßig erfassen möchte.
Im Inneren der Höhle wird das plätschernde Geräusch unserer Watstiefel von der niedrigen, schräg geneigten Decke zurückgeworfen und mischt sich mit dem Tröpfeln von Wasser und dem gelegentlichen Knacken brechenden Eises, wenn jemand mit dem Fuß die gefrorene Oberfläche des Wasserlaufs durchbricht. Wie vergängliche Stalagmiten wachsen Eiszapfen aus dem Boden, aber je weiter wir in die Höhle vordringen, desto mehr verschwindet auch das Eis. Es ist einer der Hauptgründe, warum sich Fledermäuse während des Winters in diese unterirdischen Behausungen zurückziehen: Der Erdboden umhüllt das Höhleninnere wie eine Decke aus Erdreich und Steinen und bildet eine schützende Isolationsschicht gegen die eisige Kälte, die draußen vor dem Eingang herrscht.
Nach kurzer Zeit entdecken wir die erste Fledermaus. Sie hängt kopfüber in einer Ecke, macht einen gesunden Eindruck und zeigt sich von unserer Anwesenheit und dem Licht unserer hellen Stirnlampen völlig unbeeindruckt. Es handelt sich um eine Große Braune Fledermaus (Eptesicus fuscus) – eine der Arten, die eine natürliche Resistenz gegenüber dem Pilz aufweisen, der seit seinem erstmaligen Auftreten im Jahr 2006 Millionen von Fledermäusen im Osten der Vereinigten Staaten getötet hat.
Dieser Pilz ist der Grund, warum wir diese Höhle besuchen. Er wächst auf Fledertieren, während sie Winterschlaf halten, und breitet sich auf ihrem Gesicht, ihren Flügeln und anderen nicht von Fell bedeckten Körperteilen aus. Bei infizierten Fledermäusen äußert sich der Pilzbefall in Form eines charakteristischen weißen Halbkreises im Bereich der Nase, weshalb die tödliche Krankheit zu ihrem eigentlich recht harmlosen Namen »Weißnasensyndrom« kam. Schon bevor der Erreger in Erscheinung trat, hatten Herzog und weitere Mitarbeiter der New Yorker Umweltschutzbehörde in diversen Höhlen Bestandsaufnahmen vorgenommen, um einen allgemeinen Überblick über die Größe der Fledermauspopulationen – sowohl von häufig vorkommenden als auch von gefährdeten Arten – zu erhalten. Und im ganzen Land führen staatliche und bundesstaatliche Umweltbehörden bereits seit Langem ähnliche Untersuchungen durch, wobei sie den Höhlen im Allgemeinen nur alle zwei Jahre einen Besuch abstatten, um die Tiere möglichst wenig zu stören. In Zeiten des grassierenden Weißnasensyndroms haben diese Zählungen jedoch nichts als trostlose Strichlisten hervorgebracht, die von jener heillosen Zerstörung berichten, die der Pilz in seinem Gefolge zurücklässt.
Die Verheerungen des Killerpilzes?
In einigen großen Fledermauskolonien hat die Pilzinfektion mittlerweile mehr als 90 Prozent der Individuen ausgelöscht; in zahlreichen kleineren Kolonien fielen ihr sogar sämtliche Fledertiere zum Opfer. Obwohl der Pilz den Fortbestand einiger gefährdeter Fledermausarten ganz unmittelbar bedroht, sorgen sich Wissenschaftler in erster Linie um die ökologischen Auswirkungen, die der Verlust von Millionen einst in Scharen vorkommender Fledermäuse nach sich zieht. In dieser Höhle lebte früher beispielsweise eine andere Spezies, die Kleine Braune Fledermaus (Myotis lucifugus), die bis zum Erscheinen des Pilzes die am häufigsten vorkommende Fledermausart im Nordosten der USA darstellte. Heute dagegen werden wir an diesem Ort, der einst mehr als 1000 jener Fledertiere beherbergte, lediglich zwei Exemplare entdecken. In Vermont wird die Kleine Braune Fledermaus inzwischen auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten geführt, und im gesamten Verbreitungsgebiet sind bereits Millionen ihrer Artgenossen verendet.
Nur ein paar Kilometer weiter westlich befindet sich eine größere verlassene Graphitmine, die einen seltenen Lichtblick in der Geschichte des Weißnasensyndroms darstellt. Im Jahr 2000 wurden dort bei einer Bestandsaufnahme rund 184 000 Kleine Braune Fledermäuse gezählt. Dann schlug allerdings der Pilz mit seiner verheerenden Wirkung zu, so dass zehn Jahre später nur noch etwa 2000 Fledertiere nachgewiesen werden konnten – der verbliebene Rest macht also nur etwas mehr als ein Prozent des ursprünglichen Bestandes aus, verdeutlicht Herzog. Im Jahr 2014 geschah jedoch etwas Seltsames: Ganz unvermittelt schien sich die Fledermauspopulation auf einem stabilen Niveau einzupendeln. Die Individuenzahlen stellten zwar nur einen winzigen Bruchteil der Ausgangspopulation dar, doch zumindest war der Bestand der Kleinen Braunen Fledermaus nicht wie anderswo komplett auf null zurückgegangen. 2017 folgte eine weitere Überraschung: Die Population hatte sich seit dem Jahr 2010 mehr als verdoppelt und ein neues »Post-Weißnasensyndrom-Maximum« von etwa 4500 Tieren erreicht. Fledermausforscher hoffen, dass diese Entwicklung ein Licht am Ende des Tunnels bedeutet.
Wenn man tief im Inneren einer Höhle seine Stirnlampe ausschaltet, erscheint die Umgebung in einem undurchdringlichen Schwarz. Unsere Augen reagieren aber auf das unvermittelte Fehlen jeglicher Reize, indem sie unserem Gehirn zuweilen melden, dass sie trotzdem etwas sehen: einen Lichtschein inmitten der Dunkelheit.
So oder ähnlich geht es womöglich auch den Fledermausforschern, die sich verzweifelt bemühen, auch nur den kleinsten Hoffnungsschimmer wahrzunehmen, irgendein Anzeichen, dass die verschwundenen Fledertiere vielleicht ein Comeback feiern könnten. Und während manche der im Dunkel leuchtenden Schimmer vielleicht wirklich nur auf einer Sinnestäuschung beruhen, können andere echte Lichtpunkte darstellen – wie offensichtlich auch diese Höhle. Darüber hinaus gibt es weitere Lichtblicke zu verzeichnen. An mindestens vier anderen Stellen im Bundesstaat New York haben sich Kolonien der Kleinen Braunen Fledermaus nach einem Zusammenbruch entweder stabilisiert oder verzeichnen sogar Zuwächse. Die Biologieprofessorin Kate Langwig von der Virginia Polytechnic Institute and State University weist darauf hin, dass von einer 100 000 Tiere umfassenden Fledermauskolonie selbst bei einem Verlust von 85 Prozent immer noch 15 000 Individuen übrig bleiben würden: »Und das ist eine ganze Menge!«
In einer kürzlich veröffentlichten Studie über Fledermauspopulationen, die das Weißnasensyndrom überlebten, vergleicht Langwig die New Yorker Fledermausbestände mit denen anderer US-amerikanischer Bundestaaten wie etwa Virginia oder Wisconsin, in denen die Tiere nicht zu ihrer früheren Populationsstärke zurückfanden. Der Biologin und ihren Kollegen fiel auf, dass sich das Ausmaß des Pilzbefalls bei einzelnen Fledermausindividuen der New Yorker Höhlen auf einem gewissen Niveau zu stabilisieren schien, sobald der Krankheitserreger einige Jahre lang in der Region aktiv gewesen war. Bei den nichtresilienten Fledermauspopulationen der anderen Bundesstaaten verstärkte sich dagegen die Pilzinfektion. »Allem Anschein nach leisten Fledermäuse in New York dem Erreger des Weißnasensyndroms tatsächlich Widerstand«, stellt Langwig fest. »Wir schließen daraus, dass die Tiere in der Lage sind, sich völlig normal weiterzuentwickeln und dass ihre Resilienz gegenüber dem Pilz eine Eigenschaft ist, die sie möglicherweise auch an ihre Nachkommen weitergeben können – was ihnen wiederum erlaubt, langfristig zu überleben.«
Woher kommt die Resilienz?
Laut Langwig bieten sich für die Widerstandsfähigkeit der New Yorker Fledermäuse eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten an. Zum einen könnte es sein, dass die überlebenden Fledertiere Schlafplätze aufsuchen, die geringfügig kälter und trockener sind und dem Pilz daher weniger günstige Wachstumsbedingungen bieten. Zum anderen wäre es möglich, dass die Fledermäuse eine Art der Resistenz entwickeln – etwa spezielle Hautmikrobiome, die den Erreger in Schach halten. Oder die überlebenden Fledermäuse könnten im Gegensatz zu ihren anfälligen Artgenossen eine verspätete Immunantwort zeigen, die sich erst gegen Ende des Winters manifestiert. Einige Wissenschaftler sind nämlich der Ansicht, dass der Pilz den Tod der Fledermäuse herbeiführt, indem er sie häufiger aus ihrem Winterschlaf erwachen lässt. Womöglich können Fledertiere, die während des Winters einen normalen Zyklus aus Erstarrung und gelegentlichem Aufwachen einhalten, lang genug von ihren Energiereserven zehren, um bis zum Frühling zu überleben.
Obwohl noch zahlreiche Fragen unbeantwortet sind, hoffen Langwig und ihre Mitstreiter, dass es ihnen gelingt herauszufinden, was das Besondere an einigen der New Yorker Fledertiere ist. Diese Erkenntnisse könnten ihnen nämlich wertvolle Hinweise bezüglich des Schutzes von Fledermauskolonien in anderen Gebieten liefern.
Während jeder Verlust von Artenvielfalt nicht ohne spürbare Folgen für das jeweilige Ökosystem bleibt, hat das Verschwinden von Fledermäusen gravierendere Auswirkungen als das der meisten anderen Arten. Nehmen die Individuenzahlen einer häufig vorkommenden Spezies plötzlich ab, können solch dramatische Einbußen Nahrungsnetze und andere Verflechtungen stärker aus dem Gleichgewicht bringen als das Verschwinden einer seltenen oder gar vom Aussterben bedrohten Art. Mit ihrem unersättlichen Appetit und ihren äußerst effizienten Jagdmethoden schützen Fledermäuse uns nicht nur vor krankheitsübertragenden Organismen wie etwa Stechmücken, sondern bewahren auch die amerikanische Agrarindustrie vor jährlichen Ausgaben in Höhe von rund 25 Milliarden US-Dollar, indem sie jene Insekten fressen, die sich als Schädlinge an Nutzpflanzen gütlich tun.
All das dient als Motivation für Langwig und die zahlreichen anderen Wissenschaftler, Behördenvertreter und Naturschützer, die sich mit der Lösung des Rätsels um das Weißnasensydrom beschäftigen, seit eine routinemäßige Bestandsaufnahme in einer Höhle vor etlichen Jahren erstmalig ihr Augenmerk darauf richtete.
Mittlerweile kennt man unzählige Fotografien, die am Weißnasensyndrom erkrankte Fledermäuse zeigen, doch es gibt eine ganz besondere Aufnahme, die jeder, der mit diesen Tieren zu tun hat, sofort erkennt. Sie zeigt neun Fledermäuse, die sich eng aneinander gekuschelt an den Rippeln eines vom Wasser ausgewaschenen Kalksteins festkrallen und von einem Blitzlicht beleuchtet werden, das ihre rundlichen Formen in harten Schatten an die Wand projiziert. Alle Tiere besitzen einen weißen, hufeisenförmigen Belag im Bereich der Nase, der wie ein Bärtchen aussieht und ihnen unter anderen Umständen vielleicht ein komisches Aussehen verleihen würde. Das Foto wurde am 23. März 2007 in einer im Hinterland des US-Bundesstaats New York gelegenen Höhle von Nancy Heaslip, einer Biologin des New York State Department of Environmental Conservation, aufgenommen und galt zunächst als erster Beleg für das Weißnasensyndrom.
Gemeinsam mit zwei Kollegen hatte Heaslip in jener Höhle tausende tote Fledermäuse entdeckt. Selbst als das Bekanntwerden eines weiteren Fotos, das ein Hydrologe im Februar 2006 ganz in der Nähe geschossen hatte, den Zeitpunkt des erstmaligen Nachweises der Erkrankung schließlich um mehr als ein Jahr revidieren sollte, war es Heaslips Aufnahme, die eine eilige biologische Untersuchung ins Rollen brachte.
Verständlicherweise zeigten sich Wissenschaftler zunächst ziemlich verblüfft. »Unter den Millionen von Fledermäusen, die ich bisher zu Gesicht bekommen habe, ist mir noch nie ein Tier mit einer solchen weißen Färbung um die Nase begegnet«, schrieb Alan Hicks in einer E-Mail an den Wildtierpathologen des Bundesstaats New York. Hicks, der seinerzeit als Säugetierspezialist beim New York State Department of Environmental Conservation arbeitete, sollte später die Kontaktperson für das Weißnasensyndrom im gesamten Bundesstaat werden.
Die Detektivarbeit beginnt
Bis zum folgenden Jahr hatten wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, dass es sich bei dem weißen Belag, den die Fledermäuse in ihrer Nasengegend aufwiesen, tatsächlich um einen Pilzbefall handelte. Dennoch blieb vieles im Unklaren. David Blehert, einem damaligen Mikrobiologen am National Wildlife Health Center des U.S. Geological Survey war es zwar gelungen, den Pilz im Labor zu kultivieren und erste DNA-Sequenzanalysen vorzunehmen, doch der Wissenschaftler hatte noch nicht den Nachweis erbracht, dass der Pilz tatsächlich die Fledertiere tötete und nicht nur das Symptom irgendeiner anderen Erkrankung darstellte.
Im Nachhinein scheint es geradezu auf der Hand zu liegen, dass der Pilz für den Tod der Fledermäuse verantwortlich war. »Auf der einen Seite hat man einen bisher unbekannten Pilz, und auf der anderen Seite viele sterbende Fledermäuse«, konstatiert Blehert, der heute die Abteilung zur Diagnostik von Wildtierkrankheiten am National Wildlife Health Center leitet. Die einfachste Erklärung würde in jenem neu entdeckten Pilz die Ursache des Weißnasensyndroms vermuten. DeeAnn Reeder, eine Säugetierforscherin an der Bucknell University in Pennsylvania, verweist aber auf die seinerzeit gängige Lehrmeinung in Bezug auf Säugetiere, die besagte: »Diese Tiere sterben nicht an einer Pilzinfektion – es sei denn, sie leiden an einer Immunschwäche.«
Natürlich gibt es eine nennenswerte Ausnahme: den Chytridpilz, der zu jener Zeit bereits unzählige Frösche auf der ganzen Welt vernichtet hatte. Frösche nutzen jedoch ihre Haut in einer für Säugetiere unüblichen Art und Weise, etwa zur Atmung, und eine tödliche Pilzinfektion der Körperoberfläche konnte demnach leicht als eine besondere Eigenart der Amphibienbiologie abgetan werden. Fledermäuse zählen dagegen wie wir Menschen zu den Säugetieren und sollten daher nicht an einem Pilzbefall sterben, sofern sie nicht eine andere ernsthafte Beeinträchtigung aufweisen; laut Reeder sind Fledertiere zudem als ziemlich zähe Kreaturen bekannt.
Im Sommer 2008, etwa 15 Monate nachdem Heaslip ihr berühmtes Foto aufgenommen hatte, berief Hicks gemeinsam mit Wissenschaftlern der Cornell und der Boston University sowie Vertretern von Bat Conservation International und des U.S. Geological Survey eine Krisensitzung in Albany, New York, ein. Zu diesem Zeitpunkt starben auch in Vermont, Massachusetts, Connecticut und Pennsylvania die Fledermäuse in Scharen. »Ganze Arten sind gefährdet, wenn es uns nicht gelingt, dieses Rätsel zu lösen«, hieß es in dem Schreiben, das zu dem Krisentreffen einlud.
An jener Sitzung nahm auch Jeremy Coleman teil, der seit 2008 als nationaler Koordinator für das Weißnasensyndrom beim U.S. Fish and Wildlife Service fungierte. »Allmählich wurde uns klar, dass diese Geschichte größer war als alles, mit dem wir es je zu tun hatten«, erklärt er rückblickend. Das Treffen im Jahr 2008 setzte eine Phase hektischer Aktivitäten in Gang, an deren Leitung Coleman beteiligt war, während er sich gleichzeitig fieberhaft darum bemühte, Verbindungen zwischen dem Fish and Wildlife Service, staatlichen Behörden, gemeinnützigen Organisationen und den an den Universitäten forschenden Wissenschaftlern zu knüpfen.
Aber das Weißnasensyndrom war ihnen bereits um etliche Schritte voraus. Bis zum nächsten Treffen der Fledermausforscher im Jahr&nbp;2009 hatten neun amerikanische Bundesstaaten bestätigte Fälle der Erkrankung gemeldet, die sich inzwischen weit in den Süden bis nach Virginia ausgebreitet hatte. »Eigentlich hatten wir geglaubt, dass die Verbreitung langsamer voranschreiten würde und uns eine gewisse Zeit bliebe, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen«, erzählt Coleman. Sogar Wildtiermanager aus West Virginia, Virginia und Tennessee, die relativ frühzeitig involviert gewesen waren, überraschte die Geschwindigkeit und die Intensität, mit denen das Weißnasensyndrom in Richtung Süden vordrang und dort ein ähnlich massives Fledermaussterben wie in den nördlichen Bundesstaaten auslöste.
Die Gefahr droht im Schlaf
2009 hatten Blehert und seine Kollegen dem Pilz, der bis dahin mehr als eine Million Fledermäuse getötet hatte, einen Namen gegeben: Geomyces destructans. Zwar haben Experten den Pilz zwischenzeitlich in eine andere Gattung namens Pseudogymnoascus eingeordnet, sein äußerst treffender Artname destructans – der Zerstörer – ist ihm jedoch geblieben.
Im Jahr 2011 bestätigten Wissenschaftler letztlich das, was viele ohnehin schon vermutet hatten: Der Pilz war in der Tat für den Tod der Fledermäuse verantwortlich und stellte nicht nur das Symptom einer anderen Erkrankung dar. Eine beunruhigende Frage blieb aber bestehen, auf die Forscher erst allmählich die ersten Antworten finden. Man konnte sich nicht genau erklären, wie der Pilz die Fledertiere tötete, da er – abgesehen von einigen Narben – keine größeren Gewebeschäden hervorzurufen schien und auch keinerlei nachweisbare Giftstoffe produzierte. Dennoch gab es einen bedeutenden Anhaltspunkt: Die Fledermäuse fielen dem Pilz ausschließlich während ihres Winterschlafs zum Opfer.
Wenn Fledermäuse zu Beginn des Winterschlafs in einen Zustand der Starre übergehen, spielen sich in ihrem Körper dramatische physiologische Veränderungen ab. Mit sinkender Körpertemperatur verringern sich ihre Herzschlag- und Atemfrequenz, und manche Individuen können mehr als zwei Stunden ohne einen einzigen Atemzug auskommen. Die Tiere sind dem Tod ungefähr so nah, wie es ein nicht gerade sterbendes Säugetier nur sein kann. Allerdings würden die Fledertiere aus bislang unerfindlichen Gründen in regelmäßigen Abständen aufwachen, erklärt Thomas Tomasi, der an der Missouri State University den Energiehaushalt von Fledermäusen erforscht.
Erwacht also die Fledermaus immer kurzfristig aus ihrem Winterschlaf und erhöhen sich dabei Herzschlagfrequenz, Stoffwechsel und Körpertemperatur auf nahezu normale Werte, dann kann es passieren, dass das Tier innerhalb von einer oder zwei Stunden genau so viel Energie verbraucht, wie es in mehreren Wochen des Winterschlafs aufzehren würde. Und genau an dieser Stelle schlägt das Weißnasensyndrom zu, vermuten zumindest Tomasi und andere Wissenschaftler. Die mit dem Pilz infizierten Fledermäuse wachen nämlich weitaus häufiger aus dem Winterschlaf auf als ihre gesunden Artgenossen, wenngleich ihre kleinen Körper, deren Gewicht im Fall der Kleinen Braunen Fledermaus etwa zehn Gramm beträgt, nur sehr wenig überschüssige Energiereserven besitzen. Fledertiere, die ihren winterlichen Energievorrat bereits lang vor Beginn des Frühlings aufgezehrt haben, müssen daher entweder verhungern oder ihre Höhlen viel zu zeitig verlassen, um sich in der insektenlosen, unliebsamen Kälte auf die vergebliche Suche nach Nahrung zu begeben.
Daraus resultiert eine weitere Frage: Warum weisen einige Fledermausarten wie etwa die Große Braune Fledermaus, die wir in der eingangs beschriebenen New Yorker Höhle vorfanden, oder das Östliche Kleinfußmausohr (Myotis leibii), das sogar eng mit gegenüber dem Pilz besonders anfälligen Arten verwandt ist, relativ hohe Überlebensraten auf, selbst nachdem sie sich mit dem Weißnasensyndrom infiziert hatten? Es könne sein, dass diese Fledertiere und ihr Immunsystem den Erreger einfach ignorierten, nimmt Tomasi an. »Das Immunsystem versucht, auf Sparflamme zu schalten«, verdeutlicht der Wissenschaftler. »Es schützt die Fledermäuse nicht vor dem Pilz, sondern beachtet ihn einfach nicht und verhindert, dass die Tiere seinetwegen ihren Stoffwechsel hochfahren.«
Dieser Umstand erklärt vielleicht auch, warum die von Langwig untersuchten Fledertiere die Pilzinfektion überleben und sich ihre Bestände allmählich wieder erholen. Vermutlich handelt es sich bei ihnen um jene Fledermäuse mit einem weniger reaktionsfreudigen Immunsystem, die nicht so häufig aus dem Winterschlaf erwachen und daher in der kalten Jahreszeit die besseren Überlebenschancen besitzen.
In einer Anfang 2018 veröffentlichten Studie verglichen Wissenschaftler Pseudgymnoascus destructans mit seinen nicht pathogenen engsten Verwandten und entdeckten eine Schwachstelle: Der Pilz scheint besonders empfindlich auf Sonnenlicht zu reagieren. Offenbar fehlen dem Erreger des Weißnasensyndroms einige Gene, die mit der Reparatur von DNA-Schäden durch ultraviolettes Licht in Zusammenhang stehen. Jeder Benutzer von Sonnenschutzmitteln weiß, dass UV-Strahlung DNA-Mutationen verursachen und dadurch die Zellfunktionen beeinträchtigen kann, was für ein Lebewesen im Allgemeinen nichts Gutes bedeutet.
Die meisten Tiere und Pflanzen sind daher mit speziellen genetischen Schutzmechanismen ausgestattet, um derartige Schäden reparieren zu können. Aber laut jüngsten Forschungsergebnissen entwickelte sich der Pilz wahrscheinlich über viele Millionen Jahre in enger Gemeinschaft mit Fledermäusen in Europa und Asien und verbrachte folglich eine so lange Zeit in dunklen Höhlen, dass er seine Fähigkeit zur Reparatur von sonnenlichtbedingten DNA-Schäden komplett eingebüßt hat. Die Tatsache, dass man in Europa und Asien häufig mit Pseudgymnoascus destructans infizierte Fledertiere findet, die jedoch nicht am Weißnasensyndrom zu Grunde gehen, könnte sich anhand dieser langen Koevolution von Pilz und Fledermäusen erklären lassen. Die gegenüber der Krankheit anfälligen Fledertiere sind auf den beiden Kontinenten höchstwahrscheinlich schon vor langer Zeit ausgestorben.
Achillesferse des Pilzes
Die Entdeckung einer Schwachstelle wie Empfindlichkeit gegenüber UV-Licht ist eine Sache, sie auch auszunutzen dagegen eine andere. »Man neigt dazu, hurra, jetzt haben wir die Achillesferse gefunden, zu jubeln«, meint der Säugetierkundler Jonah Evans vom Texas Parks and Wildlife Department. »Und ich selbst wäre natürlich total aus dem Häuschen, wenn uns das gelingen würde, doch meiner Ansicht nach müssen wir als Erstes bedeutende logistische Probleme lösen«, fügt Evans hinzu. Einer der Fledermausforscher hatte in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, an den Höhleneingängen eine Vorrichtung zu installieren, die durch vorbeifliegende Fledermäuse ausgelöst wird und den Tieren eine Dosis UV-Licht verabreicht, um etwaigen Pilzbewuchs auf ihren Körpern unschädlich zu machen.
Eine der größten Schwierigkeiten in dem Versuch, die Fledermaushöhlen vom Erreger des Weißnasensyndroms zu befreien, besteht darin, dass diese unterirdischen Behausungen oftmals sehr spezielle Lebensformen beherbergen, etwa blinde und pigmentlose Krebstiere, Fische, Amphibien, Insekten, Bakterien – und selbstverständlich auch andere Pilze. Während also die umfangreiche Behandlung einer Höhle mit einem Fungizid oder UV-Strahlung tatsächlich dem Schutz der dort lebenden Fledermäuse dienen würde, könnten diese Maßnahmen den Höhlenorganismen schaden, was wiederum eine Störung des Ökosystems und eventuelle weitere Beeinträchtigungen zur Folge hat.
Dennoch arbeitet der Biologieprofessor Maarten Vonhof von der Western Michigan University an einer Lösung. Gemeinsam mit Kollegen testete der Forscher die Wirksamkeit einer Verbindung namens Chitosan, eines Derivats des im Exoskelett von Insekten und anderen Arthropoden vorkommenden Chitins. Wissenschaftlern ist bekannt, dass Chitosan antimikrobielle Eigenschaften besitzt und die Wundheilung beim Menschen beschleunigt. Als die Forscher in Laborexperimenten den direkten Effekt von Chitosan auf den Erreger des Weißnasensyndroms überprüften, verlangsamte die Substanz nicht nur das Wachstum des Pilzes, sondern vernichtete auch seine Sporen. Ganz entscheidend war zudem der Umstand, dass Chitosan sich nur dann schädlich auf die anderen Höhlenpilze auswirkte, wenn es in weitaus höheren Konzentrationen eingesetzt wurde als jene, die zur Eliminierung von Pseudgymnoascus destructans erforderlich waren.
Bei experimentell mit dem Weißnasensyndrom infizierten Fledermäusen, die nachfolgend mit Chitosan behandelt wurden, verzeichnete Vonhof höhere Überlebensraten und stellte außerdem einen geringeren Pilzbefall in der Nasengegend fest. Beflügelt durch diese Ergebnisse gingen der Forscher und seine Kollegen zu Freilandversuchen über, um zu überprüfen, ob das Verabreichen von Chitosan auch den in freier Wildbahn lebenden Fledermäusen helfen würde. Eine in Wisconsin durchgeführte Pilotstudie untermauerte ihre Befunde: Hier war die Überlebensrate der mit Chitosan therapierten Fledermäuse doppelt so hoch wie die ihrer unbehandelten Artgenossen.
Nicht ganz so eindeutige Ergebnisse lieferten dagegen breiter angelegte Freilandexperimente, die im Winter 2016/2017 in Illinois und Michigan durchgeführt wurden. Die Chitosanbehandlung schien in dieser Studie zwar eine Verringerung des sichtbaren Pilzbewuchses auf der Haut der infizierten Fledermäuse und der durch den Pilz verursachten Gewebeschädigungen zu bewirken, verbesserte aber offensichtlich nicht die Überlebensrate der Fledertiere. Vonhof verwies in diesem Zusammenhang jedoch auf den außergewöhnlich kurzen und warmen Winter, der es den Fledermäusen ermöglicht hatte, bis spät in den Herbst und schon zeitig im Frühjahr auf Nahrungssuche zu gehen, und der sowohl den fehlenden Unterschied zwischen behandelten und unbehandelten Fledertieren als auch die insgesamt sehr hohe Überlebensrate erklären könnte. Im Winter 2017/2018 führten Vonhof und Mitarbeiter in Texas und Michigan eine weitere Serie von Felduntersuchungen durch. Selbst wenn die Resultate noch nicht vorliegen, ist Vonhof voller Hoffnung, dass auch sie die potenzielle Rolle von Chitosan im Kampf gegen das Weißnasensyndrom bestätigen werden.
Wäre eine Schutzimpfung möglich?
Eine Schutzimpfung wäre eine weitere Option, um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. In dieser Richtung führt ein Wissenschaftlerteam, das vor einiger Zeit einen Impfstoff gegen die Wildtierpest entwickelt hatte und dadurch den Schwarzfußiltis vor dem Aussterben bewahrte, gerade Forschungsarbeiten durch. Sie befinden sich allerdings noch in ihrer Anfangsphase.
Bei jeder dieser äußerst vielversprechenden Behandlungsmöglichkeiten liegt letzten Endes jedoch eine der größten Herausforderungen darin, dass sie alle eine direkte Verabreichung an einzelne Fledermäuse erfordern. Und dies ist angesichts der Abermillionen von infizierten Fledertieren, die auf dem nordamerikanischen Kontinent herumflattern, in einer derartigen Größenordnung einfach nicht machbar. Für vom Aussterben bedrohte Arten mit geringen Individuenzahlen mag ein solcher Ansatz sicherlich sinnvoll sein, insbesondere wenn man versucht, infizierte Fledermäuse in Gefangenschaft zu heilen. Aber für die übrigen Fledertiere in freier Natur? »Wir forschen weiter nach Behandlungsmöglichkeiten, denn wir möchten natürlich welche finden«, erklärt Vonhof. »Doch ganz gleich, ob es sich um UV-Licht, Chitosan oder einen Impfstoff handelt – wenn es denn gelingt, eine entsprechende Substanz zu entwickeln – stellt sich jedem von uns die bange Frage, wie wir das jeweilige Mittel nach draußen zu diesen rätselhaften, nachtaktiven Tieren bekommen sollen, über die wir nicht einmal besonders viel wissen?«
Die vorderste Front des sich lauffeuerartig verbreitenden Weißnasensyndroms erstreckt sich mittlerweile vom nördlichen Texas quer durch Oklahoma und das östliche Wyoming bis nach Manitoba in Kanada. 2016 wurden sogar aus dem Bundesstaat Washington erkrankte Fledermäuse gemeldet, wenn auch nicht ganz klar ist, auf welchem Weg die Infektion in den äußersten Nordwesten der USA gelangen konnte. Alles in allem hat sich die Erkrankung von ihrem Epizentrum im Bundesstaat New York gleichmäßig in alle Richtungen ausgebreitet; interessant ist allerdings die Tatsache, dass die Fledertiere meistens nicht sofort nach dem ersten Auftreten des Erregers eingehen. Stattdessen begann das große Fledermaussterben in fast allen Fällen erst zirka zwei Jahre, nachdem man Pseudgymnoascus destructans auf den Wänden oder dem Boden einer Höhle nachgewiesen hatte.
In einer im östlichen Oklahoma gelegenen Höhle war der Pilz vorletzten Winter erstmalig aufgetaucht. Und an einem sonnigen Nachmittag im März 2018 entdeckt Richard Stark plötzlich nur wenige Meter vom Eingang entfernt den kleinen, vertrockneten Körper einer Östlichen Amerikanischen Zwergfledermaus (Perimyotis subflavus), der noch immer festgekrallt an der Kalksteinwand seiner unterirdischen Behausung hängt.
»Das hatte ich befürchtet«, gesteht der Biologe des U.S. Fish and Wildlife Service, während er das Tier, dessen Krallen sich hartnäckig am Gestein festklammern, vorsichtig von der Wand löst. In den beiden vorangegangenen Nächten hatte Stark zusammen mit einer Gruppe weiterer Biologen Netze am Höhleneingang installiert, um die hinausfliegenden Fledermäuse zu fangen, deren Zahlen allerdings ungewöhnlich niedrig ausfielen. Heute hofft der Wissenschaftler, dass viele Fledertiere wegen der geringen Temperaturen bisher nicht aktiv gewesen waren und sich daher noch immer in der Höhle befanden – was durchaus der Fall sein könnte. »Hoffentlich ist das die einzige tote Fledermaus, die wir heute finden«, sagt der Forscher und verpackt das Tier in einem wiederverschließbaren Plastikbeutel, um es per Nachtexpress zur genaueren Untersuchung an das National Wildlife Health Center des U.S. Geological Survey in Wisconsin zu schicken. Doch sein Tonfall klingt nicht besonders optimistisch.
Tatsächlich finden wir etwas weiter im Inneren der Höhle, wo kein Sonnenlicht mehr hineindringt, eine weitere tote Fledermaus, die ebenfalls festgekrallt an der Felswand hängt. Stark legt das Tier in eine Tüte und deponiert sie auf einem Felsvorsprung, um sie beim Verlassen der Höhle mitzunehmen.
Auf unserem Weg zur Hauptkammer, in der sich die meisten Fledertiere dieses Höhlenabschnitts aufhalten, müssen wir uns krabbelnd fortbewegen – allerdings nicht auf Händen und Knien, sondern bäuchlings mit dem Gepäck voran. Der Höhe des Einstiegs misst weniger als 60 Zentimeter. Stark kriecht voraus und hat mich schon nach kurzer Zeit abgehängt, wartet jedoch an bestimmten Stellen unserer gewundenen Route, an denen ich eine falsche Richtung einschlagen könnte. Nach etwa fünf Minuten, kurz vor Erreichen unseres Ziels, bedeutet mir der Biologe, leise zu sprechen. Wir haben noch nicht die große Haupthöhle erreicht, sondern gelangen gleich in den so genannten Vorraum, der dafür bekannt ist, dass sich dort zahlreiche Vertreter des Grauen Mausohrs – einer der gefährdeten Fledermausarten dieser Region – zusammenscharen. Und das tun sie tatsächlich: Zwei pulsierende, sich windende Massen aus mehreren Dutzend schlaksigen, knochigen Flügeln und graubraunem Fell hängen an der Höhlendecke. Hier und da reflektiert ein silberner Metallschimmer das Licht unserer Stirnlampen. Er rührt von den Markierungen her, mit denen Stark und seine Kollegen die Tiere versehen hatten, um die Individuenzahlen der Population und ihre Aufenthaltsorte zu verfolgen.
Die Seuche zieht weiter
Der zweite Abschnitt, den wir kriechend zurücklegen müssen, ist noch länger und enger als der erste. Während Stark aus meinem Blickfeld verschwindet, höre ich, wie seine Bewegungen das mich umgebende Gestein erschüttern, und ganz plötzlich bin ich mir des Gewichts der Erde, die sich nur wenige Zentimeter über meinem helmgeschützten Kopf befindet, überaus deutlich bewusst. Schließlich mündet der Gang in einen größeren Raum, in dem ich wieder aufrecht stehen kann. Die Decke der lang gezogenen Kammer weist einen Spalt auf, der sich über ihre gesamte Länge erstreckt. Wasser, das seit Jahrtausenden durch diesen Riss tröpfelt, hat unseren »Stehplatz« in diesem geräumigen Höhlenabschnitt ausgewaschen. Stark sitzt auf einem Felsvorsprung und starrt die Höhlendecke an. Etwas an seiner Körperhaltung verrät mir, dass er niedergeschlagen ist. »Diese Fledermaus hier weist ganz typische Symptome auf«, bemerkt der Biologe, und sobald ich den Strahl meiner Stirnlampe in die Richtung seines Blicks lenke, sehe auch ich es: ein weißes Aufleuchten. Beim Näherkommen kann ich den Pilz auf der Schnauze des Tiers deutlich erkennen. Jetzt steht es also außer Frage: Auch hier tötet das Weißnasensyndrom die Fledermäuse.
Stark geht weiter, um den Rest der Höhle zu kontrollieren, und ich bleibe zurück, um ein wenig zu verschnaufen. Bei seiner Rückkehr berichtet der Wissenschaftler, dass er nur sieben Fledermäuse gefunden hat. »Dies ist ganz und gar nicht normal«, stellt er voller Besorgnis fest. Nachdem Stark die Fledermäuse in dieser Kammer gezählt hat, machen wir uns auf den Rückweg: Wieder kriechen wir durch die engen Tunnel, passieren den Vorraum, in dem sich die Grauen Mausohren zusammenscharen, und erreichen schließlich das Metalltor am Höhleneingang. Draußen legt der Forscher seine Kleidung bis auf die Unterwäsche ab. Alles, was er in der Höhle getragen hat – Stiefel, Overall, Helm, Stirnlampe – wird in Plastiktüten zur späteren Dekontaminierung verpackt. Auf keinen Fall möchte der Biologe den Pilz in eine andere Höhle verschleppen.
Während wir uns in unserem Fahrzeug von der Höhle entfernen, ist Stark sichtlich entmutigt. »Ich besuche diese Höhle schon seit vielen Jahren«, berichtet der Fledermausforscher, »aber jetzt kommt es mir vor, als sei sie irgendwie krank.« Stark und all die anderen Forscher, Behördenvertreter und Naturschützer, die sich in den vergangenen zehn Jahren um den Schutz der Fledermäuse bemüht haben, lässt dieser Kampf regelmäßig frustriert zurück. Die Hilflosigkeit angesichts einer derartig schweren Krise, bei der man nichts tun kann, als zuzuschauen, wie sie sich weiter ausbreitet, ist einfach unerträglich. Dennoch betrachten einige es als die beste oder sogar einzig mögliche Vorgehensweise, dem Weißnasensyndrom freien Lauf zu lassen und abzuwarten, wer die Krankheit letzten Endes überlebt. Und Langwigs Forschung an den widerstandsfähigen Fledermäusen deutet an, dass ein solcher Ansatz nicht zwangsläufig einer Kapitulation gleichkommt. »Meiner Ansicht nach werden wir auch in Zukunft Kleine Braune Fledermäuse in New York haben. Ich bin mir dessen sogar ziemlich sicher«, unterstreicht Langwig. »Und in Vermont sind ähnliche Ergebnisse zu erwarten.« Weniger optimistisch äußert sich die Wissenschaftlerin allerdings im Hinblick auf andere Bundesstaaten wie etwa Virginia oder Wisconsin.
Und selbst wenn es Forschern nicht gelingen sollte, eine wirksame Behandlung für das Weißnasensyndrom zu finden, gebe es noch immer genügend Dinge, die getan werden könnten, betont die Professorin DeeAnn Reeder von der Bucknell University. Eine Fokussierung der Maßnahmen auf die Erhaltung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume würde den überlebenden Fledermäusen die besten Chancen bieten, um auch in Zukunft zu gedeihen, fügt die Wissenschaftlerin hinzu. »Das heißt auch, dafür zu sorgen, dass die Sommerhabitate der Fledertiere in intaktem Zustand sind«, erklärt Reeder und meint sowohl den Schutz besonderer Waldtypen für bestimmte Fledermausarten als auch die Erhaltung der Überwinterungshöhlen und jener Orte, an denen die Tiere ihre Jungen zur Welt bringen, wie zum Beispiel Scheunen oder andere Unterschlupfmöglichkeiten.
Die Natur ist resilient. Überlässt man Ökosysteme sich selbst, können sie Schicksalsschläge, die durch natürliche Ereignisse wie Brände, Stürme, Überschwemmungen und Krankheiten verursacht werden, abfedern und sich an die veränderten Gegebenheiten anpassen. Doch sobald der Mensch in irgendeiner Weise Druck auf unterstützende Netzwerke ausübt, etwa durch Veränderung des Klimas, Einführung invasiver Arten oder Zerstückelung von Lebensräumen, erreicht auch die Resilienz dieser Ökosysteme irgendwann ihre Grenze.
Lebensräume erhalten, schützen und schaffen – und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass die ureigene natürliche Resilienz ihre Wunder vollbringen kann, mag manchmal vielleicht die beste Methode sein, um einzelne oder eine Gruppe von Arten vor dem Aussterben zu bewahren. Für die erkrankten Fledermäuse wäre eine effektive Therapie oder ein wirksamer Impfstoff natürlich die ideale Lösung. Doch bis zur Entwicklung derartiger Verfahren ist es von entscheidender Bedeutung, dass den Nachkommen der überlebenden Kleinen Braunen Fledermäuse oder der Östlichen Amerikanischen Zwergfledermäuse die bestmöglichen Habitate zur Verfügung stehen. Zwar wird es den Fledermäusen, die das Weißnasensyndrom lebend überstanden haben, kaum gelingen, die riesige Zahl ihrer verschwundenen Artgenossen vollständig zu ersetzen. Oder es könnte zumindest sehr lange dauern, bis die Tiere zu ihrer früheren Populationsstärke zurückfinden. Durch das Bereitstellen der erforderlichen Lebensräume und Ressourcen wird ein solches Szenario allerdings bedeutend wahrscheinlicher. Und Wissenschaftler werden die Entwicklungen verfolgen und auch in Zukunft Ausschau halten – nach einem weiteren Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit.
Der Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel »Glimmers in the dark« auf »bioGraphic«, einem digitalen Magazin, das von der California Academy of Sciences publiziert wird.
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