Psychologie: Im Gehirn gilt links vor rechts
Menschen richten ihre Aufmerksamkeit tendenziell auf die linke Hälfte ihres Gesichtsfelds. Bisher nahm man an, dass für diese Neigung der die Gehirnhälften verbindende Balken, das Corpus Callosum, verantwortlich ist. Wie sich nun zeigt, haben auch Vögel eine Vorliebe für links - dabei besitzen die Tiere gar kein Corpus Callosum.
Sollen gesunde Menschen auf einem Blatt mit sehr vielen in Reihen platzierten Buchstaben nur bestimmte – etwa E oder R – anstreichen, bemerken sie häufiger die Zielbuchstaben auf der linken Seite und übersehen diejenigen auf der rechten Seite: Die Aufmerksamkeit richtet sich also eher nach links – ein als Pseudoneglekt bekanntes Phänomen. Die linksseitigen optischen Eindrücke, vorwiegend mit dem linken Auge wahrgenommen, werden von der rechten Gehirnhälfte verarbeitet. Bei Schädigungen in dieser Hemisphäre ist die allgemeine Fähigkeit der Betroffenen, sich zu orientieren, weit stärker beeinträchtigt, als es nach Ausfällen in der linken Hirnhälfte der Fall ist.
Um den Effekt zu ergründen, ließen Biopsychologen um Bettina Diekmap von der Ruhr-Universität Bochum Tauben und Hühner gleichmäßig vor ihnen verteilte Körner picken. Die Tiere waren bei dem Versuch in der Mitte der Auswahlfläche fixiert. Beide Vogelarten entschieden sich häufiger für Körner zu ihrer Linken und ignorierten die zu ihrer Rechten – sie zeigen also genau wie Menschen den Pseudoneglekt. Dieser Fund zeigt, dass eine Funktion des Corpus Callosum nicht als Ursache für den Effekt ausreicht – die Vögel verfügen gar nicht über diese Struktur. Bettina Diekamp folgert daraus, dass die einseitige Aufmerksamkeit schon sehr früh entstanden ist – "bevor sich Vögel und Säugetiere voneinander weg entwickelt haben, also vor mehr als 250 Millionen Jahren."
Die Frage ist nun, ob die Vögel etwas dabei gewinnen, wenn sie sich bei der Futtersuche auf die linke Seite konzentrieren. Ökonomisch scheint das Verhalten unsinnig, schließlich lagen rechts genauso viele Körner. Die Forscher vermuten aber, dass ein asymmetrisch spezialisiertes Gehirn effizienter arbeitet. So gebe es bei Vögeln einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß ihrer Hirnasymmetrien und der Fähigkeit, zwei Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, beispielsweise Futter zu finden und wachsam auf Fressfeinde zu achten. Die Anforderung zur parallelen Verarbeitung verschiedener Aufgaben könnte somit der Startschuss für die evolutionäre Entstehung der Funktionsasymmetrien des Gehirns gewesen sein.
Bisher nahm man an, dass die Links-Rechts-Spezialisierungen im Gehirn des Menschen mit zu seiner Sonderstellung bezüglich kognitiver Leistungen beitragen. Die Ergebnisse bei den Tauben und Hühnerküken deuten nun darauf hin, dass unsere Vorfahren die Hirnasymmetrien einfach nur geerbt und nicht neu entwickelt haben.
© Ruhr-Universität Bochum
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