Angesteckt trotz Impfung: Was Impfdurchbrüche wirklich bedeuten
Eigentlich ist die ganze Geschichte keineswegs neu. Impfdurchbrüche, also Ansteckungen bei vollständig geimpften Menschen, traten schon in den Studien für die Zulassung der Vakzine auf. Zwar erkrankten zum Beispiel in der Phase-III-Studie mit Comirnaty ungeimpfte Versuchspersonen mit 20-mal höherer Wahrscheinlichkeit an Covid-19 als doppelt Geimpfte, dennoch war schon direkt zu Beginn der Impfkampagne klar, dass die Impfung keinen vollständigen Schutz bietet.
Lange hat das niemanden gestört. Aber nun sind die Impfdurchbrüche wieder in der Debatte angekommen. Das liegt zunächst einmal daran, dass immer mehr Leute geimpft sind, und damit gibt es auch immer mehr infizierte Geimpfte – der Effekt wird schlicht sichtbarer. Von allen, die in den vergangenen drei Wochen eine symptomatische Infektion hatten, waren laut Daten des RKI in Deutschland etwa 17 Prozent doppelt geimpft. In Großbritannien waren es Mitte Juli etwa 15 Prozent der Neuinfektionen, in den USA sind es laut Schätzungen etwa 20 Prozent. Doch Statistik und Aufmerksamkeit sind nicht die einzigen Gründe dafür, denn Impfdurchbrüche sind tatsächlich häufiger als zuerst gedacht.
Schuld ist auch die Delta-Variante. Die Impfung wirkt gegen diese Version von Sars-CoV-2 deutlich schwächer. Dadurch gibt es nicht nur mehr Impfdurchbrüche, gravierender noch ist, dass die Impfungen bei Delta vor schwerer Erkrankung und Tod nicht mehr wie beim Wildtyp und Alpha nahezu vollständig schützen, sondern lediglich noch zu etwa 90 Prozent. Hintergrund der geringeren Wirksamkeit ist, dass Delta vermutlich durch eine oder mehrere Mutationen gegen bestimmte Antikörper weniger empfindlich ist.
Coronaimpfungen wirken nie perfekt
Ein weiterer Grund dafür, dass sich derzeit wohl mehr doppelt Geimpfte anstecken, ist vermutlich, dass der Impfschutz mit der Zeit nachlässt. Das zeigen Zwischenergebnisse der nach wie vor laufenden Zulassungsstudie des Impfstoffes Comirnaty, in der über mehrere Monate Effektivität und unerwünschte Nachwirkungen der Impfung beobachtet werden. Demnach sinkt der Schutz vor einer symptomatischen Infektion in den vier Monaten nach der zweiten Impfung von mehr als 95 Prozent auf gut 80 Prozent ab.
Doch weder die regelmäßigen Impfdurchbrüche noch der mit der Zeit abnehmende Impfschutz sind überraschend. Diese Probleme plagen auch die anderen, teilweise schon seit Jahrzehnten eingesetzten Coronavirus-Impfungen in der Veterinärmedizin, ohne dass eine überzeugende Lösung gefunden worden wäre. Deswegen legten Fachleute die Messlatte von Anfang an niedrig – als die ersten Phase-III-Studien mit den Impfstoffen begannen, sollten die Vakzine lediglich zu mehr als 50 Prozent wirksam sein, um als erfolgreich zu gelten. Dass nach einem Jahr eine Auffrischungsimpfung nötig sein würde, galt schon damals als wahrscheinlich.
Die Impfdurchbrüche selbst sind deswegen nicht allzu bemerkenswert, zumal sie recht selten sind – insgesamt etwas über 7000 vollständig Geimpfte unter ziemlich genau einer Million Infizierten registrierte das RKI seit dem ersten Februar. Und das, obwohl inzwischen die Hälfte der Bevölkerung voll immunisiert ist. Daneben führen sie bei den allermeisten Geimpften zu milden oder symptomlosen Erkrankungen, denn der Schutz vor schweren Verläufen und Tod ist deutlich höher als der vor einer Infektion. Schwere Verläufe trotz vollständiger Impfung treffen vor allem Menschen mit geschwächtem Immunsystem, bei denen auch von anderen Impfungen bekannt ist, dass sie schlechter schützen. Das betrifft zum Beispiel Krebskranke, Organtransplantierte, aber auch ältere Menschen, deren Immunsystem gegenüber jüngeren schwächer ist.
Können Geimpfte das Virus weitergeben?
Und auch diese können mit einem Teilschutz durch die Impfung rechnen, wie nicht nur die niedrigeren Todeszahlen in Ländern mit hoher Impfquote zeigen. In einer indischen Studie zum Beispiel, die geimpfte und ungeimpfte Infizierte verglich, erkrankten die ungeimpften schwerer und von ihnen starben 50 Prozent mehr als bei den Geimpften – obwohl diejenigen, die trotz Impfung ins Krankenhaus kamen, im Mittel älter und kränker waren.
Was Fachleuten allerdings Sorgen macht, sind Anzeichen, dass auch Geimpfte sich nicht nur infizieren, sondern zumindest einige dieser Infizierten das Virus sogar in dem Maße weitergeben könnten, wie Ungeimpfte es tun. Derzeit spielen Impfdurchbrüche für die Gesamtzahl der Infektionen kaum eine Rolle – das könnte sich mit steigenden Impf- und Genesenenzahlen im Lauf der Zeit ändern. Denn während man bisher davon ausging, dass infizierte Geimpfte das Virus kaum weitergeben, kommt die US-amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC inzwischen zu einem anderen Schluss. Die Behörde empfiehlt mittlerweile wieder Masken für Geimpfte. Es gebe neue Daten, nach denen Geimpfte mit einer Infektion ebenso hohe Viruskonzentrationen im Rachen haben wie Ungeimpfte, begründet das CDC den Schritt.
Andere Studien kommen zu anderen Resultaten. So deuten zwei ältere Untersuchungen darauf hin, dass die Viruslast im Rachen von geimpfen Infizierten deutlich geringer ist als bei ungeimpften. Diese älteren Studien berücksichtigen allerdings nicht die Delta-Variante. Eine mögliche Auflösung des Widerspruchs legt eine vorläufige Studie aus Singapur nahe, bei der Fachleute um Po Ying Chia vom Nationalen Zentrum für Infektionskrankheiten in Singapur die Viruslast Infizierter mit und ohne vorherigen Impfschutz über den gesamten Zeitraum der Erkrankung verfolgten.
Demnach war die Viruslast durch die Delta-Variante bei beiden Gruppen zu Beginn der Infektion ähnlich hoch, fiel dann aber bei Geimpften deutlich schneller ab. Dabei ist durchaus unklar, welche Bedeutung die Viruskonzentration im Rachen überhaupt für die Ansteckung hat und ob eventuell auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Es ist zwar plausibel, anzunehmen, dass Menschen mit hoher Virenkonzentration auch besonders ansteckend sind – einen Nachweis dafür gibt es bisher aber nicht.
Auch die Viruslast ist nur zum Teil hilfreich
Ein mögliches Indiz dafür, dass die Lage zumindest bei vollständig Geimpften komplizierter ist, liefert eine aktuelle Studie über Impfdurchbrüche in Israel. Unter den dort untersuchten etwa 1500 geimpften Angestellten des Gesundheitssystems fand die Arbeitsgruppe insgesamt 39 Infizierte, von denen vier Fünftel keine oder nur milde Symptome hatten – aber drei Viertel irgendwann im Verlauf der Infektion hohe Virusbelastungen. Dennoch fand die Arbeitsgruppe kein Indiz, dass die Betroffenen das Virus weitergegeben hätten.
Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen, nicht zuletzt den Zufall. Sars-CoV-2 verbreitet sich ja vor allem durch Superspreader, während die Mehrzahl der Infizierten keine weitere Person ansteckt. Vielleicht gehörten die 39 Infizierten der israelischen Studie einfach zufällig alle zu dieser Mehrzahl. Es ist aber auch vorstellbar, dass die über PCR bestimmte Viruslast irreführend ist. Man bestimmt dabei nämlich keineswegs die Menge der tatsächlich ansteckenden Viren, sie liefert lediglich ein Maß für die Menge in der Probe vorhandenen Virus-RNA, den Ct-Wert.
Doch die sagt bei Geimpften womöglich weniger über die wahre Virenkonzentration als unter normalen Umständen. Zum Beispiel könnten die viralen Erbgutschnipsel von Viruspartikeln stammen, die bereits von Antikörpern neutralisiert worden sind, oder aus infizierten Zellen, die vom Immunsystem beseitigt wurden, bevor die Virus-RNA in komplette Viren eingebaut werden konnte. Dieser Effekt sorgt zum Beispiel dafür, dass der Ct-Wert auch bei Ungeimpften, wenn die Immunreaktion nach einigen Tagen schließlich in Gang gekommen ist, schlicht keine Aussagekraft über die Gegenwart von aktiven Viren hat. Es wäre daher möglich, dass die Immunität durch die Impfung bei einem Impfdurchbruch zwar die Infektion nicht verhindert, aber genug Viren inaktiviert, dass die Krankheit nicht übertragen wird. Denkbar ist auch, dass das nur meistens so ist, ein Teil der Impfdurchbrüche jedoch tatsächlich zu Ansteckungen führen. Doch dazu gibt es bisher kaum Daten.
Viele Antikörper helfen wohl gegen Impfdurchbrüche
Daneben beleuchtet die Studie einen weiteren wichtigen Punkt, nämlich die Bedeutung hoher Antikörperkonzentrationen im Blut für den Schutz vor Impfdurchbrüchen. Bisher war unklar, ob der Antikörpertiter tatsächlich ein Korellat der Immunität ist – ob dieser Wert also zuverlässig anzeigt, dass die Impfung schützt. So raten Fachleute bisher gesunden Menschen oft davon ab, nach der Impfung diesen Antikörpertiter bestimmen zu lassen – er sei nicht aussagekräftig. Die israelische Studie zeigt nun jedoch, dass die Antikörperkonzentrationen bei jenen 22 der Infizierten, bei denen sie vor der Infektion gemessen wurden, tendenziell ein gutes Stück niedriger waren als bei einer passend zusammengestellten, nicht infizierten Vergleichsgruppe Geimpfter.
Das Resultat stützt frühere Ergebnisse, die bereits darauf hindeuteten, dass viele Antikörper gleichbedeutend mit hohem Schutz sind. Das heißt aber nicht, dass junge Geimpfte den Antikörpertest nun machen sollten. Denn für junge, nicht vorerkrankte Menschen scheinen Impfdurchbrüche meist harmlos zu sein – die Betroffenen in der israelischen Studie erkrankten überwiegend mild oder symptomlos. Gefährlich ist das Problem vor allem für jene, die ohnehin ein hohes Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken.
Nahezu alle vollständig Geimpften, die wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden müssen, gehören zu den Risikogruppen. Unter den mehr als 700 Betroffenen in Deutschland waren allein 639 über 60 Jahre alt. Bei einigen Risikogruppen sind deswegen Antikörpertests nach den Impfungen Standard – und manche Länder empfehlen bestimmten Gruppen bereits eine dritte Impfdosis. Das könnte bald auch auf breitere Bevölkerungsgruppen zukommen. Daten von Pfizer und Biontech deuten darauf hin, dass eine Auffrischungsimpfung bei 65- bis 85-Jährigen die Konzentration der gegen Delta wirksamen Antikörper um das Elffache erhöht – und in jüngeren, ohnehin besser geschützten Menschen immerhin um das Fünffache.
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