Psychotherapie: Keine Angst vorm Bohrer
Etwa jeder zehnte Bundesbürger fürchtet sich so sehr vor einer Zahnbehandlung, dass er sie über Jahre hinweg meidet - mit oft gravierenden gesundheitlichen Folgen. Wie sich die so genannte Dentalphobie überwinden lässt, erforschte die Psychologin Gudrun Sartory: Schon zwei oder drei Stunden Verhaltenstherapie können Betroffenen helfen.
Die Röntgenaufnahmen offenbarten schweren Kariesbefall. Neun Zähne des Patienten mussten dringend behandelt werden – und drei von ihnen waren wahrscheinlich nicht mehr zu retten. Ein Extremfall? Nein, sondern eher typisch für die Gebisse von Teilnehmern einer Therapiestudie, die meine Arbeitsgruppe von der Bergischen Universität Wuppertal zusammen mit dem Oralchirurgen Peter Jöhren vom Bochumer Augusta-Krankenhaus 2011 veröffentlichte. Die rund 70 untersuchten Dentalphobiker waren im Schnitt seit knapp zehn Jahren nicht mehr beim Zahnarzt gewesen. Allein der Gedanke daran löst bei ihnen starkes Unbehagen, Herzrasen oder Schweißausbrüche aus.
Eine Studie unter 1000 Briten aus dem Jahr 2009 kam zum gleichen Ergebnis. Die Forscher um den Psychologen Gerry M. Humphris von der schottischen University of St Andrews bestätigten außerdem, dass unter Dentalphobie etwas mehr Frauen als Männer und vor allem Jüngere leiden: Menschen unter 40 trifft es viermal häufiger als über 60-Jährige.
Laut einer weiteren Untersuchung von Humphris und seinen Kollegen von 2011 beschränken sich die unangenehmen Gefühle nicht allein auf die panische Angst vor Bohrer und Spritze. Während der Behandlung fühlen sich die Betroffenen hilflos und schämen sich – für ihre Zähne und für ihre Angst. Dentalphobiker sind sich meist bewusst, dass ihre Furcht übertrieben ist und dass die meisten Menschen zum Zahnarzt gehen, ohne übermäßig darunter zu leiden.
Neben Karies droht das soziale Aus
Trotzdem nehmen sie langfristig Kariesbefall und Zahnsteinablagerungen, Mundgeruch und selbst private und berufliche Einschränkungen in Kauf. Eine unserer Patientinnen sorgte sich beispielsweise um ihren Arbeitsplatz, nachdem ihr Vorgesetzter ihr mitgeteilt hatte, dass der Zustand ihrer Zähne den beruflichen Erfolg bei Kundenkontakten beeinträchtigte.
Viele Betroffene leiden an weiteren psychischen Störungen, die häufig erst infolge der Zahnbehandlungsphobie entstanden. Einige versuchen wegen ihrer schlechten Zähne wenig zu lächeln oder vermeiden überhaupt soziale Kontakte. Dieses Verhalten kann in Einsamkeit oder auch in eine soziale Phobie münden. Mehr als jeder zehnte Dentalphobiker leidet zusätzlich unter einer Depression – unter Umständen auch als Folge der anhaltenden Schmerzen, die sich mangels Behandlung befallener Zähne einstellen. Manche nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein und riskieren damit Abhängigkeit und medizinische Nebenwirkungen.
Gefahr für die Gesundheit droht aber auch von anderer Seite. Vor allem häufige Zahnfleischentzündungen erhöhen das Risiko für Durchblutungsstörungen des Gehirns, Arterienverkalkung und Erkrankungen der Herzkranzgefäße, wie der britische Mediziner Aaron Cronin vom King’s Mill Hospital in Sutton 2009 herausfand. Unklar ist allerdings noch, wie diese Erkrankungen zusammenhängen - ob es zum Beispiel einen Parodontose-Erreger gibt, der auch die arterielle Plaquebildung verursacht.
Die Entstehung der Dentalphobie liegt zum Teil noch im Dunkeln, denn ihre Erforschung gestaltet sich schwierig. Entsprechende Studien stützen sich überwiegend auf retrospektive, subjektive Angaben von Betroffenen. Die Ängste treten im Schnitt oft schon im Alter von zwölf Jahren auf und verlaufen häufig chronisch, sofern sie nicht therapiert werden.
Den Horror vor Spritzen bezeichneten 35 Prozent der Befragten aus Jöhrens Studie als einen Grund für ihre Angst. Aber der weitaus größere Teil der Betroffenen nennt eine andere Ursache: Rund 70 bis 80 Prozent führen die Phobie auf eine besonders schmerzhafte Behandlung in der Vergangenheit zurück.
Ein typischer Fall ist eine heute 34-jährige Patientin, die mit elf Jahren zum ersten Mal zum Zahnarzt ging und dabei unter großen Schmerzen litt. Da sie nicht still sitzen blieb, hielt ein Helfer sie während der Behandlung fest – Panik stieg in ihr auf; sie fühlte sich ohnmächtig und ausgeliefert. Danach lehnte sie jeden weiteren Zahnarztbesuch kategorisch ab und ertrug lieber ihre Schmerzen. Als ein abgebrochener Zahn sie doch einmal dazu zwang, eine Praxis aufzusuchen, erlitt sie Panikattacken, und sie ließ sich nur unter Vollnarkose behandeln. Die Ängste halten bis heute an.
Die Furcht vorm Bohrer liegt in der Familie
Schlechte Vorbilder seitens der Eltern spielen offenbar ebenfalls eine Rolle. So berichtete uns jeder zehnte Phobiker, dass auch Mutter oder Vater Angst vor Zahnarztbesuchen hatte. Humphris und seine Kollegen kamen 2010 nach Durchsicht von 43 Studien zu dem Schluss, dass der Nachwuchs von Zahnbehandlungsphobikern die betreffenden Ängste häufiger entwickelt als andere Kinder. Den Mechanismus dahinter nennen Psychologen Modelllernen: Die Kleinen beobachten das Verhalten ihrer Eltern und ahmen es unbewusst nach. So könnte ein Kind, das von einer ängstlichen Mutter auf die Zahnbehandlung vorbereitet wird, empfindlicher auf Schmerzen reagieren als eines, dessen Mutter sich hinsichtlich seiner Zahnbehandlung unbekümmert verhält.
Ein kleiner Teil der Patienten berichtet, sie seien schon immer ängstlich gewesen – von einem traumatischen Ereignis oder übernervösen Eltern keine Spur. Hier liegen den Ängsten, die häufig auch mit anderen psychischen Störungen einhergehen, möglicherweise noch andere Ursachen zu Grunde.
Für die meisten Betroffenen gilt jedoch: So wie sie ihre Ängste einst gelernt haben, können sie diese auch verlernen. Ziel der Therapie ist zum einen, dass sich der Patient wieder angstfrei auf den Behandlungsstuhl setzen kann, zum anderen, dass er überhaupt zum Zahnarzt geht.
In Kooperation mit der Bochumer Zahn- klinik hat unsere Arbeitsgruppe von der Bergischen Universität Wuppertal verschiedene Behandlungsformen erprobt. Die kognitive Verhaltenstherapie erwies sich dabei wiederholt als besonders wirksam. Sie bedient sich in der Regel dreier Methoden: Die Konfrontation mit der angstbesetzten Situation bildet das Kernstück der klassischen Verhaltenstherapie und hat sich vielfach bewährt. Beim gestuften Vorgehen erstellen Therapeut und Patient gemeinsam zunächst eine "Angsthierarchie" – eine Rangfolge der gefürchteten Situationen, die der Patient schrittweise erst in der Vorstellung durchspielt und dann tatsächlich umsetzt. Das kann bedeuten, einen Zahnarzt aus dem Telefonbuch herauszusuchen, einen Termin zu vereinbaren, zur Praxis zu gehen – bis hin zur eigentlichen Behandlung. Die Patienten schätzen vorab ihre Angst vor jeder Situation ein und nehmen sich eine nach der anderen so lange vor, bis sie keine Panik mehr auslöst.
Der Therapeut darf dabei nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam vorgehen. Die Art und Weise der Konfrontation kann unterschiedlich aussehen: Meist leitet der Therapeut den Patienten an, sich die jeweilige Situation vorzustellen, und zwar möglichst lebhaft und konkret. Der Betreffende kann aber auch Bilder von Instrumenten oder Videofilme von Zahnbehandlungen so lange betrachten, bis die Angst zurückgegangen ist.
In einer unserer Therapiestudien baten wir Dentalphobiker zu einer 90-minütigen Therapiesitzung. Sie sollten sich zunächst Videoaufnahmen einer Zahnarztbehandlung ansehen und sich danach vorstellen, sie würden dasselbe selbst erleben. 80 Prozent der Probanden gingen danach tatsächlich zum Zahnarzt, obwohl sie dies zuvor im Mittel seit zehn Jahren – in einem Fall sogar seit 38 Jahren! – vermieden hatten. Für den langfristigen Erfolg ist es egal, ob sich die Patienten während der Konfrontation auf die Behandlung konzentrieren oder sich geistig ablenken, wie eine unserer Studien schon 2007 zeigte.
Den Ängsten gedanklich gegensteuern
Als weitere Methode hat sich das so genannte Stressimpfungstraining bewährt: Es soll Strategien vermitteln, mit denen Patienten ihre Angst und Anspannung regulieren können, zum Beispiel durch progressive Muskelrelaxation. Dabei lernen sie, den mit der Phobie einhergehenden körperlichen Reaktionen wie Muskelverspannung und schnellem Atmen gegenzusteuern und sich so rasch in einen entspannten Zustand zu versetzen. Zusätzlich ersetzen die Patienten ihre Befürchtungen wie "Ich werde es nicht aushalten" durch konstruktive Gedanken – zum Beispiel: "Auch diese Behandlung geht vorbei."
Bei der kognitiven Restrukturierung macht sich der Patient zunächst seine irrationalen Überzeugungen und übersteigerten, "dysfunktionalen" Gedanken zum Thema Zahnbehandlung bewusst. Dann lernt er, sie zu hinterfragen: "Wie oft kommt es vor, dass …?" Allerdings wurde die Wirksamkeit dieser Methode bislang nur in Kombination mit einer Konfrontation nachgewiesen.
In unserer Untersuchung in der Psychotherapie- Ambulanz der Wuppertaler Universität berichteten jene 20 Prozent der Patienten, welche die Zahnbehandlung nach der Therapie weiterhin vermieden, von einer größeren Zahl dysfunktionaler Überzeugungen. Der Psychologe Ad De Jongh von der Universität Amsterdam und seine Kollegen hatten schon 1995 festgestellt, dass Dentalphobiker irrationale Einstellungen zu Zahnbehandlungen zeigen und diese zur Aufrechterhaltung der Phobie beitragen. So glauben manche Betroffene, dass Zahnärzten die Ängste ihrer Patienten gleichgültig seien oder das eigene Gebiss ohnehin nicht mehr zu retten sei.
Neben der kognitiven Verhaltenstherapie - einer Kombination der drei geschilderten Vorgehensweisen - gibt es jedoch noch andere Methoden, die mehr oder weniger häufig zum Einsatz kommen. So bieten manche Zahnärzte eine Hypnose vor der Behandlung an oder versuchen, per Audio-CD dem Patienten über Kopfhörer zu Ruhe und Entspannung zu verhelfen. Der Hypnotiseur leitet den Patienten zum Beispiel dazu an, sich auf eine zuvor als angenehm beschriebene Aktivität zu konzentrieren, wie etwa Reiten oder Sonnenbaden.
Narkose, Hypnose, Psychotherapie: Was hilft am besten?
In der eingangs erwähnten Studie verglichen wir die Wirksamkeit von vier Verfahren bei mehr als 130 Probanden mit Dentalphobie. Zur Wahl standen eine Vollnarkose, eine Kurzform der kognitiven Verhaltenstherapie sowie zwei Arten von Hypnose: eine per Audio-CD und eine "personalisierte" Form, bei der ein Mediziner den Patienten vor der Behandlung in Trance versetzt.
Beide Hypnoseformen linderten zwar die Ängste, doch weniger als die Hälfte der Patienten, die sich für diese Therapie entschieden hatten, erschienen auch zum zweiten Zahnarzttermin. Im Gegensatz dazu kehrten rund 70 Prozent der Probanden, die kognitive Verhaltenstherapie oder Vollnarkose gewählt hatten, auch zur zweiten Behandlung wieder. Allerdings gingen die Ängste nach einer Vollnarkose nicht zurück – die Patienten blieben unverändert phobisch. Im Gegensatz dazu erfüllten schon nach zwei Sitzungen einer Verhaltenstherapie nur noch 35 Prozent der Probanden die Kriterien einer Zahnbehandlungsphobie.
Wer den Gang zum Zahnarzt dann trotzdem noch scheut, kann zusätzlich zu Beruhigungsmitteln greifen. Ein kurzfristig wirksames Benzodiazepin etwa kann helfen. Allein nützt das Medikament allerdings wenig: Im Jahr 2000 verglichen wir gemeinsam mit Peter Jöhren die Wirksamkeit eines kurz zuvor verabreichten Tranquilizers mit der einer einzigen mehrstündigen Sitzung kognitiver Verhaltenstherapie. Während der Zahnbehandlung zeigten sich die psychologisch oder medikamentös therapierten Patienten zwar weniger ängstlich als eine unbehandelte Kontrollgruppe.
Unter den medikamentös behandelten Patienten kam es später jedoch häufiger zu Rückfällen, während die psychologisch betreuten immer weniger ängstlich wurden (siehe Kasten links). Rund 70 Prozent von ihnen erschienen zum Folgetermin zwei Monate später – verglichen mit einem Fünftel derer, die ein Beruhigungsmittel erhalten hatten.
Erfolge nach der ersten Sitzung
Dass eine einzige Therapiesitzung genügen kann, um Dentalphobikern Linderung zu verschaffen, wiesen 2008 auch schwedische und norwegische Psychologen von den Universitäten in Stockholm und Bergen nach. Wie das Team um Lars-Göran Öst zeigte, brachten fünf Sitzungen langfristig nicht mehr als eine einzige! Obwohl die Probanden zuvor im Schnitt mehr als elf Jahre nicht beim Zahnarzt waren, nahmen drei von vier Patienten den vereinbarten Folgetermin ein Jahr später wahr.
Eine Kombination aus Verhaltenstherapie mit Medikamenten bringt offenbar keinen weiteren Vorteil – ob sie dem langfristigen Erfolg sogar schadet, ist umstritten. Psychologen und Mediziner von der University of Washington in Seattle und der Stanford University in Kalifornien berichteten 2007, es spiele keine Rolle, ob der Patient während der Behandlung sediert ist oder nicht. In beiden Fällen gingen innerhalb eines Jahres rund 70 Prozent der Behandelten erneut zum Zahnarzt. Wer die Angst vorm Bohrer besiegen möchte, sollte sich ihr also mit Hilfe eines Therapeuten stellen.
Niemand liegt gerne mit weit aufgerissenem Mund auf einem Stuhl und lässt sich einen Zahn aufbohren oder gar eine Wurzel ziehen. Dennoch nehmen die meisten Menschen das verbreitete Unbehagen regelmäßig auf sich. Mehr als jeder Zehnte allerdings vermeidet den Besuch beim Zahnarzt aus purer Angst, berichtete das Team um Jöhren 2006 nach einer repräsentativen Umfrage unter 300 Einwohnern Bochums.
Eine Studie unter 1000 Briten aus dem Jahr 2009 kam zum gleichen Ergebnis. Die Forscher um den Psychologen Gerry M. Humphris von der schottischen University of St Andrews bestätigten außerdem, dass unter Dentalphobie etwas mehr Frauen als Männer und vor allem Jüngere leiden: Menschen unter 40 trifft es viermal häufiger als über 60-Jährige.
Laut einer weiteren Untersuchung von Humphris und seinen Kollegen von 2011 beschränken sich die unangenehmen Gefühle nicht allein auf die panische Angst vor Bohrer und Spritze. Während der Behandlung fühlen sich die Betroffenen hilflos und schämen sich – für ihre Zähne und für ihre Angst. Dentalphobiker sind sich meist bewusst, dass ihre Furcht übertrieben ist und dass die meisten Menschen zum Zahnarzt gehen, ohne übermäßig darunter zu leiden.
Neben Karies droht das soziale Aus
Trotzdem nehmen sie langfristig Kariesbefall und Zahnsteinablagerungen, Mundgeruch und selbst private und berufliche Einschränkungen in Kauf. Eine unserer Patientinnen sorgte sich beispielsweise um ihren Arbeitsplatz, nachdem ihr Vorgesetzter ihr mitgeteilt hatte, dass der Zustand ihrer Zähne den beruflichen Erfolg bei Kundenkontakten beeinträchtigte.
Viele Betroffene leiden an weiteren psychischen Störungen, die häufig erst infolge der Zahnbehandlungsphobie entstanden. Einige versuchen wegen ihrer schlechten Zähne wenig zu lächeln oder vermeiden überhaupt soziale Kontakte. Dieses Verhalten kann in Einsamkeit oder auch in eine soziale Phobie münden. Mehr als jeder zehnte Dentalphobiker leidet zusätzlich unter einer Depression – unter Umständen auch als Folge der anhaltenden Schmerzen, die sich mangels Behandlung befallener Zähne einstellen. Manche nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein und riskieren damit Abhängigkeit und medizinische Nebenwirkungen.
Gefahr für die Gesundheit droht aber auch von anderer Seite. Vor allem häufige Zahnfleischentzündungen erhöhen das Risiko für Durchblutungsstörungen des Gehirns, Arterienverkalkung und Erkrankungen der Herzkranzgefäße, wie der britische Mediziner Aaron Cronin vom King’s Mill Hospital in Sutton 2009 herausfand. Unklar ist allerdings noch, wie diese Erkrankungen zusammenhängen - ob es zum Beispiel einen Parodontose-Erreger gibt, der auch die arterielle Plaquebildung verursacht.
Die Entstehung der Dentalphobie liegt zum Teil noch im Dunkeln, denn ihre Erforschung gestaltet sich schwierig. Entsprechende Studien stützen sich überwiegend auf retrospektive, subjektive Angaben von Betroffenen. Die Ängste treten im Schnitt oft schon im Alter von zwölf Jahren auf und verlaufen häufig chronisch, sofern sie nicht therapiert werden.
Den Horror vor Spritzen bezeichneten 35 Prozent der Befragten aus Jöhrens Studie als einen Grund für ihre Angst. Aber der weitaus größere Teil der Betroffenen nennt eine andere Ursache: Rund 70 bis 80 Prozent führen die Phobie auf eine besonders schmerzhafte Behandlung in der Vergangenheit zurück.
Ein typischer Fall ist eine heute 34-jährige Patientin, die mit elf Jahren zum ersten Mal zum Zahnarzt ging und dabei unter großen Schmerzen litt. Da sie nicht still sitzen blieb, hielt ein Helfer sie während der Behandlung fest – Panik stieg in ihr auf; sie fühlte sich ohnmächtig und ausgeliefert. Danach lehnte sie jeden weiteren Zahnarztbesuch kategorisch ab und ertrug lieber ihre Schmerzen. Als ein abgebrochener Zahn sie doch einmal dazu zwang, eine Praxis aufzusuchen, erlitt sie Panikattacken, und sie ließ sich nur unter Vollnarkose behandeln. Die Ängste halten bis heute an.
In der Erinnerung mögen solche Vorfälle noch dramatischer erscheinen, um die Furcht nachträglich – bewusst oder unbewusst – zu rechtfertigen. Doch einfache Lernprozesse können das Entstehen einer Phobie aus einem eindreamstime maligen Ereignis erklären. So assoziieren sich bei der klassischen Konditionierung neutrale Reize – etwa der Anblick der Zahnarztpraxis oder der Geruch des Desinfektionsmittels - derart mit einem schmerzhaften Erlebnis, dass künftig auch die neutralen, "konditionierten" Reize eine Reaktion hervorrufen. Dass diese Ängste nicht wieder verschwinden, lässt sich mit dem Prinzip der operanten Konditionierung erklären: Das Vermeiden weiterer Zahnbehandlungen hält die Phobie aufrecht, denn der Betroffene kann auf diese Weise keine positiven Erfahrungen machen. Im Gegenteil – er lernt, dass seine Ängste nachlassen, wenn er den Termin beim Zahnarzt absagt.
Die Furcht vorm Bohrer liegt in der Familie
Schlechte Vorbilder seitens der Eltern spielen offenbar ebenfalls eine Rolle. So berichtete uns jeder zehnte Phobiker, dass auch Mutter oder Vater Angst vor Zahnarztbesuchen hatte. Humphris und seine Kollegen kamen 2010 nach Durchsicht von 43 Studien zu dem Schluss, dass der Nachwuchs von Zahnbehandlungsphobikern die betreffenden Ängste häufiger entwickelt als andere Kinder. Den Mechanismus dahinter nennen Psychologen Modelllernen: Die Kleinen beobachten das Verhalten ihrer Eltern und ahmen es unbewusst nach. So könnte ein Kind, das von einer ängstlichen Mutter auf die Zahnbehandlung vorbereitet wird, empfindlicher auf Schmerzen reagieren als eines, dessen Mutter sich hinsichtlich seiner Zahnbehandlung unbekümmert verhält.
Ein kleiner Teil der Patienten berichtet, sie seien schon immer ängstlich gewesen – von einem traumatischen Ereignis oder übernervösen Eltern keine Spur. Hier liegen den Ängsten, die häufig auch mit anderen psychischen Störungen einhergehen, möglicherweise noch andere Ursachen zu Grunde.
Für die meisten Betroffenen gilt jedoch: So wie sie ihre Ängste einst gelernt haben, können sie diese auch verlernen. Ziel der Therapie ist zum einen, dass sich der Patient wieder angstfrei auf den Behandlungsstuhl setzen kann, zum anderen, dass er überhaupt zum Zahnarzt geht.
In Kooperation mit der Bochumer Zahn- klinik hat unsere Arbeitsgruppe von der Bergischen Universität Wuppertal verschiedene Behandlungsformen erprobt. Die kognitive Verhaltenstherapie erwies sich dabei wiederholt als besonders wirksam. Sie bedient sich in der Regel dreier Methoden: Die Konfrontation mit der angstbesetzten Situation bildet das Kernstück der klassischen Verhaltenstherapie und hat sich vielfach bewährt. Beim gestuften Vorgehen erstellen Therapeut und Patient gemeinsam zunächst eine "Angsthierarchie" – eine Rangfolge der gefürchteten Situationen, die der Patient schrittweise erst in der Vorstellung durchspielt und dann tatsächlich umsetzt. Das kann bedeuten, einen Zahnarzt aus dem Telefonbuch herauszusuchen, einen Termin zu vereinbaren, zur Praxis zu gehen – bis hin zur eigentlichen Behandlung. Die Patienten schätzen vorab ihre Angst vor jeder Situation ein und nehmen sich eine nach der anderen so lange vor, bis sie keine Panik mehr auslöst.
Der Therapeut darf dabei nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam vorgehen. Die Art und Weise der Konfrontation kann unterschiedlich aussehen: Meist leitet der Therapeut den Patienten an, sich die jeweilige Situation vorzustellen, und zwar möglichst lebhaft und konkret. Der Betreffende kann aber auch Bilder von Instrumenten oder Videofilme von Zahnbehandlungen so lange betrachten, bis die Angst zurückgegangen ist.
In einer unserer Therapiestudien baten wir Dentalphobiker zu einer 90-minütigen Therapiesitzung. Sie sollten sich zunächst Videoaufnahmen einer Zahnarztbehandlung ansehen und sich danach vorstellen, sie würden dasselbe selbst erleben. 80 Prozent der Probanden gingen danach tatsächlich zum Zahnarzt, obwohl sie dies zuvor im Mittel seit zehn Jahren – in einem Fall sogar seit 38 Jahren! – vermieden hatten. Für den langfristigen Erfolg ist es egal, ob sich die Patienten während der Konfrontation auf die Behandlung konzentrieren oder sich geistig ablenken, wie eine unserer Studien schon 2007 zeigte.
Den Ängsten gedanklich gegensteuern
Als weitere Methode hat sich das so genannte Stressimpfungstraining bewährt: Es soll Strategien vermitteln, mit denen Patienten ihre Angst und Anspannung regulieren können, zum Beispiel durch progressive Muskelrelaxation. Dabei lernen sie, den mit der Phobie einhergehenden körperlichen Reaktionen wie Muskelverspannung und schnellem Atmen gegenzusteuern und sich so rasch in einen entspannten Zustand zu versetzen. Zusätzlich ersetzen die Patienten ihre Befürchtungen wie "Ich werde es nicht aushalten" durch konstruktive Gedanken – zum Beispiel: "Auch diese Behandlung geht vorbei."
Bei der kognitiven Restrukturierung macht sich der Patient zunächst seine irrationalen Überzeugungen und übersteigerten, "dysfunktionalen" Gedanken zum Thema Zahnbehandlung bewusst. Dann lernt er, sie zu hinterfragen: "Wie oft kommt es vor, dass …?" Allerdings wurde die Wirksamkeit dieser Methode bislang nur in Kombination mit einer Konfrontation nachgewiesen.
In unserer Untersuchung in der Psychotherapie- Ambulanz der Wuppertaler Universität berichteten jene 20 Prozent der Patienten, welche die Zahnbehandlung nach der Therapie weiterhin vermieden, von einer größeren Zahl dysfunktionaler Überzeugungen. Der Psychologe Ad De Jongh von der Universität Amsterdam und seine Kollegen hatten schon 1995 festgestellt, dass Dentalphobiker irrationale Einstellungen zu Zahnbehandlungen zeigen und diese zur Aufrechterhaltung der Phobie beitragen. So glauben manche Betroffene, dass Zahnärzten die Ängste ihrer Patienten gleichgültig seien oder das eigene Gebiss ohnehin nicht mehr zu retten sei.
Neben der kognitiven Verhaltenstherapie - einer Kombination der drei geschilderten Vorgehensweisen - gibt es jedoch noch andere Methoden, die mehr oder weniger häufig zum Einsatz kommen. So bieten manche Zahnärzte eine Hypnose vor der Behandlung an oder versuchen, per Audio-CD dem Patienten über Kopfhörer zu Ruhe und Entspannung zu verhelfen. Der Hypnotiseur leitet den Patienten zum Beispiel dazu an, sich auf eine zuvor als angenehm beschriebene Aktivität zu konzentrieren, wie etwa Reiten oder Sonnenbaden.
Narkose, Hypnose, Psychotherapie: Was hilft am besten?
In der eingangs erwähnten Studie verglichen wir die Wirksamkeit von vier Verfahren bei mehr als 130 Probanden mit Dentalphobie. Zur Wahl standen eine Vollnarkose, eine Kurzform der kognitiven Verhaltenstherapie sowie zwei Arten von Hypnose: eine per Audio-CD und eine "personalisierte" Form, bei der ein Mediziner den Patienten vor der Behandlung in Trance versetzt.
Beide Hypnoseformen linderten zwar die Ängste, doch weniger als die Hälfte der Patienten, die sich für diese Therapie entschieden hatten, erschienen auch zum zweiten Zahnarzttermin. Im Gegensatz dazu kehrten rund 70 Prozent der Probanden, die kognitive Verhaltenstherapie oder Vollnarkose gewählt hatten, auch zur zweiten Behandlung wieder. Allerdings gingen die Ängste nach einer Vollnarkose nicht zurück – die Patienten blieben unverändert phobisch. Im Gegensatz dazu erfüllten schon nach zwei Sitzungen einer Verhaltenstherapie nur noch 35 Prozent der Probanden die Kriterien einer Zahnbehandlungsphobie.
Wer den Gang zum Zahnarzt dann trotzdem noch scheut, kann zusätzlich zu Beruhigungsmitteln greifen. Ein kurzfristig wirksames Benzodiazepin etwa kann helfen. Allein nützt das Medikament allerdings wenig: Im Jahr 2000 verglichen wir gemeinsam mit Peter Jöhren die Wirksamkeit eines kurz zuvor verabreichten Tranquilizers mit der einer einzigen mehrstündigen Sitzung kognitiver Verhaltenstherapie. Während der Zahnbehandlung zeigten sich die psychologisch oder medikamentös therapierten Patienten zwar weniger ängstlich als eine unbehandelte Kontrollgruppe.
Unter den medikamentös behandelten Patienten kam es später jedoch häufiger zu Rückfällen, während die psychologisch betreuten immer weniger ängstlich wurden (siehe Kasten links). Rund 70 Prozent von ihnen erschienen zum Folgetermin zwei Monate später – verglichen mit einem Fünftel derer, die ein Beruhigungsmittel erhalten hatten.
Erfolge nach der ersten Sitzung
Dass eine einzige Therapiesitzung genügen kann, um Dentalphobikern Linderung zu verschaffen, wiesen 2008 auch schwedische und norwegische Psychologen von den Universitäten in Stockholm und Bergen nach. Wie das Team um Lars-Göran Öst zeigte, brachten fünf Sitzungen langfristig nicht mehr als eine einzige! Obwohl die Probanden zuvor im Schnitt mehr als elf Jahre nicht beim Zahnarzt waren, nahmen drei von vier Patienten den vereinbarten Folgetermin ein Jahr später wahr.
Eine Kombination aus Verhaltenstherapie mit Medikamenten bringt offenbar keinen weiteren Vorteil – ob sie dem langfristigen Erfolg sogar schadet, ist umstritten. Psychologen und Mediziner von der University of Washington in Seattle und der Stanford University in Kalifornien berichteten 2007, es spiele keine Rolle, ob der Patient während der Behandlung sediert ist oder nicht. In beiden Fällen gingen innerhalb eines Jahres rund 70 Prozent der Behandelten erneut zum Zahnarzt. Wer die Angst vorm Bohrer besiegen möchte, sollte sich ihr also mit Hilfe eines Therapeuten stellen.
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