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Verhaltensforschung: Lass den Kleinen in Ruh!

Wenn man irgendetwas scheinbar grundlos für den anderen tut – macht man sich immer irgendwie verdächtig. Auch als Krabbe: Warum also sollten die hilfsbereit zu ihren schwächlichen Nachbarn sein?
<i>Uca mjoebergi</i>
„Wissenschafts-Redakteur, NR, sucht helle, gemütl., individ. Wohnung; Miete nicht viel höher, als ich mir leisten kann, inkl. Nebenkosten“. Eigentlich kaum zu viel verlangt. „Zentrumsnah, nicht zu laut, gern Balkon, Holzboden, Tageslicht-Bad mit Wanne, vielleicht lieber ohne Makler“? Hm. „Freundliche Nachbarschaft“? Na ja, man sollte sein Glück nicht herausfordern. Soll ja auch in vier Zeilen passen.

Obwohl gerade gute Nachbarn natürlich Gold wert sind – auch und insbesondere, wenn man Uca mjoebergi heißt und eine australischen Krabbe ist. Deren Gesuch-Anzeige für eine Traumimmobilie sähe typischerweise etwa so aus: „Krabbe mit besonders beeindruckend geformtem Vorderbein sucht Schlammbatzen unterhalb des Spülsaums, mit gemütlich zentraler Mulde zum Verkriechen bei Flut. Bin groß und stämmig, helfe in der Nachbarschaft.“

Letzterer Zusatz wäre wohl ein entscheidend positives Kriterium, wie Patricia Backwell und Michael Jennions von der National University in Canberra nun heraus arbeiteten. Zunächst hatten die Forscher nur einen kurzen Blick auf die altbekannten Details der Krabbenbiologie geworfen: Gut, die Tiere leben in Schlamm-Aufwerfungen, Männchen und Weibchen alle paar zehn Zentimeter wild durcheinander gemischt, fressen, pflanzen sich fort. Männliche Krabben ziert eine überdimensionierte linke Vorderextremität, mit der sie machen, was Jungs mit Derartigem eben so tun: kämpfen und vor den Mädels protzen.

Das eine hängt dabei wie so oft mit dem anderen zusammen. Auch der Immobilienmarkt der Krabben ist ziemlich schwierig, und nur wer einen Konkurrenten besiegt, erringt eines der begehrten netten Plätzchen im Schlamm – allein solche Grund- und Bodenbesitzer haben später dann auch Erfolg bei den Frauen. Der Rest der Krabben krabbelt heimatlos durch die Kolonie. Und greift aus Verzweiflung hin und wieder natürlich schwächlich scheinende Kollegen an, um diese vielleicht zu vertreiben. Merkwürdig nur: Gelegentlich kämpfen nicht zwei, sondern gleich drei Krabben miteinander, beobachteten Backwell und Jennions – und stets sind es zwei Grundbesitzer, die sich gegen einen herumstreunenden Landräuber zusammentun. Bilden Krabben Bürgerwehren? Und wenn ja – warum? Sind Krabben altruistisch, helfen also selbstlos im sozialen Verband?

Nähere Untersuchungen brachten ans Licht, dass stets nur ein größeres Männchen einem eher schmächtigen Nachbarn kurz unter die Arme greift, sobald dieser von einem Streuner attackiert wird. Blind also ist die Nächstenliebe nicht: Betrachtet man sich selber als unterlegen, so lässt man seinen Nachbarn mit seinen Problemen lieber alleine fertig werden. Je gefährlicher Nachbarschaftshilfe also für einen selbst werden könnte, desto weniger eifrig wird sie eingesetzt..

So weit, so einsichtig. Es bleibt nur die Frage, warum die schweren Jungs sich überhaupt einmischen – könnte ihnen doch egal sein, ob ihr mickriger Kollege nebenan ein Problem damit hat, sich zu behaupten. Warum dafür Energie aufwenden?

Reiner präventiver Selbschutz so die Wissenschaftler: In den beobachteten Kolonien griff eine große Krabbe fast immer nur dann ein, wenn ein nebenan attackierender Eindringling größer war als ihr bisheriger Nachbar. Offenbar beugen die Kraftprotze also der Gefahr zukünftiger Nachbarschaftsstreitigkeiten vor: Schwache Tiere haben weniger Möglichkeiten, dem Nachbarn irgendwann einmal lästig zu werden – etwa, wenn sie doch einmal die Grenzen ihres Territoriums auf Kosten des Grundstücks daneben zu verschieben versuchen.

In der Krabbengemeinschaft herrscht also nicht Nächstenliebe, sondern Mutualismus – eine aus der Situation geborene Nachbarschafts-Allianz auf Zeit, die beiden Partnern gewisse Vorteile verschafft. Die großen Krabben investieren in eine möglichst ruhige Zukunft, den Schwachen wird geholfen, ein Grundstück zu behalten, welches sie alleine kaum auf Dauer unterhalten könnten. Wer ihnen warum hilft, wird ihnen dabei ziemlich egal sein – als nachdenkliche Geschöpfe mit Sozialkompetenz und Fähigkeit zu moralisch-kognitiven Einsichten können Krabben ohnehin nicht gerade gelten. Hoffentlich ein weiterer Unterschied zum Menschen, neben der Vorliebe für schlammige Wohnzimmer.

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