Nachhaltig leben: »Man muss keine traurigen Eisbären zeigen, um Mitgefühl zu wecken«
Dem Klima widmete sich Paul van Lange bereits in seiner Doktorarbeit: Er untersuchte so genannte soziale Dilemmata, also Situationen, in denen Eigeninteresse und Gemeinwohl miteinander im Konflikt stehen. Schon damals, Ende der 1980er Jahre, ging es dabei vor allem um Umweltprobleme. Heute spielen sie insbesondere beim Klimawandel eine Rolle.
Herr Professor van Lange, kann die Psychologie etwas zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen?
Ich bin Optimist. Die Psychologie hat meines Erachtens immer etwas zu bieten. Ich würde nicht ausschließen, dass eine neue Technik einen Großteil des Problems lösen wird, aber letztlich müssen die Menschen das tun. Die Frage ist, wie viel wir für das Wohl der Allgemeinheit zu tun bereit sind. Und wie kann eine Regierung die Menschen dazu bewegen? Man muss über die eigene Generation hinaus in die Zukunft blicken. Und das passiert auch schon: Großeltern demonstrieren für eine bessere Klimapolitik, sie denken an ihre Kinder und Enkelkinder. Wenn sich die Menschen nicht für sich selbst einsetzen, kann man daran appellieren, dass sie es für ihre Nachkommen tun.
Wie kann die Politik nachhaltiges Verhalten fördern?
Indem sie in der Kommunikation den richtigen Ton trifft. Eine Regierung darf nicht zu viel vorschreiben, das ist kontraproduktiv. Psychologische Studien zeigen, dass sich Menschen in der Regel moralisch überlegen fühlen. Wenn jemand sie in Sachen Moral belehren will – ganz besonders die Regierung, die auch mal selbst Fehler macht –, dann erzeugt das Widerstand. Man kann aber durchaus darauf hinweisen, welche Bedeutung nachhaltiges Verhalten für die Nachfahren hat. Außerdem sollte man es den Menschen leichter machen, sich umweltbewusst zu verhalten. Dabei kann die Regierung auch eine Rolle spielen. Nehmen wir das Beispiel Zugfahren: Wenn der Aufenthalt an Bahnhöfen angenehmer ist oder es einfacher wird, das Fahrrad im Zug mitzunehmen, kann das den Ausschlag dafür geben, dass die Menschen ihr Auto stehen lassen.
»Menschen legen sehr viel Wert darauf zu zeigen, dass sie klimafreundlich sind«
Was weiß die Psychologie darüber, wie wir solche Entscheidungen treffen?
Menschen neigen bei ihren Entscheidungen eher dazu, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und weniger auf die Zukunft. Damit sie die Umwelt stärker berücksichtigen, sollten Unternehmen über die Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen informieren. Das würde es einfacher machen zu erkennen, wie man überhaupt nachhaltig handeln kann. Wenn man beispielsweise weiß, dass beim Bau eines Wohngebiets viel Wert auf Nachhaltigkeit gelegt wird, kann man sich bewusst für ein solches Haus entscheiden. Das fördert das Ansehen, und darauf legen Menschen sehr viel Wert: zu zeigen, dass sie klimafreundlich sind. Deshalb versuchen sie ihre Umweltsünden zu kompensieren. Wenn sie etwa häufig mit dem Flugzeug fliegen, betonen sie, wenig Fleisch zu essen. In solchen Dingen sind wir sehr flexibel: Wir kaufen uns von unseren Schuldgefühlen frei, etwa indem wir für Entwicklungshilfe spenden.
Das klingt nach einer einfachen Ausrede. Geld zu überweisen, ist leichter, als den eigenen Lebensstil umzukrempeln.
Das ist wahr. Es gibt aber auch Menschen, die sich wirklich anstrengen und nach Alternativen suchen. Oft muss man dazu eine alte Gewohnheit aufgeben und eine neue ausprobieren, damit diese sich etablieren kann. Zum Beispiel bei Reisen innerhalb von Europa den Zug zu nehmen. Für mich ist es inzwischen völlig selbstverständlich, mit der Bahn nach Frankfurt zu fahren. Ich habe festgestellt, dass es angenehmer ist; ich muss weniger lange warten und kann auf der Fahrt gut arbeiten.
»Wenn man jemanden trifft, der gerade nach Paris geflogen ist, steht derzeit oft die Frage im Raum: Mensch, warum nicht mit dem Zug?«
Die beschriebenen Kompensationsversuche können bestimmt zum Teil erklären, dass wir nicht alle unser Leben ändern. Gibt es noch weitere Erklärungen?
Menschen sind Gewohnheitstiere. Sie orientieren sich vor allem an dem, was sie aus ihrer Vergangenheit gewohnt sind. Man kann nicht einfach erwarten, dass sie ihre gesamte Lebensweise ändern und auf einmal CO2-neutral leben. Alle haben ihre Verpflichtungen. Um den Ausstoß reduzieren, müssen wir Kompromisse finden zwischen ambitionierten und realistischen Zielen. Deshalb kann die Regierung nicht einfach sehr niedrige CO2-Emissionen festlegen: Das fordert zu viel von den Menschen. Wir können aber ihr Verhalten hinterfragen. Wenn man jemanden trifft, der gerade nach Paris geflogen ist, steht derzeit oft die Frage im Raum: »Mensch, warum nicht mit dem Zug?« Die Normen werden sich in diese Richtung verschieben. In bestimmten Berufsfeldern wird man immer häufiger überlegen, ob ein Meeting nicht auch über Skype stattfinden kann.
Lassen sich Kompensationsversuche auch positiv deuten – insofern, als die Menschen offenbar schon begreifen, dass sie mehr tun müssen? Sind Wiedergutmachungsversuche ein Weg, mit dieser Erkenntnis umzugehen?
Ja, das ist richtig. Kompensieren kann man sowohl negativ als auch positiv verstehen. Das mag sich alles arg pragmatisch anhören. Doch dieser Pragmatismus orientiert sich an dem Ideal, die Emissionen auf null zu reduzieren.
Wie sollte man die Klimadebatte am besten führen? Was sagt Ihre Forschung dazu?
Die Debatte über den Klimawandel ist oft sehr abstrakt. Es ist wichtig, mit den konkreten Folgen konfrontiert zu werden. Die Hitzewellen im Sommer 2019 sind ein gutes Beispiel dafür. Informationskampagnen müssen deutlich machen, welche Auswirkungen es hat, wenn weiterhin massenhaft Bäume gefällt werden. Was etwa passiert mit den Tieren? Die Folgen konkret aufzuzeigen, kann Empathie wecken. Dass das funktioniert, haben wir gerade in einem Experiment beobachtet.
Was haben Sie da genau gemacht?
Die Versuchspersonen nahmen an einem Spiel teil, bei dem jeder Einzelne anonym entscheiden sollte, wie viele Punkte er aus einem gemeinschaftlichen Topf bekommt. Die Punkte hatten einen Geldwert. Jeder musste für sich selbst entscheiden. Wenn alle zusammen insgesamt zu viel aus dem Pott holten, ging der Punktevorrat aus und das Spiel war vorzeitig zu Ende – ohne Auszahlung des Geldwerts. Es handelt sich dabei um einen bekannten Versuchsaufbau für ökonomische Dilemmata. Wir haben aber zusätzlich einen nichtökonomischen Wert geschaffen: Ein Teil der Versuchspersonen erhielt den Hinweis, dass das Schicksal von lebendigen Heuschrecken vom gemeinschaftlichen Punktevorrat abhing. Wenn sie die Rückmeldung bekamen, dass sie zu viele Punkte beansprucht hatten und es den Tieren nicht gut ging, trafen sie daraufhin nachhaltigere Entscheidungen als Probanden, die kein Feedback zum Schicksal der Heuschrecken bekamen.
Was lernen wir daraus?
Das soll natürlich nicht heißen, dass man bei allen Entscheidungen ständig an das Schicksal der Tiere denken muss. Doch es lehrt uns, dass man keine traurigen Eisbären zeigen muss, um Mitgefühl zu wecken und nachhaltiges Verhalten zu fördern. Es funktioniert auch mit Heuschrecken. Das zeigt, dass sich mit Kommunikation viel erreichen lässt.
Professor van Lange, vielen Dank für das Gespräch.
Geld oder Leben: Experiment mit Menschen und Heuschrecken
Wird eine kleine Gemeinschaft ihren Konsum reduzieren, wenn das Überleben einiger Heuschrecken davon abhängt? Das untersuchten Paul van Lange und sein Team in einem Experiment. Sie ließen rund 130 Versuchspersonen in Vierergruppen vermeintlich um einen mit 3000 Punkten gefüllten Topf spielen. Jeder Punkt war reale zwei Cent wert, der gesamte Topf enthielt somit 6000 Cent. Jeder durfte sich pro Runde anonym bis zu 30 Punkte zuteilen, und nach jeder Runde würde der Topf um ein Prozent seines Restwerts wiederaufgefüllt. Ab einer kritischen Schwelle von ungefähr 1500 Punkten, so erfuhren die Teilnehmer, würde sich der Pool komplett leeren und niemand etwas bekommen. Die Hälfte der Probanden bekam außerdem Reagenzgläser mit Heuschrecken darin gezeigt, dazu eine Art Kaffeemühle, die bei Erreichen der kritischen Schwelle fünf Sekunden lang Heuschrecken zermahlen würde – das sei von der Ethikkommission genehmigt worden.
Die Probanden saßen getrennt voneinander vor einem Rechner und konnten sich nicht austauschen; der Ablauf war vorprogrammiert, suggerierte aber ein gemeinsames Spiel. Nach der zehnten Runde erschien auf dem Bildschirm ein Warnhinweis: Der Punktevorrat schwindet! Nach Runde 15 folgte die zweite Warnung, und nach 20 Runden war Schluss. Ergebnis: In der Gruppe der Teilnehmer, die um die Heuschrecken fürchten mussten, hatte jeder im Mittel knapp 200 Punkte entnommen – fast 80 weniger als der Durchschnitt in der von Heuschreckenschicksalen unbelasteten Kontrollgruppe. Der Unterschied bestand über den gesamten Spielverlauf hinweg, schreiben Paul van Lange und seine Kollegen. Offenbar hielten sich die Versuchspersonen von Beginn an vermehrt zurück.
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