Interview zum Mars-Helikopter Ingenuity: »Wir werden uns fühlen wie damals die Gebrüder Wright«
Update: Der Perseverance-Rover mit dem Helikopter Ingenuity ist nicht nur erfolgreich zum Mars aufgebrochen, sondern mittlerweile auch intakt auf der Oberfläche gelandet.
Vier Rover hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa schon erfolgreich zum Mars gebracht, jetzt soll der fünfte folgen. »Perserverance« soll am Donnerstag, 30. Juli 2020, um 13.50 Uhr vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral starten. Das Gefährt hat zahlreiche wissenschaftliche Instrumente an Bord, darunter einen kleinen Hubschrauber. Wie der Helikopter funktionieren soll, wie das Flugprogramm aussieht und ob er Sorge hat, zu scheitern, erklärt sein Erfinder Bob Balaram im Interview.
»Spektrum.de«: Wie kommt man auf die Idee, einen Mars-Helikopter zu bauen? Das klingt, nun ja, ein bisschen …
Bob Balaram: … verrückt? Sagen Sie es ruhig, das bekomme ich ständig zu hören.
Mit einem Minihubschrauber über den Mars zu fliegen, ist zumindest nicht sehr naheliegend.
Ausschlaggebend war eine Konferenz in den 1990er Jahren. Ein Professor aus Stanford stellte dort seine Idee winziger Hubschrauber vor, nicht größer als eine Münze. Ich unterhielt mich mit ihm, und mir fiel auf, dass große Hubschrauber auf dem Mars eine ähnliche Aerodynamik haben wie solch kleine Helikopter auf der Erde.
Wie das?
Das liegt an der geringen Dichte der Marsatmosphäre. Ihr Druck entspricht etwa einem Prozent des irdischen Werts. Somit zeigen größere Objekte dort ein ähnliches Flugverhalten wie winzige Hubschrauber auf der Erde.
Und das haben Sie dann Ihrem Arbeitgeber, der NASA, vorgeschlagen?
Nicht nur. Wir hatten zuvor auch noch ein Experiment gemacht: Eine unserer Vakuumkammern hier am Jet Propulsion Laboratory (JPL) füllten wir mit Kohlendioxidgas, brachten sie auf Mars-Druck und ließen darin einen einfachen Propeller rotieren. Der erzeugte sogar Auftrieb. All das packten wir in den Antrag.
Hört sich nicht sonderlich überzeugend an.
Ganz im Gegenteil, der Vorschlag wurde sogar sehr gut aufgenommen. Leider war bei der NASA damals Sparen angesagt, so dass kein Geld für das Projekt zur Verfügung stand. Der Antrag lag dann 15 Jahre bei mir im Regal, bis unser damaliger JPL-Chef 2013 auf einer Konferenz einen Vortrag über Drohnen hörte. Sein spontaner Gedanke: Hey, können wir so etwas nicht auf dem Mars machen?
Alle 26 Monate stehen Erde und Mars auf ihren jeweiligen Bahnen um die Sonne in einem derart günstigen Winkel, dass Flüge zum Roten Planeten mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich werden. Im Juli und August 2020 ist es wieder so weit. Gleich vier Nationen wollten dieses Mal die Gelegenheit nutzen; Europa, der Vierte im Bunde, musste wegen technischer Probleme mit seiner Exomars-Mission allerdings kurz vor Abflug aufgeben. Aus dem diesjährigen Mars-Vierkampf ist daher ein Dreikampf geworden: Er umfasst die USA mit einem Roboterfahrzeug namens »Perseverance«, China mit einer Sonde und einem Rover unter dem Missionsnamen »Tianwen 1« und die Vereinigten Arabischen Emirate, die ihre »erste Marssonde »Al-Amal«« getauft haben – zu Deutsch »Hoffnung«. Al-Amal startete am 20. Juli 2020 erfolgreich, drei Tage später, am 23. Juli, folgte Tianwen-1. Perseverance wird voraussichtlich am 30. Juli um 13.50 Uhr MEZ starten. Die NASA wird in einem Livestream berichten. Klappt alles wie geplant, werden alle drei Missionen den Mars im Februar 2021 erreichen.
Nun war Ihre Stunde gekommen?
Zum Glück erinnerte sich jemand an mich und sagte dem Chef: »Bob hatte sich das doch schon in den 1990er Jahren angeschaut. Reden Sie mal mit ihm.« Innerhalb weniger Wochen schrieben wir einen neuen Antrag, und plötzlich floss das Geld.
Was war die größte Herausforderung beim Bau dieses Helikopters?
Die geringe Dichte der Marsatmosphäre, ganz klar. Das ist, als würde man hier auf der Erde in 30000 Meter Höhe fliegen – und dort sieht man für gewöhnlich keine Helikopter.
Auf dem Mars ist allerdings auch die Anziehungskraft geringer.
Ja, zum Glück, sie liegt bei etwa 40 Prozent der Gravitation hier auf der Erde. Das macht unsere Aufgabe etwas einfacher. Das große Problem bleibt trotzdem der nötige Auftrieb, schließlich können wir die Rotorblätter nicht einfach schneller rotieren lassen. Sobald deren Spitzen Schallgeschwindigkeit erreichen, bekommen wir allerhand störende Effekte.
Wie hält man so einen Helikopter dann in der Luft?
Das Wichtigste ist extremer Leichtbau. Der allerdings bringt wieder ganz andere Probleme mit sich: Trotz der filigranen Bauweise muss das Fluggerät die Vibrationen und Beschleunigungskräfte beim Start überstehen. Es muss dem Vakuum des Weltalls trotzen, der kosmischen Strahlung, den Marsnächten, in denen es minus 90 Grad Celsius kalt werden kann. Natürlich könnten wir alles besonders stabil bauen. Aber dann hätten wir am Ende einen Ziegelstein, der nie und nimmer auf dem Mars fliegen würde.
Doch die Leichtbauweise macht den Helikopter anfällig für die teilweise recht starken Wind auf der Marsoberfläche.
Die Winde sind, anders als im Film »Der Marsianer«, nicht sonderlich gefährlich: Ein Mars-Sturm mit 100 Kilometern pro Stunde entspricht wegen der geringen Dichte etwa einem Wind von zehn Kilometern pro Stunde auf der Erde. Trotzdem mussten wir unsere Flug-Software so auslegen, dass sie Böen ausgleichen kann. Außerdem ist überall Staub, in der Atmosphäre und am Boden, der kann mechanische Probleme bereiten.
Konnten Sie die Marsbedingungen irgendwie simulieren?
Es gibt leider kein Lehrbuch: »So testen Sie einen Mars-Helikopter«. Das mussten wir alles selbst erfinden. Ich hatte zum Beispiel im ganzen Land nach einem Vakuum-Windkanal mit niedrigen Geschwindigkeiten gesucht. Erfolglos. Letztlich habe ich dann hier am JPL in der großen Vakuumkammer 900 Computerlüfter installiert, die einen leichten Seitenwind erzeugten. Damit musste unser Helikopter klarkommen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals einen Windkanal bauen würde.
Wie wird das Flugprogramm auf dem Mars aussehen?
Etwa zwei Monate nach seiner Landung wird der Rover »Perseverance« einen geeigneten Flugplatz für den Helikopter suchen, ihn absetzen und sich selbst in Sicherheit bringen. Dann haben wir 30 Marstage Zeit, um unser Technologieexperiment durchzuziehen – mit wahrscheinlich fünf Flügen. Der erste Hopser wird dabei sehr ähnlich zu dem sein, was wir auf der Erde getestet haben: abheben, drei oder vier Meter fliegen, 30 Sekunden schweben, zurückkehren. Schließlich müssen wir die Flugbedingungen auf dem Mars erst kennen lernen.
»Das Ganze läuft unter dem Motto: hohes Risiko, hohe Chancen«
Bob Balaram
Eingreifen können Sie dabei nicht?
Nein, die Funksignale zum Mars sind fast 20 Minuten unterwegs. Daher muss alles autonom ablaufen. Wir laden vorher Kommandos, Wegpunkte und einen Startzeitpunkt hoch. Um 11 Uhr Ortszeit auf dem Mars legt der Helikopter dann automatisch los.
Warum um 11 Uhr?
Dann haben – nach der kalten Nacht, in der viel Batterieleistung zum Heizen des Hubschraubers verbraucht wird – unsere Solarzellen die Akkus wieder aufgeladen. Zudem haben die Winde noch nicht aufgefrischt. Beim vierten oder fünften Flug gehen wir aber vielleicht ein höheres Risiko ein.
Haben Sie Angst, dass dabei etwas schiefgeht?
Das Ganze läuft unter dem Motto: hohes Risiko, hohe Chancen. Der Mars-Helikopter ist ein Technologiedemonstrator, entwickelt von einem kleinen Team ohne all die Sicherheitsanforderungen einer großen Mission. Wir nutzen zum Beispiel kommerzielle Elektronikkomponenten. Wenn die zum falschen Zeitpunkt von kosmischer Strahlung getroffen werden, so dass ein Bit umschlägt, war es das. Nichts ist garantiert bei einer Technologiedemonstration – noch dazu bei der ersten ihrer Art.
Sie könnten in der Tat Geschichte schreiben mit dem allerersten Flug auf einem anderen Himmelskörper als der Erde.
Sollten wir erfolgreich sein, dann wird das unser Wright-Brothers-Moment. Dann werden wir uns fühlen wie damals die Gebrüder Wright nach ihrem ersten Motorflug in Kitty Hawk, nur auf einem anderen Planeten. Und wir werden bei all dem hoffentlich genug Daten sammeln können, um unser Fluggerät künftig zu vergrößern.
So groß, dass eines Tages Astronauten mit Hubschraubern über den Mars fliegen werden?
Das höchstwahrscheinlich nicht, dafür ist der Auftrieb dann doch zu gering. Helikopter bis 30 Kilogramm sollten aber machbar sein. Solche Marsdrohnen könnten eines Tages Astronauten aus der Luft den Weg weisen, sie könnten Bodenproben einsammeln, sie könnten wissenschaftliche Instrumente an Bord haben. Vor allem aber könnten sie all die Orte erkunden, die nie ein Rover sehen wird.
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