Biosprit: "Mit Jatropha wird die Lebensqualität steigen"
Herr Becker, Sie glauben an Biodiesel, obwohl derzeit in Europa die Stimmung zu kippen scheint.
Klaus Becker: Ach, da wird Stimmung gemacht. Aber fluchen kann jeder, und viele, die gegen Biodiesel sind, haben selber keine Ahnung davon. Ich sehe den Vorteil der Bioenergie darin, Energie in den Entwicklungsländern dort zu produzieren, wo sie benötigt wird. Auch nicht in der Hauptstadt, sondern wirklich im Landesinneren.
Aber konkurrieren Energiepflanzen nicht genau dort mit Lebensmitteln, und ist nicht verschiedentlich gesagt worden, dass das die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt?
Ja, das schreiben die Zeitungen. Aber gerade hat eine Studie gezeigt, dass die afrikanische Lebensmittelkrise 2010/11 nicht auf Biosprit zurückgeführt werden kann [1]. Und eine zweite Studie hat herausgefunden, dass Lebensmittelpreisschwankungen in Afrika nicht zugenommen haben [2]. Das sind neue Zahlen vom Internationalen Währungsfonds und der FAO. Keiner hatte das bisher so sauber nachvollzogen.
Aber warum kommt es zu Hungerkrisen in Afrika, warum reichen dort die Lebensmittel nicht?
Eigentlich könnte Afrika die ganze Welt ernähren. Es hat rund zehnmal so viel Fläche wie Indien, und Indien kann seine Menschen ernähren, obwohl es viel dichter besiedelt ist. Afrika kann man vom Klima und Niederschlag her gut mit Indien vergleichen, Kamerun zum Beispiel ist ein Garten Eden! Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 308 an der Uni Hohenheim haben wir schon vor Jahren diese ganzen Probleme in Westafrika erforscht und publiziert. Aber daraus geworden ist nichts, das fand ich das Schlimmste.
Wie muss man das verstehen?
Wir haben gezeigt, dass schon sehr wenig Phosphatdünger den Hirseertrag fast verdoppeln kann [3, 4]. Und das Grundmaterial dafür liegt im Sahel! Aber niemand hat gesagt, jetzt gehen wir nach Afrika und helfen den Leuten, Dünger zu produzieren. Der wird weiter importiert. Und es gibt einige, die daran verdienen – durch Schmiergeld beim Import. Das wird zwar nicht ausgesprochen, aber so ist es: Diese Leute werden alles versuchen, um eine Produktion im eigenen Land zu unterbinden.
Also sind Korruption und unsichere politische Zustände der Haken?
Ja, sicherlich ist das ein Teil des Problems. Aber wir verstehen da vieles noch nicht. Also können wir auch keine guten Ratschläge geben.
Trotzdem machen Sie mit Ihrer Firma JatroSolutions doch genau das, oder nicht?
Nicht direkt. Auf unserer Experimentierfarm auf Madagaskar sind nur Einheimische tätig, auch die Verantwortung liegt allein bei den Madagassen. Das Projekt läuft nun schon im fünften Jahr, und wir haben 1100 Hektar bepflanzt. Aber JatroSolutions ist noch im Aufbau, und wir machen noch keinen Umsatz, bisher investieren wir nur. Das geht mit Hilfe von Energie Baden-Württemberg, die mit knapp 50 Prozent an JatroSolutions beteiligt sind, weil sie in nachwachsende Rohstoffe investieren wollen. Außerdem haben wir noch ein weltweites Zuchtprogramm: In Argentinien, Paraguay, Kamerun, Madagaskar und Indien testen wir seit knapp drei Jahren verschiedene Genotypen in diesen unterschiedlichen klimatischen Umwelten. Aktuell haben wir 150 Genotypen. In zwei bis drei Jahren wollen wir die ersten Hybriden anbieten. Dann wissen wir, in welchem Klima man mit welchem Ertrag rechnen kann und welche Investitionen in den Jatrophaanbau wichtig sind.
Und was passiert auf den Experimentierfeldern in Madagaskar?
Dort erforschen wir den Ertrag und mögliche Ertragssteigerungen des Jatrophawildtyps. Als man vor Jahren mit dem Jatrophaanbau begonnen hat, kannte man den Ertrag nicht. Manche Investoren haben den Bauern unmögliche Ernten versprochen, das war unredlich. Mittlerweile wissen wir, dass dieser bei fünf bis über zwölf Kilogramm der ölhaltigen Samen pro Pflanze und pro Jahr liegt. Man kann der Jatropha alles geben, Spülwasser, Waschwasser, in Afrika wird nichts verschwendet.
Damit sind wir bei den Vorteilen der Jatropha.
Genau, Jatropha braucht wenig Wasser und gedeiht auch auf kargen Böden, die sonst nicht als Ackerland taugen, es ist somit keine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau. Weltweit gibt es mehr als eine Milliarde Hektar degradierter Ackerfläche. Die Kleinbauern können es sich nicht leisten, darauf ihr Saatgut zu verschwenden. Wenn sie dort aber Jatropha anpflanzen, bekommen sie die Fläche sogar irgendwann zurück: Es ist eine tiefwurzelnde Pflanze, Regenwasser wird aufgehalten und kann einsickern, der Grundwasserspiegel wird aufgefüllt. Außerdem ist Jatropha eine Nährstoffpumpe, die herabfallenden Blätter kompostiert. Zwischen unseren Jatrophahecken haben wir jetzt beispielsweise wieder Bohnen anpflanzen können. So gesehen bewirkt Jatropha genau das Gegenteil vom Palmölanbau, für den in großem Stil der Regenwald beispielsweise in Indonesien abgeholzt wird. Und das Gleiche gilt für die Sojaplantagen vor allem in Brasilien, die der Erzeugung von Futtermitteln dienen. Und auch da ist Jatropha eine Antwort.
Jatropha als Futtermittel? Aber die Pflanze ist doch giftig.
Deshalb haben wir an der Uni Hohenheim ein Verfahren entwickelt, das Gift herauszuholen, nachdem man das Öl aus den Samen ausgepresst hat. Zurück bleibt ein hochqualitatives Mehl mit einem deutlich höheren Proteingehalt als Sojamehl. Und Proteinfuttermittel werden in der Zukunft der Flaschenhals sein: Sie werden durch die wachsende Mittelschicht und den zunehmenden Hunger nach Fleisch teurer werden. Mit Jatropha können wir einen Gegenpol schaffen zum Soja – wenn der Anbau auch ökonomisch konkurrenzfähig ist. Und durch diese doppelte Verwertung zu Öl und Proteinkonzentrat wird er das. Es ist sehr wichtig, dass sich dies für die Bauern rentiert. Sonst hat man das gleiche Problem wie bei so vielen Entwicklungshilfeprojekten: Sie laufen nur so lange, wie das Geld aus dem Ausland kommt.
Wenn sich nun aber Jatropha so sehr rentiert und in großem Stil angebaut werden soll, kommt es dann nicht auch in diesem Zusammenhang zu "Land Grabbing"?
Im September 2012 war ich als Referent auf einer Veranstaltung vom Bonner Netzwerk "Bioenergie und Entwicklung". Dort hat auch ein NGOler zum "Land Grabbing" in Tansania gesprochen. Zuerst hat er zwei DIN-A4-Seiten gezeigt, dicht beschrieben mit Firmen, die angeblich Flächen gestohlen hatten. All diese Flächen hat er sich persönlich vor Ort angeschaut. Und dann hat er uns eine weitere Seite gezeigt mit den Fällen, in denen wirklich etwas gelaufen war – da blieben nur noch drei, vier Zeilen übrig. Vieles über Land Grabbing hört man von wenig ernst zu nehmenden NGOs, die an der Dramatik verdienen. Ich sage nicht, dass es kein Land Grabbing gibt, aber das, was kommuniziert wird, sollte man nicht unreflektiert übernehmen.
Zweitens muss man sehen, wie das Land Grabbing wirklich abläuft. In Afrika gehört das Land der Regierung. Wenn ein ausländischer Investor kommt, lassen die sich schmieren und scheren sich nicht um alte Nutzungsrechte. In Wirklichkeit hat also die Regierung den Menschen das Land weggenommen. Aber für den Investor beginnen dann die Probleme, denn da sind dann unzählige Leute, die Nutzungsrechte geltend machen können, und die gehen verständlicherweise auf die Barrikaden. Dann ist vielleicht der Schlepper jeden Morgen plattgestochen … Meistens ziehen sich die Investoren wieder zurück. Für unser Projekt in Madagaskar wurde darum die Regierung gar nicht eingeschaltet, auch wir als JatroSolutions haben uns herausgehalten. Unser Partner vor Ort, eine ehemalige NGO, hat das direkt mit den Gemeinden besprochen, und die haben uns von sich aus 4000 Hektar zur Pacht angeboten. Wenn andere das auch so machen würden, wäre die ganze Land-Grabbing-Diskussion nicht aufgekommen.
Und wie wird von Ihrem Jatrophaprojekt der Transfer zu den Kleinbauern erfolgen?
Am Anfang unseres Projekts in Madagaskar hatten wir 700 Arbeiter; durch Mund-zu-Mund-Propaganda spricht es sich dann rum, wenn sich das rentiert. Wenn ein Bauer Jatropha pflanzt und zwischen den Büschen gedeihen seine Bohnen besonders gut – das sieht er sofort. Außerdem hat er vom ersten Jahr an einen kleinen Samenertrag, den er verkaufen kann. Damit kann er jemanden bezahlen, der einen Traktor hat und damit das Pflügen übernimmt. Denn die harte körperliche Arbeit ist ein großes Problem. Ich habe das mal durchgerechnet: Durch dieses händische Umgraben haben die Kleinbauern einen fünfmal so großen Energiebedarf im Vergleich zur Ruheposition. Würde die körperliche Arbeit von einer Million Kleinbetriebe durch Traktoren ersetzt, würden die eingesparten Kalorien den Import hunderttausender Tonnen Reis unnötig machen. So wird die Teller-Tank-Diskussion zu einer Tank-Teller-Diskussion!
Und es gibt noch mehr Effekte, wie dank Jatropha die Lebensqualität der Menschen in Afrika steigen wird. Wenn diese harte Arbeit wegfällt, haben die jungen Leute einen Grund weniger, in die Städte abzuwandern. Außerdem verschieben sich aktuell durch die Klimaveränderung die Regenzeiten: Auf Madagaskar kommt sie oft deutlich später, und die Regenmenge schwankt stark. Nur mit Mechanisierung kann ein Kleinbauer seine Fläche noch rechtzeitig bepflanzen. Und schließlich: Dank Jatrophaöl müsste Afrika weniger Erdöl importieren gegen teure Dollar. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz an positiven Entwicklungen dran.
Vielen Dank für das Gespräch.
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