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Neurodegeneration: Die Wurzel des Übels

Sie sind die Kraftwerke der Zellen – Mitochondrien. Versagen sie ihren Dienst, könnten Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson entstehen. Verschiedene Therapieansätze lassen auf Linderung hoffen, viele stecken aber noch in frühen Stadien der Forschung.
Grüne Mitochondrien vor dunklem Hintergrund
Mitochondrien sind besonders komplexe Organellen mit zwei Zellmembranen. In Neuronen befinden sich besonders viele von ihnen, denn sie haben einen hohen Energiebedarf.

Mitochondrien sind die Kraftwerke unserer Zellen. Kein Wunder also, dass wir im Gehirn besonders viele davon haben, benötigt es doch rund ein Fünftel der gesamten Körperenergie. Das macht es aber anfällig für Störungen des Stoffwechsels, die mit dem Alter zunehmen – die Organellen in den Neuronen produzieren dann schlichtweg nicht mehr genug Kraftstoff für geistige Aktivitäten. Fehlfunktionen der Mitochondrien könnten vielen der verheerendsten Hirnerkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson zu Grunde liegen. Hier ist bisher keine Heilung in Sicht, unter anderem, weil die genauen Ursachen noch nicht bekannt sind. Liegen diese womöglich in den Kraftwerken der Zellen?

Bereits 1970 fanden zwei US-Forscherinnen in elektronenmikroskopischen Aufnahmen vom Gehirn verstorbener Alzheimerpatienten, dass deren Mitochondrien anders aussahen als jene von gesunden Menschen. Warum das so ist, wussten sie damals noch nicht. Erst in den frühen 2010er Jahren zeichnete sich langsam ab: Gestörte Mitochondrien und Neurodegeneration gehen Hand in Hand.

Mitochondrien finden sich in allen Zellen des menschlichen Körpers mit Ausnahme der roten Blutkörperchen. In Neuronen gibt es besonders viele von ihnen. Wie viele genau, darüber sind sich die Fachleute nicht einig; vermutlich handelt es sich um einige Hundert bis Zehntausende – je nach Größe der Zelle. In ein Meter langen Axonen könnten es sogar bis zu zwei Millionen sein. Mitochondrien besitzen zwei Membranen (siehe »Die Kraftwerke unserer Zellen«). An der inneren der beiden befinden sich die Komponenten der Atmungskette, die aus Nährstoffen wie Glukose Energie in Form des Moleküls Adenosintriphosphat (ATP) gewinnt. Zudem besitzen die Organellen, abseits des Genoms im Zellkern, ein eigenes Erbgut aus mitochondrialer DNA (mtDNA).

Im Lauf des Lebens schleichen sich in der mtDNA mehr und mehr Fehler ein. Dies geschieht zwar genauso bei der DNA im Zellkern, aber dort greifen Reparaturmechanismen, die grobe Schäden zuverlässig erkennen und beheben. Auch in den zellulären Kraftwerken reparieren Enzyme Mutationen, jedoch längst nicht so effizient. Außerdem fehlen hier schützende Histonproteine, und bei der ATP-Produktion entstehen so genannte reaktive Sauerstoffspezies (ROS). In gesunden Zellen stehen Auf- und Abbau solcher Sauerstoffradikale im Gleichgewicht, wofür andere Moleküle sorgen: Antioxidanzien. Geschätzt ein Drittel von ihnen pro Zelle befindet sich in den Mitochondrien. Nehmen ROS aber übermäßig zu – etwa nach akuten oder chronischen Entzündungen –, haben die Antioxidanzien sie nicht mehr im Griff. Dann oxidieren sie wichtige Moleküle wie Lipide, Neurotransmitter, RNA oder DNA. Das kann dazu führen, dass Proteine der Atmungsketten fehlerhaft oder gar nicht hergestellt werden – die Organellen funktionieren nicht mehr korrekt. Schließlich stirbt die betroffene Zelle ab, weil ihr schlicht die Energie ausgeht.

Ein Energiemangel äußert sich unterschiedlich, je nachdem, welche Zellen im Gehirn betroffen sind: Sind es die dopaminergen Neurone in der Substantia nigra des Hirnstamms, kann Morbus Parkinson entstehen. Menschen mit dieser »Schüttellähmung« haben Schwierigkeiten, präzise Bewegungen auszuführen. Mehrere Indizien deuten auf mitochondriale Defekte als Ursache. So findet man bei der vererbbaren Form von Parkinson Mutationen in Genen, die wichtig für das Funktionieren der zellulären Kraftwerke sind. Fehlende Motoneurone wiederum gelten als Verursacher der amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Die chronische neurodegenerative Erkrankung führt zu Muskelschwäche, Lähmungen und schließlich zum Tod. Im mitochondrialen Genom von vielen Betroffenen fanden Fachleute eine Mutation im Gen für das Enzym SOD-1, welches Sauerstoffradikale unschädlich macht.

Mitochondrien schwächeln bei Alzheimer

Auch im Gehirn von Menschen mit Alzheimerdemenz scheinen die Mitochondrien zu schwächeln. So entdeckte ein Team von der Columbia University in New York 2021, dass sich im zellulären Kraftwerk der Patienten weniger Kopien mitochondrialer DNA befanden als bei gesunden Vergleichspersonen. Die verbliebenen Kopien zeigten zudem deutlich mehr Mutationen, sprich Gendefekte. Vor allem im präfrontalen Kortex bestand ein Zusammenhang mit den alzheimertypischen Ablagerungen: Je stärker die Veränderungen in den Mitochondrien, desto mehr der schädlichen Tau-Fibrillen waren zu finden. Zudem verringert Apolipoprotein E4 (ApoE4), der Hauptrisikofaktor für eine späte Form von Alzheimer, die Effizienz der kleinen Kraftwerke. Menschen mit dieser Genvariante haben daher auch weniger ATP im Denkorgan. Der resultierende Energiemangel beeinträchtigt Lernen und Gedächtnis, wie man bei Labormäusen nachwies.

Die Kraftwerke unserer Zellen |

Gemäß der Endosymbiontentheorie entstanden Mitochondrien, als sich größere Einzeller ursprünglich eigenständige Prokaryoten einverleibten. Dabei legte sich die Membran der »Urzelle« wie eine zweite Haut um die Membran des »Urmitochondriums«. Statt die Beute zu verdauen, nutzte die Urzelle die Eigenschaften der neuen Untermieter und bot ihrerseits Schutz und Nährstoffe. Aus dieser Symbiose entwickelte sich die eukaryotische Zelle, wie sie auch in Säugern vorkommt.

Mitochondrien haben zwei Membranen. Die Atmungskette läuft an der inneren Membran ab. Vorgeschaltet ist die Glykolyse im Zytoplasma der Zelle. Sie dient der Energiegewinnung durch Abbau von Glukose zu Pyruvat. Bei der aeroben Glykolyse wird Pyruvat im Zitratzyklus weiter abgebaut. Letztendlich werden dadurch der Atmungskette Elektronen zur Verfügung gestellt, die entlang der inneren Membran wandern – ihr Fluss liefert die Energie, um Protonen in den Membranzwischenraum zu pumpen, wodurch ein Protonengradient entsteht. Dieses Gefälle wiederum treibt die ATP-Synthase an wie Wasser eine Mühle: Das Enzym stellt damit Adenosintriphosphat (ATP) her, die universelle Energiewährung des Körpers. Jede Zelle, jedes Gewebe braucht ATP, um zu funktionieren. Im Nervensystem etwa sorgt es dafür, dass Neurone elektrochemische Gradienten aufbauen und an den Synapsen Botenstoffe übertragen können. Insgesamt gewinnt die Zelle pro Molekül Glukose 36 ATP-Moleküle: 2 aus der Glykolyse, 2 aus dem Zitratzyklus, 32 aus der Atmungskette. Von der Glukose bleiben CO2 und Wasser übrig.

Bislang fokussieren die gängigen Alzheimertherapien auf die für die Krankheit charakteristischen Ablagerungen der Proteine Tau und β-Amyloid. Beide stehen in Verdacht, die Funktion der Mitochondrien zu beeinträchtigen. Allerdings: Der Niedergang der Organellen beginnt schon vor einer erkennbaren Ansammlung der schädlichen Eiweiße und bedingt diese möglicherweise erst. Gehirnscans, bei denen die Glukoseaufnahme gemessen wird, zeigen beispielsweise, dass Menschen bereits im Frühstadium der Krankheit einen deutlich verlangsamten Stoffwechsel im Gehirn haben. Laut einem Team um Sandro Sorbi von der Universität Florenz führt das zu einer übermäßigen Phosphorylierung von Tau-Proteinen (was sie in der Folge zu Fibrillen verklumpen lässt) und einer erhöhten Produktion von β-Amyloid-Peptiden, den Bestandteilen der Alzheimer-Plaques. Das spricht dafür, Medikamente zu entwickeln, die bereits in einem frühen Krankheitsstadium an den Mitochondrien ansetzen.

Wenn Alzheimer tatsächlich durch einen gestörten Zellstoffwechsel ausgelöst wird, würde dies erklären, warum die bisherigen therapeutischen Ansätze, Plaques mit Hilfe von Antikörpern zu entfernen, in der Regel nicht die kognitiven Fähigkeiten verbessern. Es existieren bereits einige alternative Medikamente, die man ursprünglich gegen andere Leiden entwickelte. So gab es 2013 eine Phase-2-Studie mit Mitoglitazone (MSDC-0160). Der Wirkstoff blockiert den mitochondrialen Pyruvat-Transporter und war eigentlich für Diabetes vorgesehen – wurde aber nie zugelassen. Bei 16 Patienten mit milder Alzheimerdemenz stabilisierte er den Glukosestoffwechsel im Kleinhirn.

»Bis zur Therapie braucht es noch viel Entwicklungsarbeit«Magdalena Götz, Entwicklungsbiologin

Ein anderer Kandidat ist Erythropoietin (EPO), ein als Dopingmittel in Verruf geratenes natürliches Hormon, das die Bildung und Reifung roter Blutzellen fördert. Laut einer Studie der ETH Zürich erhöht der Stoff auch die Anzahl an Mitochondrien und steigert so den Glukoseabbau und den ATP-Spiegel in den Zellen. Bei Nagern mit mitochondrialen Schäden im Hippocampus zeigten sich damit erste Erfolge: Nach Gabe von EPO verbesserten sich ihr räumliches und ihr Kurzzeitgedächtnis. Aber auch Mäuse mit Parkinson erholten sich dank EPO, wie Federica Rey und ihre Kollegen von der Universität Mailand 2021 nachwiesen. Die Motorik der Nager normalisierte sich und ebenso gingen die Schäden in den Mitochondrien zurück, wie elektronenmikroskopische Aufnahmen belegten.

Terazosin, das man Männern mit vergrößerter Prostata und mit Problemen beim Wasserlassen verschreibt, wird ebenfalls im Zusammenhang mit Parkinson erprobt. Die Substanz kurbelt die Aktivität eines Enzyms an, das am Abbau von Glukose und an der ATP-Produktion beteiligt ist. Ähnliches gilt für Doxazosin. Laut einer dänisch-US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2021 können die beiden Wirkstoffe das Risiko senken, an der Schüttellähmung zu erkranken.

Verpflanzte Kraftwerke

Es gibt aber auch nicht chemische Ansätze, etwa gesunde Mitochondrien in Zellen mit kranken Organellen zu verpflanzen. Die Mitochondrien-Transplantation wurde von US-amerikanischen Forschern entwickelt, um Herzschäden nach einer so genannten Ischämie-Reperfusion zu minimieren. Hierbei ist ein Gewebe eine Zeit lang mit Blut unterversorgt (Ischämie, beispielsweise Herzinfarkt); wird der Blutfluss dann wiederhergestellt, kann es zu weiteren Schäden kommen. Grund dafür sind defekte Mitochondrien.

Die Wissenschaftler vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston entnahmen Mitochondrien aus dem Skelettmuskelgewebe von Kaninchen mit einer künstlich hervorgerufenen Mangeldurchblutung des Herzens und injizierten sie in die betroffene Region. Die Tiere erholten sich zuverlässiger als solche, die keine Transplantation erhielten. Erste erfolgreiche Versuche am Menschen fanden 2017 an jungen Patienten statt, die während Operationen eine Ischämie erlitten.

Auch bei Hirnschäden ist der Einsatz transplantierter Mitochondrien denkbar – und wurde bereits erfolgreich an Ratten mit einem Schlaganfall getestet. Voraussetzung beider Ansätze ist, dass die Organellen nur lokal geschädigt sind, etwa nach einem Herz- oder Hirninfarkt. Bei einer genetisch bedingten mitochondrialen Erkrankung wie dem Leigh-Syndrom würde das nicht funktionieren, da hierbei die Mitochondrien in allen Körperzellen beeinträchtigt sind (siehe »Das Leigh-Syndrom«).

Die Methode soll aber auch neurodegenerative Erkrankungen lindern, so die Hoffnung. Nach wie vor ist jedoch unklar, wie effizient Zellen transplantierte Mitochondrien überhaupt aufnehmen. Zudem müssen die Organellen direkt ins Hirngewebe gegeben werden, denn spritzt man sie ins Blut, bleiben sie an der Blut-Hirn-Schranke hängen. Versuche an Ratten mit Parkinson zeigten zwar, dass Mitochondrien, als Nasenspray verabreicht, über den Riechnerv das Gehirn erreichen. Die Nagetiere konnten sich danach wieder flüssiger bewegen, und 60 Prozent der Zellen der Substantia nigra erholten sich. Dennoch erfolgen die meisten Behandlungen bisher durch Injektionen ins Gehirn.

Das Leigh-Syndrom:

Neben altersbedingten mitochondrialen Krankheiten gibt es einige, deren Ursprung in den Genen liegt und die daher jedes Organ in jedem Alter treffen können. Ein Beispiel ist das Leigh-Syndrom, eine der schwersten Formen der Mitochondriopathien. Es betrifft etwa eines von 36 000 Neugeborenen. Vor allem nach Infektionen oder akuten Belastungen verlieren daran erkrankte Kinder bereits erlernte Fähigkeiten, etwa jene zu gehen oder zu sprechen. Außerdem treten Krampfanfälle und Atemprobleme auf. Betroffene sterben bereits als Jugendliche oder junge Erwachsene. Wegen der Vielzahl der Symptome ist die Diagnose schwierig. Sicherheit bringt eine MRT-Untersuchung des Gehirns, die symmetrische Veränderungen an den Basalganglien des Mittelhirns und im Hirnstamm zeigt. Diese entstehen, weil besonders energieabhängiges Gewebe abstirbt.

Mittlerweile sind mehr als 80 Gene bekannt, die beim Leigh-Syndrom defekt sein können. Eines davon ist MT-ATP6; mehr als die Hälfte aller Patienten haben hier Mutationen. MT-ATP6 liegt auf der mitochondrialen DNA und codiert für eine Untereinheit der ATP-Synthase. Bei den betroffenen Zellen ist der Kalziumstoffwechsel gestört.

»Das Leigh-Syndrom ist eine Kinderkrankheit«, sagt Alessandro Prigione von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Deshalb passe der Begriff der neurodegenerativen Erkrankung hier nur bedingt. Der Mediziner leitet das CureMILS-Konsortium, das sich auf die seltene Erkrankung des mütterlich vererbten Leigh-Syndroms (MILS) konzentriert. Unter anderem testen die Forscher an Zellkulturen und Organoiden verschiedene Wirkstoffe, die bereits auf dem Markt sind. Dabei stießen sie auf einen Phosphodiesterase-5-Inhibitor namens Sildenafil. Bei Zellen von am Leigh-Syndrom Erkrankten normalisierte die Substanz »die mitochondriale Polarisierung«, wie Prigione es nennt. »Der Protonengradient, der für die ATP-Synthese wichtig ist, treibt ebenfalls Transporter für beispielsweise Kalzium an«, sagt er. Bricht der Gradient zusammen, funktionieren die Mitochondrien nicht mehr. Der Wirkstoff ist besser bekannt unter dem Markennamen Viagra und kommt bei erektiler Dysfunktion zum Einsatz, da er die Blutgefäße erweitert. »Sildenafil ist aber auch bei Kindern bereits zugelassen, nämlich solchen, die an pulmonaler Hypertonie leiden«, sagt Prigione.

Gemeinsam mit Markus Schülke von der Berliner Charité konnte Prigione diese mögliche Therapie an sechs Kindern mit Leigh-Syndrom testen. Von der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA erhielten sie hierfür eine Ausnahmegenehmigung für seltene Erkrankungen. »Die ersten Behandlungen begannen 2018«, sagt Prigione, »und den Kindern geht es gut.« Als Nächstes stehen größere klinische Tests an, in denen sich Sildenafil bewähren muss.

Fachleute suchen also nach Alternativen, um geschädigtes Hirngewebe zu ersetzen. Magdalena Götz leitet am Helmholtz Zentrum München das Institut für Stammzellforschung sowie die Abteilung Physiologische Genomik am Biomedizinischen Zentrum der LMU. Ihr Team und sie versuchen, neue Zellen mit gesunden Mitochondrien genau dort entstehen zu lassen, wo sie benötigt werden. Neuronale Reprogrammierung heißt dieser Ansatz: Aus bestimmten Gliazellen, den Astrozyten, werden Neurone.

»Wir haben vor vielen Jahren entdeckt, dass die Stammzellen des zentralen Nervensystems Gliazellen ähneln«, sagt Götz. Und Astrozyten ließen sich am leichtesten in Neurone umwandeln. Wobei die Forscherin direkt einschränkt: »Leicht« sei relativ, denn anfangs funktionierte das bei mehr als 80 Prozent von ihnen nicht. »Bei der Reprogrammierung starben die Neurone, ausgelöst durch zu viele reaktive Sauerstoffspezies.« Schuld daran waren die Mitochondrien. »Auch die müssen wir natürlich umwandeln, denn die Organellen unterscheiden sich stark zwischen verschiedenen Zellen und Zellstadien«, erklärt die Entwicklungsbiologin. Astrozyten-Mitochondrien hätten einen anderen Stoffwechsel als die der Neurone, andere Proteine, andere Transkriptionsfaktoren. »Jetzt wissen wir: Wir können die Reprogrammierung verbessern, indem wir gezielt neuronale Mitochondrienproteine exprimieren.«

Noch längst nicht am Ziel

»Heute wird versucht, verloren gegangene Neurone durch neue zu ersetzen«, sagt Götz. Bei Parkinsonpatienten etwa würden dopaminerge Nervenzellen ins Gehirn eingebracht. Das sei aber immer noch eine Transplantation, mit allen bekannten Folgen. »Es sind keine körpereigenen Zellen«, erläutert sie. »Damit der Körper sie nicht abstößt, muss das Immunsystem dauerhaft unterdrückt werden.« Eine Immunsuppression ist bei der Reprogrammierung nicht nötig. Über modifizierte Viruspartikel, so genannte virale Vektoren, können die nötigen Informationen in Körperzellen eingeschleust werden, die sich dann zu neuen Neuronen – mit funktionierenden Mitochondrien – umwandeln. Noch ist der Ansatz reine Grundlagenforschung. Beispielsweise müssten die Vektoren für eine Anwendung so verbessert werden, dass sie ausschließlich Astrozyten als Zielzellen wählen. Götz resümiert: »Bis zur Therapie braucht es noch viel Entwicklungsarbeit.«

Bis dahin können Menschen ihre Mitochondrien selbst bei der Arbeit unterstützen. Ein Team um Caroline Trumpff vom Columbia University Irving Medical Center in New York berichtete Anfang 2024, wie chronischer Stress – auch psychischer Natur – unsere zellulären Kraftwerke strapaziert. Im Gegenzug können positive psychosoziale Erfahrungen sie schonen. Ebenso tragen eine gesunde Lebensweise, ausgewogene Ernährung und Sport dazu bei, dass die Organellen möglichst lange reichlich Energie erzeugen.

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  • Quellen

Chang, J. et al.: Intranasal delivery of mitochondria for treatment of Parkinson’s Disease model rats lesioned with 6-hydroxydopamine. Scientific Reports 11, 2021

Klein, H.-U. et al.: Characterization of mitochondrial DNA quantity and quality in the human aged and Alzheimer’s disease brain. Molecular Neurodegeneration 16, 2021

Piaceri, I. et al.: Mitochondria and Alzheimer's disease. Journal of the Neurological Sciences 322, 2012

Trumpff, C. et al.: Psychosocial experiences are associated with human brain mitochondrial biology. PNAS 121, 2024

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