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Topologie: Möbiusbänder trotzen der Unendlichkeit

Wie viele Objekte passen in einen unbegrenzten Raum? Mehr Zylinder als Möbiusbänder, wie ein neuer Beweis zeigt.
Möbiusband

Stellen Sie sich einen unbegrenzten dreidimensionalen Raum vor, der sich in alle Richtungen bis ins Unendliche erstreckt. Eigentlich sollte er genügend Platz für eine unendliche Anzahl an Dingen (begrenzter Größe) bieten, seien es Perlen, Ringe oder Planeten. Die Mathematikerin Olga Frolkina von der Staatlichen Universität Moskau hat allerdings gezeigt, dass ein berühmtes mathematisches Objekt eben nicht beliebig oft hineinpasst: das Möbiusband, eine zweidimensionale verdrehte Schleife.

Wie Mathematiker schon lange wissen, existieren verschiedene Arten von Unendlichkeiten. Die kleinste unter ihnen ist die Anzahl der natürlichen Zahlen. Es gibt »abzählbar« viele von ihnen. Das gilt ebenso für alle anderen Objekte, die man in einer unendlichen Liste anordnen kann, womit man jedes mit einer Nummer versehen kann. Doch nicht alle Zahlenmengen lassen sich so einfach bändigen. Die reellen Zahlen enthalten zum Beispiel jeden Punkt auf der Zahlengerade, selbst so seltsame wie π, deren endlose Dezimaldarstellungen sich niemals wiederholen. Der deutsche Mathematiker Georg Cantor zeigte mit dem so genannten Diagonalverfahren im 19. Jahrhundert, dass selbst eine unendliche Liste reeller Zahlen unvollständig ist – man findet stets eine weitere reelle Zahl, die nicht darin vorkommt. Daher ist die Menge der reellen Zahlen größer als die der natürlichen, es gibt »überabzählbar« viele von ihnen.

Um die Frage zu beantworten, ob unendlich viele Objekte in einen unbegrenzten dreidimensionalen Raum passen, muss man zuerst klären, welche Unendlichkeit gemeint ist. Versucht man etwa, unendlich viele Perlen in den Raum zu werfen, dann werden nur abzählbar viele von ihnen Platz finden. Theoretisch könnte man jeder Perle eine Seriennummer zuordnen. Abzählbare Mengen passen immer in einen unbegrenzten Raum. Doch was, wenn es noch mehr sind?

Dann können sie immer noch in den Raum passen. Um beispielsweise überabzählbar viele (hohle) Zylinder im dreidimensionalen Raum anzuordnen, ohne dass sie sich gegenseitig berühren, muss man sie bloß ineinanderstecken. Dafür brauchen sie unterschiedliche Durchmesser: Jeder Durchmesser muss jeweils einem der überabzählbar vielen Punkte auf der Zahlengerade entsprechen. Die Zylinder gleichen dann einem unendlichen Satz russischer Puppen.

Zylinder im Zylinder | Indem man unendlich viele Zylinder mit unterschiedlichem Durchmesser ineinandersteckt, kann man einen unbegrenzten dreidimensionalen Raum mit überabzählbar vielen dieser Objekte füllen.

Auf den ersten Blick würde man erwarten, dass es sich mit Möbiusbändern genauso verhält. Allerdings ist es in diesem Fall nicht ganz so leicht. Man kann Möbiusbänder nämlich nicht einfach ineinanderstecken. Legt man zu einem vorhandenen Möbiusband ein zweites Band, das dessen Verlauf folgt, stößt man auf ein Problem: Wenn das eine Ende des neuen Bands innerhalb des alten liegt, befindet sich das andere Ende an dessen Außenseite. Man kann die beiden Enden des neuen also nicht verbinden, ohne das alte Möbiusband zu kreuzen.

Das ist eine Eigenheit von Möbiusbändern. Gäbe es nämlich eine Möglichkeit, das neue Band konsequent innerhalb des alten verlaufen zu lassen, dann könnte man dem Möbiusband eindeutig eine Innen- und eine Außenfläche zuordnen. Das ist aber unmöglich, schließlich handelt es sich bei diesem Objekt um das einfachste Beispiel einer »nichtorientierbaren Fläche«, bei der Begriffe wie innen und außen keinen Sinn ergeben. Doch nur weil sie sich nicht so verschachteln lassen wie Zylinder, heißt das nicht, dass man nicht auf eine andere, kreativere Art überabzählbar viele Möbiusbänder in einen unbegrenzten Raum stopfen kann. Solche Gedanken tauchten in den 1950er und 1960er Jahren im Bereich der allgemeinen Topologie auf. Damals bewiesen Mathematiker eine Reihe von Theoremen darüber, wie man verschiedene Objekte wie Scheiben oder Hohlkugeln in den dreidimensionalen Raum einfügen kann. Da die Forscher Topologen waren, spielte die genaue geometrische Form der Objekte keine Rolle. Denn die Topologie ist so etwas wie eine extrem grobe Geometrie, bei der bloß die großflächige Struktur zählt.

Möbiusband und normales Band | Versucht man, ein Band entlang eines etwa gleich langen Möbiusstreifens zu führen, kann man die beiden Enden des Bands nicht mehr verknüpfen.

Geometrisch gesehen ist eine Hohlkugel (»Sphäre«) die Menge aller Punkte, die den gleichen Abstand zu einem gemeinsamen Mittelpunkt haben wie die Oberfläche eines perfekten Balls. Topologisch gesehen ist jedes Objekt eine Sphäre, das man durch Quetschen oder Dehnen zu einem solchen Ball verformen kann, ohne es zu zerreißen oder zusammenzukleben.

Zu den Fragestellungen der allgemeinen Topologie gehört, wie topologische Objekte in einem Raum angeordnet werden können. Die genaue Art, wie man etwas in einen Raum legt, heißt Einbettung. Man kann eine topologische Sphäre auf vielfältige Weise einbetten: rund wie eine Seifenblase, lang gezogen wie eine Wurst oder wabbelig wie eine Amöbe. Alle diese Formen erfüllen die Definition einer Sphäre.

Das sind Beispiele für »zahme« Einbettungen, das heißt, es ist immer möglich, den Raum, in dem sie definiert sind, so zu verformen, dass aus der eingebetteten Sphäre eine gewöhnliche Hohlkugel im landläufigen Sinn wird. Doch das ist nicht jedes Mal der Fall. So genannte wilde Einbettungen sind weitaus schwieriger zu visualisieren und erfordern in der Regel einen unendlichen Prozess zu ihrer Beschreibung. Es gibt keine Möglichkeit, den Raum so zu transformieren, dass aus einer wild eingebetteten Hohlkugel die gewohnte runde Version wird.

Ein Beispiel für eine solche wilde Einbettung ist »Alexanders gehörnte Sphäre«. Um sie zu konstruieren, beginnt man mit einem Torus (der Oberfläche eines Donuts oder auch einer Ringwurst) und entfernt daraus eine Scheibe. An den offenen Enden befestigt man zwei ineinandergreifende kleinere Tori, wiederholt für diese den Vorgang und so weiter bis ins Unendliche, wobei sich die Anzahl der jeweils neuen Tori in jedem Schritt verdoppelt. Erstaunlicherweise ist Alexanders gehörnte Sphäre topologisch gesehen immer noch eine Sphäre – wenn auch eine wild eingebettete. Das mag ziemlich überraschend erscheinen, denn äußerlich hat das Konstrukt kaum etwas mit einer Sphäre gemeinsam. Zudem sind Tori und Sphären selbst topologisch gesehen völlig unterschiedliche Objekte.

Alexanders gehörnte Sphäre | Die gehörnte Sphäre ist topologisch gesehen eine Hohlkugel.

Überabzählbar viele wilde Einbettungen in einen dreidimensionalen Raum zu packen, entpuppt sich als äußerst schwierige Aufgabe. Der US-amerikanische Mathematiker R. H. Bing bewies Mitte des 20. Jahrhunderts, dass überabzählbar viele zahme Hohlkugeln oder zahme Tori in den dreidimensionalen Raum passen, ohne sich zu überlappen. Ihre wilden Versionen finden darin allerdings keinen Platz. Überraschenderweise ist das bei Scheiben anders: Sowohl zahme als auch wilde Varianten können sich überabzählbar oft in einen unbegrenzten dreidimensionalen Raum quetschen.

Und wie ist das mit Möbiusbändern? Als sich die russischen Mathematiker Victor Vasilievich Grushin und Victor Pavlovich Palamodov 1962 diese Frage stellten, konnten sie zeigen, dass es unmöglich ist, überabzählbar viele zahme Möbiusbänder in den dreidimensionalen Raum zu packen, ohne dass sie sich gegenseitig durchdringen. Die Frage nach wilden Einbettungen blieb jedoch offen.

Dieser Aufgabe nahm sich Frolkina 2018 an. Sie bewies, dass sich das Ergebnis von Grushin und Palamodov auch auf wilde Einbettungen übertragen lässt. Das heißt, überabzählbar viele Möbiusbänder – seien sie zahm oder wild – passen nicht in einen unbegrenzten dreidimensionalen Raum. Um das zu zeigen, zerlegte sie die eingebetteten Flächen und untersuchte, wie sich diese daraus ergebenden Stücke im Raum einfügen können. Zudem verallgemeinerte die Forscherin ihre Resultate auch auf höhere Dimensionen: Sie belegte, dass immer nur abzählbar viele nichtorientierbare n-dimensionale »Flächen«, so genannte Mannigfaltigkeiten, Platz in einem (n + 1)-dimensionalen Raum finden, wenn n größer ist als drei.

Allerdings bezog sich der zweite Teil ihrer Arbeit bloß auf zahme Einbettungen. Als Sergey Melikhov vom Steklow-Institut für Mathematik in Moskau Frolkinas Veröffentlichung für das »Journal of Knot Theory and Its Ramifications« begutachtete, fiel ihm ein Weg ein, ihre Ergebnisse zu erweitern. Er lud daraufhin einen kurzen Beitrag auf dem Preprint-Server arxiv.org hoch, in dem er auch im hochdimensionalen Fall die Einschränkung auf zahme Einbettungen beseitigte. Dazu nutzte er algebraische Methoden, die in diesem Kontext zwar abstrakter sind, aber dafür mächtiger.

Insgesamt haben die neuesten Ergebnisse gezeigt, dass es niemals einen Weg geben wird, überabzählbar viele nichtorientierbare Objekte in einen unbegrenzten Raum zu stopfen – egal wie kreativ man dabei vorgeht. Das könnte Auswirkungen auf die Knotentheorie haben, die vor lauter offener Fragen strotzt. Denn die meisten Knoten sind wild in ihre Umgebung eingebettet, was oftmals unsere Vorstellungskraft sprengt.

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