Direkt zum Inhalt

Zweidimensionale Materialien: Super-Graphene sollen 20 Jahre altes Versprechen einlösen

Seit 20 Jahren versuchen Fachleute, das »Wundermaterial« Graphen sinnvoll zu nutzen – mit mäßigem Erfolg. Eine neue Stoffklasse, die MXene, sollen nun den Durchbruch bringen. Mit ihnen sollen neue Sensoren, Elektronik und billiger grüner Wasserstoff möglich werden.
Zerfallendes MXen vor Computer-Hintergrund
MXene sind Schichten aus Metallen (grün) und entweder Stickstoff oder Kohlenstoff (schwarz), die beim chemischen Abbau von Schichtmaterialien, den so genannten MAX-Phasen, freigesetzt werden.

Eigentlich ging alles schief an diesem Tag im August 2010, an dem Michael Naguib zufällig ein neues Material entdeckte. Es war ein heißer Morgen, und der Doktorand an der Drexel University schlug sich mit einem Material namens MAX-Phase herum und versuchte, es als Elektrode für eine Lithium-Ionen-Batterie zu verwenden. Doch das Material verweigerte gewissermaßen die Zusammenarbeit: Es funktionierte einfach nicht.

MAX-Phasen sind geschichtete Karbide oder Nitride eines Übergangsmetalls (M), die mit einem Element wie Aluminium oder Silizium (A) versetzt sind – nach einem alten Benennungssystem als A-Gruppen-Elemente bezeichnet. X steht für Kohlenstoff oder Stickstoff des Karbids oder Nitrids. Das von Naguib verwendete Titan-Aluminium-Karbid-Material konnte keine Lithium-Ionen aufnehmen – was für Elektronen für Lithium-Ionen-Batterien zwingend nötig ist. Daher schlugen seine Doktorväter, die Professoren für Materialwissenschaften Yury Gogotsi und Michel W. Barsoum, vor, das Aluminium herauszuätzen, um Platz für Lithium zu schaffen.

An jenem Augusttag versuchte Naguib das mit Flusssäure, einem starken Ätzmittel – und außerdem hochgiftig. »Plötzlich blubberte alles im Behälter auf und fiel in die Auffangschale«, erinnert sich Naguib, der heute Professor für technische Physik an der Tulane University ist. »Ich habe die Tür des Abzugs sofort geschlossen, aber ein paar Sekunden lang war es beängstigend.«

Von Antennen bis zur Dialyse

Dieser Zufall sollte ihn berühmt machen. Als sich der Rauch gelegt hatte, sah der Forscher ein schwarzes Pulver vor sich. Naguib wollte wissen, was sein Debakel hervorgebracht hatte: Er untersuchte die Partikel mit einem Transmissionselektronenmikroskop. Zunächst dachte er, er hätte Graphen hergestellt. Die chemische Analyse zeigte jedoch, dass die atomdünnen Flecken Titan und Kohlenstoff enthielten. In seinen Händen befand sich ein brandneues 2-D-Material.

Das Drexel-Team nannte das Nanomaterial mit der Formel Ti3C2 auf Grund seiner Ähnlichkeit mit Graphen, das damals in aller Munde war, MXene (ausgesprochen »Mexein«). Naguib wurde klar, dass er auf einem Schatz saß: »Es gibt Dutzende von MAX-Phasen«, sagt er. Die gleiche Vorgehensweise könnte er mit allen dieser MAX-Phasen wiederholen und eine riesige Familie neuer 2-D-Materialien erschließen. »Wir wussten, dass wir etwas Großes vor uns hatten.«

Als das Drexel-Team 2011 das erste MXene und ein Jahr später die MXene-Familie vorstellte, wurden Labore auf der ganzen Welt aufmerksam. Seitdem haben Wissenschaftler mehr als 50 MXene-Zusammensetzungen entdeckt, und dank Computersimulationen gibt es tausende weitere theoretische Möglichkeiten. Heute beschäftigen sich etwa 70 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 100 Ländern mit MXenen. Forschungsorganisationen widmen den Materialien wissenschaftliche Symposien und Sonderausgaben von Fachzeitschriften.

In den Forschungsberichten wird eine Vielzahl potenzieller Anwendungen aufgeführt: langlebige Batterien, flexible und tragbare Elektronik, Gassensoren, Antennen, Katalysatoren, Fotodetektoren und Geräte für die Wasseraufbereitung, für umweltfreundliche Wasserstoffproduktion und gar für die Dialyse.

Noch fehlt die entscheidende Anwendung

Fast 15 Jahre nach ihrer Entdeckung stehen die MXene heute kurz vor ihrer kommerziellen Einführung. Große Unternehmen wie Samsung und Intel beispielsweise halten Patente auf MXene-Anwendungen. Und Murata Manufacturing, ein japanischer Hersteller von elektronischen Bauteilen, plant, innerhalb der nächsten drei Jahre ein Produkt auf MXene-Basis auf den Markt zu bringen, so ein Sprecher. »Die Herausforderung besteht jetzt darin, die Killeranwendung zu finden, für die Tonnen des Materials benötigt werden«, sagt Naguib.

Die Entdeckung eines völlig neuen Materials ist ein seltenes Ereignis. Die große Materialentdeckung des 20. Jahrhunderts waren die Fullerene im Jahr 1985. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts erschütterte Graphen die Welt der Werkstoffe, als Andre Geim und Konstantin Novoselov von der University of Manchester die atomdicken Kohlenstoffnanoblätter aus Graphit isolierten. Die einzigartigen elektronischen und mechanischen Eigenschaften von Graphen und seine einfache Herstellung im Labor machten es schnell zum Liebling der Werkstoffwelt.

Milliarden von Forschungs- und Entwicklungsgeldern sind seit der Entdeckung von Graphen in die Verwendung des Materials geflossen. Einige wenige Unternehmen stellen Kühlkörper für Mobiltelefone und Nischen-Sportprodukte aus Verbundwerkstoffen auf Graphenbasis her. Aber eine bahnbrechende Anwendung bleibt schwer zu finden.

»MXene werden das Spiel verändern, weil sie uns Dinge ermöglichen, die andere Materialien nicht können. In der Nanotechnologie geht es nicht darum, Dinge klein zu machen, sondern darum, Dinge im Nanobereich zu kontrollieren. Und das ist es, was MXene auszeichnet«Yury Gogotsi, Materialwissenschaftler

Yury Gogotsi glaubt, dass die Geschichte der MXene anders verlaufen wird. Entdeckt in dem Jahr, in dem Geim und Novoselov für Graphen den Nobelpreis für Physik 2010 erhielten, standen MXene zwar zunächst im Schatten von Graphen, dem Superstar aus Kohlenstoff. Doch sie haben sich durchgesetzt. Und sie stellen heute Graphen und andere 2-D-Materialien in mehrfacher Hinsicht in den Schatten, sagt Gogotsi. »MXene werden das Spiel verändern, weil sie uns Dinge ermöglichen, die andere Materialien nicht können. In der Nanotechnologie geht es nicht darum, Dinge klein zu machen, sondern darum, Dinge im Nanobereich zu kontrollieren. Und das ist es, was MXene auszeichnet.«

Relevant ist beispielsweise deren Vielfalt: Die Materialien bestehen aus Schichten, darunter je zwei bis fünf Schichten aus Übergangsmetallen, die durch eine bis vier Schichten aus Nichtmetallatomen verbunden sind. Die allgemeine Formel lautet Mn+1XnTx, wobei n zwischen 1 und 4 variiert und Tx (x ist variabel) chemische Gruppen an der Oberfläche der äußeren Übergangsmetallschichten bezeichnet, die überschüssige Bindungen besetzen. Diese zusätzlichen Gruppen können Sauerstoff, Hydroxylgruppen, Amine, Halogene und Chalkogene sein.

Verblüffend anpassungsfähig

Durch die Abstimmung all dieser Parameter – Struktur, Elementzusammensetzung und Oberflächenabschlüsse – können Forscher eine schier unendliche Anzahl von 2-D-Materialien mit einer enormen Bandbreite an Eigenschaften erzeugen. »Das Schöne an MXenen ist, dass man das richtige Element für die richtige Reaktion auswählen kann und dass man damit auf bestimmte Anwendungen abzielen kann«, erläutert Naguib.

MXene ohne Oberflächenabschlüsse sind wie Metalle leitfähig. Ändert man jedoch die Art des Übergangsmetalls oder passt die Oberflächenchemie an, so verhalten sich MXene wie Halbleiter.

MAX-Phase | Diese Schichtmaterialien bestehen aus Lagen von Metallcarbiden oder Nitriden, die durch Elemente der A-Gruppen – meist der dritten und vierten Hauptgruppe – getrennt sind.
Spaltung einer MAX-Phase in Schichten | Mit Hilfe von Flusssäure oder anderen Reagenzien lassen sich die MAX-Phasen in einzelne Schichten von Metallnitriden oder -carbiden zerlegen – die MXene.
MXene-Schicht mit Terminierungs-(T-)Gruppen | Die frei gewordenen Bindungsstellen an der Oberfläche der MXene-Schichten nehmen Terminierungsgruppen ein, die ihrerseits die Eigenschaften der Schichten beeinflussen. Neben Fluor aus der Flusssäure und den anderen Halogenen Chlor, Brom und Jod können das Sauerstoff und andere Atome sein oder Molekülteile wie Hydroxy- und Aminogruppen. Diese Beschichtungen bestimmen unter anderem, wie gut sich das zweidimensionale Material weiterverarbeiten lässt und wie stabil es ist.

Von den Übergangsmetallen, auf denen das Gerüst der MXene basiert, haben die Materialien nützliche Redox-Eigenschaften geerbt: die Fähigkeit, Elektronen aufzunehmen, abzugeben sowie umzuordnen und so verschiedene Oxidationszustände einzunehmen. Diese Eigenschaften bilden die Grundlage für die elektrochemischen Reaktionen zur Energiespeicherung in Batterien und in der Elektrokatalyse.

Und dann sind da noch die physikalischen Eigenschaften. MXene sind außergewöhnlich haltbar, elastisch und Wasser anziehend. Die Forscher können MXene-Flocken in Wasser und organische Lösungsmittel einrühren und auf diese Weise Tinten herstellen. Damit kann man dann, so die Hoffnung, MXene-basierte Bauteile auf gekrümmte, flexible Oberflächen drucken oder aufsprühen oder sie in Textilien einarbeiten.

Darüber hinaus behalten Filme aus sich überlappenden MXene-Flocken die Eigenschaften der einzelnen Flocken bei. Graphen-Filme hingegen haben eine geringere Leitfähigkeit als die Blätter, aus denen sie bestehen. Diese Eigenschaft bezeichnet Babak Anasori, Professor für Werkstoffe und Maschinenbau an der Purdue University, als einen »Killerpunkt von MXenen«.

»Wir reden hier nicht über ein exotisches Nanomaterial, das nur in winzigen Größen toll ist«, sagt Anasori, der zum Zeitpunkt der Entdeckung von MXenen Doktorand in Michel Barsoums Gruppe in Drexel war und später als Postdoc in Gogotsis Labor arbeitete. »Diese einfache, skalierbare Produktion ist der Schlüssel.«

Das Material, das nicht aufhört zu liefern

Jedes Jahr stellen Forscher neue MXene mit überraschenden Eigenschaften vor. Im Jahr 2021 entdeckte ein Team unter der Leitung von Anasori und Subramanian Sankaranarayanan von der University of Illinois, Chicago die ersten hochentropischen MXene. In hochentropischen Materialien sind vier oder mehr Elemente in hohen und nahezu gleichen Konzentrationen enthalten. Diese MXene zeichnen sich durch außergewöhnliche Härte, Steifigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Oxidation und Verschleiß aus und eignen sich daher hervorragend für extreme Umgebungen, wie sie in Kernreaktoren und Raumfahrzeugen herrschen.

Andere Forscher haben die Abstände zwischen den MXene-Schichten verändert und dazwischen verschiedene Ionen und Nanomaterialien hinzugefügt, um MXene herzustellen, die einige Moleküle festhalten und andere passieren lassen. Sie nutzen diese Fähigkeit für Membranen zur Wasseraufbereitung, Entsalzung und Gastrennung.

Eine der spannendsten Entdeckungen der letzten Jahre beruht auf der starken Wechselwirkung von MXenen mit elektromagnetischer Strahlung, die von Mikrowellen bis zum Ultraviolett reichen. Einige MXene wandeln elektrische Energie in elektromagnetische Wellen um. Andere lassen die Wellen zwischen den Schichten des Materials hin und her springen, bis sie verpuffen. Ti3C2 zum Beispiel absorbiert Infrarotstrahlung: Damit kann es tief im Körper erwärmt und zur Therapie eingesetzt werden. Nb4C3 hingegen ist ein hervorragender IR-Strahler und eignet sich daher zur Erwärmung seiner Umgebung.

Interaktion mit elektromagnetischen Wellen

Forscher haben gezeigt, dass MXene mit sichtbarem Licht auf unterschiedlichste Weise interagieren: Sie reflektieren es wie Metalle, sie können durchlässig sein wie transparentes Glas oder sie absorbieren es. Eine Gruppe unter Leitung von Forschern der King Abdullah University of Science and Technology fand heraus, dass Ti3C2 sichtbares Licht mit 100-prozentiger Effizienz in Wärme umwandelt.

Gogotsi macht sich diese fotothermische Kraft in einem neuen Projekt mit Forschern der Khalifa-Universität zu Nutze. Das Team will MXene für die solare Wasserentsalzung einsetzen. Die Materialien sollen Sonnenlicht absorbieren und Wärme erzeugen, um Meerwasser zu verdampfen und zu reinigen. »Das Land muss Meerwasser entsalzen und sucht nach besseren Materialien, um dies zu tun«, sagt der Materialwissenschaftler.

Alexandra Boltasseva, Elektro- und Computeringenieurin an der Purdue University, war sofort von MXenen fasziniert, als sie 2015 davon hörte. Ihre Gruppe war auf der Suche nach neuen Materialien für optische und photonische Anwendungen. Sie hatte sich mit Edelmetallen, Halbleitern und Keramiken beschäftigt. »Dann traf ich Yury und erfuhr von MXenen«, sagt sie.

Boltasseva erkannte, dass MXene die Eigenschaften der verschiedenen von ihr untersuchten Materialien in sich vereinen. Zu dieser Zeit untersuchte sie die ungewöhnlichen optischen Eigenschaften von Titannitrid und Zirkoniumnitrid.

»MXene sind wirklich bemerkenswert, was die Veränderung ihrer Eigenschaften angeht«Alexandra Boltasseva, Elektro- und Computeringenieurin

»Die MXene-Familie besteht einfach aus einem Übergangsmetall plus Stickstoff oder Kohlenstoff«, sagt sie. »Deshalb habe ich erwartet, dass sie ein interessantes optisches Verhalten zeigen würden. Bei konventionellen Materialien können wir ihre Eigenschaften nicht großartig verändern; wir sind sozusagen auf die optische Reaktion festgelegt. Aber MXene sind sehr beeindruckend. Sie sind wirklich bemerkenswert, was die Anpassung ihrer Eigenschaften angeht.«

Licht sammeln und Dinge unsichtbar machen

Ihr Team schneidet MXene nun so zu, dass sie ihre Lichtsammeleigenschaften für Solarenergie und solare Wasseraufbereitung verbessern. »In bestimmten Frequenzfenstern zeigen sie ein höchst seltsames und exotisches optisches Verhalten«, sagt Boltasseva. Zum Beispiel können sie Licht in einer Ebene durchlassen, während sie es in einer anderen Ebene blockieren. Die Forscher wollen diese ungewöhnlichen Eigenschaften für optische Anwendungen der nächsten Generation nutzen, etwa für Nanolaser, Quantenphotonik und Metamaterialien, die Licht auf normalerweise unmögliche Weise biegen und damit unter anderem einen Unsichtbarkeitsmantel erzeugen können.

Yuri Gogotsi räumt ein, dass der Segen der endlosen Möglichkeiten von MXene auch ein Fluch sein kann. Wie bei der Wahl des richtigen Farbtons in einem Farbengeschäft ist es schwierig, die richtige Zusammensetzung für eine gewünschte Anwendung zu finden. Die Herausforderung besteht also darin, die richtige Anwendung für das richtige MXene zu finden.

Irgendwo unter den vielen Kombinationen ist die Killeranwendung der MXene – und Babak Anasori und Michael Naguib sind überzeugt, dass sie wissen, was die sein wird.

An die Arbeit

»Die wichtigste Anwendung für MXene ist zweifellos die elektromagnetische Abschirmung«, sagt Anasori. Naguib stimmt dem zu. Was klingt wie die Hüte aus Aluminiumfolie in Sciencefiction-Filmen, die Signale zum Gehirn blockieren, ist tatsächlich vergleichbar mit dem, was heute für elektronische und medizinische Geräte verwendet wird, um den Austritt schädlicher Strahlung und Störungen durch unerwünschte externe Strahlung zu verhindern. Diese Abschirmungen gegen elektromagnetische Störungen sind Schirme aus Kupfer oder Aluminium, die Funkwellen im Bereich von einigen hundert Kilohertz bis 20 Gigahertz absorbieren. Es hat sich herausgestellt, dass MXene diesen Materialien den Rang ablaufen können.

Im Jahr 2016 zeigten Gogotsi, Chong Min Koo vom Korea Institute of Science and Technology und Kollegen, dass ein zwei Mikrometer dicker Ti3C2Tx-Film fast die gesamte Strahlung zwischen acht und zwölf Gigahertz absorbiert. Inzwischen haben sie in einem weiteren »Science«-Artikel gezeigt, dass Ti3C2Tx und Ti3CNTx dank ihrer hohen Leitfähigkeit und ihrer Schichtstruktur Metalle und alle anderen synthetischen Materialien gleicher Dicke übertreffen.

Elektromagnetische Abschirmungen aus Metall müssen gewalzt, geschnitten und geformt werden. MXene-Abschirmungen hingegen können aufgesprüht werden. Gogotsis Gruppe hat sogar Baumwolle und Leinen in Ti3C2-Lösungen getränkt, um Stoffe herzustellen, die tragbare Geräte und Menschen vor schädlicher Mikrowellenstrahlung schützen können.

MXene lassen sich aufsprühen und leiten Strom

Jede Anwendung, die einen dünnen, widerstandsfähigen, leitfähigen Film benötigt, ist laut Gogotsi der ideale Einsatzbereich für MXene. Sprüh- und druckbare MXene-Filme könnten beispielsweise ein einfach herstellbarer Ersatz für die gemusterten Kupferantennen sein, die heute mühsam auf die Kommunikationsschaltungen in Telefonen und Computern aufgesprüht werden. Aufgesprühte MXene-Antennen funktionieren bei einem Siebtel der Dicke genauso gut, fand ein Drexel-Team im Jahr 2020 heraus, und sie funktionieren besser als andere neue Materialien, die für diesen Zweck in Betracht gezogen werden, einschließlich Silbertinte, Kohlenstoffnanoröhren und Graphen.

Gogotsi hat noch weitere Ideen für mögliche Killer-Anwendungen von MXenen. Eine davon ist die Energiespeicherung und Katalyse. Die meisten wissenschaftlichen Studien konzentrieren sich tatsächlich auf diese Anwendungen, bei denen die Kombination aus hoher Leitfähigkeit und Redox-Fähigkeit der Materialien genutzt wird.

Auf Grund dieser Eigenschaften war Gogotsi auch lange davon überzeugt, dass MXene als Batterieelektroden verwendet werden können. Jetzt glaubt er jedoch, dass es vielversprechendere Verwendungsmöglichkeiten gibt: als Zusatz zu Elektroden, um deren Leitfähigkeit zu verbessern, und als Ersatz für Kupfer- oder Aluminiumfolien, die den Strom sammeln. »Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Batterie verkleinern, indem Sie den Stromabnehmer zehnmal dünner und leichter machen«, sagt er. »Ich denke, dass druckbare Geräte und tragbare, biegsame Geräte die Anwendungen verändern werden.«

Neue Chancen für Grünen Wasserstoff

Viele Fachleute glauben außerdem, dass MXene den Grünen Wasserstoff voranbringen könnten. Im Jahr 2016 berichteten Gogotsi, Anasori und ihre Kollegen erstmals über die Verwendung von Molybdäncarbid-MXenen als Elektrokatalysatoren für die Wasserspaltung zur Herstellung von Grünem Wasserstoff. Mehrere Teams haben seitdem an der Mischung von Übergangsmetallen und funktionellen Gruppen in MXenen herumgebastelt oder die Strukturen verändert, um die Oberfläche zu vergrößern und so viel versprechende Katalysatoren für die Wasserstoffentwicklung zu schaffen.

Ihr Ziel ist es, teures Platin – den bekanntesten Katalysator für die Wasserspaltung – in Elektrolyseuren zu ersetzen. Naguibs Gruppe fand heraus, dass durch den Ersatz der Hälfte des Kohlenstoffs in Ti3C2 durch Stickstoff ein Titancarbonitrid-MXene mit einer dreimal so hohen Wasserstoffentwicklungsleistung wie das ursprüngliche Karbid entsteht. »Es ist nicht so katalytisch aktiv wie Platin, aber dafür ist es auch nicht so teuer«, sagt Naguib.

Die Gruppe von Anasori hat ebenfalls mit neuen Wolfram-Titan-MXene-Formulierungen und vielen anderen aussichtsreiche Fortschritte gemacht. »Wir haben etwa zehn neue verheißungsvolle Zusammensetzungen, über die wir noch nicht berichtet haben«, erzählt er.

Asien forscht am meisten rund um MXene

Asien hat sich in den vergangenen Jahren dank der Unterstützung durch die Regierungen und die Industrie in China, Japan und Südkorea zum Zentrum der MXene-Aktivitäten entwickelt. Laut einer Suche im Web of Science haben Forscher in China weit mehr MXene-Publikationen in Fachzeitschriften mit Peer-Review veröffentlicht als Forscher in anderen Ländern. Zwei Drittel der rund 1600 MXene-bezogenen Patente, die Ende 2022 erteilt wurden, befanden sich laut einer Patsnap-Analyse vom Oktober 2022 ebenfalls im Besitz von chinesischen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Große Unternehmen, viele davon in Asien, halten fast 20 Prozent der Patente.

Murata Manufacturing, das vor fünf Jahren eine Lizenz für die MXene-Technologie von Drexel erworben hat, führt die Liste mit 30 Patenten an. Die Produktliste des Unternehmens umfasst Antennen, Batterien, Kondensatoren, Sensoren und Leistungswandler. Laut Takeshi Torita, Senior Manager im Materialtechnologiezentrum des Unternehmens, zielt Murata mit Ti3C2 auf zwei Anwendungen im Elektronikbereich ab. Er lehnt es jedoch ab, Einzelheiten zu nennen.

Dieses enorme Wachstum der weltweiten MXene-Forschung birgt die Gefahr eines Hypes. Aber die Nanotechnologiebranche hat ihre Lehren aus dem Graphen gezogen, sagt Torita, und »wir können die gleiche Situation vermeiden«.

Hürden vor dem Einsatz in der realen Welt

Forschung und Entwicklung müssen noch einige große Hürden überwinden, bevor MXene-Produkte in der realen Welt eingesetzt werden können. Eine davon ist eine verbesserte Stabilität. Hydrophile MXene nehmen Wasser aus der Umgebung auf, wodurch sie aufquellen und auseinanderbrechen. Torita, Gogotsi und andere berichteten 2023, dass die Behandlung von MXenen mit N-Methylformamid die Lösung sein könnte. Das Lösungsmittel gleitet zwischen die MXene-Schichten und hält Wassermoleküle fern. Die entstehenden MXene sind stabil und leitfähig bei großer Hitze und Feuchtigkeit.

Die Standardanforderung an elektronische Bauteile ist, dass sie solche Bedingungen einige tausend Stunden lang aushalten müssen, sagt Torita. »Wir haben noch keine perfekten Ergebnisse, aber für einige Anwendungen ist die Stabilität bereits gut genug.«

Die vielleicht größte Herausforderung besteht jedoch darin, kostengünstige und umweltfreundliche Wege zu finden, MXene in großem Maßstab herzustellen. Der Standardweg zu MXenen besteht in der Herstellung von MAX-Phasen und deren Ätzung mit Flusssäure. MAX-Phasen benötigen teure Übergangsmetalle und Temperaturen über 1500 Grad Celsius. Naguib und andere haben es kürzlich mit billigeren Ausgangsstoffe versucht: Titandioxid – der Stoff, aus dem Farben und Sonnenschutzmittel sind –, Kohlenstoff aus Altreifen und Aluminiumschrott. »Wir erhalten MXene in der gleichen Qualität wie solche, die aus hochreinen MAX-Phasen hergestellt werden«, sagt Naguib.

Die Abkehr von der giftigen, aggressiven Flusssäure wird entscheidend sein, sagt Torita. Murata sucht nach einer industriell umsetzbaren Möglichkeit, die Säure nicht mehr zu verwenden. Eine Alternative wäre, die Säure vor der Entsorgung chemisch zu neutralisieren. Einige Forscher erforschen andere Ätzmittel wie geschmolzene Metallhalogenidsalze, Hydroxidsalze und Joddämpfe.

Geht es auch umweltfreundlich?

Andere erforschen Möglichkeiten, die MAX-Phasen ganz zu umgehen. Im Jahr 2023 gelang es dem Chemieprofessor Dmitri Talapin von der University of Chicago und seinen Kollegen als Ersten, Karbid- und Nitrid-MXene durch chemische Gasphasenabscheidung direkt zu erzeugen. Bei dieser schnellen und einfachen Methode entstehen keine giftigen Nebenprodukte, und die MXene werden in blumenförmigen Clustern statt in einzelnen Flocken gebildet.

Im September 2023 gewährte die US National Science Foundation (NSF) Talapin fast zwei Millionen Dollar für die Einrichtung des MXenes Synthesis, Tunability, and Reactivity Center for Chemical Innovation, in dem Wissenschaftler der University of Chicago, der University of Pennsylvania, der Purdue und der Vanderbilt University zusammenarbeiten. Ziel des Zentrums ist es, direkte Synthesewege, neue Eigenschaften und Anwendungen für MXene zu erforschen und, wie es auf der Website des Zentrums heißt, »letztendlich die Grenzen in diesem riesigen chemischen Raum zu erweitern«.

Die MXene-Gemeinschaft muss auch Standards festlegen. Derzeit variieren MAX-Phase und MXene-Qualität von Labor zu Labor, sagt Michael Naguib. Im Jahr 2023 veröffentlichten Forscher der Purdue University eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Synthese von Ti3C2X-MXenen. Und 2021 half Drexel bei der Gründung eines internationalen Handelsverbands, der MXene Association, um Standards festzulegen und die MXene-F&E zu fördern.

Mehrere Unternehmen, wie Sigma-Aldrich, Carbon-Ukraine, 2D Semiconductors und ACS Material, verkaufen MXene für Forschungszwecke. Und mindestens 20 Unternehmen in China verkaufen MXene online in Chargen von mehr als zehn Kilogramm. Einige entwickeln Reaktoren zur Herstellung von 500 Gramm MXenen pro Charge. Anasori und seine Kollegen, die kürzlich von der NSF ausgezeichnet wurden, erforschen, was nötig ist, um noch größere Reaktoren zu bauen. »Während das Feld reift, müssen wir uns auf die technische Seite der Dinge konzentrieren«, sagt er. »Die Idee ist, zu untersuchen, ob und wie wir eine Ein-Kilo-Batch-Synthese kontinuierlich mit der gleichen Qualität wie bei kleineren Chargen durchführen können.«

Das interaktive Periodensystem der Elemente auf »Spektrum.de«

Zum Öffnen anklicken

Wenn das Volumen steigt, sinken automatisch die Kosten. Das gilt insbesondere für Titankarbid-MXene, weil Kohlenstoff und Titan zu den am häufigsten vorkommenden Materialien in der Erdkruste gehören, erklärt Gogotsi. »Es geht einfach um Größenvorteile. Im 19. Jahrhundert servierte Napoleon seinen Gästen Aluminiumgeschirr, weil das exotische Leichtmetall teurer war als Gold. Heute ist es eines der billigsten Materialien. Man wickelt sein Sandwich darin ein.«

Der Weg von der Entdeckung zum kommerziellen Produkt ist in der Regel komplex und langsam. Quantenpunkte, die Licht emittierenden Nanokristalle, die in den heutigen Leuchtdiodenlampen und Fernsehern verwendet werden, wurden zum Beispiel in den frühen 1980er Jahren entdeckt, sagt Gogotsi. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis sie auf den Markt kamen. Und erst 2023 wurde ihre Entdeckung und Entwicklung mit dem Nobelpreis für Chemie gewürdigt.

Mit Blick auf die Produkte, die kurz vor der Markteinführung stehen, sagt Naguib, dass die Fortschritte bei MXenen seit ihrer Entdeckung »erstaunlich – sehr beeindruckend« seien. »Wenn man sieht, dass sich ein ganzes Feld von Nanomaterialien etabliert hat, und man zurückblickt und sich daran erinnert, dass man einer der Ersten war, die das möglich gemacht haben, gibt einem das ein großes Gefühl von Stolz und Demut, aber noch mehr ein Gefühl der Aufregung.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen

Hart, J. et al.: Control of MXenes’ electronic properties through termination and intercalation. Nature Communications 10, 2019

Hong, S. et al.: Ion-selective separation using MXene-based membranes: A review. ACS Material Letters 5, 2023

Naguib, M. et al.: Two-dimensional transition metal carbides. ACS Nano 6, 2012

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.