Müllkrise: Nach uns die Plastikflut
Kunststoffe sind der Inbegriff nicht nachhaltiger Wirtschaft: erzeugt aus endlichem Erdöl und entsorgt als unzersetzlicher Abfall in Deponien oder Gewässern. Auch zukünftige Biowerkstoffe können das Wachstum dieses Müllbergs bestenfalls verlangsamen.
"Der Plastik-Mensch lebt in einer Welt voll von leuchtenden Farben und sauberen, glänzenden Flächen – ohne scharfe Kanten, Motten und Rost." So beschrieben die Chemiker Victor Yarsley und Edward Couzens im Jahr 1941 ihre Vision der damals gerade nach und nach entdeckten Kunststoffe. Dieser weithin geteilte Enthusiasmus erhielt seinen ersten ökologischen Dämpfer bereits in den 1960er Jahren: Damals fanden Forscher erstmals verendete Seevögel, in deren Mägen sich etliche Plastikteile angesammelt hatten.
Diese Situation wird sich in Zukunft wahrscheinlich noch verschlimmern, denn die Plastikindustrie wächst seit ihren Anfängen weltweit exponentiell: Allein in den vergangenen zehn Jahren entstanden mehr Erdölprodukte als im gesamten 20. Jahrhundert. Rund die Hälfte der derzeit 250 Millionen Tonnen jährlich erzeugter Kunststoffe entfällt dabei auf kurzlebige Anwendungen wie Verpackung und Wegwerfartikel.
Keine Chance für Mikroben
Für gewöhnlich sorgen Pilze und Bakterien dafür, dass totes organisches Material mit der Zeit vom Erdboden verschwindet. Auch Kunststoffe fallen in diese Kategorie, denn sie basieren ebenfalls auf dem Element Kohlenstoff, der die Fähigkeit besitzt, lange Ketten zu bilden. Solche Polymere finden sich häufig in der Natur – etwa in Form von Zuckern, Eiweißen oder DNA.
Was Plastik für Mikroorganismen unangreifbar macht, ist die Art der Kettenbausteine: Bei Naturpolymeren sind dies Alkohole, Säuren oder ähnliche Moleküle, die sich über die leicht reagierenden Sauerstoffgruppen an ihren Enden verbinden, so dass sich in der entstehenden Kette bisweilen Kohlenstoff- und Sauerstoffatome abwechseln. Bei den am meisten eingesetzten Kunststoffen wie Polyethylen oder Polyvinylclorid (PVC) besteht der Hauptstrang der Kette dagegen ausschließlich aus verknüpften Kohlenstoffatomen.
Auch in Zukunft wird die Evolution sehr wahrscheinlich kein Plastik fressendes Bakterium hervorbringen. In mittlerweile 50 Jahren – ein sehr langer Zeitraum für Bakterienevolution – ließ sich weder in freier Natur noch in zahlreichen Laborstudien ein Mikroorganismus für die Synthetikstoffe begeistern [1].
Die bisher erfolgreichsten Versuche dieser Art zeigten zumindest, dass Schimmelpilze im Verlauf mehrerer Monate in den einfachsten Kunststoff Polyethylen einwachsen können. Offenbar gelingt ihnen dies, da ihr Stoffwechsel aggressive Chemikalien wie Wasserstoffperoxid produziert, welche die Polymerketten angreifen. Von dem Kunststoff leben konnten die Pilze dagegen nicht, weswegen sie in freier Natur kaum auf ihm gedeihen würden.
Kunststoffe ohne reine Kohlenstoffketten wie Polyurethan oder Polyester nehmen Mikroben dagegen relativ schnell auch als Hauptnahrung an: Dies zeigt unter anderem ein Fall aus Japan, bei dem Bakterien im Abwasser einer Nylonfabrik gelernt hatten, sich von dem in der Natur nicht vorkommenden Molekül zu ernähren [2].
Zahn der Zeit als Fluch und Segen
Mikroben scheiden somit wohl dauerhaft als Zersetzer für Kunststoffe aus. Dennoch werden sich auch diese Substanzen über sehr lange Zeiträume hinweg auflösen. Am schnellsten läuft dieser Vorgang an der Erdoberfläche ab, wo energiereiche UV-Strahlen aus dem Sonnenlicht die Kettenmoleküle innerhalb von Jahrzehnten aufspalten. Mikroorganismen fressen anschließend die entstandenen Bruchstücke und verbrennen sie zu Kohlendioxid.
Während Forscher den Vorgang bereits beobachten konnten, existieren nur vage Prognosen für die Zukunft der Müllberge unter der Erde und auf dem Boden der Ozeane: Durch Säuren, Sauerstoffradikale und andere chemische Einflüsse sollte sich auch an diesen Orten langsam die Struktur der künstlichen Materialien auflösen, doch der Prozess würde Tausende oder Millionen von Jahren benötigen.
Nahe der Erdoberfläche könnten anschließend auch hier Mikroben die Überreste zu flüchtigem Kohlendioxid oder Methan verarbeiten. Begraben hingegen neue Erdschichten das Material zuvor kilometertief, würde es sich unter Druck und Hitze schließlich in Jahrmillionen in seine Ausgangsstoffe Erdöl oder Erdgas zurückverwandeln.
Im Jahr 2004 entdeckte Richard Thompson von der University of Plymouth erstmals, dass Mikropartikel aus Plastik vielerorts bereits in großen Mengen im Meersand vorkommen und so von Kleinkrebsen mitgefressen werden. Schon damals warnten er und seine Mitarbeiter, die Körnchen könnten auf ihrer rauen, kohlenstoffhaltigen Oberfläche leicht andere organische Stoffe wie diverse Umweltgifte binden, die so wesentlich konzentrierter in die Nahrungskette gerieten.
Inzwischen konnte das Team um Thompson im Labor bestätigen, dass sich auf den Partikeln unter anderem die hochgiftigen PCBs oft in tausendfach höherer Dosis findet als im umgebenden Wasser. Sowohl in Krebstieren wie auch in Seevögeln, welche die Plastikteile fraßen, ließ sich danach das Gift nachweisen. "Diese Ergebnisse warnen uns davor, die Umweltfolgen von weggeworfenem Plastik zu unterschätzen", so Emma Teuten, eine Kollegin von Thompson. [3]
Der Bioumschwung
Für den bereits angehäuften Müllberg existieren also bisher weder Ansätze zu seiner Beseitigung noch sicheres Wissen über seiner Risiken. Dagegen zeichnet sich zumindest an der Quelle des Problems eine Verbesserung ab: In den vergangenen Jahren fanden Forscher zahlreiche biologisch abbaubare Polymere, die in ihren Materialeigenschaften konventionellem Plastik entsprechen. Neben völlig neuen Substanzen wie Polymilchsäure (PLA) zählen dazu auch althergebrachte Kunststoffe, die durch Zusätze künstlich Angriffspunkte für Mikroorganismen erhalten [4].
In den kommenden Jahrzehnten sollten schwindende Erdölreserven zumindest dafür sorgen, dass sich der Preis herkömmlicher Kunststoffe an die heute noch rund viermal teureren Biopolymere angleicht. Unternehmen könnten dann freier entscheiden, ob und wann sich ihre Produkte zersetzen sollen. Da Hersteller sich heute an den Entsorgungskosten ihrer Produkte beteiligen müssen, macht dies kompostierbaren Kunststoff attraktiv und soll ihm schon in den kommenden Jahren einen Marktanteil von fünf Prozent bei Einwegverpackungen erschließen – hiervon gehen zumindest die Betreiber von Europas erster Großproduktion für PLA aus, die derzeit im brandenburgischen Guben entsteht.
Trotz aller Innovationen wird der Mensch wohl auf Dauer damit leben müssen, das Gesicht der Erde auch chemisch zu verändern. Sollten Archäologen in ferner Zukunft auf eine Bodenschicht voller synthetischer Partikel stoßen, werden sie zu Recht vom Zeitalter des Plastik-Menschen sprechen.
Kaum 50 Jahre später besteht die obere Sandschicht vieler Meeresküsten bereits zu zehn Prozent aus kleinen Kunststoffkörnchen – zermahlene Überreste der mehr als 100 Millionen Tonnen Plastikmüll, die nach derzeitigen Schätzungen in den Ozeanen treiben. Verschiedenste Meerestiere verfangen sich täglich in treibendem Schrott oder verhungern auf Grund von Plastikteilen, die ihr Verdauungssystem blockieren.
Diese Situation wird sich in Zukunft wahrscheinlich noch verschlimmern, denn die Plastikindustrie wächst seit ihren Anfängen weltweit exponentiell: Allein in den vergangenen zehn Jahren entstanden mehr Erdölprodukte als im gesamten 20. Jahrhundert. Rund die Hälfte der derzeit 250 Millionen Tonnen jährlich erzeugter Kunststoffe entfällt dabei auf kurzlebige Anwendungen wie Verpackung und Wegwerfartikel.
Keine Chance für Mikroben
Für gewöhnlich sorgen Pilze und Bakterien dafür, dass totes organisches Material mit der Zeit vom Erdboden verschwindet. Auch Kunststoffe fallen in diese Kategorie, denn sie basieren ebenfalls auf dem Element Kohlenstoff, der die Fähigkeit besitzt, lange Ketten zu bilden. Solche Polymere finden sich häufig in der Natur – etwa in Form von Zuckern, Eiweißen oder DNA.
Was Plastik für Mikroorganismen unangreifbar macht, ist die Art der Kettenbausteine: Bei Naturpolymeren sind dies Alkohole, Säuren oder ähnliche Moleküle, die sich über die leicht reagierenden Sauerstoffgruppen an ihren Enden verbinden, so dass sich in der entstehenden Kette bisweilen Kohlenstoff- und Sauerstoffatome abwechseln. Bei den am meisten eingesetzten Kunststoffen wie Polyethylen oder Polyvinylclorid (PVC) besteht der Hauptstrang der Kette dagegen ausschließlich aus verknüpften Kohlenstoffatomen.
Solche reinen C-C-Ketten lassen sich nur mit erheblichem Energieaufwand trennen. Wichtiger noch: Sie sind stark wasserabstoßend und daher kaum angreifbar für die wasserbasierte Biochemie lebender Organismen. Zudem können Mikroben die großen, verstrickten Ketten nicht in ihr Zellinneres aufnehmen, sondern müssten sie zuerst außerhalb mit Hilfe von Enzymen zigfach zerschneiden, um dann ihre Bruchstücke in Energie zu verwandeln. Bis heute ist kein Biomechanismus bekannt, der all diese Aufgaben bewältigen könnte.
Auch in Zukunft wird die Evolution sehr wahrscheinlich kein Plastik fressendes Bakterium hervorbringen. In mittlerweile 50 Jahren – ein sehr langer Zeitraum für Bakterienevolution – ließ sich weder in freier Natur noch in zahlreichen Laborstudien ein Mikroorganismus für die Synthetikstoffe begeistern [1].
Die bisher erfolgreichsten Versuche dieser Art zeigten zumindest, dass Schimmelpilze im Verlauf mehrerer Monate in den einfachsten Kunststoff Polyethylen einwachsen können. Offenbar gelingt ihnen dies, da ihr Stoffwechsel aggressive Chemikalien wie Wasserstoffperoxid produziert, welche die Polymerketten angreifen. Von dem Kunststoff leben konnten die Pilze dagegen nicht, weswegen sie in freier Natur kaum auf ihm gedeihen würden.
Kunststoffe ohne reine Kohlenstoffketten wie Polyurethan oder Polyester nehmen Mikroben dagegen relativ schnell auch als Hauptnahrung an: Dies zeigt unter anderem ein Fall aus Japan, bei dem Bakterien im Abwasser einer Nylonfabrik gelernt hatten, sich von dem in der Natur nicht vorkommenden Molekül zu ernähren [2].
Zahn der Zeit als Fluch und Segen
Mikroben scheiden somit wohl dauerhaft als Zersetzer für Kunststoffe aus. Dennoch werden sich auch diese Substanzen über sehr lange Zeiträume hinweg auflösen. Am schnellsten läuft dieser Vorgang an der Erdoberfläche ab, wo energiereiche UV-Strahlen aus dem Sonnenlicht die Kettenmoleküle innerhalb von Jahrzehnten aufspalten. Mikroorganismen fressen anschließend die entstandenen Bruchstücke und verbrennen sie zu Kohlendioxid.
Während Forscher den Vorgang bereits beobachten konnten, existieren nur vage Prognosen für die Zukunft der Müllberge unter der Erde und auf dem Boden der Ozeane: Durch Säuren, Sauerstoffradikale und andere chemische Einflüsse sollte sich auch an diesen Orten langsam die Struktur der künstlichen Materialien auflösen, doch der Prozess würde Tausende oder Millionen von Jahren benötigen.
Nahe der Erdoberfläche könnten anschließend auch hier Mikroben die Überreste zu flüchtigem Kohlendioxid oder Methan verarbeiten. Begraben hingegen neue Erdschichten das Material zuvor kilometertief, würde es sich unter Druck und Hitze schließlich in Jahrmillionen in seine Ausgangsstoffe Erdöl oder Erdgas zurückverwandeln.
Sorgen macht Umweltschützern allerdings weniger der chemische Abbau von Kunststoff als vielmehr die schon heute eintretende erste Phase der Zersetzung, bei der größere Plastikteile verspröden und in immer kleinere Stücke zerbrechen. Dies geschieht bereits innerhalb weniger Jahre, wenn sich ursprünglich im Material enthaltene Weichmacher herauslösen oder Bakterien sie abbauen.
Im Jahr 2004 entdeckte Richard Thompson von der University of Plymouth erstmals, dass Mikropartikel aus Plastik vielerorts bereits in großen Mengen im Meersand vorkommen und so von Kleinkrebsen mitgefressen werden. Schon damals warnten er und seine Mitarbeiter, die Körnchen könnten auf ihrer rauen, kohlenstoffhaltigen Oberfläche leicht andere organische Stoffe wie diverse Umweltgifte binden, die so wesentlich konzentrierter in die Nahrungskette gerieten.
Inzwischen konnte das Team um Thompson im Labor bestätigen, dass sich auf den Partikeln unter anderem die hochgiftigen PCBs oft in tausendfach höherer Dosis findet als im umgebenden Wasser. Sowohl in Krebstieren wie auch in Seevögeln, welche die Plastikteile fraßen, ließ sich danach das Gift nachweisen. "Diese Ergebnisse warnen uns davor, die Umweltfolgen von weggeworfenem Plastik zu unterschätzen", so Emma Teuten, eine Kollegin von Thompson. [3]
Der Bioumschwung
Für den bereits angehäuften Müllberg existieren also bisher weder Ansätze zu seiner Beseitigung noch sicheres Wissen über seiner Risiken. Dagegen zeichnet sich zumindest an der Quelle des Problems eine Verbesserung ab: In den vergangenen Jahren fanden Forscher zahlreiche biologisch abbaubare Polymere, die in ihren Materialeigenschaften konventionellem Plastik entsprechen. Neben völlig neuen Substanzen wie Polymilchsäure (PLA) zählen dazu auch althergebrachte Kunststoffe, die durch Zusätze künstlich Angriffspunkte für Mikroorganismen erhalten [4].
Allerdings ist nicht alles, was sich "Bioplastik" nennt, biologisch abbaubar: Mit diesem Etikett schmücken sich ebenso herkömmliche Kunststoffe, die lediglich aus nachwachsenden Rohstoffen wie Bioethanol erzeugt werden. Also wird nicht abbaubarer Plastikmüll auch nicht zwingend mit dem Ende der Erdölära verschwinden. Zudem sind die "kompostierbaren" Kunststoffe lange nicht so vergänglich wie gern behauptet: PLA etwa verrottet gut in Schnellkompostern bei Temperaturen über 60 Grad Celsius, doch in der Natur besteht es durchaus einige Jahre und könnte so noch immer zum marinen Müllteppich beitragen.
In den kommenden Jahrzehnten sollten schwindende Erdölreserven zumindest dafür sorgen, dass sich der Preis herkömmlicher Kunststoffe an die heute noch rund viermal teureren Biopolymere angleicht. Unternehmen könnten dann freier entscheiden, ob und wann sich ihre Produkte zersetzen sollen. Da Hersteller sich heute an den Entsorgungskosten ihrer Produkte beteiligen müssen, macht dies kompostierbaren Kunststoff attraktiv und soll ihm schon in den kommenden Jahren einen Marktanteil von fünf Prozent bei Einwegverpackungen erschließen – hiervon gehen zumindest die Betreiber von Europas erster Großproduktion für PLA aus, die derzeit im brandenburgischen Guben entsteht.
Trotz aller Innovationen wird der Mensch wohl auf Dauer damit leben müssen, das Gesicht der Erde auch chemisch zu verändern. Sollten Archäologen in ferner Zukunft auf eine Bodenschicht voller synthetischer Partikel stoßen, werden sie zu Recht vom Zeitalter des Plastik-Menschen sprechen.
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