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Nahrungskette: Hungriger Hai fraß schwangeren Hai

Selbst an der Spitze der Nahrungskette ist man nicht sicher. Das zeigt das Schicksal eines über zwei Meter langen Makrelenhais. Es ist der erste Nachweis, dass sich Haie gegenseitig jagen.
Weißer Hai (Carcharodon carcharias) mit weit aufgerissenem Maul
Haie haben einen eher schlechten Ruf als blutrünstige Fressmaschinen. Tatsächlich aber sind viele Arten stark vom Menschen bedroht.

Böse Überraschungen kann man anscheinend auch ganz oben in der Nahrungskette erleben. Das jedenfalls schließen Fachleute um Brooke Anderson von der Arizona State University aus dem Schicksal eines mehr als zwei Meter langen Heringshais, der mit einem Sensor markiert war. Wie das Team jetzt in der Fachzeitschrift »Frontiers in Marine Science« berichtet, verzeichnete die Sonde plötzlich Temperaturen, die konstant etwa fünf Grad über den jeweiligen Wassertemperaturen lagen, selbst in hunderten Metern Tiefe. Die naheliegende Erklärung: Sie maß aus dem Inneren eines Verdauungstrakts. An dem Ort und in der Tiefe, in der die Daten sich plötzlich veränderten, gibt es laut den Fachleuten nur zwei Tiere, die einen zwei Meter langen Hai als Beute in Betracht ziehen würden. Beide sind, wie so oft bei Mordfällen, Verwandte des Opfers: der bis zu vier Meter lange Kurzflossen-Mako (Isurus oxyrinchus) sowie der Weiße Hai (Carcharodon carcharias), der über fünf Meter messen kann.

Die Forschungsgruppe hatte Haie vor der Ostküste der USA mit speziellen Sensoren markiert, die Daten wie die Wassertemperatur registrieren. Nach einer festgelegten Zeit lösen sich die Sonden und steigen zur Oberfläche, um ihre gesammelten Aufzeichnungen per Satellit nach Hause zu senden. Eins dieser als »Pop-up satellite archival tag« (PSAT) bezeichneten Geräte, angebracht an einem 2,2 Meter langen, schwangeren Makrelenhai-Weibchen, meldete sich nach rund fünf Monaten vor Bermuda zurück. Bei der Auswertung der Ergebnisse erlebte das Team um Anderson eine Überraschung. Fünf Monate lang zeigten die Daten haitypisches Schwimmverhalten – bis etwa vier Tage vor dem Wiederauftauchen der Markierung.

Ab da nämlich schien das Gerät zwar weiterhin lebhaft herumzuschwimmen, allerdings bei einer Temperatur von konstant rund 22 Grad, selbst in Tiefen von 150 Metern und mehr. In der Tiefe ist das Wasser deutlich kälter. Das zeigte den Fachleuten, dass sich der Temperaturfühler nun im Inneren eines Tieres befinden musste. Vier Tage später verließ er das Raubtier, vermutlich durch die dafür vorgesehene Öffnung, und trieb an die Oberfläche. Doch welches Tier kann einen über zwei Meter langen Hai fressen? Einen Hinweis lieferte die Temperatur selbst – der Übeltäter konnte anscheinend seine Körpertemperatur regulieren. Allerdings war es kein Säugetier wie zum Beispiel ein Orca. Die halten ihr Inneres noch deutlich wärmer.

Dass ein mit einem Sender versehenes Tier vorzeitig gefressen wird, ist nicht ungewöhnlich. Bei einem großen Hai aber erwartet man gemeinhin nicht, dass er selbst zur Beute wird. Die Fachleute hatten jedoch schnell zwei Hauptverdächtige. Die Makrelenhaie, eine Familie großer Raubfischen, zu denen auch der Heringshai gehört, können ihre Temperatur deutlich über die des umgebenden Wassers anheben. Und einige Arten aus dieser Gruppe werden mehrere Meter lang, genug, um einen Heringshai zu erlegen. In den Gewässern vor Bermuda leben zwei Arten, die in Frage kommen: der Kurzflossen-Mako und der Weiße Hai. Das vergleichsweise gemächliche Tauchverhalten deute auf Letzteren hin, heißt es in einem Bericht des australischen Science Media Center.

Es sei der erste aufgezeichnete Fall, dass ein Hai einen anderen angegriffen und getötet hat, berichtet die Arbeitsgruppe. Besonders tragisch ist, dass das Weibchen trächtig war. Heringshaie sind eine bedrohte Art und vermehren sich nur langsam. Sollte sich erweisen, dass solche Vorfälle häufiger sind, wäre das eine schlechte Nachricht für bedrohte Haiarten. Deren Populationen erholen sich ohnehin nur zaghaft, und Bejagungsdruck durch größere Haie speziell auf trächtige Weibchen könnte ein bisher unbekannter Faktor dabei sein.

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  • Quellen
Frontiers in Marine Science 10.3389/fmars.2024.1406973, 2024

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