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Naturschutz: Der Biber ist nicht schuld am Hochwasser

Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk hat Flussrenaturierungen, Bibern und Radwegen eine Mitschuld an den Überschwemmungen im Mai/Juni 2024 gegeben. Führende Gewässerforscher sind völlig anderer Meinung.
Die braunen Fluten des Neckars schießen durch Heidelberg und überfluten Teile der Altstadt. Der Blick geht von Osten in Richtung alte Brücke, auf der zahlreiche menschen stehen. Links ist die Altstadt mit verschiedenen Gebäuden zu sehen, darunter auch der Turm der Heiliggeistkirche
Anfang Juni trat der Neckar in Heidelberg über die Ufer und überschwemmte stadtnahe Gebiete. Was aus den Bibern im Stadtgebiet wurde, ist nicht bekannt.

Ende Mai 2024 sorgte eine besondere Wetterlage für starken Dauerregen in Süddeutschland, der großflächige Überschwemmungen in Bayern und Baden-Württemberg ausgelöst hat. Bei der Ursachenforschung kam der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk (CDU) zu einem besonderen Schluss: Naturschutzmaßnahmen hätten die Überschwemmungen in Süddeutschland verschärft, während die Landwirtschaft keine Mitverantwortung trage. Bei einer Pressekonferenz in Stuttgart am 7. Juni hatte der studierte Forstwissenschaftler Hauk gesagt: »Die Landwirtschaft ist auch bei der Bewältigung der Klimafolgen nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.« Doch bei Wissenschaftlern und bei der Umweltministerin des Landes Thekla Walker stieß er damit allerdings auf scharfe Kritik.

Naturschutzmaßnahmen, so genannte Bannwälder, das Vorkommen des Bibers und der Bau von Radschnellwegen hätten als Faktoren die jüngsten Überschwemmungen verstärkt, so Hauk. Er forderte: »Wir müssen die Renaturierung von Gewässern in hochwassergefährdeten Gebieten auf den Prüfstand stellen.« Bibern warf er vor, durch ihren Dammbau Flächen zu verkleinern, die in der Landschaft Wasser zurückhalten. Bei Radwegen geht es ihm um die dafür nötige Flächenversiegelung.

Führende deutsche Gewässer- und Hochwasserforscher sehen das allerdings komplett anders. Ziel von Renaturierungen in Flussauen sei es, dass Wasser in der Landschaft zurückgehalten werde, um Hochwasser entgegenzuwirken. Der Biber könne beim Hochwasserschutz ganz im Gegenteil hilfreich sein, und der Bau von Radwegen habe höchstens lokale Effekte, während für andere Zwecke viel größere Flächen versiegelt würden. Vielmehr gelte es, die bisherige Flächennutzung für Landwirtschaft und Infrastruktur zu überdenken.

»Biber eher Opfer als Täter«

Dietrich Borchardt, Leiter des Themenbereichs »Wasserressourcen und Umwelt« am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg, nannte Hauks Schuldzuweisung an den Naturschutz beispielsweise »ein fragwürdiges Argument und meines Erachtens unhaltbar«. Nach aktuellen Schätzungen seien in Deutschland rund 80 Prozent der natürlichen Überflutungsflächen entlang der Fließgewässer durch Entwässerungen, Eindeichungen, Abflussregulierungen und andere Maßnahmen verloren gegangen. Von den verbliebenen Resten seien nur noch neun Prozent sehr gering oder gering verändert, während eine große Zahl der weiteren Auenbereiche eine negative Entwicklung genommen hätten.

Das Problem sei, dass Versuche, verloren gegangene Überflutungsflächen zu reaktivieren, bisher nur auf sehr kleinen Flächen stattfänden und »in der Summe einfach nicht bedeutend genug« seien, urteilte Borchardt. Der Wissenschaftler berät die Bundesregierung und die Vereinten Nationen bei Strategien für den Umgang mit Wasserressourcen. Den Biber stufte Borchardt »eher als Opfer denn als Täter« ein, da seine Burgen aus Stämmen und Ästen bei Hochwasser genauso weggeschwemmt werden könnten wie menschliche Infrastruktur.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Julian Hofmann, Forschungsgruppenleiter Hochwasservorhersage & Frühwarnung am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen: Die von Hauk genannten Faktoren könnten zwar »in spezifischen lokalisierten Fällen Auswirkungen auf die Wasserführung haben«. Jedoch seien sie »im allgemeinen wissenschaftlichen Konsens nicht die Hauptgründe für flächendeckende Überschwemmungen«. Vielmehr stünden dabei »veränderte Landnutzungen, urbane Entwicklungen und klimatische Veränderungen« im Vordergrund.

Naturnahe Wälder speichern mehr Wasser als Monokulturen

Noch deutlicher wird Christian Albert, Professor für Landschaftsplanung und Ökosystemleistungen an der Leibniz-Universität Hannover. Ihm lägen keine wissenschaftlichen Belege vor, nach denen die vom baden-württembergischen Agrarminister genannten Maßnahmen ursächlich wären: »Im Gegenteil! Naturschutzmaßnahmen, Biber in kleineren Bächen und Flussrenaturierungen sind im Allgemeinen stark förderlich für die Wasserretention (das Zurückhalten von Wasser in der Landschaft, Anm. d. Red.).« Wald helfe grundsätzlich dabei, Wasser zurückzuhalten, unabhängig vom Anteil an Totholz. Laubwald wirke dabei besser als Nadelwald. Eine Versiegelung von Flächen durch Radschnellwege auf Waldwegen nannte Albert »vernachlässigbar, insbesondere da das Wasser ja weiterhin seitlich versickert«.

Unverständnis äußerte auch Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Bei den von Hauk genannten Zusammenhängen könne »man wirklich nur staunen«. Sie widersprach der Einschätzung, dass Bannwälder – also Naturwaldreservate, in denen die natürlich ablaufenden Prozesse geschützt sind – Hochwasser verstärken könnten. »Die Wasserspeicherkapazität in Mischwäldern ist höher als in Monokultur-Plantagenwäldern«, betonte sie.

Stattdessen fordern Wissenschaftler, bestimmte landwirtschaftliche Praktiken zu hinterfragen. Vor allem den hohen Anteil von Ackerbau in Flusstälern beurteilen Jähnig und Co kritisch. Um Ackerbau zu ermöglichen, wurden Flüsse begradigt. Weite Flächen in Flusstälern werden fortlaufend drainiert, das Wasser wird über Gräben abgeführt. »Die Begradigungen und sehr flussnahen Eindeichungen der Vergangenheit haben verengte Flüsse geschaffen, in denen leicht gefährliches Hochwasser entsteht«, sagt Jähnig. Zudem verdichteten die großen Landwirtschaftsmaschinen auf Ackerflächen den Boden mitunter so stark, dass Wasser nur schlecht versickere. In Flussauen verträglich sei eine extensive Grünlandnutzung, also eine Beweidung und um Heu als Futtermittel zu erzeugen.

»Flüsse brauchen mehr Raum zum Mäandrieren«

Bund und Länder beraten seit dem Hochwasser wieder verstärkt über Konsequenzen aus den jüngsten Überschwemmungen in Süddeutschland. In der Klimaforschung herrscht ziemliche Einigkeit, dass Starkregen in Zukunft häufiger werden, weil eine wärmere Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen, transportieren und als Niederschlag abgeben kann. Deshalb ist es wichtig, wie sich Wassermengen in der Landschaft ausbreiten oder abtransportiert werden. Je mehr Wasser auf einen Schlag talabwärts fließt, desto größer ist das Risiko, dass Ortschaften überschwemmt werden.

Nach dem Landschaftsplaner Christian Albert gehe es in Bach- und Flusstälern beim Hochwasserschutz darum, den Flüssen wieder mehr Raum zum Mäandrieren zu geben und große Auenflächen auszuweisen, durch die das Hochwasser fließen und wo das Wasser versickern kann. Zudem sei es sinnvoll, »frühere und bestehende Moore wieder zu vernässen und neue Feuchtgebiete anzulegen«. Solche Maßnahmen sieht auch das EU-Renaturierungsgesetz vor, das die Umweltminister der 27 Mitgliedsstaaten Mitte Juni 2024 verabschiedet haben. Es wird jedoch von Agrarpolitikern und dem Deutschen Bauernverband stark kritisiert, weil es die heutige landwirtschaftliche Flächennutzung in Frage stellt.

Auf Nachfrage zu der Kritik antwortete das baden-württembergische Agrarministerium mit der Darstellung allgemeiner Zusammenhänge, etwa dass Grünland eine anerkannte große Bedeutung beim Hochwasserschutz habe und 40 Prozent der Agrarfläche in Baden-Württemberg ausmache. Die gute landwirtschaftliche Praxis stehe dem Hochwasserschutz nicht entgegen. Die Landwirtschaft tue viel für die Allgemeinheit, es könne deshalb nicht sein, »dass sie weiterhin wertvolle Produktionsflächen verliert«, die zur Erzeugung von Lebensmitteln und Futter oder als Weideflächen dienten. Daher habe der Minister vorgeschlagen, dass Landwirte gefördert werden sollten, Flächen für die Wasserrückhaltung bereitzustellen.

Naturschutz schleifen?

Im Kontrast zu der einseitigen Schuldzuweisung an den Naturschutz bei der Pressekonferenz heißt es in der Stellungnahme, es sei »so wichtig wie nie zuvor, dass Naturschutz, Landwirtschaft und Hochwasserschutz Hand in Hand gehen«. Fragen nach wissenschaftlich fundierten Belegen für die Behauptungen von Agrarminister Hauk zur Rolle von Naturschutzmaßnahmen, Bibervorkommen und Radwegen ließ das Ministerium unbeantwortet.

Das von der Grünen-Politikerin Thekla Walker geführte baden-württembergische Umweltministerium reagierte mit scharfer Kritik auf die Äußerungen Hauks. »In seinem Eifer, die Hochwasserereignisse dem Naturschutz anzulasten, verkennt Herr Minister Hauk die tatsächlichen Zusammenhänge«, erklärte das Ministerium auf Anfrage. Die Schaffung so genannter Retentionsflächen nutze gleichermaßen der Hochwasservorsorge und der Artenvielfalt. Biberdämme pufferten den Abfluss von Wasser und leiteten es bei Starkregen in die angrenzende Landschaft um. »Das Wasser hat dort länger Zeit, ins Erdreich einzudringen und dort zu versickern, was häufig zu einem positiven Effekt bei der natürlichen Regenrückhaltung führt.« Es gelange dann weniger Wasser über das Gewässerbett hinweg in Siedlungen, woraus in vielen Fällen ein positiver Einfluss des Bibers auf den Hochwasserschutz resultiert.

Es gebe zudem keinerlei Belege, dass Bannwälder den Hochwasserschutz gefährden: »Gesunde und widerstandsfähige Waldökosysteme können einen wichtigen Beitrag zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels leisten.« Auch Totholz in Wäldern trage zur Speicherung von Wasser im Ökosystem bei. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Hochwasser genutzt werden soll, um etwa in der Landwirtschaft ungeliebte Naturschutzvorgaben zu schleifen«, kritisierte das Umweltministerium.

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