Vogel-Paradies: Privatisierter Regenwald für den Naturschutz
So recht kommt die Wanderung durch den Nebelwald an den Westabhängen der Anden Ecuadors nicht in die Gänge. Der Grund dafür sind dunkelrote Plastikgefäße, die in den Bäumen hängen und mit Zuckerwasser gefüllt sind. Diese kalorienreiche Delikatesse lockt große Scharen kleiner Vögel mit hohem Energieverbrauch zur Bellavista Lodge: In der Umgebung der Lodge schwirren daher bald etliche der 129 Kolibriarten Ecuadors. Und weil der Tierwelt auch noch Bananen serviert werden, pickt auf den Ästen der Bäume dort ein erklecklicher Teil der restlichen Vogelwelt des Nebelwaldes nach Früchten. Bei insgesamt 1670 Vogelarten in Ecuador flattert daher eine farbenprächtige Vielfalt vor den Linsen der Kameras. Für die ersten 100 Meter braucht die kleine Gruppe dank der zahlreichen Fotomotive mehr als eine Stunde. Und nach ganzen vier Tagen haben die Besucher auf gut 20 Trails nur einen kleinen Teil dieses privaten Schutzgebietes durchwandert, dabei aber unzählige Vögel und Orchideen im Bergnebelwald auf rund 2200 Metern Höhe über dem Meeresspiegel beobachtet.
Dieses Erlebnis wiederum bestätigt die wichtige Rolle, die der private Naturschutz in Ecuador inzwischen spielt. Dabei machen diese nichtstaatlichen Reservate mit einigen hundert Quadratkilometern nur einen winzigen Bruchteil der 48 000 Quadratkilometer großen Schutzgebiete der öffentlichen Hand aus, die immerhin 18 Prozent der Landesfläche umfassen. Die privaten Gebiete aber schützen oft die besonders sehenswerten unter den vielen attraktiven Regionen – und zeigen sie ihren Gästen häufig auch auf ziemlich bequeme Art. So haben die 3500 bis 4500 Menschen, die jedes Jahr in der Bellavista Lodge mitten im Schutzgebiet übernachten, einen Riesenvorteil: Die beste Zeit zum Beobachten der Vogelvielfalt sind die beiden Stunden unmittelbar nach der Morgendämmerung. Im Vergleich mit einer zweistündigen Autofahrt aus der Hauptstadt Quito bietet der nur 30 Sekunden lange Fußweg von der Zimmertür zum Treffpunkt also einen unbestreitbaren Pluspunkt.
Das Beispiel macht Schule
Dabei dachten der Brite Richard Parsons und seine kolumbianische Frau Gloria gar nicht an Tourismus, als sie 1991 eine 55 Hektar große Farm mit Sekundärwald im Tandayapa-Tal an den Westabhängen der Anden Ecuadors kauften. Sie suchten eher ein Zuhause im Nebelwald, den sie schützen wollten. Richard Parsons war bereits seit 1982 in Südamerika und verdiente sich einige Jahre lang seinen Lebensunterhalt als Naturführer auf den Galapagos-Inseln. Seither hält er als akademischer Direktor an der "School for International Training", einer Entwicklungshilfe-Hochschule im US-Bundesstaat Vermont, Semesterprogramme in Ecuador und Madagaskar. Gloria leitete eine Boutique in Quito, der Hauptstadt von Ecuador. Auf dem Weg von dort zur Küste sahen die beiden am Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift "se vende". Ein Farmer wollte seine Estancia in genau dem Regenwald verkaufen, der Richard schon lange begeisterte. Wobei diese Naturliebe durchaus differenziert war: "Im Oriente, also im Amazonasbecken, war es mir einfach zu heiß", erklärt er. Bellavista aber liegt 2200 Meter über dem Meeresspiegel, tagsüber pendeln die Temperaturen dort meist um die 20 oder 25 Grad Celsius. Bis 2003 erwarben Richard und Gloria etliche Flächen dazu, heute besitzen sie 400 Hektar, auf denen sie ihren Traum vom Naturschutz verwirklichen. Dazu kommen weitere 300 Hektar in der Nachbarschaft, die nach ihrem Vorbild ebenfalls statt auf Landwirtschaft auf Reservate setzen und mit Bellavista eng zusammenarbeiten.
Eine ähnliche Lodge gibt es auch einige hundert Kilometer von Bellavista entfernt auf der anderen Seite, also am Ostabhang der Anden weit im Süden von Ecuador. Dort strömt in einem Tal der Bombuscaro-Fluss Richtung Amazonas. Ein paar Meter von seinem Ufer, ein paar Kilometer südlich von der 20 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Zamora und kaum drei Kilometer nördlich des Eingangs des Podocarpus-Nationalparks haben die Belgier Catherine Vits und Boudewijn de Roover die gleiche Idee wie Richard Parsons verwirklicht: Im Regenwald zu leben, diesen zu schützen und Naturtouristen ihre Copalinga-Lodge auf sechs Trails durch das rund 100 Hektar große Privatreservat zu zeigen.
Genau wie Bellavista war Copalinga früher eine Estancia, auf der sehr extensiv Rinder weideten. 1999 kauften die beiden Belgier diese Farm, zu der neben Weiden auch größere Regenwaldflächen gehörten, als neues Zuhause. Beide hatten ihre Jobs als Agraringenieur und Forstwissenschaftler an der Universität in Brüssel gern gemacht und trotzdem aufgegeben. Auch, weil sie es leid waren, sich zwei Stunden durch den dichten Autoverkehr Belgiens zu quälen, um zum Wandern in die Ardennen zu fahren. Heute sind sie dagegen Eigentümer von rund acht Kilometer Waldwegen und in einer halben Stunde erreichen sie zu Fuß den Podocarpus-Nationalpark, der mit seinen 1463 Quadratkilometern mehr als halb so groß wie das Saarland ist.
Tief eingeschnittene Täler mit verschiedenen Lebensräumen
Von dort laufen die Naturtouristen durch den Regenwald und staunen über die Artenvielfalt: Mehr als 200 Orchideenarten haben Botaniker auf den 100 Hektar gezählt, die sich von wenig unter 1000 bis auf rund 1500 Meter über dem Meeresspiegel erstrecken. Bisher haben Ornithologen allein im Kernbereich um das kleine Restaurant, die Unterkünfte und den Parkplatz 223 Vogelarten bestimmt. Im gut 240-mal größeren Deutschland ist die Vielfalt mit rund 260 Brutvogelarten kaum höher. Die Copalinga-Lodge profitiert dabei von ihrer besonderen Lage im unteren Bereich des Ostabhangs der Anden. Dorthin kommen nicht nur die Arten des Amazonas-Beckens, sondern über die in dieser Region weniger als 3000 Meter hohen Bergpässe auch Arten aus dem Hochland und aus den Regionen an der Pazifikküste westlich der Anden. Obendrein bieten die tief eingeschnittenen Täler zwischen hohen Bergrücken eine Reihe verschiedener Lebensräume mit jeweils anderen Arten. Hohe Niederschläge und unterschiedliche Temperaturen, die an der Copalinga-Lodge tagsüber zwischen 20 und 30 Grad Celsius liegen, erhöhen die Vielfalt zusätzlich.
Auch das Gebiet um die Bellavista Lodge ist ein Brennpunkt der Artenvielfalt. Treffen dort doch zwei Ökoregionen aufeinander, von denen jede für sich schon extrem viele Arten beherbergt. Von der Provinz Darién ganz im Osten von Panama über die Region Chocó im Nordwesten Kolumbiens bis zu den Regionen Ecuadors an der Pazifikküste zieht sich ein tropischer Regenwaldgürtel, in dem sehr viele Arten leben. Wobei sich vor allem im ecuadorianischen Teil allenfalls noch kümmerliche Reste dieses Waldgürtels in das 21. Jahrhundert retten konnten. Sozusagen in der nächsten Etage darüber ziehen sich die tropischen Anden als zweites, großes Ökosystem von Venezuela im Norden bis nach Bolivien im Süden. Diese Region umfasst sehr unterschiedliche Klimazonen von den tropischen Regenwäldern in Höhenlagen um 1000 Metern und den in einigen Regionen bis über 3000 Meter wachsenden Nebelwäldern bis zu den "Páramo" genannten Gras- und Krüppelbusch-Landschaften zwischen 3200 und 4800 Metern Höhe.
Extrem verschiedenes Klima auf kleinem Raum
Innerhalb weniger Kilometer können sich Klima und Vegetation dort enorm ändern. Oft kommen die aus tieferen Regionen aufsteigenden Regenwolken kaum über die Bergzüge entlang der Flanken großer Täler. Daher liegen die Hänge auf der anderen Seite des Kammes im Regenschatten und sind ziemlich trocken. Diesseits des Kammes dagegen produzieren die aufsteigenden feuchten Luftmassen Nieselregen und Nebel. Sehr wenige Kilometer voneinander entfernt leben so oft völlig unterschiedliche Gemeinschaften von Pflanzen und Tieren. Häufig vertragen diese Arten weder die eisigen Temperaturen hoch oben auf dem Páramo noch den brütend heißen Regenwald am Fuß der Berge. Meist wachsen daher an einem einzigen Hang mehrere Arten, die nirgends sonst auf dem Globus leben. Auch die tropischen Anden sind daher ein Brennpunkt der Artenvielfalt. Da wundert es wenig, wenn dort, wo die tropischen Anden und die Chocó-Darién-Region aufeinandertreffen, besonders viele Vogel-, Säugetier-, Insekten-, Orchideen- und andere Pflanzenarten leben.
"Mein Nachbar Angel Paz hatte dagegen die Bäume des Nebelwaldes auf seiner Estancia gefällt und verkauft", erinnert sich Richard Parsons. Der Ecuadorianer wiederum wunderte sich über seinen britischen Nachbarn, der das Geld für sich und sein Reservat mit Tourismus verdiente. Dabei leben auf dem Land von Angel Paz doch ebenfalls spektakuläre Arten wie der Andenfelsenhahn mit seinem knallig roten Gefieder. Oder der Riesen-Ameisenpitta, eine Vogelart, von der es nach den Listen der Weltnaturschutzorganisation IUCN mit weiter abnehmender Tendenz weltweit keine 2500 Vögel mehr gibt. Und viele andere Arten mehr.
Angel Paz wurde nachdenklich – und sattelte auf Naturtourismus um. Heute führt er Besucher auf einem schmalen, schlammigen Pfad zu einem Versteck, von dem man morgens um sechs Uhr die Andenfelsenhähne beim Balzen belauschen kann. Nach einer kleinen Bergwanderung ruft er halblaut "venga, venga", also "komm schon, komm schon" in den Nebelwald. Bis dort ein Riesen-Ameisenpitta vor den Augen der staunenden Touristen auftaucht. Und so wachsen die Flächen weiter, auf denen Privatleute Reservate einrichten, die oft die Natur besser schützen als die staatlichen Schutzgebiete, in denen durchaus Ölsucher mit dem Segen der Regierung unterwegs sein können. In die privaten Reservate aber kommen inzwischen auch Wissenschaftler aus Nordamerika und Europa, die dort ihre Beobachtungsflächen abstecken, auf denen sie die Artenvielfalt messen. "Sogar ein Brillenbär ist uns neulich in die Falle getappt", freut sich Richard Parsons. Gemeint ist damit eine Fotofalle, die auch in einem privaten Reservat aufgestellt werden kann.
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