Netzausbau: Darf der Netzbetreiber meine Wärmepumpe abschalten?
Wird die Stromlast im Netz zu groß, ist es in Ausnahmefällen möglich, dass der Stromnetzbetreiber die Zufuhr einzelner Haushalte drosselt. Konkret können solche Eingriffe die Wärmepumpe oder die hauseigene Ladestation fürs Elektroauto betreffen. »Spektrum« sprach mit dem Energieexperten Dirk Uwe Sauer darüber, was man als Privatperson davon bemerkt und welche Alternativen es dazu gäbe.
Herr Sauer, noch wird nicht zentral erfasst, wie oft Netzbetreiber die Stromzufuhr zu einzelnen Haushalten drosseln. Was hören Sie aus der Community?
Ich habe auch keine Zahlen dazu. Was ich höre, ist, dass es bisher nicht vorkommt. Auch, weil die technischen Voraussetzungen dafür an vielen Stellen noch nicht vorhanden sind.
Themenwoche: Stromnetze der Zukunft
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Was braucht es technisch dafür?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine sind herkömmliche Rundsteuersignale, die über das Stromnetz geschickt werden und in groben Stufen die Verbraucher herunterregeln. Dieses Verfahren ist sehr grob. Die andere Möglichkeit, über die zuletzt viel diskutiert wurde, sind Signale, die über die digitalen Gateways an die intelligenten Messstellen, so genannte Smart Meter, geschickt werden, um die Leistung bestimmter Anschlüsse auf minimal 4,2 Kilowatt (kW) zu reduzieren. Aber das ist als Notfallmaßnahme gedacht. Auch die Netzbetreiber rechnen nicht damit, dass das sehr häufig vorkommen wird.
Wie lange würde so eine Reduktion andauern?
Laut Gesetz ist das für höchstens zwei Stunden pro Tag möglich. Es geht dabei aber nicht darum, an Tagen mit gewöhnlichen Lasten einzugreifen. Der Netzbetreiber handelt nur bei drohenden Engpässen im Netz. Unabhängig davon kann ein lokales Energiemanagement im Haus dafür sorgen, dass die Nutzung der eigenen PV-Anlage oder des Batteriespeichers maximiert wird, indem es etwa die Ladeleistung des Elektroautos herunterregelt, während der Wasserkocher läuft. Solche Systeme sind aber eine individuelle Entscheidung des Haushalts und haben nichts mit gesetzlichen Vorgaben zu tun.
Merke ich den Eingriff des Netzbetreibers?
Nein, das heißt nicht, dass das Licht flackert oder Ähnliches. Das Dimmen über das Smart Meter geht nur bei der Ladestelle fürs Auto und bei der Wärmepumpe. Batterie- und Wärmespeicher sind jedoch so groß, dass die Reduktion normalerweise kaum bemerkbar ist. Aber natürlich gibt es theoretische Fälle: wenn Sie innerhalb der zwei Stunden Leistungsreduktion zweimal die Badewanne voll mit heißem Wasser laufen lassen wollen und insgesamt ein Haus mit sehr hohem Wärmebedarf haben. Oder wenn Sie beispielsweise kalkuliert haben, um 18 Uhr mit dem Auto auf eine Fahrt von 300 bis 400 Kilometer zu gehen und zwischen 16 und 18 Uhr der Ladevorgang verringert wurde – dann ist der Akku weniger gefüllt. Doch auch dieses Szenario ist nicht sehr wahrscheinlich.
Wie werden Kunden entschädigt, wenn ihnen der Strom rationiert wird?
Es ist vorgesehen, dass diese Haushalte dann geringere Netzentgelte zahlen. Um wie viel die Kosten sinken, wird kompliziert berechnet, grob geschätzt dürften es rund 160 Euro pro Jahr sein.
»Die Einzelnen werden durch die Maßnahmen nur sehr wenige Einschränkungen erleben«
Inwiefern beschädigen solche Maßnahmen wie das Dimmen von außen das Vertrauen der Bürger in die Transformation des Energiesystems?
Das ist eine wichtige und sehr schwer zu beantwortende Frage. Ich sehe, dass hier versucht wurde, gegen die Energiewende Stimmung zu machen. Hätte man die Maßnahme sachlich erklärt und gesagt, wie selten sie überhaupt ergriffen werden wird, dann hätte es weniger Sorgen gegeben. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass die Diskussion vor allem auf der Ebene von Verbänden und Unternehmen geführt worden ist. Wichtig ist: Die Einzelnen werden durch die Maßnahmen nur sehr wenige Einschränkungen erleben. Und noch wichtiger: Was wären die Alternativen? Entweder müssten die Netzbetreiber die Installation von leistungsfähigen Ladestationen begrenzen oder das Netz muss für die seltenen Spitzenlasten rasch ausgebaut werden. Letzteres ist natürlich möglich, führt aber definitiv zu weiter steigenden Netzkosten. Diese Abwägung müssen wir machen und uns als Gesellschaft fragen, ob wir es uns wirklich leisten wollen und können, auf jede Einschränkung zu verzichten.
Wie meinen Sie das?
Die Diskussionen entstammen dem Denken, dass das Stromnetz immer alle Ansprüche erfüllen muss. Im Zweifelsfall wird das Netz ausgebaut, um jeden Preis. Wir haben ein extrem zuverlässiges Stromnetz, 2023 fiel es im Mittel nur 13 Minuten pro Haushalt aus. Das ist ein positiver Weltrekord. Bei uns können Stürme über die Städte ziehen und fast nichts passiert, weil wir für sehr, sehr viel Geld sehr viele Kabel in die Erde verlegt haben, wo sie sicherer sind als an Freimasten. Aber das kostet.
Was spricht gegen ein Stromnetz, das allen Widrigkeiten trotzt?
Wir erwarten ja auch nicht, dass an der Supermarktkasse nie jemand vor uns steht, und wir leben damit, dass es auf den Straßen mitunter zu Staus kommt. Das sind genauso zeitweise Begrenzungen der Infrastruktur, die sich nur durch erhebliche Mehrkosten vermeiden ließen.
Was würden Sie anders machen?
Bei den Privathaushalten ist die Belastung nicht fair verteilt, meine ich. Viele, die zum Beispiel ein Haus mit Fotovoltaik auf dem Dach und einem Speicher besitzen, sagen: Ich entlaste das Stromnetz. Das stimmt nicht ganz. Wenn es eine Dunkelflaute gibt, dann zieht dieses Haus ebenso Strom aus dem Netz und profitiert davon, dass dieses gerade in schwierigen Zeiten leistungsstark ist. An den Netzkosten haben sich die Bewohner aber kaum beteiligt, weil sie wenig Strom aus dem Netz gekauft und damit wenig Netzentgelte gezahlt haben. Den überwiegenden Teil der Netzkosten tragen dann die Haushalte, die keine eigenen PV-Anlagen haben. Im kritischen Bedarfsfall können aber alle wieder zum gleichen Preis auf Strom aus dem Netz zugreifen.
Unfair, doch wie ist das zu lösen?
In der Industrie wird abhängig vom Energiebedarf und der maximalen Nutzung des Stromnetzes abgerechnet. Technisch wird das mit »Arbeitspreis« und »Leistungspreis« bezeichnet. Das ist fair, weil das Stromnetz für die maximale Leistung ausgelegt sein muss und die Kosten weitgehend fix sind, egal ob wenig oder viel Strom darüber verkauft wird. In Italien zum Beispiel gibt es auch bei Privathaushalten unterschiedliche Leistungsstufen. Doch hier zu Lande scheint es selbstverständlich zu sein, auch eine 11-kW-Ladestation zu Hause ans Stromnetz anschließen zu können, obwohl das deutlich über der üblichen Last liegt. Das geht über weite Strecken vor allem dann gut, wenn noch wenige Haushalte in der Nachbarschaft ein Elektroauto haben, doch das soll und muss sich ja ändern. Ich bin daher der Meinung, dass bei einem Engpass eine Reduzierung in Kauf genommen werden muss. Oder der Kunde zahlt einen höheren Preis, wenn er so einen leistungsstarken Anschluss nutzt. Manche Netzbetreiber erheben beim Anschluss entsprechende einmalige Gebühren für die Ladestationen zu Hause. Das allein setzt aber wieder keinen Anreiz dafür, über ein häusliches Energiemanagement den tatsächlichen Leistungsbedarf an die Netzbelastung anzupassen.
Lässt sich nicht auch das vorhandene Netz effektiver ausnutzen?
Unbedingt. Wir fahren die Niederspannungsverteilnetze, an denen die Haushalte direkt angeschlossen sind, heute im Mittel mit 10 bis 15 Prozent Auslastung, da ist also noch viel Spielraum. Durch intelligente Steuerungen lassen sich Angebot und Nachfrage noch besser aufeinander abstimmen. So wie bestimmte Industrieprozesse auf Zeiten mit preiswertem Strom ausgerichtet werden, können dynamische Strompreise auch in Haushalten ein Anreiz sein. Gerade bei E-Autos und Wärmepumpen ist das Potenzial groß. Letztere puffern viel über ihren Heißwasserspeicher ab. Und Elektrofahrzeuge müssen ja nicht alle nach dem Ankommen gleich am Abend geladen werden. Wenn sich eine Software darum kümmert, dass der Wagen beispielsweise um 7 Uhr vor dem Weg zur Arbeit voll geladen ist, genügt das den Nutzern – und die Netzbetreiber können flexibler agieren.
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